Fast ein Viertel der salafistischen Szene in der Bundesrepublik besteht aus Frauen; inwieweit hier ebenfalls die Gefahr von Sympathie mit möglicher Gewaltbereitschaft besteht, lässt sich pauschal kaum zweifelsfrei klären. Erste Erfahrungen aus der sozialen Arbeit und in Projekten, die einer Radikalisierung von Jugendlichen entgegenwirken sollen, zeigen zumindest: Mädchen und junge Frauen sind relativ zu männlichen Glaubensbrüdern häufig stärker ideologisiert. Das Multikulturelle Forum e.V. ist in diesem Zusammenhang gleich mit einer Vielzahl von Vorhaben aktiv; jetzt gab es Gelegenheit zur Diskussion mit den ExpertInnen.
Multikulturelles Forum: anerkannte Kompetenzinstanz rund um die wichtigsten Aspekte von Integration
Zu Gast beim Multikulturellen Forum in Dortmund: Anja Butschkau, MdL/SPD, ist dieser Tage viel unterwegs; es ist eine Art Info-Tour durch städtische und zivilgesellschaftliche Institutionen, die sich in der Kommune rund um sozial- und frauenpolitische Themen gruppieren.
Diesmal gesellt sich der Parteikollege Volkan Baran dazu, ebenfalls MdL, zudem Migrationshintergrund, das passt. – Das Thema ist ernst: es soll um die Attraktivität eines gewaltbereiten Salafismus für junge Frauen in der Bundesrepublik gehen; und vor allem darum, wie hier gegengesteuert werden konnte.
Das Multikulturelle Forum e.V. (MkF) ist eine 1985 gegründete, regional verankerte und mittlerweile bundesweit bekannte Selbstorganisation von MigrantInnen mit ausgewiesenen wie geschätzten Kompetenzen. Ihr Handlungsfeld ist die Unterstützung und Förderung sozialer und beruflicher, aber auch politischer Integration.
Der Geschäftsführer des MkF, Kenan Küçük, empfängt die beiden sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten natürlich nicht nur gern, weil er selbst seit über drei Jahrzehnten der SPD angehört, sondern vor allem: da wird Interesse an der Arbeit des MkF bekundet.
Mit von der Partie: eine Reihe von MitarbeiterInnen verschiedener Projekte des Multi-Kulti-Forums. Kenan Küçük ist pflichtbewusst: da 95 Prozent der Ausgaben des MkV aus öffentlichen Mitteln bestritten würden (Kommune, Land, Bund, EU-Gelder), hätte die Öffentlichkeit wohl auch ein Recht, zu erfahren, „wofür wir sie ausgeben“.
Das MfK hat sich im Laufe der Jahre stark professionalisiert: in einer 33-jährigen Geschichte, Gründungsort Lünen – und da bliebe die Hauptgeschäftsstelle auch, wie Kenan Küçük mit einer Mischung aus Beharrungsvermögen und Stolz klar macht. Will heißen: aller Avancen aus Dortmund zum Trotz.
Von Lünen nach Berlin und wieder zurück: das MkF wird dort bleiben, wo es einst entstand
Vielleicht ist es auch ein zur Stärkung des Selbstwertgefühls wichtiges Insistieren: darauf, eine Erinnerung präsent zu halten; daran, was das Forum in den vielen Jahren des Engagements geschafft hat – diesen weiten Weg immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, symbolisiert durch den Gründungsstandort Lünen.
Dort, wo alles mit ehrenamtlichen Frikadellen/Köfte in der Innenstadt angefangen und irgendwann bis zum Integrationsgipfel der Bundesregierung in Berlin gereicht habe, vergegenwärtigt sich Kenan Küçük.
Ein weiter Weg, der sich da von Lünen nach Berlin zeigt; eingängiger als der von Dortmund aus mit dem IC, der zwar über Lünen fährt, aber dort nicht hält. In vier großen Städten ist das MkF heute aktiv: neben – mit Verlaub – Dortmund, natürlich in Lünen, dazu Hamm und (der Kreis) Unna.
Was immer mitschwingt, ohne, dass es während des Zusammentreffens jemand hätte aussprechen müssen: Ich bin hier und will hier sein, gleichwohl meine Wurzeln woanders liegen; auch ich bin Deutschland und möchte jenen helfen, die wie ich oder meine Vorfahren MigrantInnen sind, weil ich sie gut verstehen kann.
Und, so Kenan Küçük in diesem Sinne: es ginge nicht darum, von oben herab zu agieren, sondern gleichsam im Dienst der gesamten Gesellschaft zu fragen: Was braucht die Stadt, was können wir machen?
Heikles Thema: die Rolle von Mädchen und Frauen in Netzwerken des gewaltbereiten Salafismus
Die Aktivitäten des MkF sind inhaltlich breit aufgestellt; sie würden durch fünf Schwerpunkte bezeichnet, erklärt Kenan Küçük: Beratung, das (Weiter-)Bildungswerk, den arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Teil, und dann wären da noch die Europa-Töpfe: reich an Fördergeldern, aber bekanntlich mit einem Antragsaufwand und Zeitspannen bis zur Bewilligung verbunden, die das Geschäft nicht gerade liebsamst machen – wobei die deutsche Bürokratie ihr übriges dazu täte, deutet er vorsichtig an.
Daneben aber gibt es ein beeindruckendes Volumen: 60.000 Unterrichtsstunden gäbe es im Jahr über das Forum; allein 40 Integrations- bzw. Sprachkurse mit Deutsch als Fremdsprache fänden gegenwärtig statt – macht bei durchschnittlich 20 TeilnehmerInnen also 800 Personen, die regelmäßig allein in diesem Handlungssektor in Einrichtungen des MfK aufschlagen.
Soweit, so gut. Das eigentliche Thema der Zusammenkunft liegt aber nicht im vergnüglichen Austausch von Erfolgsmeldungen bei Kaffee und Kuchen, sondern es geht um sachbezogene Probleme und Lösungsideen rund um das Engagement des regionalen Zusammenschlusses von Selbsthilfe aus der Perspektive von MigrantInnen.
Spezifiziert in diesem Fall und imminent: als gewaltbereiter Salafismus hier, Mädchen und Frauen dort. Das sei für sie ein großes Thema, erklärt Anja Butschkau; denn sie habe gehört, die Anzahl der Frauen in diesem Bereich stiege. Ihre Frage: „Was können wir gemeinsam dagegen tun?“
Präventiv: Multiplikatoren befähigen und junge Menschen nicht verlieren, die sich radikalisieren
Unter „Salafismus“ wird in der demokratischen Öffentlichkeit der Republik eine Interpretationsrichtung des Islams verstanden, die es als vom Terrors funktionalisierte, religiöse Ideologie nicht nur aus dem Nahen und Mittleren Osten durch ihre schrecklichen Taten auf die Flachbildschirme Europas geschafft hat und die Flüchtlingswelle ab 2015 mitauslöste, sondern danach auch real in den Städten ankam: Paris, London, Berlin, etc.
In den Terror hauptsächlich involviert waren fundamentalistische Islamisten mit Migrationshintergrund, auch in der Bundesrepublik. Obacht, um ein friedliches Zusammenleben zu schützen, ist also angesagt, und das MkF ist mit dabei – auf den verschiedensten Ebenen.
Das Beratungsangebot „Wegweiser Dortmund“, das erste dieser Art des MkF in der großen Nachbarstadt, versteht sich als Präventionsinstanz gegen einen Salafismus, der vor Gewalt nicht zurückschreckt. Zielgruppe sind dabei Multiplikatoren, etwa Lehrer an Schulen, denen Informationen über salafistische Konzepte, deren mögliche Attraktivität für junge Menschen usf. an die Hand gegeben werden können.
Zweitens seien als Sekundärprävention jene jungen Leute im Fokus, bei denen es Anzeichen dafür gäbe, dass sie sich radikalisierten, erklärt Deniz Greschner, Standort- und Fachbereichsleitung des MkF Dortmund. – Es ginge, wohlgemerkt, nicht um eine Deradikalisierung. In solchen Fällen ist das Kind nämlich bereits in den Brunnen gefallen und die Angelegenheit ist ggf. Aufgabe des Verfassungsschutzes mit entsprechenden Ausstiegsprogrammen.
Mädchen gegenüber Jungen ideologisierter – bei beiden dagegen häufig frühe Negativerfahrungen
Ist das bislang nicht der Fall, das Vorstadium gewissermaßen noch nicht überschritten: dann würden Gespräche mit Bezugspersonen oder den Betroffenen selbst geführt. Wichtig seien dabei immer die konkreten, zuweilen sehr unterschiedlichen Hintergründe, vor denen sich die Sympathien für den Salafismus entwickelten.
Häufig handele es sich um Scheidungskinder, aufgewachsen mit Alleinerziehenden, und in diesem Zusammenhang: fehlende Bindungserfahrungen wie ein Mangel an Resilienz; auch eigene Erfahrungen als religiöser junger Mensch könnten eine Rolle spielen, beispielsweise durch LehrerInnen diskriminiert zu werden.
Solche Konstellationen erhöhen gleichsam die Disposition, gegenüber salafistischen Avancen verwundbar zu sein, und Du hörst Dich selbst sprechen: Hier, bei denen, bist Du endlich wer; hier gibt es Gemeinschaft, Bindungen, Sicherheit etc.
Die Annahme allerdings, erläutert Deniz Greschner, dass Mädchen über Jungen in die Szenerie gezogen würden, sei nach den Erfahrungen von „Wegweiser“ nicht aufrechtzuerhalten. Im Gegenteil: Zum Einen gäbe es bei Mädchen ähnliche Motiv-Konstellationen wie bei ihren männlichen Glaubensbrüdern.
Darüber hinaus seien Mädchen in der Regel sogar noch ideologisierter: sie läsen im Vorfeld mehr, schwiegen sich länger über ihre Gedanken und Gefühle aus, bevor sie damit rüber kämen. – Dann aber, lässt sich hier verstehen, sind sie umso verbohrter, unzugänglicher.
Bei Gefahr von Radikalisierung: Anbindungen an Gesellschaft schaffen und Persönlichkeit stabilisieren
Ein Mitarbeiter der „Wegweiser“-Beratungsstelle erklärt die nähere Vorgehensweise bei potentieller Radikalisierung: „Wir machen was, wenn es konkrete Hinweise auf junge Menschen gibt“, die Gefahr liefen, in die salafistische Szene abzurutschen. Hierfür arbeite die Einrichtung mit allen beteiligten Institutionen zusammen, von der Polizei über die Schule bis zum Jobcenter.
Denn, so der junge Mann von „Wegweiser“, es ginge darum, wieder eine Anbindung an die Gesellschaft zu schaffen, um die gefährdete Persönlichkeit zu stabilisieren. Dies ist der beste Garant dafür, dass sich die Betroffenen fehlende Bestätigung nicht von anderen holen.
Gespräche mit ihnen konzentrierten sich daher eher um Fragen, wie sie ihre Freizeit verbrächten, oder um Schule oder Ausbildung – immer in der Absicht, Anschlüsse an fundamentalistische Strukturen zu destruieren.
In den Gesprächen ginge es insofern nicht um die Religion selbst, das sei sowieso ein geschlossenes System. Deniz Greschner bestätigt dies und bringt auf den Punkt: was sich die jungen Menschen da angeeignet hätten, das sei so etwas wie ein „Lego-Islam“; will heißen: Selbstimmunisierung durch viel Phrasen, ohne offene Ohren, daher kein stichhaltiges Argumentieren möglich.
Eine wiederholte Erfahrung der ExpertInnen demgegenüber: Kinder und Jugendliche aus religiösen Familien, die sich früh, vielleicht nicht differenziert, aber mindestens sehr umfangreich mit dem Islam auseinandergesetzt haben, denen kommt eine weitaus stärkere Resilienz zu. Die Runde nickt, denn es liegt nah: fundierte religiöse Kenntnisse immunisieren gegen salafistische Phraseologie.
Antisemitismus bei Jugendlichen die Stirn bieten – Projekt spürt verschiedene Formen in Medien auf
Doktrinen haben stets etwas mit Ausgrenzung zu tun. Das MkF-Projekt „Objektiv – Junge Medienmacher mit Durchblick“ beschäftigt sich mit Antisemitismus bei Jugendlichen. Es soll der Blick dafür geschärft werden, wie – inwiefern und mit welchen Mitteln, d.h. durch verschiedene Medienformate – tradierte und neue Klischees, Stereotype, Vorurteile über „die Juden“ sowie verschiedene Formen von Antisemitismen heutzutage verbreitet werden.
Zwei Jahre lang habe man in verschiedenen Workshops zusammen mit Jugendlichen an entsprechendem Lehrmaterial – etwa Kurzfilmen zum Thema, dazu eine eigene Mediensammlung – gearbeitet, so Iris Müller, Bildungsreferentin im Bundesprogramm „Demokratie leben“, in dessen Rahmen das Modellprojekt u.a. gefördert wird.
Jetzt solle es an geeignete Multiplikatoren weitergegeben werden. Obgleich viel in Schulen unterwegs, übrigens nicht nur an Lehrer, sondern beispielsweise auch an Heranwachsende, die in Jugendgruppen aktiv sind.
Im November ist im Dietrich-Keuning-Haus (DKH) ein Fachtag zusammen mit dem Respekt-Büro des Jugendamtes der Stadt geplant, an dem konkrete Präventionsmodule aus Dortmund vorgestellt werden sollen. Auch seien jetzt fünf Jugendliche als Peer-Educator ausgebildet worden, die ihre Workshops mit anderen Jugendlichen zukünftig begleiten würden, da sie dort noch einmal einen anderen Zugang hätten, skizziert sie den Grundaufriss des Vorhabens.
Das Thema „Antisemitismus“ spiele auch in MigrantInnen-Selbstorganisationen eine große Rolle, ergänzt Volkan Baran; allerdings, ohne dass dies nach außen gespiegelt würde. Mittelbar trägt das Objetiv-Durchblick-Projekt dem insofern Rechnung, als auf seiner Agenda ebenfalls die Analyse türkischer, arabischer oder russischer Medien nach Antisemitismen steht.
Antisemitismus in Medien für MigrantInnen als wichtiges Thema des „Objektiv-Durchblick“-Projekts
Denn es scheint besonders unter Teilen der Muslime eine Tendenz heilloser Verirrung zu geben, indem Kritik an der israelischen Expansions- und Besatzungspolitik mit Antisemitismus gepaart wird. Dass sie damit der arabisch-indigenen Bevölkerung Palästinas, die mit Vertreibung und Diaspora für die Verbrechen des deutschen Faschismus bezahlen musste, einen Bärendienst erweisen, scheint weder im religiös noch politisch motivierten Antisemitismus anzukommen.
Das ist kein Zufall: denn es geht hier vielmehr – wie in Extremform bei den Neonazis – um eine Form des gruppenbezogenen Hasses, dem die Rechte von PalästinenserInnen im Grunde schnurzpiepegal sind. Daher, durchaus im Trend der Zeit: Israelkritik als Form des Antisemitismus ist ein Teilthema des Medienprojekts.
So entstehen didaktisch aufgearbeitete Definitionen, welche potentiellen Multiplikatoren in der Arbeit mit jungen Menschen als Lehrgrundlage dienen können – was zum Beispiel legitime Kritik an einer Regierungspolitik, was demgegenüber antisemitisch ist.
Und, es muss im Sinne des Toleranzparadigmas des Objetiv-Durchblick-Projektes klar werden: was sich bei den Betonköpfen im Nahen Osten und anderswo an Hässlichkeiten zuträgt, hat auf den Straßen dieser Republik keinen Platz. – Dazu, zur Wahrung von Frieden und Förderung von Demokratie, trägt bei: einander kennenlernen, miteinander sprechen. So beteiligte sich das MkF im Frühjahr dieses Jahres an der Veranstaltung „Jüdisches Leben in Deutschland“ im DKH.
Zugleich fördert das Projekt die Begegnung mit gleichaltrigen Jüdinnen und Juden. Alle TeilnehmerInnen an Workshops erhalten die Möglichkeit, verschiedene jüdische Gemeinden zu besuchen und dabei eigene Erfahrungen über Formen jüdischen Lebens in der Bundesrepublik der Gegenwart zu machen.
Verwaltungsangestellte mit Migrationshintergrund bei der Stadt Dortmund deutlich unterrepräsentiert
Das MkF-Projekt „Dortmunder Durchblick – Gemeinsam gegen Radikalisierung“ möchte dagegen vor allem bei den Multiplikatoren in der Jugendarbeit einen theoretisch fundierteren Durchblick erzeugen. Es ginge unter anderem darum, so Daniel Jansen, Mitarbeiter in dem Projekt, Handlungskonzepte zu entwickeln, die Laien dazu befähigten, mit fundamentalistisch-islamistischen Phänomenen umzugehen.
Doch die Projektkonzeption ist insgesamt breiter aufgestellt; Themen sind zum Beispiel auch „antimuslimischer Rassismus“ oder „Gender und Geschlecht“. Die in der Jugendarbeit tätigen MultiplikatorInnen sollen dafür sensibilisiert werden, Radikalisierungen insgesamt und die sie begünstigenden Faktoren zu erkennen; zudem angesagt: Vernetzung untereinander, um eine Anbindung an bereits bestehende Beratungs- und Unterstützungsstrukturen zu gewährleisten.
Dies sind nur drei Beispiele für MkF-Projekte, die sich im weitesten Sinne um Integration, die Stärkung von Vielfalt und Toleranz, vor allem aber um ein friedliches Zusammenleben bemühen.
Andere Vorhaben beschäftigen sich mit der interkulturellen Öffnung von Verwaltungen, der Stärkung von MigrantInnenorganisationen; es gibt Coachingangebote für Selbstständige und für Erwachsene mit Migrationshintergrund, die ergänzende SGB II-Leistungen beziehen.
Mit diesen mehr oder weniger integrationsrelevanten Vorfeldern der Präventionsarbeit sind Handlungsebenen angesprochen, in denen es ebenfalls noch reich zu tun gibt.
Volkan Baran erzählt, er habe nach sechs Jahren Mitgliedschaft im Ausländerbeirat der Stadt Dortmund, in dem er seit 2004 über die SPD-Liste sitzt, nachgefragt, wie hoch denn der Anteil bei den kommunalen VerwaltungsmitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund sei? – Die ernüchternde Antwort: gerade einmal 1,8 Prozent. Mittlerweile gäbe es glücklicherweise jährlich etwa 30 bis 40 Auszubildende aus diesem Personenkreis, die eingestellt würden.
Nähe zu Salafismus bei jungen Frauen häufig Ausdruck einer „verkehrten Emanzipation“
Was den Salafismus selbst beträfe, so sei für ihn klar: hier handele es sich um „nichts anderes als Islam-Faschismus“. Und wehrt sich zugleich gegen den zuweilen vernehmbaren Vorwurf, gegen den Neosalafismus aufzutreten, habe eine rassistische und/oder Anti-Islamismus-Komponente. Was ihm Sorgen bereite, das seien die sogenannten „Dschihād-Mütter“: junge Frauen, die ihre Kinder früh radikalisierten, ohne dass man da rankäme; dies müsse stärker thematisiert werden, fordert der SPD-Politiker mit türkisch-alevitischen Wurzeln.
Deniz Greschner ist über die Arbeit des „Wegweiser“-Projekts kein Fall von solchen Müttern in salafistischen Netzwerken bekannt.
Allerdings: über die Dortmunder Kindertageseinrichtungen gäbe es durchaus Hinweise auf Kinder und Mütter aus salafistischen Kreisen.
Insgesamt funktioniere die Prävention in NRW an Ort und Stelle aber sehr gut. Dennoch: von den etwa 11.000 Mitgliedern der salafistischen Szene in der Bundesrepublik sind 20-25 Prozent als Frauen unterwegs.
Dabei handele es sich häufig um Konvertitinnen, vor allem religiös erzogene, etwa aus Osteuropa, die dort zu finden seien, erklärt die Dortmunder MkF-Chefin. Sie berichtet von einem Mädchen, das klar sagt: es ist der Halt, die Sicherheit durch die Strukturen, durch die strengen Regeln in dieser Islamausrichtung, die wichtig sind. Wenn sich solche Mädchen etwa mit dem Kopftuch gegen ein weltliches Schönheitsbild wehrten, sei das eine Art „verkehrter Emanzipation“, urteilt Deniz Greschner.
Was ihr zufolge stets beachtet werden müsse: hier schreie ein junger Mensch, dessen Probleme missbraucht würden, nach Aufmerksamkeit; da läge – altersgemäß – auch viel Provokation drin. Allein schon deshalb sind Diskussionen über Religion und Ideologie in den meisten Fällen sinnlos: sie produzieren das Gegenteil dessen, was sie intendieren: noch mehr Widerstand.
Sicht auf „die Anderen“ muss immer auch den eigenkritischen Blick auf sich selbst beinhalten
Ziel sei es vielmehr, statt „in Alarmismus“ zu verfallen, so Deniz Greschner aus der Erfahrung mit zahlreichen Projekten gegen Radikalisierungstendenzen unter Jugendlichen, diese zu begleiten; beispielsweise, indem durch Vermittlung an moderate Moscheevereine, die sich nicht auf extremistischen Abwegen befinden, versucht würde, den Kontakt zu extremistischen Gruppierungen zu minimieren.
Schlussendlich wird in der Debatte mit den ExpertInnen aber auch deutlich: es reicht beileibe nicht, vereinfacht gesagt, nur auf andere zu zeigen, deren Handeln mehrheitsgesellschaftlich unerwünscht ist. Sabrina Beckmann, aus dem Projekt „Interkulturelle Öffnung von Verwaltung“, legt in diesem Zusammenhang wiederholt den Finger in die Wunde.
Konzepte interkultureller Wissensvermittlung seien häufig einseitig, liefen insbesondere vor dem Hintergrund unserer konkreten Problemsichten unidirektional, nämlich in die Richtung, was wir den Anderen mitteilen wollen – lässt sich ein Einwand der Forscherin verstehen. Interkulturelle Kompetenzen implizieren aber gerade, den kritischen Blick auch auf sich selbst zu richten. Beispiel: strukturelle Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch in der Bundesrepublik, sehr deutlich etwa auf dem Arbeitsmarkt.
Kritisch sieht Sabrina Beckmann auch die seit den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht verstärkt einsetzenden Diskurse um Themen wie „Gender und Migration“ – mit vielen pauschalisierenden Zuschreibungen in dichotomen Bildern bezüglich des Rollenverhaltens von Gruppen wie „europäisch“ vs. „arabisch“; darin ginge das Hybride, die Kontextabhängigkeit individueller Identitäten schlicht unter.
Solchen deindividualisierenden Stereotypen aber, ließe sich das Argument leicht weiterführen, kommt eine gewichtige Funktion bei der Ausbildung von Forderungen nach gruppenbezogener Ausgrenzung und Diskriminierung zu, wodurch im Endeffekt rassistische Einstellungen gestärkt werden.
Weitere Informationen:
- Beratungsangebote des MkF, hier:
- Homepage „Wegweiser Dortmund“, hier:
- Das Projekt: „Objektiv – Junge Medienmacher mit Durchblick“, hier:
- Das Projekt „Dortmunder Durchblick – Gemeinsam gegen Radikalisierung“, hier:
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