Es ist eine fordernde Aufgabe in unruhigen Zeiten: Seit rund 100 Tagen ist Monika Nienaber-Willaredt Dezernentin für Schule, Jugend und Familie in Dortmund. Nordstadtblogger sprach mit ihr über die großen Herausforderungen wie fehlende Schul- und Kitaplätze, den Ausbau des Offenen Ganztags (OGS) an Grundschulen und anderen Ganztags-Angeboten, aber auch die Stärkung der Bildungsgerechtigkeit. Ihre Botschaft ist klar: „Wir wollen gemeinsam ein lebenswertes Dortmund entwickeln. Das ist das Ziel – trotz der Krisen. Ich will das für alle. Für alle!“
Auf das Dezernat warten große Aufgaben – vor allem auch in der Nordstadt
Die Aufgaben sind groß und fordernd. Die Dezernentin ist für den Bereich von „minus 9 Monaten bis zum Arbeitsantritt der Schüler:innen“ zuständig – also vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Übergang von Schule und Beruf.
Dabei muss sie vor allem auch die Nordstadt in den Blick nehmen, denn hier multiplizieren sich die Problemlagen: Es ist der kinderreichste Stadtteil, der Stadtteil, in dem die meisten Menschen neu ankommen und hier fehlen die meisten Kita- und Schulplätze obwohl hier der Förderbedarf am größten ist.
Das vergangene Schuljahr war dabei eine besondere Herausforderung: 2911 Kinder und Jugendliche sind im Schuljahr 2021/2022 neu ins Dortmunder Schulsystem gekommen.
Das entspricht in etwa einem halben Jahrgang: Im Jahr zuvor gab es rund 5.600 Erstklässler:innen. Auch im laufenden Schuljahr sind bereits fast 700 Schüler:innen hinzugekommen. Viele von ihnen landen auf Wartelisten.
Und auch wenn die Warteliste – laut Aussage der Dezernentin – schon deutlich abgebaut wurde, warten aktuell noch immer 161 Kinder auf einen Platz in der Grundschule – 969 konnte bereits einer zugewiesen werden. In der Sekundarstufe I warten 176 Schüler:innen auf einen Platz – hier konnten mittlerweile 1.433 versorgt werden. Und in der gymnasialen Oberstufe sind es noch 53 Jugendliche die warten – 399 konnte ein Schulplatz zugewiesen werden.
„Migration ist eine Daueraufgabe“ und erfordert Sensibilität
Die Schüler:innen kommen aus aller Welt. Nach dem enormen Anstieg während des Syrienkriegs in den Jahren 2015/16 pendelte sich der Zuzug ins Schulsystem auf rund 100 Schüler:innen pro Jahr ein. Aktuell warten viele spanisch sprechende Schüler:innen, aber auch solche aus Rumänien, Bulgarien auf einen Schulplatz, sowie einige Kinder aus Somalia, Afghanistan, der Türkei und Polen.
„Migration ist eine Daueraufgabe. Wir müssen daher migrations-sensibel denken, denn wir werden weiter Zuwanderung haben“, weiß Monika Nienaber-Willaredt. Und auch wenn der Anteil der Ukrainer:innen auf der Warteliste aktuell nur noch ein Fünftel ausmacht, rechne sie mit verstärkter Zuwanderung aus diesem Land, wenn es im Winter mit den Ausfällen in der ukrainischen Energieversorgung wegen der russischen Angriffe so weitergehe.
Fehlende Schutzplätze: Im Primarbereich auch die längste Warteliste
Die Stadt arbeite also weiter mit Hochdruck an der Schaffung weiterer Schulplätze. Drei Standorte gibt es es für die Sekundarstufe I: Die Schüler:innen könnten sie selbstständig mit dem Schoko-Ticket erreichen. Der Unterschied: Während die meisten Zuwanderer:innen in der Nordstadt ankommen, sind die Ukrainer:innen überall im Stadtgebiet verteilt. Ihnen fällt es leichter, vor Ort einen Schulplatz zu bekommen.
Die Schüler:innen in der Nordstadt haben es schwerer – zumindest die jüngeren: „Für die Sekundarstufe I können wir das mit den drei Standorten gut schaffen, weil sie aus der Nordstadt rausfahren können“, so die Schuldezernentin. Doch bei den Grundschüler:innen sehe das anders aus – entsprechend der Maxime „Kurze Beine – kurze Wege“: „Bei den Kleinen wollen wir das nicht und sie können es auch nicht“, so Nienaber-Willaredt.
Die Folge: im Primarbereich gibt es die längste Warteliste. „Wir haben bereits zwei Brückenangebote installiert, aber es reicht nicht. Wir brauchen noch mehr“, macht sie deutlich. Jetzt sucht die Stadt nach Räumlichkeiten in der Nähe von Schulen, die für flexible Betreuungs- und Unterrichtskonzepte genutzt werden können. In den Außenbezirken ist die Situation deutlich entspannter: „Da haben wir noch 750 freie Grundschulplätze.“
Frühkindliche Bildung ist absolut entscheidend für Bildungsgerechtigkeit
Eine vergleichbar große Baustelle ist die frühkindliche Bildung. In Dortmund gab es zum Stichtag 30.09.2021 – aktuellere Zahlen gibt es nicht – 323 Tageseinrichtungen für Kinder in Dortmund, davon 99 vom städtischen Eigenbetrieb FABIDO. Sie halten 18.243 Plätze für Kinder unter drei Jahren vor sowie 18.069 für Kinder über drei Jahren vor. Doch auch das reicht nicht – vor allem nicht in der Nordstadt.
„Wir wissen, dass die frühkindliche Bildung absolut entscheidend ist, damit die Kinder auch später in der Schule gut weiterkommen“, so Monika Nienaber-Willaredt. Das gelte auch und vor allem für zugewanderte Kinder, die „nicht im deutschen Sprachbad“ aufwachsen. „Das kann nur die Kita liefern. Daher ist es ja so wichtig, dass die Kitaplätze auch zur Verfügung stehen.“
Sie findet auch, dass die zugewanderten Eltern gezielt angesprochen werden müssen: „In vielen Ländern ist es nicht üblich, dass Kinder in die Betreuung gehen. Wir müssen daher noch aufsuchender werden – das ist ein ganz wichtiger Weg“, so die Dezernentin. Es gehe „um Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe, gerade für diejenigen, die neu in unser System reinkommen“, machte sie deutlich. Aufklärung sei da wichtig, zumal das Bildungssystem „sehr komplex ist, auch für die, die schon lange da sind“.
„Wir wollen Kitas und Schulen zu Lebens- und Lernorten machen“
Nicht erst seit ihren ersten 100 Tagen schwebt der Dezernentin ein Strukturwandel vor: „Wir wollen Kitas und Schulen zu Lebens- und Lernorten machen“, betont Monika Nienaber-Willaredt. Es geht ihr um ganzheitlich(er)e Bildung. So sei denkbar, „beispielsweise auch Sprach- oder Nähkurse in Kitas anzubieten, um darüber die Eltern zu erreichen.“
Was in der Kita schon sehr häufig ist, ist in Grundschulen – außer in Ansätzen in der Nordstadt – noch ungewöhnlich. Nienaber-Willaredt aber möchte analog zu den Familienzentren in Kitas gern auch Familien-Grundschulzentren.
„Das ist ja Schwerpunkt auch der OGS. Es ist eine große Aufgabe ab 2026/27. Dann haben die Eltern der Erstklässler:innen einen Rechtsanspruch auf Ganztag und den wollen und müssen wir umsetzen. Das ist eine ganz entscheidende Schnittstelle für Teilhabe“, weiß die Dezernentin.
„Wir haben ja auch bereits eine ganze Menge an Ganztagsangeboten, aber jetzt müssen wir flexibel und kreativ denken. Klar, wollen wir auch neu bauen – aber das dauert lange und wir haben einen echten Stau beim Bauen“ so Nienaber-Willaredt. Daher schaue die Verwaltung an den Standorten, wie man Engpässe überbrücken könne und auch, ob und wie Schulräume in OGS-Räume umgewandelt werden könnten.
„Da hilft auch flexibles Mobiliar. Damit kann man binnen weniger Sekunden Klassenzimmer in einen Sportraum verwandeln.“ Auch das Mittagessen – sowohl woher das Essen kommt als auch wo es eingenommen kann – ist eine Herausforderung.
„Wir wollen Kindern einen Lebensort bieten, in dem sie sich hervorragend entwickeln“
Am Ende sei die Ausweitung des Offenen Ganztags aber nicht nur eine Frage des Bauens und der Räume, sondern vor allem auch eine Frage der Qualität. „Das hat auch mit Fachpersonal zu tun.“ Doch was ist für sie „OGS-Qualität“? „Wir wollen Kindern einen Lebensort bieten, in dem sie sich hervorragend entwickeln können. Herz und Verstand – sie sollen sich ganzheitlich entwickeln.“ Ein Weg, der in Zusammenarbeit mit Schulen und außerschulischen Bildungspartner:innen entwickelt werden soll.
An zwei Modellstandorten – an der Stifts-Grundschule in Hörde und der Westhausen-Grundschule in Westerfilde – soll ein Kindercampus entstehen. „Da suchen wir gerade die Campus-Manager – sie sollen die Vernetzung vor Ort organisieren und systematisieren. An diesem Modell wollen wir lernen und es auch wissenschaftlich begleiten“, so die Dezernentin. Geplant ist auch, die Jugendhilfe in die Schulen zu holen. Zudem sollen Kitas und Jugendfreizeitstätten eingebunden werden.
Der Campus soll in die Schule kommen, aber auch die Schule soll sich öffnen. Es soll eine Servicestelle Bildungspartnerschaften entwickelt werden, die die verschiedenen Akteur:innen vernetzt und die Erkenntnisse aus dem Campus-Projekt verbreitet. Dortmund sei bereits eine Stadt mit ganz vielen Angeboten, daher brauche es eine gute Plattform, um die Angebote und Erkenntnisse für alle Bildungspartner:innen zugänglich zu machen.
„Wir brauchen einen ressourcen- und potenzialorientierten Blick“
Der ganzheitliche Ansatz soll sich übrigens auch im ganzen Dezernat von Monika Nienaber-Willaredt widerspiegeln, da dieser ja schließlich – wie eingangs zitiert – eine Querschnittsaufgabe vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Übergang von Schule und Beruf habe.
„Da ist jeder Bereich unendlich wichtig“, machte sie mit Blick auf die unterschiedlichen Ämter und Träger:innen deutlich. Und wünschte sich auch gleich einen anderen Blick: Man solle nicht immer nur auf die Defizite der Kinder, Jugendlichen und Familien schauen. „Wir brauchen einen ressourcen- und potenzialorientierten Blick. Das ist das, worum es mit geht. Da ist jeder unendlich wichtig“, so Nienaber-Willaredt.
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