Neues Hochschulgesetz NRW: Mehr Freiheit für Hochschulen könnte weniger Freiheit für Studierende bedeuten

Die Asten von der TU und der Hochschule Dortmund haben zur Diskussion eingeladen. Fotos: Karsten Wickern
Die Asten von der TU und der Hochschule Dortmund haben zur Diskussion eingeladen. Fotos: Karsten Wickern

Von Lisa König

Das Hochschulgesetz regelt wichtige Rahmenbedingungen im Leben der Studierenden und Beschäftigten an einer Hochschule. Seit 2008 entscheidet jedes Bundesland selbst über ein solches Gesetz. In NRW will die Schwarz-Gelbe Landesregierung nun einige Änderungen vornehmen, die bei Opposition und Studierenden zum Teil auf starken Widerstand treffen. Bei einer Podiumsdiskussion an der Universität Dortmund konnten Interessierte die unterschiedlichen Standpunkte kennenlernen.

Mehr Freiheit für die Hochschulen vor Ort statt einer allgemeinen Steuerung

Maximilian Helmes, Student des Wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU,  moderierte die Diskussion.

In den Änderungen zum aktuellen Hochschulgesetz wollen CDU und FDP auch einige Neuerungen aus dem 2014 beschlossenen Gesetz der Rot-Grünen Regierung rückgängig machen. Moritz Körner vertritt bei der Diskussion die Position der nicht mehr ganz neuen Landesregierung.

Er ist Mitglied des Landtags und Hochschulpolitischer Sprecher der FDP. „Falsch an dem Gesetz von 2014 ist, dass man versucht hat, die Hochschulangelegenheiten aus dem Ministerium zu steuern. Vorher lag die Freiheit bei der Hochschulleitung vor Ort, was eine positive Entwicklung gezeigt hat.“

Für Andere bedeuten die neuen Veränderungen vor allem einen Einschnitt in die freie Studiengestaltung. Für die kritischen Stimmen ist an dem Abend besonders Matthi Bolte vom Bündnis 90/ Die Grünen zuständig. Er ist ebenfalls Mitglied des Landtags und Hochschulpolitischer Sprecher seiner Partei. „Die neuen bürokratischen Hemmnisse ärgern mich. Meiner Meinung nach geht es nur darum, das Leben der Studierenden wieder einzuschränken.“

Besonders die Meinung der Studierenden ist bei der Debatte wichtig, denn sie sind die Hauptbetroffenen. „Prinzipiell ist gegen mehr Freiheiten für die Hochschulen ja nichts auszusetzen,“ bestätigt Katrin Lögering. Als Koordinatorin der Allgemeinen Studierendenausschüsse (Asten) in Nordrhein Westfalen vertritt sie die Interessen der Studis. „Einzelnen Punkten wollen wir aber ausdrücklich widersprechen.“

Anwesenheitspflichten könnten den Alltag vieler Studierender erschweren

Moritz Körner, Hochschulpolitischer Sprecher der FDP, verteidigt die neuen Änderungen im Gesetz.

Als letzter Diskussionspartner sitzt Prof. Dr. Metin Tolan vor dem Mikro. Er ist Prorektor für den Bereich Finanzen an der Technischen Universität in Dortmund. „Über manche Punkte kann man streiten“, verkündet er zu Beginn. „Aber die Hochschulleitung sieht das naturgemäß etwas gelassener“.

Erst 2014 hatte die damals Rot-Grüne Regierung eine Anwesenheitspflicht an Hochschulen gesetzlich verboten. In dem neuen Gesetzesentwurf soll diese Entscheidung nun wieder rückgängig gemacht werden. „Damit schreiben wir ja keine Anwesenheitspflicht vor“, betont Körner. „Wir wollen den Hochschulen nur die Freiheit geben, im Zweifelsfall darüber entscheiden zu können.“

Das mache seiner Meinung nach für große Vorlesungen kaum Sinn. Aber es gäbe gute und beliebte Veranstaltungen, die schnell nach Semesterbeginn voll belegt wären. „Dann können von 80 Interessierten vielleicht nur 20 Studierende teilnehmen. Und wenn dann ein Teil von diesen nie zur Vorlesung kommt, ist das sinnlos und unfair den anderen gegenüber.“ Außerdem mache Anwesenheit das Studium erst aus. In Zukunft wünsche er sich Veranstaltungen, in denen der Vorlesungsstoff zusammen erarbeitet wird.

Matthi Bolte: „70 Prozent der Studierenden arbeiten und zehn Prozent haben Kinder“

Matthi Bolte, Hochschulpolitischer Sprecher vom Bündnis 90/Die Grünen, hat viele Kritikpunkte.

Dagegen spricht sich Katrin Lögering aus. „Ich vertrete hier als Sprecherin der Asten die größte Menge an Betroffenen. Eine Anwesenheitspflicht ist für manche der Studierenden einfach nicht machbar. Es gibt Leute, die arbeiten müssen, um sich das Studium zu finanzieren. Oder sie haben schon Kinder, die sie versorgen müssen.“

„Angeblich betrifft das nicht so viele Studierende und im Einzelfall lasse sich das regeln“, schließt Matthi Bolte an die Diskussion an. „Dabei arbeiten 70 Prozent der Studierenden. Zehn Prozent haben Kinder und zehn Prozent müssen Angehörige pflegen.“ Deshalb stelle die Aufhebung des Verbotes für ihn eine erhebliche Einschränkung der Freiheit von Studierenden dar.

„Außerdem haben wir mal an Hochschulen nachgefragt, wie viele Seminare das denn in etwa betreffen würde. Manche Hochschulen sprachen tatsächlich nur von wenigen Veranstaltungen. Andere hatten in Bezug auf bestimmte Studiengänge aber über 50 Prozent im Sinn.“

Prof. Dr. Metin Tolan: „Warum fordern Sie nicht mal eine Anwesenheitspflicht für Dozenten?“

Prof. Dr. Metin Tolan von der TU Dortmund kann bei vielen Themen beide Standpunkte verstehen.

„Zum Thema Anwesenheitspflicht war meine Meinung immer: So etwas sollte sich durch gesunden Menschenverstand regeln.“, findet Prof. Dr. Metin Tolan. „Dass man bei einer Vorlesung nicht unbedingt anwesend sein muss, bei einem Praktikum hingegen schon, ist für mich klar.“

Es gäbe zwar ein paar Grauzonen, in denen die Unterscheidung nicht ganz klar sei. Aber das müsse von Mal zu Mal entschieden werden. Dazu bedürfe es keiner Änderung.

„Mit Anwesenheitspflichten wollen manche Dozenten ihre müden Vorlesungen füllen. Das war schon immer so und wird auch immer so sein. Aber was ja eines meiner Lieblingsthemen ist: Warum fordern Sie nicht mal eine Anwesenheitspflicht für Dozenten? Es gibt eine Vielzahl von Professoren, die selbst fast nie in ihrer Vorlesung anwesend sind. Da gibt es Bereiche, da wollen sie gar nicht so genau hinschauen.“

Als weiterer Punkt sind auch verbindliche Studienverlaufspläne geplant. „Die Studierenden sollten eine gewisse Selbstbestimmung bei der Reihenfolge und Geschwindigkeit ihres Studiums haben“, findet Bolte. „Nach dem neuen Plan muss jeder Studierende an einem verpflichtenden Beratungsgespräch teilnehmen, wenn er nicht in einer bestimmten Zeit die nötigen Credit Points erwirtschaftet hat. So eine gezwungene Offenbarung der eigenen Lage finde ich nicht so liberal.“

Verpflichtende Studienverlaufspläne würden  die Freiheit der Studierenden einschränken

Katrin Lögering, Koordinatorin des Landes ASten-Treffen NRW, will der Freiheit der Studierenden schützen.

Auch für Lögering würde die Beratungspflicht einen Schritt zu weit gehen. „Das würde einer Verschulung nahekommen. In einer gemilderten Form neue Angebote zu schaffen, würden wir aber unterstützen. Nur wie das dann in der Praxis aussieht und ob man auf solche Termine wieder drei Monate warten muss, ist eine andere Frage.“

Für Körner bedeutet der neue Plan vor allem mehr Unterstützung für die Studierenden. Eine breite Studienschaft müsse ohne den Support ihrer Eltern auskommen. Und besonders Leute mit ernsten Problemen würden häufig nicht zu freiwilligen Beratungen kommen.

„An der Hochschule in Südwestfalen gibt es so etwas schon für den Studiengang Maschinenbau. Die Inhalte werden von vorn hinein über längere Zeit gestreckt.“ Die Beratung solle vor allem die hohe Anzahl an Studienabbrechern verringern. Außerdem seien, anders als in anderen Bundesländern, keine konkreten Konsequenzen wie Exmatrikulation vorgesehen.

Prof. Dr. Tolan fühlt sich bei dem Thema in einem Zwiespalt: „Ich kann die Argumente beider Seiten gut nachvollziehen. Einerseits erhält jemand, der hier fertig wird, auch ein Zeugnis der Reife. Da sollte er selbstständig mit seiner Planung zurechtkommen. Andererseits gibt es besonders im MINT-Bereich eine sehr hohe Abbrecherquote.“ Eine milde Form dieses Plans gäbe es an der TU Dortmund bereits. Bei auffälligem Versäumnis von Prüfungsleistungen würden Studierende zu einem Gespräch eingeladen werden. „Das ist bisher freiwillig. Man muss aber erwähnen, dass es nur wenig genutzt wird.“

Universitäten sollen zukünftig auch nicht friedliche Ziele verfolgen dürfen

Fragen aus dem Publikum haben der Diskussion zum Schluss noch eine neue Richtung gegeben.

Ein weiteres umstrittenes Thema stand ursprünglich nicht auf der Agenda für die Diskussion. Durch eine Publikumsfrage kam es dann aber doch zur Sprache.

Im aktuellen Hochschulgesetz gibt es die sogenannte Zivilklausel. In der Umgangssprache auch Friedensklausel genannt, verpflichtet sie Hochschulen zu „friedlichen Zielen“ und fordert sie auf, „ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung“ nachzukommen.

„Die möchten wir, wie ich mal ganz selbstbewusst sage, komplett rausstreichen“, bestätigt Körner. „Ich persönlich finde, solange Deutschland sich nicht für eine völlig friedliche Lösung entscheidet, sollte die Bundeswehr auch möglichst gut ausgestattet sein. Dafür müssen wir auch an Universitäten forschen können. Es gibt immer noch eine Ethikkommission, die die Situation bewertet. Aber demonstrative Denkverbote in diese Richtung sind meiner Meinung nach falsch.“

Bei einem Thema waren sich alle einig: die Bürokratie bei Bauplänen soll einfacher werden

Bei den Asten gibt es zu dem Thema noch Uneinigkeit. „Wir konnten uns noch nicht geschlossen einigen, ob wir dafür oder dagegen sind“, so Lögering. Definitiv dagegen spricht sich aber Matthi Bolte aus. „Bei dem Thema stellt sich die Frage, welche Rolle Universitäten in der Gesellschaft haben sollten. Und ich für meinen Teil sehe die nicht in der Rüstungsforschung.“

Im Zuge der höheren Freiheit für die Hochschulen planen CDU und FDP auch, die Bürokratie bei Bauplänen zu vereinfachen. Bislang sei es laut Körner ein langwieriges Unterfangen, ein neues Bauprojekt in die Tat umzusetzen. Zunächst muss es nämlich durch das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude (BNB) genehmigt werden. Hier sollen die Hochschulen mehr Eigenbestimmung erhalten.

Dem stimmten alle Beteiligten ohne Einschränkung zu. „Das ist der einzige Punkt, an dem wir nichts kritisieren können“, so Bolte. Die Grünen hätten es zu ihrer Zeit leider nicht selbst geschafft, nun sei es an der Zeit für die neue Änderung.

Den genauen Entwurf zum neuen Gesetz gibt es hier.


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