Das war der 4. Prozesstag im Fall des getöteten Mouhamed Lamine Dramé:

Nebenkläger Sidy und Lasanna Dramé nahmen an der Verhandlung teil und forderten Gerechtigkeit

Sady Dramé (l.) und Lasanna Dramé (r.) vor dem Bild ihres getöteten Bruders.
Sidy Dramé (l.) und Lasanna Dramé (r.) vor dem Bild ihres getöteten Bruders. Foto: Paulina Bermúdez für nordstadtblogger.de

Ohne Wut, aber mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit nahmen die Brüder des 2022 bei einem Polizeieinsatz getöteten Mouhamed Lamine Dramé heute (31. Januar 2024) erstmals am Prozess gegen fünf der beteiligten Polizeibeamt:innen am Dortmunder Landgericht teil. Am Abend zuvor hatten sie im Rahmen eines Pressegesprächs bereits Einblicke in das Leben des 16-Jährigen und den Umgang der Familie mit der schockierenden Nachricht seines Todes gegeben.

Angehörige des getöteten Senegalesen richteten sich an die Öffentlichkeit

Erdrückende Traurigkeit lag am vergangenen Abend in einem Raum der Anwaltskanzlei „Birr, Budde und Grüter“ am Asselner Hellweg. Lasanna und Sidy Dramé blickten mit ernstem Gesichtsausdruck und glasigen Augen in die Runde der anwesenden Journalist:innen. Immer wieder senkten sie den Kopf, strichen sich mit den Händen über die Wangen, versuchten Fassung zu bewahren. Nur zaghaft ergriffen die anwesenden Medienvertreter:innen die Möglichkeit, den Angehörigen des getöteten Geflüchteten Fragen zu stellen. ___STEADY_PAYWALL___

Sidy Dramé und Dolmetscher Moustapha T. bei der Pressekonferenz.
Sidy Dramé (re.) und Dolmetscher Moustapha T. bei der Pressekonferenz. Foto: Paulina Bermúdez für nordstadtblogger.de

„Mouhamed hat uns so viel Liebe geschenkt. Wenn wir alles erzählen würden, was er Gutes für uns getan hat, dann säßen wir den ganzen Tag hier“, sagte Sidy Dramé gleich zu Beginn der Pressekonferenz. Der 37-Jährige beschrieb seinen Bruder als artig und engagiert. Mouhamed habe alles getan, um seine Familie zu unterstützen. Mehr erzählen konnte er nicht, zu viele Gefühle wecke die Erinnerung an seinen kleinen Bruder.

Der Wunsch, seine Familie zu unterstützen, habe Mouhamed nach Europa getrieben, berichtet der 24-Jährige Lasanna Dramé. Er habe zuletzt mit Mouhamed gesprochen, bevor er sich auf die lange Reise begeben habe. Der junge Mann richtete sich direkt an die Zuhörer:innen: „Sie wissen genau, wie die Lebensrealität in Afrika ist. Mouhamed wollte erfolgreich werden, er hatte Ziele im Leben. Wenn du keine Perspektive mehr hast, dann versuchst du es woanders. Wir sind nicht gegangen, aber Mouhamed hat sich getraut unser Dorf zu verlassen, um mehr zu erreichen.“

Der Wunsch seiner Familie zu helfen bewegte Mouhamed Lamine Dramé zur Flucht

An den Tag, an dem er von dem Tod Mouhameds erfuhr, kann sich Sidy Dramé genau erinnern: Freitag, der 12. August 2022. „Vor dem Freitagsgebet kamen zwei Jungen aus unserem Dorf zu meinem Vater und wollten mit ihm sprechen. Sie haben sich nicht getraut und mein Vater sagte nach dem Gebet zu ihnen ,Wenn etwas Schlimmes passiert ist, könnt ihr das ruhig sagen, ich bin bereit dafür'“, erzählte er. Die Familie habe den Nachrichten aus den Sozialen Netzwerken zuerst nicht geglaubt, habe gehofft, es handele sich um eine Falschmeldung.

William Dountio (l.) vom Solidaritätskreis „Justice for Mouhamed“ und Lasanna Dramé (r.)
William Dountio (l.) vom Solidaritätskreis „Justice for Mouhamed“ und Lasanna Dramé (r.) Foto: Paulina Bermúdez für nordstadtblogger.de

Zu diesem Zeitpunkt hatten sie beinah eine Woche keinen Kontakt mehr zu Mouhamed gehabt. Sidy Dramé berichtete von seinem letzten Videotelefonat mit Mouhamed am Sonntag, einen Tag vor seinem Tod: „Wir haben über das Leben ganz generell gesprochen und er sagte zu mir, ,Wenn ich etwas erreiche, dann werde ich euch allen damit helfen‘.“

Mouhamed habe nicht geäußert, dass er zurück in den Senegal wolle oder sich schlecht fühle. Dies sei erfahrungsgemäß in den meisten Fällen so, erklärte William Dountio vom Solidaritätskreis „Justice for Mouhamed“. Geflüchtete äußerten demnach ihr Leid gegenüber ihren Familien nicht, um sie zu schützen.

„Er wurde getötet wie ein Tier“: Die Brüder hoffen auf Klärung der Tatumstände

Viele Fragen zum Tatgeschehen treiben die Familie seit dem Tod ihres Bruders und Sohnes um: „Warum wurde Mouhamed nicht ausreichend geschützt? Wieso haben die Polizist:innen nicht abgewartet? Warum haben sie nicht auf seine Beine geschossen?“, fragte Sidy Dramé. Sichtlich aufgewühlt, mit Tränen in den Augen sagte er mit lauter Stimme: „Unser Bruder ist unschuldig und er wurde getötet wie ein Tier.“

Mouhamed Lamine Dramé wurde am 8. August 2022 bei einem Polizeieinsatz erschossen.

Lasanna Dramé hatte zuvor zurückhaltend und unsicher zu Boden geschaut, doch dann sagte er: „Mouhamed ging es im Senegal nie schlecht. Unsere Mutter belastet es sehr, dass gesagt wird, Mouhamed sei aggressiv gewesen, denn er hat noch nie Aggressivität gezeigt. Sie hätte für jeden anderen Grund Verständnis gehabt, aber Mouhamed war nicht aggressiv.“

Wütend sei er trotz allem nicht, stellte Sidy Dramé im Anschluss klar, auch in Anbetracht des bevorstehenden Prozesstages. „Wir haben keine Angst und wir gehören einer Religion an, in der Wut und Hass keinen Platz haben. Alles was wir uns wünschen ist, dass Gerechtigkeit stattfindet und sich die, die unseren Bruder getötet haben, schuldig bekennen“, forderte er. Heute wünsche er sich, dass Mouhamed lieber zurück in den Senegal geschickt worden wäre, als tot zurückzukommen und in seinem Heimatdorf begraben zu werden.

William Dountio ergänzte: „Mouhameds Vater fragt uns ständig ,Wie ist die Gesellschaft in Deutschland?‘ und als ich gemeinsam mit den Brüdern das erste Mal in die Dortmunder Innenstadt ging, war Sidy erschrocken über die vielen wohnungslosen Personen. Für Menschen, die recht idyllisch in einem Dorf leben, sind ihre Mitmenschen das Wichtigste. Sie sind diejenigen, um die man sich sorgfältig kümmert. Das fehlt in der Geschichte von Mouhamed und das erschreckt sie sehr.“

Erstmals sahen sich die Angehörigen und die Angeklagten in die Augen

Rechtsanwalt Christoph Krekeler vertritt den mutmaßlichen Schützen. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Direkt gegenüber von dem mutmaßlichen Schützen nahmen heute die Brüder Dramé auf der Bank der Nebenklage Platz. Mit fester Miene und einem Ausdruck von Traurigkeit blickte Sidy Dramé immer wieder in Richtung der angeklagten Polizeibeamt:innen. Lasanna Dramé hielt den Kopf gesenkt, schaute auf seine Oberschenkel. Auch der mutmaßliche Schütze wirkte angespannt. Er beobachtete die Brüder, schluckte mehrfach schwer.

Christoph Krekeler, Verteidiger des mutmaßlichen Schützen, resümierte: „Mein Mandant stand heute unter einem ganz erheblichen Druck, er musste den Angehörigen der Familie Dramé in die Augen schauen, die ihren Bruder verloren haben. Auf beiden Seiten habe ich dort Traurigkeit gesehen.“

Lisa Grüter, Rechtsanwältin der Nebenklage, teilte nach der Verhandlung mit: „Ich habe den Eindruck dass Lasanna und Sidy Dramé sehr gefasst waren. Sie haben sich lange auf den Tag vorbereitet.“ Trotz allem werde die Verhandlung die beiden Brüder sehr mitgenommen haben. Grüter vermutete, dass sie dies erst in den folgenden Stunden richtig realisieren würden.

Die Brüder Dramé im Gerichtssaal. Foto: Karsten Wickern

Die Verhandlung selbst dauerte etwa eine Stunde, der Vorsitzende Richter Thomas Kelm verlas lediglich Berichte, wie den der Spurensicherung. Dafür äußerten sowohl Lisa Grüter, als auch Christoph Krekeler Unverständnis.

„Ich hatte den gleichen Eindruck wie auch alle Übrigen, dass es für die Familie sicherlich schade war, an einem Prozesstag teilzunehmen, wo inhaltlich bis auf das Verlesen von Urkunden keinerlei Inhalte transportiert wurden“, so Krekeler.


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