Von Susanne Schulte
Als sich zum ersten Stillleben die Nordstadt-Nachbarschaft auf dem Borsigplatz traf, zogen zwei selbstgebastelten Papphäuschen mit Fotofassaden die Neugierigen an den Tisch der Familie Rummler. Die Zeit, die zwischen den beiden Aufnahmen der Fassade liegt, ist genauso lang wie die Zeit, in der das Haus an der Kamener Straße 12 in Familienbesitz ist: 110 Jahre. Die Verbindung der Familie Rummler zum Borsigplatz ist aus Stein gebaut. Vier Generationen hatten und haben hier ihr Zuhause.
Ottilie Rummler kaufte das Haus in der Kamener Straße 1906 – Alle Nachkommen fanden dort ein Zuhause
„Meine Großmutter hat das Haus 1906 gekauft“, so Armin Rummler und faltet ein persönliches Dokument der Frau auseinander. Ottilie Koschnitzke wurde 1879 in Michaelshütte in Pommern geboren, kam Anfang des 20. Jahrhunderts ins Ruhrgebiet.
Sie kam nach Wattenscheid, lernte dort den Bergmann Gustav Rummler kennen, der aus dem schlesischen Waldenburg stammte, dort Kohle gehauen hatte.
Er bekam eine Stelle als Förderaufseher auf Minister Stein, das Paar kaufte das Haus, zog nach Dortmund und in die erste Etage an der Kamener Straße 12 ein. Die beiden bekamen drei Kinder.
Eines von ihnen war der Vater von Armin Rummler. „Hier wo, wir jetzt sitzen, war damals mein Kinderzimmer.“ Das war aber erst in den 1950er Jahren.
Die zweite Generation wohnte erst einmal in der Braunschweiger Straße. Armin Rummlers Vater musste als Soldat in den Krieg, seine Mutter zog nach Erfurt zu ihrer Schwester. Dort ist Armin Rummler geboren.
1944 lag das Gebäude nach einem Bombenangriff in Trümmern – Wiederaufbau begann zehn Jahre später
Nun packt er auf dem Esstisch, der jetzt in der Wohnung seiner Tochter Sandra Opolka steht, Fotos aus: Gruppenbilder mit Großeltern und Eltern, mit seinen beiden Töchter und von zerstörten Straßenzügen. 1944 wurde das Haus bei einem Bombenangriff zerstört.
„Die Alliierten warfen nach den Angriffen auf die Westfalenhütte die Bomben, die sie noch im Flugzeug hatten, beim Rückflug auf die Häuser ab. Das erkennt man deutlich, wenn man sich alte Luftbildaufnahmen ansieht“, sagt Armin Rummler. Das junge Paar verbrachte die Nachkriegsjahre wieder in der Braunschweiger Straße, die alten Rummlers wohnten nicht weit entfernt.
Die Hoesch-Wohnungsbaugesellschaft wollte das Grundstück haben, die Rummlers behielten es
Anfang der 50er Jahre machte sich die Hoesch-Wohnungsbaugesellschaft daran, rund um die Westfalenhütte ganze Straßenzüge wieder aufzubauen, um für die Belegschaft Wohnraum zu schaffen.
Dafür kaufte sie Grundstücke auf. Auch die Rummlers bekamen ein Angebot. Doch die waren vorausschauend. Armin Rummlers Vater – sein Großvater war da schon gestorben – wollte nicht verkaufen, sondern zahlte lieber Geld an die Wohnungsbaugesellschaft, damit diese sein Haus aufbaute.
Als das Haus wieder stand, zog die junge Familie ein. Armin Rummler wechselte von der Burgholzschule auf die Oesterholzschule, besuchte den Hort, der in den ehemaligen Baracken der englischen Soldaten auf dem Nordmarkt untergebracht war. „Die Oma hat noch hier mit im Haus gelebt“.
Sie starb 1955. Sein Vater betrieb in der nördlichen Innenstadt eine Drogerie mit Waren fürs tägliche Leben, die Mutter arbeitete bei Küster, er selbst machte ab 1960 eine Lehre als Kaufmann bei der Maschinenfabrik Bolenz und Schäfer im Hafen, studierte anschließend auf der Höheren Wirtschaftsfachschule in der Gronaustraße.
Mit den Mietern im Haus verstand man sich gut. „1958 hat mein Vater einen Fernseher gekauft und häufig mit den Nachbarn zusammen geguckt.“ Auch Zusammenkünfte im kleinen Garten hinterm Haus waren keine Seltenheit.
Erst musste geheiratet werden, dann durften die jungen Rummlers eine eigene Wohnung beziehen
Eine eigene Wohnung im Haus bekam er 1969, nachdem er verheiratet war. Seine Frau hatte er an Silvester 1967 kennengelernt, in den Reinoldigaststätten während des bekannten und beliebten Balls.
„Mein Vater hatte gesagt: Es ist doch Silvester, geh’ mal raus.“ Er folgte dem väterlichen Vorschlag, kaufte sich eine Karte für die Reinoldigaststätten und traf dort einen Freund in munterer Runde mit einigen Frauen. In Heike verliebt er sich.
„Als dann eine Wohnung in der Kamener Straße frei wurde, sagte der Schwiegervater: Jetzt könnt ihr heiraten und dann kriegt ihr die Wohnung“, erzählt Heike Rummler.
Ohne Trauschein zusammen zu ziehen, das war Ende der 1960er unmöglich.
Jetzt wohnt die vierte Generation der Familie im Haus und schätzt die zentrale Lage
Das junge Paar schätzte die zentrale Lage seines Zuhauses, vermisste aber, vor allem für die beiden Töchter, die grüne Umgebung.
Ja, der Hoeschpark, der war schon schön, aber für Kinder auch weit zu laufen: „Ich musste mit der älteren immer zum Esel gehen“, erinnert sich Heike Rummler.
Aber der viele Verkehr rund um den Borsigplatz und zu wenig gute Spielplätze, die Kinder gefahrlos zu Fuß erreichen konnten, gaben den Ausschlag für den Umzug nach Sölderholz.
Die Mutter von Heike Rummler wohnte noch bis 1985 an der Kamener Straße, anschließend lebten einige Jahre lang keine Mitglieder der Eigentümer-Familie an dieser Adresse.
Bis 1999 Sandra Opolka, die jüngere Tochter von Armin und Heike Rummler dort einzog. Ihre Schwester wurde zwei, drei Jahre später ihre Nachbarin.
Aufgewachsen im ländlichen Sölderholz genossen die beiden das städtische Leben, die guten Verbindung mit Bus und Bahn, die Nähe zum Zentrum. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Hat der BVB etwas zu feiern, sind die Rummlers meistens dabei – und das seit Jahrzehnten
Am Borsigplatz zu leben und nie das Wort Borussia zu erwähnen, ist unmöglich. Armin Rummler hat sie alle gesehen, die Helden des BVB.
Er hat sie fotografiert, wenn eine Meisterschaft gewonnen war und die Spieler zum und um den Borsigplatz fuhren, um sich feiern zu lassen: nach dem Sieg der Deutschen Meisterschaft 1963, nach dem Sieg beim Europapokal der Pokalsieger 1966.
Fußball ist auch für seine Tochter Sandra Opolka mehr als die schönste Nebensache der Welt. Sie ist als Kamerafrau das ganze Jahr über für große Fernsehsender auf den Plätzen der Bundesligavereine unterwegs.
Und so kann die Familie auch heute noch nicht sagen, ob sie auch beim nächsten Borsigplatz-Stillleben, das für das letzte August-Wochenende im Veranstaltungsplan steht, die Geschichte ihres Hauses interessierten BesucherInnen erzählen wird. Gibt es keine anderen Termine, stehen die beiden Papphäuschen wieder auf dem Bierzelttisch der Rummlers.