„Der zweite Anschlag“ im Deutschland unübersichtlicher Nazi-Sümpfe: Doku zum Staatsversagen gegenüber NSU-Opfern

NSU-Opfer: Nach dem Terror war vor dem Terror – inmitten von Fremdenfeindlichkeit, in Deutschland. Fotos: DZA

Mit erschreckender Kontinuität wiederholen sich seit Jahrzehnten rassistisch motivierte Angriffe, gewaltsame Übergriffe bis zu Mordanschlägen und Drohungen gegen Menschen mit migrantischem Hintergrund, die in Deutschland leben und arbeiten. In dem Dokumentarfilm „Der zweite Anschlag“ schildern Betroffene dieser Gewalt die traumatischen Erlebnisse, die sie und ihre Familien – auch durch die mangelhafte Aufarbeitung in den Jahren danach – durchleben mussten. Zwar wurde die geplante Analog-Vorführung im Dietrich-Keuning-Haus über das Leid der NSU-Opfer selbst „Opfer“, nämlich das der Corona-Pandemie, doch darf damit kein Hinweis zur sehenswerten filmischen Aufarbeitung dieses erschreckenden Stücks Zeitgeschichte untergehen.

Rassistische Gewalt in Deutschland: statt über sie zu sprechen, vermitteln Betroffene ihre Perspektive

„Das Boot ist voll!“, „Ausländer raus!“, „Deutschland den Deutschen“. Die Parolen der Rechten sind mittlerweile unüberhörbar geworden. Genauso die Gewalt, die sich gegen jene Menschen richtet, die als „fremd“ wahrgenommen werden. Mit erschreckender Kontinuität wiederholen sich seit Jahrzehnten rassistisch motivierte Ausschreitungen, Angriffe und Morde in der Bundesrepublik Deutschland. ___STEADY_PAYWALL___

„Der zweite Anschlag“ dokumentiert die bisher kaum beachtete Perspektive der Betroffenen dieser Gewalt und stellt sie in den Mittelpunkt. In tiefgehenden Interviews entwickelt der Film ein präzises Bild der teils traumatischen Erlebnisse, welche die Protagonist*innen des Films durchlebt haben.

Das Erzählen und Erinnern nach langem Schweigen wird zu einem Akt der Selbstermächtigung und des politischen Handelns.

Der zweite Anschlag war schlimmer als die Brandsätze, denn er wäre vermeidbar gewesen

Unter den Protagonist*innen ist Ibrahim Arslan, der den rassistischen Brandanschlag von Mölln im Jahre 1992 als Siebenjähriger nur knapp überlebte. Für seine Schwester, Cousine und Großmutter kam jede Hilfe zu spät. Heute kämpft Ibrahim Arslan – so wie viele andere, die sich mittlerweile vernetzt haben – aktiv um die Deutungshoheit über seine eigene Geschichte. Nach dem Anschlag war seine Familie weiteren Anfeindungen durch Öffentlichkeit, Behörden und Medien ausgesetzt.

Dieser zweite Anschlag, so Arslan, war schlimmer als die Brandsätze, denn er wäre vermeidbar gewesen. Da er in die Planungen der jährlichen Trauerfeier der Stadt Mölln nicht eingebunden wurde, organisierte er eine eigene. Mit diesem öffentlichen Sprechen inspirierte er andere, so wie Osman Taşköprü, dessen Bruder Süleyman 2001 in Hamburg vom NSU umgebracht wurde. Jahrelang ermittelte die Polizei gegen Osman und seine Familie. Auf dem NSU-Tribunal in Köln begegnet er weiteren Betroffenen und Menschen, die ihn unterstützen.

Und Mai Phương Kollath wohnte selbst in Rostock-Lichtenhagen, als dort unter dem Beifall hunderter Schaulustiger das Sonnenblumenhaus von Neonazis in Brand gesteckt wurde.

Individuelle Geschichten und Umgangsweisen mit traumatischen Erlebnissen

Doch es bleibt nicht dabei. Angesichts von anhaltenden rassistischen Ausschreitungen, der unzureichenden Aufklärung des NSU-Komplexes und dem Einzug der AfD in die politische Landschaft der BRD haben Mai Phương, Ibrahim und Osman eine Entscheidung getroffen: Sie werden nicht länger schweigen. Dabei verweben sich ihre Geschichten. Und während sie für eine lückenlose Aufklärung und ein Ende der Gewalt eintreten, entsteht ein Netzwerk aus Menschen, die ähnliches erlebt haben.

So erhebt auch Gülüstan Ayaz-Avcı, deren Partner Ramazan bereits in den 1980ern von Nazis ermordet wurde, ihre Stimme. Ihr Fall zeigt, dass rassistische motivierte Gewalt in Deutschland nicht erst mit der Wiedervereinigung beginnt.

Auch Özge Pınar Sarp berichtet von aktuellen Entwicklungen und eröffnet im Film eine migrantische Perspektive auf antifaschistisches Engagement in Deutschland. Als sie vor wenigen Jahren nach Deutschland kam und selbst politisch aktiv wurde, bekam auch sie tief verankerten alltäglichen Rassismus zu spüren.

„Der zweite Anschlag“ führt diese Geschichten in einer vielschichtigen Erzählweise zusammen und eröffnet einen detaillierten Einblick in den Kampf migrantischer Communities gegen Rassismus in Deutschland

Lust auf künstlerisch anspruchsvolle Spiel- und Dokumentarfilme: der Filmclub Silver Screen

Der neue »Filmclub Silver Screen« traf sich seit Anfang des Jahres regelmäßig im Dortmunder Dietrich-Keuning-Haus, um gemeinsam Filme zu schauen und darüber zu diskutieren. Idee und Ziel ist, die Generation 60+ aktiv in die Gestaltung von Kinoprogrammen einzubeziehen. Eingestiegen sind Menschen, die Lust haben auf künstlerisch anspruchsvolle Spiel- und Dokumentarfilme jenseits des Mainstreams. Wegen der Corona-Pandemie musste das Programm unterbrochen werden.

Dass der Auftakt der neuen Filmreihe in Dortmund mit „Der zweite Anschlag“ gemacht werden sollte, ist übrigens kein Zufall. Der Filmclub sieht angesichts der jüngsten Ereignisse die immense Bedeutung und Aktualität von Reinhardts Film und möchte ihn weiterhin gerne in der Dortmunder Nordstadt präsentieren, wo im April 2006 Mehmet Kubaşık vom NSU ermordet wurde.

Im Anschluss an den Film war ursprünglich geplant, dass Teilnehmer*innen des Filmclubs ein Gespräch mit der Regisseurin Mala Reinhardt führen.

„Bei ,Der zweite Anschlag‘ war es mir wichtig, den Protagonist*innen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Perspektiven darzustellen. Viel zu oft schon wurden die Geschichten von Betroffenen an die Peripherie gedrängt, es wurde über sie erzählt, statt mit ihnen zu reden“, erklärt die Regisseurin ihre Motivation.

Weitere Informationen:

  • Der zweite Anschlag. Dokumentarfilm, Regie: Mala Reinhardt, Deutschland 2018, 62 min.
  • Termin wegen Corona ausgefallen
  • Weitere Vorführungen des »Silver Screen Filmclub«: ob dessen noch unklar
  • »Silver Screen Filmclub« ist ein Projekt des Scope Institute (www.scope-institute.org) im Rahmen von »Reality Bites«, in Kooperation mit dem Dietrich-Keuning-Haus und dem Kino sweetSixteen.
  • »Reality Bites« wird gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, dem Filmbüro NW und dem Fonds Soziokultur

 

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  1. Neuer Filmclub »Silver Screen« präsentiert: DER ZWEITE ANSCHLAG Dokumentarfilm & Gespräch der Club-Teilnehmer*innen mit Regisseurin Mala Reinhardt

    Terminankündigung für 24. September 2020, 18 Uhr Dietrich-Keuning-Haus
    Neuer Filmclub »Silver Screen« präsentiert: DER ZWEITE ANSCHLAG

    Dokumentarfilm & Gespräch der Club-Teilnehmer*innen mit Regisseurin Mala Reinhardt

    Mit erschreckender Kontinuität wiederholen sich seit Jahrzehnten rassistisch motivierte Angriffe, gewaltsame Übergriffe bis zu Mordanschlägen und Drohungen gegen Menschen mit migrantischem Hintergrund, die in Deutschland leben und arbeiten. In dem Dokumentarfilm Der zweite Anschlag schildern Betroffene dieser Gewalt die traumatischen Erlebnisse, die sie und ihre Familien – auch durch die mangelhafte Aufarbeitung in den Jahren danach – durchleben mussten.

    Das Erzählen und Erinnern nach langem Schweigen wird zu einem Akt der Selbstermächtigung und des politischen Handelns. Unter den Protagonist*innen ist Ibrahim Arslan, der den rassistischen Brandanschlag von Mölln im Jahre 1992 als Siebenjähriger nur knapp überlebte. Für seine Schwester, Cousine und Großmutter kam jede Hilfe zu spät. Heute kämpft Ibrahim Arslan – so wie viele andere, die sich mittlerweile vernetzt haben – aktiv um die Deutungshoheit über seine eigene Geschichte. Nach dem Anschlag war seine Familie weiteren Anfeindungen durch Öffentlichkeit, Behörden und Medien ausgesetzt. Dieser zweite Anschlag, so Arslan, war schlimmer als die Brandsätze, denn er wäre vermeidbar gewesen. Da er in die Planungen der jährlichen Trauerfeier der Stadt Mölln nicht eingebunden wurde, organisierte er eine eigene. Mit diesem öffentlichen Sprechen inspirierte er andere, so wie Osman Taşköprü, dessen Bruder Süleyman 2001 in Hamburg vom NSU umgebracht wurde. Jahrelang ermittelte die Polizei gegen Osman und seine Familie. Auf dem NSU-Tribunal in Köln begegnet er weiteren Betroffenen und Menschen, die ihn unterstützen.

    –>Der neue »Filmclub Silver Screen« trifft sich seit Anfang des Jahres regelmäßig im Dortmunder Dietrich-Keuning-Haus, um gemeinsam Filme zu schauen und darüber zu diskutieren. Idee und Ziel ist, die Generation 60+ aktiv in die Gestaltung von Kinoprogrammen einzubeziehen. Eingestiegen sind Menschen, die Lust haben auf künstlerisch anspruchsvolle Spiel- und Dokumentarfilme jenseits des Mainstreams.

    In einer öffentlichen Vorführung zeigt der Club jetzt am 24. September seinen ersten Favoritenfilm: Der zweite Anschlag. Der Filmclub sieht angesichts der jüngsten Ereignisse die immense Bedeutung und Aktualität von Reinhardts Film und wird ihn in der Dortmunder Nordstadt präsentieren, wo im April 2006 Mehmet Kubaşık vom NSU ermordet wurde. Im Anschluss an den Film führen Teilnehmer*innen des Filmclubs das Gespräch mit der Regisseurin Mala Reinhardt.

    „Bei Der zweite Anschlag war es mir wichtig, den Protagonist*innen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Perspektiven darzustellen. Viel zu oft schon wurden die Geschichten von Betroffenen an die Peripherie gedrängt, es wurde über sie erzählt statt mit ihnen zu reden.“ (Mala Reinhardt)

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