Nach fünfeinhalb Jahren hat der erste der beiden Prozesse zur Besetzung des Reinoldikirchturms durch Neonazis im Dezember 2016 vor dem Amtsgericht in Dortmund begonnen. Fünf Personen sind der gemeinschaftlichen Nötigung und des Hausfriedensbruchs angeklagt. Angesetzt sind zwei Verhandlungstage.
Nur ein Teil der Angeklagten steht aktuell vor Gericht
Insgesamt acht Neonazis wurden ursprünglich wegen Hausfriedensbruchs und Nötigung angeklagt. Genötigt wurden durch die Verbarrikadierung der Kirchturmstür die anderen Besucher:innen, die zwar Eintritt bezahlt hatten, aber den Kirchturm bzw. die Aussichtsplattform nicht betreten bzw. verlassen konnten. ___STEADY_PAYWALL___
Gegen drei weitere Aktivisten, die am Boden vor der Reinoldikirche Flugblätter zu der Aktion verteilten, wurde wegen Beihilfe ermittelt. Das Gericht hat das Verfahren aber wegen der Zahl der Angeklagten geteilt.
Unter den Angeklagten befinden sich bekannte Gesichter wie der „Kampf der Nibelungen“-Organisator Alexander Deptolla, der Co-Bundesvorsitzende der Partei „Die Rechte“, Sven Skoda, Dortmunds ehemaliger Feuerwehrchef Klaus Schäfer und der mehrfach vorbestrafte Aktivist Steven Feldmann. Doch diese stehen – zumindest im ersten Verfahren – nicht vor Gericht.
Die Angeklagten äußern sich weder zur Person noch zur Sache
Ihnen wird vorgeworfen, im Rahmen der Besetzung des Reinoldi-Kirchturmes am 16. Dezember 2016 Hausfriedensbruch begangen (bzw. Beihilfe dazu geleistet) sowie durch das Verschließen der Kirchturmstür eine gemeinschaftliche Nötigung begangen zu haben.
Vor dem Jugendschöffengericht – einer der Angeklagten war zum Zeitpunkt der Tat noch Heranwachsender – müssen sich seit Dienstag (12 April 2022) vier Männer und eine Frau verantworten. Der jüngste ist der bekannteste der fünf Angeklagten: Tom N. – der frühere Neonazi und Kampfsportler – war jüngst zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt worden, weil er gemeinschaftlich mit seiner Freundin Freier ausgeraubt hatte.
Zudem machte er jüngst Schlagzeilen, weil er – wie viele Neonazis und Kampfsportler – in der Ukraine in den Krieg ziehen wollte. Doch bei Tom N. war dies offenbar nur ein „kurzes Vergnügen“: Nach wenigen Tagen war er zurück in Deutschland und verantwortet sich nun vor dem Amtsgericht Dortmund. Keiner der Angeklagten will sich dort jedoch zur Person oder zur Sache äußern.
Pfarrerin Susanne Karmeier könnte eine Wiederaufnahme des Verfahrens drohen
Dort sagten dafür am ersten Verhandlungstag eine ganze Reihe von Zeug:innen aus – neben Kirchenbesucher:innen vor allem auch Polizist:innen sowie Mitarbeitende der Gemeinde St. Reinoldi. Gehört wurde auch Susanne Karmeier, die Pfarrerin der Reinoldikirche.
Gegen sie hatte die Staatsanwaltschaft ebenfalls ermittelt. Weil sie die Kirchenglocken angestellt haben soll, um die Neonazis auf dem Kirchturm zu übertönen, wurde gegen sie wegen Körperverletzung ermittelt. 13 Monate nach dem Vorfall wurden die Ermittlungen gegen sie eingestellt.
Eingestellt wurde das Verfahren gegen sie nach §170 (2) Strafprozessordnung, weil kein hinreichender Tatverdacht vorlag. Da allerdings bis zu zehn Jahre lang das Verfahren wieder ausgenommen werden kann, sagte die Pfarrerin zumindest zum Thema Kirchenglocken nicht aus.
Verteidiger drängen auf eine Einstellung des Verfahrens
Zum Hausfriedensbruch und zur Nötigung äußerte sie sich gleichwohl – sie hatte auch im Namen der Gemeinde Strafanzeige gestellt – ebenso wie der Kirchenkreis. Sie sah auch keinen Grund, diese Anzeige zurückzuziehen, was mehrere Verteidiger gefordert hatten.
Diese verwiesen auf die lange Dauer das Verfahrens und Rechtsanwalt Dr. Björn Clemens auf Verjährungstatbestände und darauf, dass eigentlich „kein hochwertiges Rechtsgut“ verletzt worden sei. Daher könne „man die Reinoldikirche im Dorf lassen und nach 153a mit geeigneter Auflage verfahren“, wollte er eine Verfahrenseinstellung erreichen. Doch daran hatte die Staatsanwaltschaft kein Interesse – ebensowenig wie die Pfarrerin.
Die Staatsanwaltschaft wies zudem den Vorwurf zurück, dass dies ein politisches Verfahren sei. So hatte Clemens angeführt, wären es nicht diese Angeklagten, sondern eine Aktion von „Fridays for Future“ gewesen, die nicht auf die Islamisierung, sondern auf den Klimawandel hingewiesen hätten, „dann säßen die Leute nicht hier, sondern bei Maybrit Illner“. Für die Staatsanwaltschaft war dies vorgeschoben: Es gehe hier nicht um die politische Ausrichtung, sondern um Nötigung und Hausfriedensbruch.
Zahlreiche Aussagen von Zeug:innen machen Tatvorbereitung deutlich
Daher ging es in die Beweisaufnahme. Dort wurde sehr deutlich, dass die Beteiligten die Aktion gründlich vorbereitet hatten. So hatten sich die Neonazis – die alle einzeln Eintritt bezahlten und nicht als Gruppe – ganz vorne in die Warteschlange vor dem Kirchenaufgang eingereiht.
Mit einer mitgeführten Krücke – eine Mitarbeiterin erkannte Tom N. wieder, der die Gehhilfe mitgeführt hatte – verkeilten sie die Tür zum Treppenaufgang. Diese hatten sie zuvor den anderen Kirchenbesucher:innen „vor der Nase zugeschlagen“. Sie platzierten dann die Krücke zwischen Tür und Treppenabsatz, so dass sich die Tür unten nicht öffnen ließ.
Zudem hatten die Neonazis einen Bolzen und Spanngurte mitgeführt. Den Bolzen führten sie durch das Schloss der Außentür zur Besucherterrasse und befestigten daran Spanngurte, die sie um das Außengeländer gewickelt hatten. Als sie diese unter Spannung setzten, ließ sich die Tür – sie öffnet sich nach innen – nicht mehr öffnen.
Auf das Klopfen und Rufen von Kirchenmitarbeitern reagierten die Besetzer:innen ebenso wenig wie auf die Aufforderungen der Polizei. Diese rief dann die Feuerwehr zur Hilfe, die dann die Tür mit einer Kettensäge gewaltsam öffnete. Im Anschluss ließen sich die Angeklagten widerstandslos ins Gewahrsam nehmen.
Am kommenden Dienstag könnte das Urteil gesprochen werden
Am kommenden Dienstag geht das Verfahren weiter. Dann könnte es schon zu den Plädoyers und dem Urteil kommen. Ob und in welchem Umfang die lange Verfahrensdauer sich auf den Ausgang des Verfahrens auswirkt, lässt sich noch nicht abschätzen. Dazu mochte auch Gerichtssprecher Michael Tebbe keine Aussage oder Mutmaßung treffen.
Darauf werden aller Voraussicht nach die Verteidiger abzielen. Denn das Amtsgericht hatte erst nach langem hin und her – es hatte erfolglos versucht, das Verfahren wegen der Vielzahl von Verfahrensbeteiligten und zu erwartenden Verhandlungstagen ans Landgericht abzutreten – das Verfahren terminiert. Doch der Prozessbeginn im Mai 2020 wurde dann Corona-bedingt abgesagt.
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
https://www.nordstadtblogger.de/ex-feuerwehrchef-schaefer-klagt-vor-dem-verwaltungsgericht-gegen-seine-durchsuchung-durch-die-polizei-nach-neonazi-aktion/