Politikwissenschaftler: „Ein Wahlkampf ohne ist kaum noch möglich“

Parteien in Dortmund sind im Wahl-Endspurt: Social Media als unverzichtbares Arbeitsmittel

Social Media gewinnt immer mehr an Bedeutung im Wahlkampf

Nur noch wenige Tage bis zur Bundestagswahl: Der Wahlkampf erreicht den Siedepunkt. Vor allem – aber nicht nur – in dieser Zeit sind Parteien und Kandierende auf Social Media aktiv. „Ein Wahlkampf ohne Social Media ist kaum noch möglich“ sagt Dierk Borstel, Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Dortmund. Da durch soziale Medien viele Menschen, und insbesondere junge Menschen, erreicht werden könnten, seien sie ein essenzieller Kanal für den Wahlkampf geworden.

Über die Notwendigkeit der Partizipation von Parteien in sozialen Medien

Nahezu alle Parteien in Dortmund nutzen Facebook und Instagram für die Kommunikation, aber auch die Plattform X (früher Twitter) kommt häufig zum Einsatz. Nur wenige Parteien sind auch auf TikTok aktiv. Sie wollen auf diesem Kanal mehr Jugendliche und junge Erwachsene erreichen. Dies wird bei der Betrachtung ihrer Accounts in sozialen Medien deutlich.

Mehr als 60 deutschsprachige Hochschulen und Forschungsinstitutionen möchten ein Zeichen setzen und verkünden gemeinschaftlich, ihre Aktivitäten auf der Plattform X (ehemals Twitter) einzustellen. Illustration: HHU/Paul Schwaderer

 Einige dieser Plattformen stehen indes in der Kritik – vor allem X (früher Twitter): Nachdem Elon Musk den Kurznachrichtendienst gekauft und Accounts freigegeben hat, die wegen Desinformation, Hass und Hetze gesperrt waren, ziehen sich viele demokratische Organisationen und Parteien von dieser Plattform zurück.

Der Rat der Stadt Dortmund hatte beispielsweise in der vergangenen Woche das Ende von „Dortmund.de“ auf X beschlossen, dabei hatte die Stadt bei diesem Account rund 110.000 Follower:innen. 

Die meisten Abonnent:innen haben Parteien in Dortmund auf Facebook. Hier haben vor allem die Satire-Partei „Die Partei“, die SPD (jeweils mehr als 3600 Abonnenten) sowie die AfD-Fraktion im Stadtrat (rund 3300 Abonnenten) die meisten Follower:innen. Über Facebook erreicht die Partei der Linken etwa 1000 Menschen. Allerdings sagt die Anzahl der Follower nicht aus, dass eine Partei auch tatsächlich am erfolgreichsten bei Wählern ist.

Instagram-Account von „Die Linke“ in Dortmund gesperrt

Manche Parteien sind aber nicht auf allen Plattformen aktiv, obwohl dies im Vergleich zu Wahlplakaten oder anderen Mitteln wie Veranstaltungen oder bezahlten Werbeanzeigen der einfachste und günstigste Weg ist, um mehr Menschen zu erreichen und vielleicht auch zu überzeugen. 

Sonja Lemke (Die Linke) kritisiert die Account-Sperrung ihrer Partei bei Instagram scharf. Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Doch die Nutzung der Plattfomen von großen Tech-Konzernen birgt eigene Hürden. Konkret sieht man das am Beispiel der Partei „Die Linke” in Dortmund: Deren Kreisverband hat den Account auf X deaktiviert, da nach Meinung der Partei nach der Übernahme der Plattform durch Elon Musk nur noch „rechte Accounts und Bots dominieren“. 

Der Kreisverband von „Die Linke“ setzte daher stattdessen auf seinen Instagram-Account. Dieser hatte mehr als 1300 Follower:innen, Tendenz steigend, wie Parteichefin Sonja Lembke betont. Allerdings wurde dieser mitten in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinien von Instagram vorübergehend gesperrt.

Der Dortmunder Kreisverband der Linken hatte nicht alleine mit einer Sperrung zu kämpfen: Auch der Account der Linken Pforzheim, Minden und Köln seien von Instagram gesperrt worden. Ebenso seien politisch aktive Gruppen, wie Ortsgruppen von Fridays vor Future, betroffen, berichtet Lemke.

Kritik an Plattformen: „Meinungsfreiheit ist in diesen Medien eingeschränkt“

„Meta greift damit aktiv in den deutschen Wahlkampf ein“ sagt die Linken-Kreissprecherin und Bundestagskandidatin Sonja Lemke. Sie fordert „klare Regeln für Social Media Plattformen“ und die nötige Transparenz, sie durchzusetzen.

Die Frage, was eine Sperrung durch Plattformen für Parteien bedeutet und ob so ein Ausschluss Wahlergebnisse beeinflussen kann, beschäftigte auch Politikwissenschaftler Dierk Borstel: „Hinter diesen Plattformen stehen private Unternehmen, die Gewinne generieren möchten. Im Vordergrund steht deshalb die eigene Logik und politische Meinung.” 

Politikwissenschaftler Dierk Borstel ist Professor der FH Dortmund.
Politikwissenschaftler Dierk Borstel ist Professor an der Fachhochschule Dortmund. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

„Meinungsfreiheit ist in diesen Medien eingeschränkt. Beispielsweise kann man in einem bestimmten Rahmen gegen Migrant:innen hetzen, während Inhalte über sexuelle Bildung zensiert werden“ erklärt der Wissenschaftler der Fachhochschule Dortmund.

Parteien müssten deshalb entscheiden, ob sie sich dieser Logik unterwerfen wollten oder ob sie Plattformen verlassen. Dadurch gingen sie allerdings das Risiko ein, mögliche Wähler:innen nicht zu erreichen und so bei einer Wahl Stimmen zu verlieren. 

„Es kann sein, dass ein Ausschluss einer Partei durch eine Plattform die Wahlentscheidung beeinflusst – jedoch nur indirekt. Dies liegt daran, dass soziale Medien eine wichtige Informationsquelle für viele Jugendliche sind“ sagt Borstel. Oft ist dies auch die einzige Informationsquelle für diese Zielgruppe.

Medienpräsenz der Parteien und Kanzlerkandidat:innen

„Besonders bei der Wahlentscheidung von jüngeren Menschen spielt die Partizipation einer Partei in Social Media eine wichtige Rolle. Wenn eine Partei nicht vertreten ist, kann es sein, dass junge Menschen sich für eine andere Partei entscheiden. Bei Älteren ist der Einfluss geringer. Sie haben ein anderes Vorwissen und informieren sich oft auch noch anders“, erzählt Borstel.

Die Beobachtung der Social Media Accounts der Kanzlerkandidat:innen zeigt: Alle sind aktiv und versuchen, für ihre Partei zu werben und mehr Menschen zu erreichen. Der aktuelle Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erreicht durch seine Social Media Plattformen insgesamt mehr als 3,3 Millionen Menschen.

Mit 2,8 Millionen Folower:innen ist Alice Weidel (AfD) nur knapp dahinter, gefolgt von Friedrich Merz (CDU) mit ca. 720.000 Abonnent:innen. Im Vergeleich dazu hat Robert Habeck (die Grüne) nur etwa 630.000 Follower:innen und erreicht damit viel weniger Menschen. In den aktuellen Umfragen ist die CDU jedoch die erfolgreichste Partei, gefolgt von der AfD, dann SPD und Grüne. 

Grafik: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Dortmund folgt bei der Social Media-Nutzung dem Bundestrend

Ähnlich wie bei den Kanzlerkandidat:innen ist der fall bei den Direktkandidat:innen aus Dortmund. Hier erreicht der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich im Vergleich zu den anderen Abgeordneten die meisten Mediennutzer:innen. Ihm folgen insgesamt mehr als 48.000 Menschen.

Für die SPD treten erneut Sabine Poschmann und Jens Peick an, die in der vergangenen Bundestagswahl 2021 die Direktmandate für Dortmund erringen konnten und diese nun verteidigen wollen. Poschmann und Peick möchten online besonders auf das Thema Wahlrecht für Jugendliche aufmerksam machen und setzen sich für das Wahlrecht ab 16 Jahren ein. Auf ihren Social Media Accounts geben sie Einblicke in ihrem Alltag und teilen ihre politischen Aktivitäten mit.

Peick erreicht mehr als 6.400 Personen durch seine verschiedenen Social-Media-Accounts. Währenddessen erreicht Poschmann etwa 3.700 Nutzer:innen. Grund dafür ist, dass sie nur auf den Plattformen Facebook und Instagram aktiv ist und keine weiteren Plattformen nutzt, während Peick zusätzlich auch X und TikTok nutzt.

Die Größe der Parteien spielt für die Reichtweite der Kandidierenden kaum eine Rolle

Für die Grünen treten zwei Frauen an: Hannah Rosenbaum, die Sprecherin des Grünen-Kreisverbandes und  Bezirksbürgermeisterin der Nordstadt, bewirbt sich erstmals um ein Bundestagsmandat. Sie ist allein auf der Plattform Instagram aktiv und hat dort 1.588 Follower:innen. Auch ihre Parteifreundin Martina Wilken, die als Direktkandidatin im Wahlkreis Dortmund I antritt, ist nur auf Instagram aktiv und erreicht rund 650 Menschen.

Grafik: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Deutlich mehr Menschen erreicht ihre Konkurrentin von der CDU: Die stellvertretende Kreisvorsitzende Sarah Beckhoff erreicht mehr als 1600 Menschen durch ihren Account auf Instagram und wirbt auf der Plattform für sich und ihrer Partei. Dem zweiten CDU-Direktkandidaten Michael Depenbrock, Bezirksbürgermeister von Hörde, folgen bei Instagram 511 Menschen.

Die CDU-Kandidat:innen liegen damit online auf Augenhöhe mit den beiden Kandidierenden der FDP, die allerdings um den Einzug in den Bundestag bangen müssen. Dem FPD-Kreisvorsitzenden Nils Mehrer folgen 2081 Interessierte bei Instagram, dem zweiten Direktkandidaten Levin Ryback 688 Personen.

Der Direktkandidat der Linken Jan Siebert hat eine vergleichsweise geringere Reichweite. Er ist seit kurzem auf der Plattform „Facebook“ aktiv, hat jedoch kaum Follower:innen. Seine Kollegin Sonja Lemke ist ähnlich wie viele andere Kandidat:innen auf Instagram aktiv. Hier verfügt sie über 573 Abonnent:innen.

Die Social Media-Präsenz bleibt auch nach den Wahlen wichtig

Auch nach den Bundestagswahlen spielt Social Media eine zentrale Rolle in der Politik. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl: Besonders in Hinblick auf die anstehenden Kommunalwahlen am 14. September ist es wichtig, dass die Politiker:innen und Parteien weiterhin aktiv bleiben, um ihre Positionen sichtbar zu machen und und im Gespräch zu bleiben.

Insofern verliert die mediale Präsenz von Kandidat:innen nicht an Wert, da die Kommunikation mit den Wähler:innen immer noch wichtig ist, um für zukünftige Wahlen mehr Stimmen gewinnen zu können. 


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