Von Roland Klecker
Ein aktuelles Urteil des EuGH hat das deutsche Arzneimittelpreisrecht gekippt. Versand-Apotheken aus dem europäischen Ausland dürfen jetzt Teile der Medikamentenpreise als Boni in bar an die KäuferInnen ausschütten. Darin sieht die CDU-Fraktion im Bundestag mehr als nur eine Gefahr.
„Hoffmanns Gespräche“: Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit zu Gast
In der Reihe „Hoffmanns Gespräche“ lud Thorsten Hoffmann diesmal als ausgewiesene Expertin zu diesem Thema die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit Ingrid Fischbach nach Dortmund ein. Im Hotel Esplanade beschrieb Fischbach vor einer übersichtlichen Gruppe von interessierten Bürgern und Fachpublikum zuerst die Sachlage und Problemstellung.
Eine Apotheke kann ihre Preise im Bereich der verschreibungspflichtigen Medikamente nicht frei gestalten. Sie darf auf den (einheitlichen) Einkaufspreis einen Aufschlag von drei Prozent erheben, dazu einen Beratungszuschlag von 8,10 Euro pro Medikament.
Darauf kommt dann noch die Mehrwertsteuer. In der Preisgestaltung unabhängig ist die Apotheke nur bei frei verkäuflichen Arzneien, unverschriebenen Heil- und Hilfsmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und weiteren Pflege- und Hygieneprodukten.
Apotheken machen ihr Hauptgeschäft mit verschreibungspflichtigen Medikamenten
Fast 80 Prozent des Umsatzes der Apotheken fällt aber auf verschreibungspflichtige Medikamente. Solange die Preise fix bleiben und es nur um einen Wettbewerb zwischen stationärem Handel und Versandhandel gäbe es kein Problem, sagt Ingrid Fischbach. Der Anteil des Versandhandels an verschreibungspflichtigen Medikamenten beträgt derzeit nur ca. ein Prozent – Tendenz leicht steigend. Das kann und muss das System der Apotheken aushalten.
Das bestätigt auch Frank Dieckerhoff, Apotheker aus der Apotheke Am Funkturm: „Der Versand pickt sich die Rosinen heraus und überlässt uns Apotheken die wichtigen Gemeinwohlaufgaben wie die Beratung, die individuelle Zusammenstellung von Medikamenten, den Nacht- und Notdienst, den dringenden Botendienst“, so Dieckerhoff.
„Für diese Tätigkeiten, die über die reine Handelstätigkeit hinaus erbracht werden, erhalten wir schließlich auch den Beratungszuschlag. Nun ist es aber genau das, was den Preisunterschied ausmacht“, so der Dortmunder Apotheker.
Wenn nun der Wettbewerb verzerrt werde, indem Anbieter aus dem europäischen Ausland mit drastisch günstigeren Preisen an den Markt gehen dürften, die für inländische Apotheken nicht realisierbar seien, dann kippe das System.
Die deutlich günstigeren Einkaufspreise bei gleichbleibender Vergütung durch die deutschen Krankenkassen erlauben es dem außerdeutschen Versand, an die Käufer im Inland Boni in bar auszuschütten. „Wir reden hier durchaus von Barauszahlungen von 30 bis 90 Euro pro Bestellung“, so Fischbach.
Kommerzialisierung des Medikamentenwesens im Ausland
Woher kommt es denn, dass die Preise im Versand so günstig sind? „Einerseits gibt es klassische Gründe, zum Beispiel die mit sechs Prozent deutlich günstigere Mehrwertsteuer in den Niederlanden oder den Wegfall des Beratungszuschlags, den Versandapotheken nicht erheben“, so der Gast aus Berlin.
Es gibt aber auch außerhalb Deutschlands eine Kommerzialisierung des Medikamentenwesens, die hier nicht erlaubt ist“, klärt Fischbach auf. So gäbe es Investorenverbünde, die den Medikamentenhandel als Markt für sich entdeckt haben und viel Geld in Unternehmen wie Doc Morris investierten, das bis heute rote Zahlen schreibt.
„Wie Amazon oder Zalando klopfen diese Unternehmen den Markt weich, um dann irgendwann die führende Position einzunehmen und die Regeln zu bestimmen.“ In anderen Ländern würden jetzt schon manchmal ganze Produktionen aufgekauft, um die Preise zu kontrollieren oder einige Medikamente gar künstlich zu verknappen.
Hier entstünde ein Preiskampf, den die Apotheke vor Ort einfach nicht gewinnen könne. Es bleibt zu befürchten, dass die niedergelassene Apotheke zum Teil in dasselbe Dilemma kommt wie der Fachhandel in anderen Bereichen: Der Kunde lässt sich vor Ort beraten, kauft dann aber online.
Gäste rechnen geringe Ertragsspanne der deutschen Apotheken vor
Derzeit betrage der bereinigte Ertrag einer Apotheke im Durchschnitt bei vier Prozent. Von jedem eingenommenen Euro bleiben also nach Einkauf, laufenden Betriebskosten und Steuern also noch vier Cent.
Davon müssen dann noch alle Sozialversicherungen und persönliche Kosten des Apothekers bestritten werden. Dieser Satz ist betriebswirtschaftlich noch tragbar; sinkt er weiter werden viele Apotheken sich schlicht nicht mehr lohnen und dauerhaft geschlossen werden.
Durch diesen vorhersehbaren Wegfall vieler Apotheken, vor allem in ländlichen Regionen und in Ballungszentren, sieht das Bundesgesundheitsministerium verschiedene Probleme auf die Bevölkerung zukommen.
Derzeit beträgt die Versorgungsdichte sowohl im urbanen als auch im ländlichen Raum ca. 4000 EinwohnerInnen pro Apotheke. Zwei konkrete Beispiele: In Dortmund liegt das Verhältnis bei 1:4414, im landwirtschaftlich geprägten Raum Coesfeld liegt es sehr ähnlich bei 1:4401.
Diese Dichte hat sich in der Vergangenheit als optimal für die Versorgung der Menschen erwiesen. Wenn sich dieses Verhältnis verändert, wird es auf die jeweiligen Räume Auswirkungen haben, aber unterschiedliche.
Die Versorgungsquote im ländlichen Raum könnte weiter sinken
Im ländlichen Raum könne die Versorgung durch niedergelassene Apotheken schnell durch eine Abwärtsspirale eingebrechen. Je weiter der Weg zur Apotheke, desto eher werde wahrscheinlich die Versandapotheke genutzt werden.
Gebe es dafür auch noch einen finanziellen Anreiz seitens des Versandhandels, stelle sich für den Kunden doch nur noch die Frage, ob er nun 50 Kilometer fahren soll, um teurere Medikamente zu kaufen oder die Arzneimittel per Postversand ins Haus geliefert und dafür auch noch Geld geschenkt bekommt.
Im städtischen Bereich würden die Entfernungen nicht viel größer. Die ersten, die aber trotzdem darunter leiden würden, seien die Alten und Gehbehinderten sowie die chronisch Kranken und Alleinstehenden.
Die Dortmunder Landtagsabgeordnete Claudia Middendorf (CDU) nimmt dieses Thema auf und zeigt sich als vehemente Gegnerin des Versandhandels für Medikamente: „Selbst die kleinste Pille gegen Kopfschmerzen muss meiner Meinung nach in der Apotheke gekauft werden müssen.“
Das sei die einzige Stelle, wo jemand, der den Job gelernt habe, einen Überblick über den gesamten Medikamentenkonsum erhalte. Damit könne Unverträglichkeiten vorgebeugt werden so wie Überdosierungen und Missbrauch. Und letztlich sei die Apotheke für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres sozialen Umfeldes.
Ob als erster Ansprechpartner im Notfall, als Lotse im Krankheitsfall oder schlicht als Gesprächspartner: „Ich bin froh dass wir die Apotheken und ihre wichtigen Funktionen stützen wollen und dies beim letzten Landesparteitag auch im Regierungsprogramm festgehalten haben.“
Die mögliche Folgekosten könnten die Einsparungen übersteigen
Apothekerin Janine Sänger, die vor kurzem die Hafen-Apotheke übernommen hat, weist auf ein weiteres dringendes Thema hin: Mögliche Folgekosten durch die längeren Versorgungswege und -zeiten übersteigen die Einsparungen wahrscheinlich deutlich.
Als Beispiel nennt sie Parkinson-Patienten, für die es sogar einen Unterschied mache ob sie ihre Tabletten um exakt 10 Uhr oder erst um 10.30 Uhr einnehmen. Zu späte Lieferung oder ein anderes Medikament oder gar eine nur leicht abweichende Wirkstoffkombination hätten ganz schnell eine (vielleicht sogar dauerhafte) Verschlechterung des Gesundheitszustandes zur Folge, der mit einer höheren Dosierung oder teureren Medikamentenvergabe entgegnet werden muss. Eine Neu-Einstellung verbunden mit einem längeren Krankenhausaufenthalt ist meistens die Folge. Und das sei nur ein Beispiel von vielen.
In der lebhaften Diskussion kamen weitere Stimmen zu Wort. Unter anderem wurden pro Versandhandel die Punkte Ladenöffnungszeiten, lange Wege zur Apotheke und geringere Bevorratung vor Ort genannt, die zu Zweitbesuchen oder letztlich doch Auslieferungen führen würden.
Contra Versandhandel waren verschiedene Sicherheitsbedenken im Gespräch, so der lange und unsichere Postweg des Rezepts, das größere Risiko gefälschter Artikel und der längere Versandweg. Für Spätbesteller oder Akutpatienten sei der Versandhandel einfach keine Alternative.
Ärzte befürchten Mehrkosten bei den Kassen für „verlorengegangene Rezepte“
Helmut Lehmann, Arzt und Apotheker in der Lindemann Apotheke, gab zu bedenken dass die Bonuszahlungen auch zu explodierenden Verschreibungszahlen führen könnten. Es würde nicht lange dauern bis findige Patienten die Boni als zusätzliche Einnahmequelle für sich entdeckten.
Auch das „auf dem Postweg verloren gegangene Rezept“ würde die Verschreibungszahlen erhöhen. Im besten Falle führe das nur zu deutlichen Mehrkosten bei den Kassen, im schlimmsten Fall zu Missbrauch und illegalem Zweithandel.
Fischbach prophezeit dann auch den Bonuszahlungen keine lange Lebenszeit, denn es handele sich schließlich um Beitragsgelder aus dem Sozialsystem. Die Kassen würden die Boni letztlich für sich zurück fordern. Bis dahin habe sich aber durch ein landesweites Apothekensterben die Versorgungslage verschlechtert und müsse eventuell sogar durch ein dann wieder sozial- oder steuerfinanziertes Ersatzsystem neu geschaffen werden.
Weiter berichtet die Staatssekretärin von den Verhandlungen innerhalb der großen Koalition, wie man dem Problem entgegen wirken könne. Die SPD brachte in Person von MdB Prof. Dr. Karl Lauterbach, immerhin selbst Mediziner, zwei unterschiedliche Vorschläge in die Diskussion ein.
Erhöhung des Beratungszuschlags und des Nachtzuschlags in der Diskussion
Demnach sollte es entweder eine Erhöhung des Beratungszuschlags und des Nachtzuschlags geben, um die ausfallenden Einnahmen zu kompensieren, oder eine Herausnahme der chronisch Kranken aus den Zuschlagssystem, was diese Dauerkäufer vielleicht in den niedergelassenen Apotheken halten würde.
Fischbach betont, dass der erste Vorschlag das Problem nur verstärken würde, da das Preisgefälle dadurch noch stiege, und dass der zweite Vorschlag jährlich einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag kosten würde, der dann letztlich aufs Sozialsystem umgeschlagen werden müsse.
Es gäbe wohl einen Vorschlag in der Diskussion, dem beide Fraktionen zustimmen könnten, dessen Auswirkung jedoch zu bezweifeln wäre: Ein genereller Aufschlag von einem Euro auf jedes Medikament, der aber halt auch für die Versandapotheken gilt und somit keine merkliche Änderung bringt.
Die CDU fordert – wie die Länder – ein generelles Verbot des Versandhandels
Die CDU fordert – wie die Länder – ein generelles Verbot des Versandhandels verschreibungspflichtiger Medikamente mit Ausnahmen z.B. für Gehbehinderte, Pflegepatienten und ähnliches, verbunden mit einer Ausweitung des Botendienstes der Apotheken vor Ort. Dies beträfe dann auch die deutschen Versandapotheken.
„Wir müssen eine nationale Regelung finden, die mit EU-Recht vereinbar ist. Sonst findet die EU eine“, sagt Fischbach. „Das wäre dann die erste Tür, die wir im Gesundheitswesen nach Europa öffnen. Das wird Folgen haben. Als nächstes werden Medikamentenpreise europaweit verhandelt, dann hat z.B. Malta dieselbe Stimmgewalt wie Deutschland. Da kommen noch ganz andere Probleme auf uns zu.“
Die meisten EU-Länder wollten sich unser System nicht als Beispiel vorhalten lassen müssen und es deshalb schwächen, anstatt ihr eigenes auszubauen. Aufgrund der begrenzten Anzahl von Sitzungstagen des aktuellen Bundestages und des bereits begonnenen Wahlkampfs sei in dieser Legislaturperiode nicht mehr mit einer Lösung zu rechnen.
Das Thema sei beiden Fraktionen auch zu wichtig um im Schnelldurchlauf eine nachhaltige zugunsten einer schnellen, kompromissbehafteten Lösung zu opfern, merkte Thorsten Hoffmann an. Der ganze Themenkomplex wird dann auch Teil des zukünftigen Regierungsprogramms der Bundes-CDU werden und in den nach der Wahl anstehenden Koalitionsgesprächen einen großen Stellenwert einnehmen.
„Apotheken sind eine wichtige Säule unseres Gesundheitssystems, und wo Apotheke drauf steht muss auch Apotheke drin sein“, resümiert Ingrid Fischbach. Ihre abschließende Meinung zum Versandhandel von Medikamenten: „Es ist ein Unterschied ob es um eine Waschmaschine geht oder um Ihre Gesundheit und Ihr Leben.“