„Nichts ist erledigt!“ ist der provokante Tenor der Düsseldorfer Erklärung zur dringenden Erneuerung des Städtebaurechts

Gabriele Richter, Bund Deutscher Baumeister Architekten und Ingenieure e.V., und Wolfgang Sonne, Deutsches Institut für Stadtbaukunst, sehen in gemischten Stadtquartieren eine gesteigerte Lebensqualität. Fotos: Gerd Wüsthoff (3)

Von Gerd Wüsthoff

Urbaner, bezahlbarer Wohnungsbau ist die große politische, soziale, städtebauliche und architektonische Herausforderung jetzt und in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland. Im Zentrum der Diskussion von Fachleuten steht dabei das vielfältige und gemischte Stadtquartier, das an Stelle funktionaler Zonierung und der Anlage von Wohnsiedlungen den Grundbaustein der kompakten Europäischen Stadt bildet und wieder bilden soll. Doch die Baugesetzgebung steht der Realisierung solcher gemischter Stadtquartiere noch immer entgegen.

Das Baurecht jetzt anpassen, denn schon kleinere Änderungen können helfen

Gabriele Richter, unterzeichnet die Düsseldorfer Erklärung, re. Wolfgang Sonne

„Das Baurecht jetzt anpassen“, fordert der BDB.NRW (Bund Deutscher Baumeister NRW) und unterzeichnete die Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht, ein dringender Aufruf zur Reform der städtebaulichen Gesetzgebung. Denn „Nichts ist erledigt!“, heißt es in der Düsseldorfer Erklärung vom Mai 2019, die nach Aufruf des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst am 24. Juni 2019 durch den BDB.NRW im  Baukunstarchiv NRW in Dortmund unterzeichnet wurde. Die Novellierung der Baunutzungsordnung (BauNVO) ist dringend angesagt, um auch der Wohnungsnot und dem Mietwucher entgegen zu wirken.

Darin wird nichts geringeres gefordert, als dass das Baurecht für den Städtebau für einen neuen Ansatz zur wohnlichen und menschlichen, modernen Stadt geändert wird. Die Trennung von öffentlichen und privaten Räumen, die funktionale und soziale Vielfalt und urbane Dichte wird für die Zukunft gefordert. „Das Ausweichen in die grüne oder ländliche Peripherie kann und darf nicht die Alternative sein“, sagt Dipl.-Ing. Gabriele Richter. „Auch, wenn wir uns in Dortmund, im Vergleich zum Bundesgebiet, auf einer Insel der Glückseligen befinden. Vielleicht liegt es auch mit daran, dass unser Oberbürgermeister ein Stadtplaner ist.“

„Vielfältige Stadtquartiere, in denen die Menschen von kurzen Wegen (ökologische Notwendigkeit; Anmerkung d. Redaktion) zu Bildungseinrichtungen, Einzelhandel, mit dem Wohnen vereinbare Dienstleistungen, profitieren, sind aber derzeit im Neubau nur schwer oder gar nicht umsetzbar“, erläutert Richter. „Schon kleine Änderungen in der BauNVO können hier Abhilfe schaffen.“

Alte Vorschriften, alte Ideale, die dem aktuellen Bedarf zuwider laufen

Das Areal des geplanten Kronprinzen-Viertel Foto: Philip Berstermann

So stammen Vorschriften, wie die Baunutzungsverordnung von 1962 aus einer Zeit, in der man die dichte Stadt durch aufgelockerten Siedlungsbau überwinden wollte. Damals eine natürliche Reaktion auf die hochverdichtete Bebauung mit lichtarmen Hinterhofhäusern und Höfen. Das wenig realisierte Ideal war die grüne, lichtdurchflutete, luftige und Erholung bietende Gartenstadt. Die zusätzliche Lärmschutzverordnung beförderte die Entstehung monofunktionaler Zonen – Wohngebiet gegenüber Gewerbegebiet.

Die Folgen dieser Baugesetzgebung sind Stadtquartiere, wie sie bereits seit Jahrhunderten in der Europäischen Stadt bestehen und bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges gebaut wurden. Sie funktionieren optimal, sind äußerst beliebt und sind zudem heute wieder verstärkt nachgefragt. Handwerker, Bäcker, kleine Lebensmittelhändler etc. im Quartier werden als erstrebenswert angesehen.

Paradoxerweise können sie aber nicht gebaut werden – auch wenn es hierfür einen großen gesellschaftlichen Bedarf gibt und dies bereits 2007 von den europäischen Bauministern in der Charta von Leipzig gefordert wurde. Die StadtbewohnerInnen von Heute beziehen diese Fakten in ihren Begriff der Lebensqualität ein.

Die TA Lärm führt zur Dortmunder Mauer im geplanten Kronprinzenviertel

Aus der aktuellen Austellung im Baukunstarchiv

Bereits 2007 wurde in der Charta von Leipzig gefordert, dass die Voraussetzungen für einen Städtebau hoher Qualität in der Realität umsetzbar gemacht werden müssen und eigentlich schon umzusetzen sind. Dichteobergrenzen, Nutzungskataloge, das zweiteilige Lärmrecht (TA Lärm) stehen lebenswerten, modernen Quartieren aktuell entgegen.

„Es ist paradox. Gerade was den Lärmschutz anbelangt, erleben wir die Unsinnigkeit im Kronprinzen-Viertel. Auf der Straße ist der Lkw-Lärm zulässig, am Großmarkt ist er derart gefordert, dass wir unschöne Wände aufbauen müssen, um den Lärm zu schützen“, beklagt Prof. Dr. Wolfgang Sonne, Deutsches Institut für Stadtbaukunst.

„Auch wenn heute schon vieles möglich ist, wie etwa beim gelungenen Stadtquartier am Phoenixsee-Hafen, so muss doch die BauNVO vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Das dichte und gemischte Stadtquartier darf nicht die Ausnahme, sondern muss als Regel möglich sein“, postuliert Richter. „Die TA Lärm führt dazu, das im geplanten Kronprinzenviertel eine mehrere hundert Meter lange Lärmschutzwand mitten in der Stadt Dortmund, als Dortmunder Mauer kritisiert, errichtet werden muss. Das ist einfach absurd“, ärgert sich Sonne.

Kommentar

Gemischte Quartiere statt Gentrifzierung

Von Gerd Wüsthoff

Der Bundesinnenminister, auch für das neu geschaffene Ressort Heimat zuständig, in dessen Kompetenz auch der Städtebau fällt, stellte sich einst vor die Presse und erklärte: „Die Mutter aller Probleme ist die Migration!“ Eine Aussage, die leider so nicht stimmt. Denn in der Finanzkrise 2007/08 schaute die Welt in den Abgrund der wiederholten Großen Depression, die 1929 mit dem New Yorker Börsencrash begann.

Die 2007er Finanzkrise, immer noch anhaltend, begünstigte den Umstand, dass nationale und internationale Finanz-Investoren in deutsches „Betongold“ investierten. Als Folge wurde die Gentrifizierung durch Luxusneubauten und Luxussanierungen vorangetrieben. Fatale Auswirkung ist die Mietpreisexplosion, nicht nur in Deutschland. Bezahlbarer Wohnraum, der eine soziale Mischung der Quartiere fördert ist Mangelware. Ein Frustrationsfaktor, der zu Enteignungsforderung, durch das Grundgesetz gedeckt (Artikel 15. und 14 Abs. 3 Satz 3 und 4), führte.

Herr Seehofer hätte mit den MitarbeiterInnen seiner Ressorts durchaus die Möglichkeit gehabt, längst im Sinne der Heimat, zu deren Schutz und ihrer politischen und sozialen Integrität aktiv zu werden! Rechtspopulisten ALLER couleur hätten weniger Zulauf. Hass und Volksverhetzung wären nicht so infektiös angestiegen.

Nationale und internationale Untersuchungen (sogar in den USA) haben längst bewiesen, dass sozial gemischte Quartiere, das Miteinander, sich gegenseitig Kennen-Lernen, dort lebende Arme nicht zu Räubern und Dieben macht, wie von „Gentrifizierung-Propheten“ ausposaunt wird, sondern „die Armen“ zu mehr Bildung ihrer Kinder und sogar besser bezahlten Jobs befördert. Denn leider ist eine „unpassende“ Adresse längst ein Einstellungshinderungsgrund.

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