Von Klaus Winter
1928 verwandelten sich die Schrebergärten zwischen den Einmündungen der Oestermärsch- und der Borsigstraße in den Borsigplatz in einen ungewöhnlich großen Bauplatz. Denn nach Plänen der Architekten Groos & Franken ließ der Kaufmann Heinrich Assauer hier einen Gebäudekomplex errichten, in dem auch ein Kino seinen Platz finden sollte.
Kaufmann Heinrich Assauer als „Reformators des Nordens“
Das war ein Projekt, das Assauer den Ruf eines „Reformators des Nordens“ einbrachte, denn im nordöstlichen Stadtteil Dortmunds, „wo die starken Pulsschläge harter Arbeit unserer heimischen Hüttenwerke pochen“, mangelte es an Unterhaltungsmöglichkeiten.
Mitte Dezember 1928 fand das Richtfest statt, bei dem der Rohbau bereits einen „großstädtischen Charakter“ zeigte. Er sollte außer dem Kino mit mehr als 1.000 Plätzen im Vorderhaus ein Kaffee-Restaurant mit Kegelbahn an der Ecke Borsigplatz /Borsigstraße, sechs Wohnungen von je sechs bis sieben Zimmern im Mittelbau und vierzehn große Ladenlokale an der Gebäudefront zur Oestermärschstraße aufnehmen.
Bei dem Festakt zeigte sich der Bauherr sehr generös, denn zu dem Richtfest waren nicht wie üblich lediglich die Vertreter der den Bau ausführenden Firmen geladen, sondern alle Bauarbeiter.
„Assauer Lichthaus“ wurde am 312. August 1929 eröffnet
Die Eröffnung des Kinos war für Ostern 1929 geplant. Es sollte den Namen „Capitol“ tragen. Doch 1928 war in der Innenstadt, an der Hansastraße bereits ein anderes Kino unter diesem Namen eröffnet worden.
Als der Neubau am Borsigplatz dann Ende März 1929 seiner Fertigstellung entgegenging, wurde der Name „Assauer Filmschau“ favorisiert. Bei der Eröffnung am 31. August 1929 hieß es schließlich „Assauer Lichthaus“. Der Volksmund verkürzte den Namen in der Folgezeit schlicht auf „Assauer“.
Noch am Eröffnungstag sollen im Assauer „hunderte von Handwerkern“ – Elektriker, Schreiner, Maler – mit letzten Arbeiten beschäftigt gewesen sein. Nicht nur das Kino öffnete erstmals seine Tore, auch die neuen Geschäfte entlang der Oestermärschstraße erwarteten nun die ersten Kunden.
Revolution für die Geschäftswelt im Borsigplatz-Quartier
Die Angebotspalette war bunt gemischt: eine Möbelfabrik, Schuhwaren- und Lederhandlung, Blumengeschäft, Glas-Großhandlung, Friseur-Salon, Eierhandlung, Färberei usw. Heinrich Assauer hatte mit seinem Bauvorhaben nicht nur ein neues Unterhaltungszentrum geschaffen, sondern die Geschäftswelt rund um den Borsigplatz revolutioniert. Lediglich das „ganz elektrisch betriebene Restaurant“ war noch nicht fertiggestellt.
Die Hauptattraktion am 31. August war natürlich die erste Aufführung im neuen Kinosaal, die in einem feierlichen Rahmen stattfand. Erschienen waren außer einem Vertreter der Stadt Dortmund, eine Abordnung aus Assauers Geburtsstadt Geseke, der Vorstand des Nördlichen Dortmunder Schützenbundes und des Felke-Vereins.
Das Grußwort sprach Karl Riechmann, Vizepräsident des Reichsverbandes deutscher Lichtspieltheater-Besitzer und Präsident des Verbandes Rheinisch-Westfälischer Theaterbesitzer. Er schilderte die Entwicklung des Films und des Kinos und wünschte dem neuen Unternehmen mit einem „Gut Licht“ Erfolg.
Das schreibt die „Dortmunder Zeitung“:
„Die lichtüberflutete Vorhalle des Theaters, die in Marmor, Travatin, Solmhofnerplatten und Bronce gehalten ist, entspricht ganz den Anforderungen eines modernen Lichtspielhauses und atmet Behaglichkeit. Nach der Straße [zum Borsigplatz] weit geöffnet, nimmt sie den Publikumsverkehr auf und verteilt diesen in übersichtlicher Form. Drei geschmackvolle Erfrischungsräume bieten den Besuchern eine weitere Annehmlichkeit. Sie sind vor dem Theatersaal angeordnet und bieten wartenden Gästen und auch dem Tagesverkehr Erholung und Zuflucht.
Im Innern des Theater[saal]s hat das Prinzip der vornehmen Raumwirkung und der harmonischen Gliederung eine besondere Würdigung erfahren dadurch, daß keine zerstörende Ornament- und Zierarchitektur vorhanden ist. Die Wände wurden durch Kaukasisch-Nußbaumflächen aufgeteilt, die nach oben von dezenter Farbanstrichtönung unterbrochen werden. Im übrigen ist der Blick nur auf den beherrschenden Bühnenraum konzentriert. Als Hauptfaktor ist dieser in den Vordergrund jeglicher Gestaltungs-, Beleuchtungs- und akustischer Effekte gestellt. Sehr begrüßenswert ist, daß dem ganzen Publikum vom ersten bis zum letzten Platz eine gleiche, vornehme und sehr behagliche Sitzgelegenheit geboten wird.
Die Ent- und Belüftung des Theaters wurde auf neuartige Weise so gelöst, daß die im Winter erwärmte und im Sommer angekühlte Frischluft in den Raum eindringt und die verbrauchte Luft durch große Ventilatoren abgesogen wird. Die Heizung ist dreifach.
Die Beleuchtung ist größtenteils indirekt und der Architektur eingeordnet. Die film- und bühnentechnischen Einrichtungen stellen die neuesten Errungenschaften modernster Technik dar. Jeder Filmbrand ist durch automatische Einrichtungen und Sicherungen des laufenden Filmbandes durch besondere Feuchtluftgebläse ausgeschlossen.“
Der „Generalanzeiger“ lobte Höchstes künstlerisches Niveau
Der Hauptfilm am Eröffnungstag trug den Titel „Sturm über Asien“ und war gemäß der Werbeinserate in der Tagespresse „das größte Filmwerk der Welt, der gewaltigste und erlebnisreichste Russenfilm der Zeit“ mit „nie geschauten Bildern von dramatischer Wucht und Spannung“.
„Dieses Werk [des Regisseurs] Pudowkin ist die vollendete Filmschöpfung. Es steigert sich zum durchaus Monumentalen am Schluß, wenn eine Schlacht, eine Vernichtungsschlacht sich versinnbildlicht durch zusammenbrechende Bäume, losgelöste Felsbrocken, vorüberrasende Militärrequisiten, wehende Blätter, stürzende, sich überschlagende, herunterkollernde, zusammenbrechende Menschenkörper … Sturm über Asien …! Schönere Landschaftsaufnahmen hat es nie gegeben, herrlichere Bildausschnitte hat kein Film.“
Der „Generalanzeiger“ – damals viel gelesene Dortmunder Tageszeitung – urteilte: „Mit diesem Film geht die Direktion des Assauer-Hauses eine große Verpflichtung ein: nämlich unabhängig vom Massengeschmack und individueller Einstellung höchstes künstlerisches Niveau zu bringen.“ – Ein Anspruch, der wenige Jahre später, nämlich im nationalsozialistischen Deutschland zweifellos nicht aufrechterhalten werden konnte.
Bei einem Luftangriff wurde das Assauer-Lichthaus weitgehend zerstört
1929 feierte Heinrich Assauer seinen 50. Geburtstag und sein 30jähriges Geschäftsjubiläum als selbständiger Kaufmann, und er war außerdem seit zwanzig Jahren Besitzer von Lichtspieltheatern. Das zehnjährige Bestehen seines Kinos am Borsigplatz erlebte er jedoch nicht mehr.
Er starb am 13. Mai 1938 und fand auf dem Hauptfriedhof seine letzte Ruhestätte. Nicht nur die Belegschaft seiner drei Kinos gab einen Nachruf auf, sondern auch der Dortmunder Bürgerschützenverein von 1388, der mit Heinrich Assauer seinen Schützenkönig verlor.
Das Assauer-Lichthaus wurde bei dem Bombenangriff auf Dortmund am 6. Dezember 1944 weitestgehend zerstört. Lediglich die Grundmauern des Vorbaus mit der aus der Umgebung hervorstechenden, einst als funktional-sachlich beschriebenen Schauseite und die Mauern des Kinosaals blieben stehen.
Doch im November 1946 konnte der Kinobetrieb wieder aufgenommen werden, wenn zunächst auch nicht an gewohnter Stelle, sondern in den Hoeschsälen, Oesterholzstr. 123. Im Sommer 1948 war dann der Wiederaufbau des Hauses am Borsigplatz abgeschlossen. Die Neueröffnung fand am 8. August des Jahres statt.
1964 war die Kino-Geschichte am Borsigplatz entgültig beendet
Der Kinobetrieb am Borsigplatz wurde 1964 endgültig eingestellt. Nach einem Umbau zog ein Supermarkt in den vormaligen Kinosaal ein. Die von Umfeld deutlich abweichende Fassade des Assauer, deren Krümmung dem Verlauf des Borsigplatzes folgt, ist aber erhalten, wenn sie auch nicht mehr dem Original entspricht.
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Wir möchten in den nächsten Monaten weitere Nordstadt-Geschichte(n) veröffentlichen. Aber dafür sind wir auf Input angewiesen. Vor allem sind wir an alten Postkarten und Fotos aus der Nordstadt interessiert.
Gleiches gilt aber auch für Zeitzeugenberichte. So würden wir gerne auch mehr Bilder zum Assauer-Kino zeigen und Erinnerungen von Gästen hören – letztere gerne als Kommentare zum Artikel.
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Reader Comments
Volker N.
Eine schöne Geschichte. Eigentlich wissen wir doch sehr wenig über das Damals in der Nordstadt. Ich bin auch ein Kind der Nordstadt. Hat der Herr Klaus Winter nicht auch in der Nordstadt gewohnt, oder wohnt er noch dort?
Klaus Winter
Nö, ich wohne nicht in der Nordstadt. Aber man kann mich freitags im Fink, Nordmarkt, antreffen.
Michael Simon
Hallo Herr Winter,
ein sehr interessanter Artikel über das Assauer Lichtspieltheater. Ich bin selbst aus dem Dortmunder Norden und meine Großeltern wohnten in der Oesterholzstr. 51. Sie bezogen die Wohnung als Ertstbezug und bewohnten diese bis in den Anfang 1970er Jahren. Anhand der von mir erstellten Webseite hat man einen schönen Überblick über das „alte“ Dortmund.
Peter Theunissen
Das wiedereröffnetete Kino Assauer löste das Nachkriegskino im Hoesch-Silbersaal ab. (??) Meist Stummfilme (Pat und Patterson etc.) Assauers Wiedereröffnung mit Hans Hass Abenteuer im Roten Meer. Soweit ich mich noch erinnern kann.
Später innere Umgestaltung aus Cinamascop – Leinwand und „Goldvorhang“ etc. Der Sohn des Fuhrunternehmers Fuhrmann ritt Reklame (Halsband der Königin) oder so.
Die Familie Assauer betrieb wohl auch das Kino NORDTHEATER an der Bornstr. – Ecke Jägerstr. Viele schöne Erinnerungen an die Zeit. Nach dem Abriss bauten sie auf der Münsterstr. (Steinplatz) ehem. Ofen Bertold(?) das Decla-Kino.
Wolfgang Lachermund
Ich habe heute die Grabsteine der Familie Assauer entdeckt und dank Klaus Winter nei den Nordstadtbloggern Ausführliches zum Hintergrund erfahren. Meine Großeltern wohnten in der Juliusstr. und ab und zu wurde vom Assauer-Kino erzählt