Nordstadt zwischen amtlicher Versiegelung und kreativem Engagement

SERIE Neustart Ehrenamt: Kunst und Kultur für alle – der Speicher 100 e.V. am Hafen in Dortmund

Das Hauptgebäude ist seit Sommer letzten Jahres amtlich versiegelt.
Das Hauptgebäude ist seit Sommer 2021 amtlich versiegelt. Begehungen sind daher nur mit dem Bauordnungsamt möglich. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger.de

Nach rund zwei Jahren Stillstand blühen viele Ehrenamts-Projekte neu oder wieder auf. In unserer Serie „Neustart Ehrenamt“ stellen wir in loser Folge engagierte Vereine und Menschen aus nördlichen Stadtteilen vor.

Erst kam Corona, dann das Bauordnungsamt: Die letzte Veranstaltung im „Speicher 100“ in der nördlichen Speicherstraße im Dortmunder Hafen fand im März 2020 statt. Im Juni 2021 wurde das Hauptgebäude aufgrund von baulichen Mängeln vom Bauordnungsamt versiegelt. Ob und wann das Gebäude der Öffentlichkeit wieder zugänglich sein wird ist derzeit noch unklar – Die Ehrenamtlichen vom Verein „Speicher 100 e.V.“ hoffen auf eine schnelle Neueröffnung.

Der Kornspeicher am Dortmunder Hafen: ein Gebäude mit viel Potenzial

Digitale Ansicht des Gebäudekomplexes
Digitale Straßenansicht des Gebäudekomplexes. Speicher 100 e.V.

Der Backsteinbau des ehemaligen Kornspeichergebäudes wurde im Jahr 1907 erbaut. Große Räumlichkeiten, massive Mauern und hohe Decken verleihen dem Gebäude Charme. Industriekultur zum Anfassen und gleichzeitig der optimale Ort für Kunst- und Kulturschaffende. 

Das große Objekt lässt sich in Haupt- (grün) und Nebengebäude (gelb) einteilen. Das Nebengebäude gleicht einem Mehrfamilienhaus. Anstelle von Wohnungen finden sich auf den einzelnen Etagen jedoch größtenteils Büros und Co-Working-Spaces. ___STEADY_PAYWALL___

Die zweite Etage war auch vor der Versiegelung leerstehend. Sie wurde für Ausstellungen genutzt.
Die zweite Etage war auch vor der Versiegelung leerstehend. Sie wurde für Ausstellungen genutzt. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Das Hauptgebäude beherbergt vier Etagen. Die oberen Etagen sind lediglich durch Backsteinpfeiler aufgeteilt, im Grunde bildet daher jede einzelne Etage einen einzigen Raum mit etwa 700 Quadratmetern. Sie wurden vor der Schließung als Ateliers oder Ausstellungsräume genutzt.

Das Erdgeschoss hingegen ist in zwei große Räume aufgeteilt, die zur Zeit hauptsächlich über die Terrasse zum Kanal hin begehbar sind. Der vordere „Multifunktionsraum“ ist das Herzstück des Speichers.

Wandbilder von bekannten deutschen und internationalen Graffitikünstler:innen, wie beispielsweise Robolito aus Brasilien, finden sich an den Wänden. Der hintere – gänzlich schwarz gestrichene – Raum eignete sich für Theateraufführungen.

Der Speicher 100 e.V. – ein Zusammenschluss verschiedener kultureller Vereine

Teile dieser Vereine haben sich im Jahr 2019 zu einem Verein, dem Speicher 100 e.V. zusammengeschlossen
Teile dieser Vereine haben sich im Jahr 2020 zu einem Verein, dem Speicher 100 e.V. zusammengeschlossen. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Gespräche über die Entstehung eines selbstorganisierten, offenen und unkommerziellen Vereins zur Entwicklung des alten Kornspeicher-Gebäudes starteten im Jahr 2019. Einzelpersonen der dort ansässigen Vereine schlossen sich 2020 offiziell zum „Speicher 100 e.V.“ zusammen.

Der mittlerweile eingetragene Verein steht deshalb in enger Kooperation mit weiteren Vereinen (Maschinerie, Dings, Atelier Amore, Grenzenlose Wärme), die dort als Mieter:innen und Nutzer:innen waren. Gemeinsames Ziel ist es, einen Ort für Kultur, Arbeit und Soziales zu schaffen.

Die Idee des Speichers entstand, da die Vereinsvertreter:innen damals selbst „need for room“ hatten, erzählt Julia Gorgus, Mitglied des „Speicher 100 e.V.“. Heute möchten sie Menschen, denen es ähnlich geht, eine Räumlichkeit zum künstlerischen Ausleben bieten.

Grundvoraussetzung ist der Erwerb des Erbbaurechts

Jule und Wilko vom Speicher 100 e.V. zeigen Nordstadtblogger die Terasse mit Blick auf den Dortmunder Hafen
Julia Gorgus und Wilko Meiborg vom Speicher 100 e.V. zeigen Nordstadtblogger die Terasse mit Blick auf den Dortmunder Hafen. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

2015 erwarb eine Privatperson das Erbbaurecht des Gebäudes auf einer Zwangsversteigerung. Der Käufer ermöglichte den einzelnen Vereinen die Nutzung des Gebäudes. „Wir danken dem jetzigen Eigentümer sehr. Er hat viel bei Veranstaltungen geholfen, uns beispielsweise seinen Transporter geliehen“, merken Wilko und Julia an.

Da der Speicher nun eine gründliche Sanierung benötigt, dessen Kosten nur durch öffentliche Förderungen zu tragen sind, hat der „Speicher 100 e.V.“ sich zum Ziel gesetzt, das Erbbaurecht zu erwerben. Denn: Förderungen erhalten nur gemeinnützige Organisationen – keine Privatpersonen.

„Eat the rich“ steht es an der Rückwand des Gebäudes in großen Buchstaben.
„Eat the rich“ steht es an der Rückwand des Gebäudes in großen Buchstaben. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Deshalb laufen seit Ende letzten Jahres die entsprechenden Gespräche. Der „Speicher 100 e.V.“ hofft, dass der Kauf bis Ende des Jahres abgeschlossen ist, damit die Fristen zum Beantragen von Fördergeldern zur Finanzierung der Sanierung eingehalten werden können.

Zur Höhe des Kaufpreises möchten Julia und Wilko sich derzeit noch nicht näher äußern. Sobald der Verkaufspreis feststeht, wird der Verein mit der Bitte um Unterstützung an die Öffentlichkeit treten. Auch „Crowdfunding“-Aktionen und Soli-Veranstaltungen stehen dann zur Debatte. Laut einer ersten groben Schätzung, die auch einen nicht ganz reibungslosen Verlauf der Sanierungen berücksichtigt, könnte das gesamte Gebäude in etwa fünf Jahren die Türen für die Öffentlichkeit öffnen. Die Umsetzung einer Zwischennutzung, beispielsweise die frühzeitige Eröffnung des Erdgeschosses, wird derzeit mit der Stadt verhandelt.

Ein offenes Haus für die gesamte Nachbarschaft und darüber hinaus

Im Rahmen der offenen Ateliers konnten Besucher:innen ihre Wunschvorstellungen für den neuen Speicher 100 einzeichnen
Im Rahmen der offenen Ateliers konnten Besucher:innen ihre Wunschvorstellungen für den neuen „Speicher 100“ einzeichnen. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Der Vorstand des Vereins plant bereits akribisch die Nutzungsmöglichkeiten des Gebäudes. Ziel ist es, ein offenes nicht kommerzielles Zentrum für Kunst, Kultur und Soziales zu erschaffen. Neben Ateliers, Werkstätten und Theater soll auch Gastronomie in Form einer Stadtteilküche angeboten werden.

Das Erdgeschoss möchte der „Speicher 100 e.V.“ in einen transparenten, von der Straße und der Promenade begehbaren Veranstaltungsort verwandeln: von Konzerten über Poetry Slams, hin zu einer Discothek. Geplant sind auch zwei multifunktionale Veranstaltungshallen, die „Maschinerie” und die „Hansa-Multi-Hall”.

 

Links im Bild das Nebengebäude, indem sich weiterhin Büros befinden. Rechts das über hundert Jahre alte Hauptgebäude, das seit letztem Jahr amtlich gesperrt ist.
Links im Bild das Nebengebäude, indem sich weiterhin Büros befinden. Rechts das über hundert Jahre alte Hauptgebäude. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Wie genau die Stadtteilküche gestaltet werden soll, ist hingegen noch nicht ganz klar. Soli-Konzepte, bei dem der Gäste beispielsweise beim Kauf eines Cappuccinos ein weiteres Getränk teils oder ganz mitfinanzieren kann, ziehen sie in Erwägung.

Die zweite Etage soll dem Verein weiterhin als Räumlichkeit für Vernissagen und Ausstellungen dienen und auch die beiden oberen Etagen möchte der Verein nach der Sanierung weiterhin als Ateliers und Werkstätten nutzen. Über Finanzierungsmöglichkeiten der Ateliers, beispielsweise durch Patenschaften, berät der Verein noch.

Ehrenamtliches Engagement heißt der Verein herzlich willkommen

Die üppig bepflanzte Terasse des Speicher 100 e.V. wird für Projekte wie „urban gardening“ weiterhin genutzt.
Die üppig bepflanzte Terasse des Speicher 100 e.V. wird für Projekte wie „urban gardening“ weiterhin genutzt. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Julia betont vermehrt: „Wir möchten ein barrierearmes Haus für verschiedene Subkulturen schaffen. Um die gesellschaftliche Schere etwas zu schließen, setzen wir auf konsumfreie Angebote.“ Wichtig ist ihr dabei auch, dass das Haus seinen „informellen Spirit“ – soweit wie möglich – beibehält.

Ein kleiner Zwischenerfolg ist die Förderung von drei Arbeitsstellen durch die Stadt Dortmund. Zwei halbe Stellen, die von Julia und Wilko besetzt werden, und eine 450-Euro Stelle ermöglichen seit Mai, dass das Projekt mehr Form annehmen kann.

„Wir freuen uns über Leute, die Interesse daran haben, sich zu engagieren“, äußert Wilko. Da der „Speicher 100 e.V.“ auf wenigen Personen basiert, sind Menschen, die Lust und Interesse daran haben, das Projekt zu unterstützen, herzlich willkommen. Von helfenden Händen beim Veranstalten von Outdoor-Events bis zum Pflegen der Social-Media Accounts ist jede Hilfe gern gesehen.

Ein kleiner Vorgeschmack auf alles, was in Zukunft sein könnte

Outdoor- Events dürfen weiterhin stattfinden
Outdoor- Events dürfen weiterhin stattfinden. Speicher 100 e.V.

An dem seit 2011 jährlich im Spätsommer stattfindenden Veranstaltungsformat des „Hafenspaziergangs“ nimmt dieses Jahr auch der Speicher teil. Am Samstag, den 27. August veranstaltet der „Speicher 100 e.V.“ ein Outdoor-Event, das sowohl von der Speicher- als auch der Schäferstraße zugänglich sein wird.

Von 14 bis 22 Uhr wird es neben Musik von „All the time“ weitere Aktivitäten auf dem Außengelände des Speichers geben. Die Veranstaltung wird von verschiedenen Vereinen organisiert. So sorgt beispielsweise der Maschinerie e.V. für die musikalische Begleitung.

Auch am Format der Hofmärkte in der Dortmunder Nordstadt am 10. September beteiligt sich der Speicher. Nähere Informationen dazu folgen auf den Social Media Kanälen des Vereins.

Das Hauptgebäude ziert ein riesiges Wandbild von einem Wal.
Das Hauptgebäude ziert ein riesiges Wandbild von einem Wal. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger
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