Der Dortmunder Rat verliert seinen umstrittensten Lautsprecher – und das Bedauern dürfte sich bei den meisten Politiker*innen in Grenzen halten: Neonazi Michael Brück tritt weder sein Ratsmandat noch seinen Sitz in der Bezirksvertretung Huckarde an. Dafür werden aber zwei andere Neonazis nachrücken.
Neonazis haben durch die Wahlschlappe im September Mandate und Geld verloren
Die Kommunalwahl im September 2020 war für die Neonazi-Splitterpartei „Die Rechte“ keinesfalls eine Erfolgsgeschichte. Nachdem sie sich bei der Kommunalwahl 2014 noch vehement bekämpft hatten, bildeten NPD und „Die Rechte“ eine gemeinsame Ratsgruppe. Dies war vor allem aus finanziellen Erwägungen wichtig, spülte es doch mehr als 45.000 Euro pro Jahr für die Gruppenarbeit in die Parteikassen. Das fehlt offenbar nun schon schmerzlich. ___STEADY_PAYWALL___
Im Herbst 2020 trat die NPD nicht mehr eigenständig an – der bisherige Ratsherr Axel Thieme kandidierte auf der Liste der Partei „Die Rechte“. Chancen auf einen Wiedereinzug hatte er bei seinem Listenplatz nicht. Die Neonazis haben nun nur noch einen Sitz im Rat, auch zwei von vier Mandaten in Dortmunder Bezirksvertretungen haben sie verloren.
Den Sitz im Rat wird nun nicht Michael Brück, sondern Matthias Deyda wahrnehmen; er wird Donnerstag (12. November 2020) bei der Ratssitzung vertreten sein. Deyda ist für die Auslandskontakte der Partei „Die Rechte“ zuständig und daher international bestens vernetzt und auf vielen internationalen Aufmärschen zu Gast – und mitunter auch als Redner im Einsatz.
Den Platz in der Bezirksvertretung Huckarde wird der Listenzweite Jim Koal annehmen. Der Zerspanungsmechaniker gehört zu den Teilnehmern des „Kampfs der Nibelungen“ von Organisator Alexander Deptolla – dem einzigen „Prominenten“ der Dorstfelder Neonazis, der als Zaungast bei der Kranzniederlegung am 82. Jahrestag der Reichspogromnacht in Dorstfeld teilnahm. Ob Koal an der ersten Sitzung der Bezirksvertretung am Mittwoch teilnehmen kann, ist noch offen. Offenbar gab es eine Verzögerung beim Annahmeverfahren.
Michael Brück ist enttäuscht über das Wahlergebnis – AfD fischt ihnen die Stimmen weg
Gerüchte über Michael Brück gab es viele – sie reichten vom Umzug nach Chemnitz bis zum Rückzug aus der rechtsextremen Szene. Doch beides stritt er bisher ab. „Die Mandatsaufgabe hat nicht ,den Einen’ Grund, sondern ist eine Mischung aus vielen Faktoren“, teilt Brück auf Nachfrage von Nordstadtblogger offenherzig mit.
„Da ich mich beruflich und privat umorientiert habe, steht mir einfach nicht mehr die Zeit zur Verfügung, diese Tätigkeit auszuüben. Denn wenn ich etwas mache, dann vernünftig. Oder eben gar nicht“, so Brück weiter. Er macht keinen Hehl daraus, dass das Wahlergebnis eine Enttäuschung war.
„Letztendlich war (…) das Wahlergebnis in der Form ernüchternd, dass die doch rege Aktivität in den Lokalparlamenten nur unwesentlich über den eigenen Mikrokosmos hinaus geht, zumindest wird sie offenbar selbst in Kreisen, die ohne eine AfD auf dem Stimmzettel durchaus weiter rechts wählen, nicht angemessen wahrgenommen“, erklärt Brück auf Nachfrage. Das ist ein Fingerzeig auf sein Wahlergebnis in der BV Huckarde. Dort kam seine Partei zwar auf 6,27 Prozent, was aber auch nur für einen Sitz in der BV reichte.
Dieses Ergebnis ist aber nicht dem Engagement Brücks vor Ort geschuldet, sondern dem, dass die AfD dort nicht angetreten ist. Auch Brück macht keinen Hehl daraus, dass die AfD ihnen die Wählerstimmen erneut abgezogen hat. Und in ihrem selbst-erklärten Nazi-Kiez haben sie bei den Wahlen erneut keinen Fuß auf den Boden bekommen.
Haftstrafen, Veranstaltungsverbote, Einnahmeausfälle und Mobilisierungsschwäche
Die Neonazis haben ihre Aktivitäten aus verschiedensten Gründen zurückgefahren. Selbst ihr Internet-Zentralorgan „DortmundEcho“ stellten sie nach dem erfolglosen Wahlabend nach acht Jahren Dauerbeschallung ein. Auch in den öffentlich einsehbaren sozialen Netzwerken tut sich fast nichts mehr. Mobilisierungsschwäche ist ein Faktor, die zahlreichen Haftstrafen und laufende Strafverfahren ein anderer.
Durch die fehlenden Kampagnen und Demonstrationen, die Absage von Rechtsrock- und Kampfsport-Events wegen des mittlerweile repressiven Vorgehens der Behörden fehlen zudem Einnahmen und auch Absatzmöglichkeiten für eigene Werbemittel. Für Online-Versandhändler Michael Brück – er hatte seinen „antisem.it“-Versand zuletzt in „Patrioten-Propaganda“ umbenannt – ist das mit Sicherheit auch wichtiger Faktor. Gleiches gilt wahrscheinlich für den Wegfall des Gruppenstatus im Rat. Das hat direkte finanzielle Auswirkungen.
„Für mich persönlich stellt sich dann die Frage, ob dieser Einsatz noch in einer Relation steht. Und nach längeren Nachdenkprozessen habe ich mich dafür entschieden, dass diese Relation aus meiner Sicht nicht mehr gegeben ist“, betont der Neonazi, der in den vergangenen zwölf Jahren nach eigener Aussage „omnipräsent“ war. Sein Jura-Studium hatte er nie beendet und sich stattdessen der Politik und „der Bewegung“ gewidmet.
Brück steht mittlerweile „in einem regulären, nicht-politischen Arbeitsverhältnis“
Brück war – und das ist kein Geheimnis – wohl das Ratsmitglied, was nahezu alle anderen Mitglieder durch seine Ausschöpfung von Redezeit und seine Flut von möglichst provozierenden Anfragen genervt hat wie kein Zweiter. Im neuen Rat wird sich daher die Enttäuschung über sein Ausscheiden in Grenzen halten, wobei abzuwarten bleibt, wie nun sein Nachfolger agieren wird. Die letzte Sitzung des alten Rates hatte Brück bereits gefehlt – die Sitzung fiel bereits kürzer aus.
Matthias Deyda ist nach Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt und Dennis Giemsch – sie hielten jeweils nur wenige Ratssitzungen durch – sowie Michael Brück, der fünf Jahre lang das Sprachrohr seiner Partei im Rat war, nun der vierte Neonazi-Ratsvertreter. Giemsch und Brück hatten seinerzeit zusammen bei den „Autonomen Nationalisten“ begonnen und sich in die erste Reihe der Szene vorgearbeitet.
Giemsch ist mittlerweile völlig abgetaucht. Borchardt sitzt derzeit – wie mehrere andere führende Köpfe der Partei „Die Rechte“ – in Haft. Darunter befindet sich auch der amtierende Bundesvorsitzende Sascha Krolzig. Auch andere einstige Szenegrößen und Lautsprecher sind verschwunden oder halten sich bedeckt. Daher hat es auch erstmals keine Kundgebung zum Jahrestages des NWDO-Verbots gegeben. Viele dieser Veranstaltungen hatte Brück unter anderem auch als Bundesgeschäftsführer seiner Partei organisiert. Aktuell ist er noch stellvertretender Landesvorsitzender.
Sich in die Karten gucken lassen, was er denn nun beruflich und privat vorhat, will sich der 30-Jährige nicht. Das gilt für den Beruf wie auch für seine Wohnsituation im selbst-erklärten „Nazi-Kiez“: „Ich wohne noch in der Emscherstraße, ob ich dort mein Leben lang wohnen werde, kann ich aber natürlich ebenso wenig sagen und das hängt ja auch von privaten Veränderungen von Lebenskonstellationen usw. ab. Aber für das Momentum ist es so.“
Zum Job äußert er sich bewusst kryptisch: Er sei jetzt „in einem regulären, nicht-politischen Arbeitsverhältnis, das eben auch nicht ganz so flexible Arbeitszeiten hat und mich damit auch zu einigen, privaten Umstellungen veranlasst hat“, teilt er mit. „Ich denke, dass ich jetzt keine näheren Details nenne, ist verständlich.“