Der Dortmunder Chor „Bad Boys“ feiert sein 30-jähriges Bestehen mit einem Benefizkonzert für bodo. Aber wer sind diese bösen Jungs? Eine Erkundung über die Freuden des Vocal Jazz, „sauschwere“ Arrangements, tanzende Männer über 50, Disziplin, Entertainment und das Verbindende in der Musik.
Ein Gastbeitrag von Bastian Pütter*
In der Aula einer Grundschule in der Dortmunder Gartenstadt sind 20 Stapelstühle zu einem Stuhlkreis drapiert. Zwischen Instrumenten für die musikalische Früherziehung und Dekoration für Schulaufführungen stehen ausnahmslos Herren Ü-50 im Licht der Leuchtstoffröhren und scherzen. Hier sieht es weder nach großer Show noch nach harter Arbeit aus, und bestimmt geht es gemütlicher, aber alles nötige ist da: ein Klavier, Platz, und ungestört ist man hier dienstagabends auch.
Bernd Mönikes, Bildhauer von Beruf, erklärt lächelnd: „Eigentlich versuchen wir pünktlich anzufangen, aber wie das so ist…“ Auch wenn der eine oder andere Stuhl noch leer ist, positioniert sich Hans Frambach, musikalischer Leiter der Bad Boys, bereits am Klavier, um von hier Noten oder Akkorde vorzugeben. Der Chor steht im Kreis vor seinen Stühlen und beginnt mit – Didgeridoo-Klängen. Während des Einsingens trudeln die letzten Nachzügler ein und bald bittet Hans Frambach zur Probe des ersten Stücks, mit der so diffusen wie augenzwinkernden Aufforderung: „Und jetzt gut singen!“
Dass hier nicht einfach irgendwie „gut“ gesungen wird, macht bereits das erste Stück klar, ein anspruchsvolles, sanft swingendes Arrangement, der zum Klavier geöffnete Kreis in voller Konzentration, die Notenmappen unter den Stühlen. Man ist vorbereitet und aufeinander eingespielt. „Geht doch!“, sagt Farmbach knapp, und das klingt weniger streng als zufrieden. Überhaupt merkt man dem Dirigenten die Freude an der Arbeit an. Er singt einzelne Linien der verschiedenen Stimmen vor, und zwingt die Gruppe sanft ins Finetuning: „Ab Takt 17, nur die Mittelstimmen!“ Und entschlossen: „Das kriegen wir noch richtig rund!“ Mit ziemlicher Disziplin. „Pausen machen wir nicht, das hier sind zwei Stunden ,volle Kraft voraus’“, hatte Bernd Moenikes vor Beginn augenzwinkernd erklärt.
Professor Hans Frambach ist eigentlich Volkswirt mit einem Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Wuppertal und gesteht: „Es war lange Zeit offen, ob es beruflich die Musik wird oder die Wissenschaft. Heute kann ich sagen: Musik ist ein zentraler Lebensbestandteil und weiter meine große Leidenschaft.“ Eine zeitaufwendige. Frambach hat selbst eine lange Gesangskarriere hinter sich, ist Chorleiter, Gesangs-Dozent, Coach für Ensembles und Präsidiumsmitglied im Chorverband NRW. Neben den Bad Boys leitet er zwei weitere Chöre. Die besondere Begeisterung für „seine Jungs“ ist ihm aber anzumerken. Er schwärmt: „Die Arrangements der Bad Boys sind sehr schwer, manchmal an der Grenze der Singbarkeit. Die Stücke haben einen extrem weiten Ambitus – die Spanne zwischen dem höchsten und dem tiefsten Ton. Das können andere Chöre nicht. Da sind die Höhen in Grenzbereichen.“
Gestartet sind die Bad Boys vor 30 Jahren mit Barbershop-Arrangements. (Das „Bad“ stand für Barbershop Dortmund.) Der vierstimmige amerikanische A-cappella-Stil hatte Frambachs „Ruhrpott Company“ bereits 1988 als erstes deutsches Quartett in die Golden Anniversary Show der Barbershop Harmony Society geführt. Die Bad Boys schlossen dort an, erweiterten ihr Repertoire dann aber deutlich.
„Ich kam eigentlich aus der klassischen Gitarrenszene, mir fehlte da was“, sagt Tenor Markus Halfmann. „Ich wusste, dass ich eine gute Stimme habe und habe dann irgendwann im Freundeskreis rumgefragt.“ Auf einer Party wurde ihm der Chor empfohlen, er besuchte eine Schnupperprobe und war begeistert. „Mir hat der Gesangsstil gefallen, es war damals weitgehend Barbershop. Das ist auch immer noch toll, aber auf Dauer dann doch etwas eintönig. Man merkt das auch beim Publikum, dass nach ein paar Stücken die Spannung sinkt. Es fehlt dann der Swing, der Gospel, das Musical-mäßige, das Chormusik spannend macht. Uns war dann allen klar: Wir wollten uns in diese Richtungen erweitern, das war eine gute Entscheidung.“
Und was aus dem breiten Repertoire begeistert ihn am meisten? „Ich persönlich habe ein Faible für Vocal Jazz. Was mich glücklich macht, ist, wenn sich Harmonien über die vier Gesangsstimmen legen und so ein Akkord im Raum steht. Wir haben eine tolle Version von ,How deep is your love‘ von den Bee Gees und ein sehr jazziges Arrangement von Reinhard Meys ,Gute Nacht, Freunde‘. Die gefallen mir gerade am besten. Hans Frambach teilt das selbe Faible aber: „Unser Arrangement von ,You’ll never walk alone‘ – sauschwer und der absolute Hammer! Das machen die Jungs so, dass sich der ganze Raum verändert.“
Jederzeit während der Probe ist klar, hier wird Musik nicht für die Grundschulaula gemacht. Markus Halfmann: „Natürlich geht es um die Freude an dem, was der Klangkörper leistet. Und darum, mit den Jungs zusammen zu sein und vielleicht auch mal ein Bierchen gemeinsam zu trinken. Aber immer ist da das Zeitziel Konzert und der Wunsch, die Menschen dort zu begeistern. Wir machen das, ganz klar, auch für dieses Feedback vom Publikum.“ Die Performance-Seite nehmen die Bad Boys tatsächlich ernst: „Ja, wir haben tatsächliche Choreografien. ,Männer und tanzen‘ klingt vielleicht wie ein Widerspruch, im Laufe der Jahre ist es aber bei uns eine Selbstverständlichkeit geworden.“ Er lacht. „Beziehungsweise: Wir haben die Bewegungsmuffel gut integriert.“
An diesem Abend bleibt die vermeintliche Golftasche ungeöffnet, in der die Fred-Astaire-haften Gehstöcke für Irving Berlins „Putting on the Ritz“ warten, und auch die wilde Tanztheater-Choreografie zu „Drunken Sailor“, bei der der scheintrunkene Chor den Dirigenten von der Bühne schleift, wird heute nicht geprobt. Schließlich verlangt das komplexe Arrangement den Sängern alles ab. Zum Luftholen davor hat der Chor den Pandemie-Tiktok-Hit Wellerman ins Programm genommen. Musikalisch im Vergleich ein Kinderspiel und eigentlich nur ein Augenzwinkern Richtung Publikum, aber Frambach ist noch nicht zufrieden, will es definierter: „Hier geht’s ums Überleben! Wir fordern nicht zum Schuhplatteln auf!“ Der Chor gehorcht, der Dirigent schmunzelt.
Bei aller Konzentration und bei allem Anspruch bestimmt die Freude an der Musik auch diesen Abend. „Und die Erfahrung, dass das nicht selbstverständlich ist“, sagt Hans Frambach. „Es ist ja wirklich so, dass viele Chöre Corona nicht überlebt haben. Andere haben ein gutes Stück ihrer Singfähigkeit eingebüßt. Wir haben früh begonnen, uns per Zoom zu treffen, zuerst nur zum Austausch bei einem Bierchen.“
Schnell ging es dann aber wieder ans Singen, obwohl die Videokonferenztechnik dafür denkbar ungeeignet war. „Das Entscheidende war, im Repertoire zu bleiben. Als es wieder losging, waren wir bei 80 Prozent, das war sehr gut.“
Sogar neue Stücke wurden am Bildschirm erarbeitet. „Da saß ich dann mit E-Piano vor dem Rechner und habe jede einzelne Stimme immer wieder vorgesungen, die Jungs haben zu Hause geübt. Verrückt, aber es ging.“ Mit wenigen Live-Proben stand der Chor mit diesen Stücken beim Chorfest in Leipzig auf der Bühne und kam als Preisträger zurück.
Der nächste große Auftritt ist das Benefizkonzert zum 30. Jubiläum in der Dortmunder Pauluskirche. „Endlich sind wir mal rechtzeitig“, lacht Hans Frambach. „Die letzten Jubiläen haben wir verschlafen.“
Mehr Informationen:
- 30 Jahre Bad Boys
- Benefizkonzert zugunsten des bodo e.V. am 23. April um 17 Uhr
- Pauluskirche, Schützenstraße 35. 44147 Dortmund
*Der Text erschien zuerst im Straßenmagazin bodo.