Der Oktober steht im Zeichen einer ersten Programmreihe am Theater im Depot mit dem Titel „Erkundungen“. In den Erkundungen verdichtet das Theater thematisch ähnlich ausgerichtete Projekte zu einem Themenschwerpunkt. Die erste Ausgabe für den Oktober trägt den Titel Erkundungen #1 – Erzählungen aus Afropa. In dieser ersten Reihe präsentiert das Theater im Depot drei künstlerische Positionen aus verschiedenen subsaharischen afrikanischen Ländern, in denen die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen Afrika und Europa in individuellen (fiktionalen) Geschichten im Mittelpunkt stehen, ebenso wie die oft schmerzvollen Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten ideengeschichtlich untersucht werden.
Diskursive Auseinandersetzung mit Erwartungshaltungen
Robert Ssempijja aus Uganda verhandelt in „You judge“ (7. und 8. Oktober) seine Umgangsweisen mit den Erwartungshaltungen, die ihm aus seiner Familie und seiner Herkunftsgemeinschaft entgegengebracht werden. Diese Themen implizieren ebenso eine Auseinandersetzung mit seiner Künstlerexistenz auf dem europäischen Markt der Performing Arts.
So öffnet er mit seinem Stück einen Reflexionsraum, in dem sowohl die Auseinandersetzung mit seiner persönlichen Familiengeschichte Platz findet, ebenso wie er sich und dem (europäischen) Publikum die Frage stellt, welche Augen ihn in den hiesigen Theatern auf welche Weise betrachten.
Zerrissenheit eines westafrikanischen politischen Flüchtlings, der in Europa Zuflucht fand
Dido, der Protagonist in Dieudonné Niangounas Stück „De ce côté“ (14. und 15. Oktober) konfrontiert die Zuschauer:innen mit der Zerrissenheit eines westafrikanischen politischen Flüchtlings, der in Europa Zuflucht vor Verfolgung gefunden hat. Die Figur, die als Schauspieler jedoch keinen Weg auf die europäischen Bühnen findet, wird geplagt von Schuldgefühlen und der Frage, wo ihr Platz in dieser ihr fremden Umgebung sein könnte.
Wo ist ihre Position und wie kann sie zu einem Publikum sprechen – und zu welchem? Das Stück konfrontiert uns mit ihrer in Europa empfundenen Fremdheit – gegenüber dem neuen Lebenskontext ebenso wie gegenüber sich selbst. Es lädt ein europäisches Publikum auf diese Weise ein, dem Gefühl der Fremdheit aus einer afrikanischen diasporischen Perspektive nachzuspüren.
Präsentation von aktuellem Recherchematerial zur Manden-Charta
Martin Ambara schließlich präsentiert seine aktuellen Recherchen in der (Lecture-)Performance Sundeita Keita und die Manden-Charta (in einer einmaligen Aufführung am 9. Oktober).
In diesem Manifest, welches im 13. Jahrhundert in der Sahelzone formuliert wurde, sind die Menschenrechte bereits Jahrhunderte vor ihrer Verabschiedung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen nach dem zweiten Weltkrieg aber auch Jahrhunderte vor ihrer ‚Erfindung‘ im Umfeld der Revolutionen im 18. Jahrhundert – so die westliche ideengeschichtliche Erzählung – prototypisch formuliert.
Das Unwissen über diese Charta und deren Irrelevanz in den heutigen Diskursen der Menschenrechte konfrontieren uns einmal mehr mit der Arroganz, mit welcher die Europäer*innen oder sog. westliche auf afrikanische Kulturen und deren Geschichte schauen – nämlich meistens gar nicht.
Martins Projekt, welches das Theater im Depot in einem ersten Schritt 2022 als Präsentation von Recherchematerial präsentiert, eröffnet eine Diskussion, die diese ideengeschichtliche Isolation aufbricht, und vor allem auch andere Überlieferungsformen historischer Kontexte in den Mittelpunkt stellt. So bereitet er mit seinem Projekt den Weg für eine postkoloniale Neugestaltung der Fundamente politischer, gesellschaftlicher und kultureller Plattformen, auf denen sich westliche Kulturen und solche des globalen Südens gleichberechtigter begegnen können.
Gemeinsamer narrativer Raum zwischen afrikanischen und europäischen Kontexten
„Die hier in einer Reihe präsentierten Erzählungen etablieren einen gemeinsamen narrativen und historischen Raum zwischen afrikanischen und europäischen Kontexten, der uns verbindet und dessen Existenzbedingungen und Ausgestaltungen wir immer wieder aufs neue gemeinsam reflektieren und weiterentwickeln müssen, um notwendige Antworten auf die Frage zu finden, wie wir uns in einer multipolarer werdenden Welt von der westlichen (diskursiven) Dominanz verabschieden und anders begegnen können – etwa indem wir auf neue Weisen einander zuhören – und den Erzählungen aus Afropa lauschen“, betont das Theater im Depot.
Mehr Informationen:
- Das Theater im Depot hat ein neues solidarisches Preissystem. Mit der dauerhaften Setzung dieses Preissystems für die allermeisten Veranstaltungen arbeitet das Theater am Abbau auch ökonomischer Barrieren, die manche Menschen von einem Besuch im Theater abhalten.
- Weitere Informationen zu den Stücken, zu den Künstler:innen ebenso wie zum ergänzenden Rahmenprogramm unter theaterimdepot.de
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Einladung: 14./15. Oktober – Dieudonné Niangouna (PM)
Liebe Freund*innen des Theater im Depot,
so wie wir das Theater im Depot verstehen, soll es vieles sein: ein Ort für Tanz, und, klar, für Theater und Performance; es soll aber auch als Labor funktionieren und Begegnungen ermöglichen. Heute und morgen steht eine besondere Begnung im Zentrum, die als richtig guter Schauspielmonolog daherkommt:
Uns besucht der kongolesische Theatermacher Dieudonné Niangouna mit seinem Solo “De ce côté”, auf Deutsch also “Diesseits” oder “von dieser Seite” (14./15. Oktober 2022, jeweils 20.00 Uhr). Diese Seite, von der er da spricht, das ist erstmal Europa, in dem er als kongelischer Künstler auf der Bühne steht. Es ist aber auch die Bühne selbst, von der aus er das Publikum anspricht. Und wie er das macht! In einem poetischen, sprachgewaltigen Monolog, der durch eine tolle Übertitelung auch auf Deutsch gut zu verfolgen ist.
Wir begegnen der Figur Dido, einem im Exil lebenden Theatermacher, der nach einem Bombenanschlag während einer Aufführung seine Heimat verlassen musste. Obwohl niemand in der Lage war, die Terroristen zu identifizieren, wurde er zum Staatsfeind erklärt, da er sich offen über das herrschende Regime geäußert und ein politisch engagiertes Theater unterstützt hatte. Seitdem wird Dido, im europäischen Exil lebend, von Schuldgefühlen geplagt, die er nicht loswerden kann. Streitereien und Auseinandersetzungen mit alten Schauspielerkollegen bestimmen sein Leben ebenso wie die endlosen Nächte in der Bar, die er auf Kredit gekauft hat. Mit Melancholie, Ironie und Zärtlichkeit sinniert Dido über die Frage, wie sich in der gewalttätigen Welt von heute noch Theater machen lässt. Was könnte sein Standpunkt, seine Perspektive sein – und wer sein Publikum? Eines Tages taucht ein Regisseur auf und bietet ihm an, die Hauptrolle in seinem nächsten Stück zu übernehmen: La fin de la colère / Das Ende des Zorns. Diese Rolle bietet Dido die goldene Gelegenheit, in seine eigene Vergangenheit zurückzuschauen, sich seinen Dämonen zu stellen, die Toten zu begraben und eine neue Vision eines politisch engagierten Theaters zu entwickeln.
In einem nüchternen, frontal gesprochenen Porträt stellt Dieudonné Niangouna einen Mann zwischen zwei Ländern, zwischen zwei Welten dar, der mit seiner lebhaften und unersättlichen Sprache Herrschaftsansprüche ebenso verwirrt wie die Sprache und ihre Begriffe selbst.
Das von uns neu eingeführte solidarische Preissystem ermöglicht es allen, Ticktets ab 3 Euro zu lösen. Die Entscheidung ist dabei den Besucher*innen überlassen: Jede*r zahl so viel, wie ihnen der Theaterbesuch wert ist.
Für Sie und euch reservieren wir gerne Kolleg*innenkarten! Dazu einfach kurz auf diese E-Mail antworten und den Namen, die Institution und den gewünschten Tag angeben.
Wir freuen uns auf Ihren und euren Besuch im Depot.
Bisous du Depot à Là-bas-la-bouche
Jens Heitjohann
Erzählungen aus Afropa #2: Martin Ambara/OTHNI (Yaoundé) – „CHA-MAN – Das Vermächtnis“ zum Jahresabschluss im Theater im Depot & A Christmas Carrol zum letzten Mal in der Originalbesetzung (PM)
Vor einem Jahr begab sich der kamerunische Autor und Theatermacher Martin Ambara auf eine Recherchereise nach Guinea, um dem Mythos der Charta der Manden auf die Spur zu kommen. Jener besagt, dass durch den König Sundiata Keita bereits im 13. Jahrhundert, also siebenhundert Jahre vor der europäischen Erklärung der Menschenrechte, dieselben in Form der Charta der Manden im Gebiet des heutigen Guinea erklärt wurden.
Die Idee der Menschenrechte kommt also aus Afrika, sagt Ambara. Und darüber hat er mit seiner Kompanie OTHNI ein Stück gemacht. Wir zeigen CHA-MAN – Das Vermächtnis nur einmal, nämlich am kommenden Freitag, im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe Erzählungen aus Afropa. (1. Dezember) Im Anschluss an die Vorstellung wollen wir das Erlebte in einem von Julia Schade und Julian Gabriel moderierten Gespräch mit Martin Ambara gemeinsam reflektieren.
Und dann sind wir auch gleich schon mitten im Dezember und die Truppe von A Christmas Carol wird den Weihnachtszauber im Theatersaal einziehen lassen! Das Kult-Stück mit live gebackenen Plätzchen gibt es dieses Jahr das letzte Mal in Original-Besetzung zu sehen, denn Thomas Kemper und Jörg Hentschel sind ab 2024 nicht mehr mit von der Partie. (15., 16., 17., 20., 21., 22., 23. & 26. Dezember)
Wir freuen uns auf einen schönen Start in die Winterzeit mit euch.
Herzliche Grüße aus dem Theater im Depot