Die in Hamburg lebende Künstlerin Lili Fischer (Jahrgang 1947) hat den mit 10.000 Euro dotierten Kunstpreis „Follow me Dada and Fluxus“ der Freunde des Museums Ostwall erhalten. Mit dem Preis, der zum fünften Mal vergeben wird, ist ein Ankauf für die Sammlung des Museums sowie eine Ausstellung ihrer Arbeiten verbunden: „Lili Fischer: Schnakengeist“ ist bis 31. März 2019 im MO Schaufenster zu sehen.
Zeichnung, Fotografie, Drehbücher, Performance und Objektkunst als Ausdrucksweisen
Zu Lili Fischers künstlerischen Ausdrucksweisen zählen Zeichnung, Fotografie, Drehbücher, Performance und Objektkunst. Ihre Kunst entstand in den 70er-Jahren im Kontext von Happening, Fluxus, Performance und Spurensicherung. Damals übertrug sie das Konzept der Feldforschung in ihre Kunst, in dem sie sich beobachtend, notierend, zeichnend, sammelnd und kategorisierend der Natur näherte und so künstlerisch umsetzte. Von 1994 bis 2013 war sie Professorin für Performance/Feldforschung an der Kunstakademie in Münster.
Mit der Verleihung des MO-Kunstpreises durch die Freunde des Museums Ostwall ist der Ankauf eines Werks verbunden, das die große Museumssammlung im Bereich „Dada, Fluxus und die Folgen“ bereichert. Die Neuerwerbung ist zusammen mit anderen Arbeiten der Künstlerin in der Ausstellung Lili Fischer „Schnakengeist“ im MO-Schaufenster zu sehen, die am Sonntag im Rahmen einer festlichen Preisverleihung im Museum Ostwall im Dortmunder U eröffnet wurde.
„Alles beginnt bei mir mit dem Zeichnen …, eine tote Schnake auf dem Zeichenpapier, Tinte und Feder, eintauchen, Linien ziehen … aus den Linien werden Schrift, Luftströmungen, Flugbewegungen, Proportionsstudien … und im Kopf wächst die Schnake ins Überdimensionale bis zur Menschengröße […]“ (Lili Fischer)
In der Ausstellung im Ostwall-Museum ist die Werkgruppe „Schnaken“ zu sehen
In der Ausstellung ist die Werkgruppe „Schnaken“ u.a. mit Objekten, Federzeichnungen und Tafeln zu sehen. Die Ausstellung trägt zudem installative Züge: Die Schnakenobjekte können die Beine beliebig nach allen Seiten ausrichten – das ermöglicht eine Fülle räumlicher und rhythmischer Positionen.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Dr. Nicole Grothe, Leiterin der Sammlung, und Natalie Calkozan. Klaus Fehlemann, Vorsitzender der Freunde des Museums Ostwall, ist glücklich über die Wahl der Jury: „Neben der künstlerischen Einmaligkeit ist Lili Fischer jetzt die erste Frau unter den MO-Kunstpreisträgern. Wir sind uns Ende der 60er-Jahre oft in der der HbK Hamburg begegnet. Sie hat nie eine Unterscheidung zwischen Arbeit, Leben und Kunst gemacht. Ein glücklicher Umstand für uns: In der Hamburger Kunsthalle hat die Künstlerin zurzeit eine Einzelausstellung.“
ZUR AUSSTELLUNG: „Schnakengeist“
Im Mittelpunkt der Ausstellung im MO Schaufenster steht die Schnake, die andernorts auch als Schneider, Schuster oder Schnegger bezeichnet wird. Die Schnake, die aus der Familie der Zweiflügler stammt und zumeist als lästig empfunden wird, erfährt im Alltag nur wenig Beachtung. Betrachtet man jedoch die zeichnerischen Studien von Lili Fischer, offenbart sich die vermeintlich schlichte Schnake als graziles und fast tänzerisches Wesen. In der Ausstellung sind sowohl Schnakenobjekte als auch zeichnerische Studien zum Verhalten der Tiere zu sehen. Die Zeichnung als Forschungsinstrument nimmt dabei eine wichtige Position ein. Sie dokumentiert, skizziert, visualisiert Ideen und Gedanken.
„Feldforschung“ bezeichnet das Forschen im natürlichen Lebensraum einer Gruppe mit dem Zweck, Daten zu gewinnen. In diesem Sinne widmet sich Lili Fischer aufmerksam und unter interdisziplinären Gesichtspunkten ihrem Forschungsobjekt. So stellt sie etwa fest, dass der Körperaufbau des Insekts in seinen Proportionen Parallelen zu Taktverhältnissen in der Musik aufweist. Die auf schwarzem Karton mit zerrissenem Japanpapier gelegten Schnakengeister, die wie Röntgenaufnahmen anmuten, veranschaulichen zusätzlich die Zartheit und Feingliedrigkeit dieser Wesen.
Auch gesellschaftliche Konventionen und Traditionen hinterfragt und offenbart Fischer forschend. So erfährt das klassische Rollenverhältnis von Mann und Frau im Projekt „Mitgift und Beziehungskiste“ aus den 80er Jahren eine künstlerische Aufarbeitung, indem sowohl alte Bräuche wie auch gegenwärtige Stereotypen auf kreative und partizipative Weise thematisiert werden. In einem kleinen Block zeigt die Ausstellung auch einige Arbeiten aus diesem Projekt. Dabei handelt es sich um Zeichnungen zu Performances der Künstlerin.
Auch in Installationen und partizipativen Performances taucht das zeichnerische Element wieder auf, in Form von Drehbüchern mit Handlungsanweisungen und Bewegungsabläufen zu künstlerischen Darstellungen wie „Besentanz“ oder „Waschlappendemo“, mit der die Künstlerin 1987 auf der documenta 8 vertreten war, wieder auf. Die dokumentarischen Arbeiten, zumeist in Bleistift und Tusche gearbeitet, kennzeichnet ein schwungvoller, ausladender Duktus, der bisweilen kalligraphische Züge annimmt.
ZUR PERSON: Lili Fischer
- Lili Fischer wurde 1947 in Priwall bei Travemünde geboren und lebt heute in Hamburg.
- Sie studierte an der Hamburger Hochschule für bildende Künste bei Dietrich Helms, Gotthard Graubner und Franz Erhard Walther. Ergänzend zu ihrem Studium als Kunsterzieherin promovierte sie an der Universität Hamburg im Studienfach Ethnologie mit einer Arbeit über Animation (animare = beseelen, ableitend von der Frühromantik).
- Seit 1980 lehrte sie an Universitäten und Akademien in Essen, Mainz, Kassel, Frankfurt/Main und Berlin und war von 1994 bis 2013 Professorin für Performance/Feldforschung an der Kunstakademie in Münster.
- Internetseite: www.lilifischer.de