Die NRW-Kommunen und die Landesregierung werden offenbar in Zeiten der Corona-Krise keine Freunde mehr. Die massive Kritik am Verwaltungshandeln bzw. der Untätigkeit des Landes ebbt nicht ab. Das Fass zum Überlaufen brachten dann die Äußerungen von Ministerpräsident Armin Laschet beim Talk mit Anne Will, wo er den Schulträgern die Schuld an den Problemen bei der Schulöffnung für Abschlussklassen gab. Städtetag und Oberbürgermeister übten daher massiv kritik – die Staatskanzlei ruderte daher zurück. Doch die Kritik hält an: „Nicht krisensicher“, „politisch fragwürdig“ und „operativ eine Zumutung“ – das sind Kommentare aus dem Städtetag zum Regierungshandeln im größten deutschen Bundesland.
Sozialdezernentin: „Das Agieren des Landes macht einen einfach nur fassungslos“
So würden einsame Entscheidungen getroffen, die nicht mit den Kommunen abgestimmt seien. Auch deren Bedenken, wie auch von Verbänden und Institutionen, würden ignoriert. Verordnungen würden zumeist Freitagabend verbreitet und träten dann zum folgenden Montag in Kraft. Kommunen hätten so kaum eine Möglichkeit, zu reagieren. ___STEADY_PAYWALL___
„Wir sind zunehmend ratlos darüber, wie das Land agiert. Wir könnten auch fassungslos sagen oder andere Attribute benutzen“, kommentiert Dortmunds OB Ullrich Sierau. Die Kritik kommt über alle Dezernate hinweg – auch über Parteigrenzen. Die Dortmunder Stadtspitze beklagt sowohl organisatorische Versäumnisse als auch, dass die Probleme der Kommunen nicht gehört würden und sie bei der Lösung im Stich gelassen würden – organisatorisch wie auch finanziell.
Ein Beispiel ist der geforderte Aufbau von Behelfskrankenhäusern. Bund und Land hätten die Kommunen aufgefordert, alles zu tun, dass genügend Betten zur Verfügung stehen, sollte die Pandemie einen drastischeren Verlauf nehmen. Dieser ist zum Glück – bisher – ausgeblieben. Doch die Kommunen haben die Vorkehrungen getroffen und sehen sich gerüstet.
„Dass wir dann aber Seitens des Landes eine Absage zur finanziellen Lastenteilung bekommen haben, kann man in Worten nicht ausdrücken. Das macht einen einfach nur fassungslos“, kritisiert Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Das Land habe das nicht bestellt, die Kommunen sollten sich kümmern und auch die Kosten tragen, sei die lapidare Antwort aus Düsseldorf gewesen. „Dass das alles zu Lasten der kommunalen Familie geht, darüber werden wir noch sprechen müssen – da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, machte Zoerner deutlich.
Kämmerer: „Wir haben nur Rhetorik kassiert, aber kein Geld. Das ist kein guter Stil“
Ähnlich lautende Kritik – aber aus finanzpolitischer Perspektive – kam von Stadtdirektor und Kämmerer Jörg Stüdemann. Denn die Kommunen rechnen mit massiven Einnahmeausfällen bei deutlich höheren Kosten. Doch finanzielle Hilfen sind derzeit wohl nicht zu erwarten – schon bei der Bewältigung der Altschuldenproblematik wie auch die Kostenübernahme beim Thema Flüchtlingsunterbringung hatten die Kommunen vergeblich auf das Land gehofft. Selbst Hilfen des Bundes blieben wegen der Untätigkeit des Landes bisher ungenutzt.
Nun kommen noch die Kosten und Einnahmeausfälle der Corona-Krise auf die Kommunen zu. Der Vorschlag des Landes: Die Kommunen können einen sogenannten „Coronaschaden-Sonderposten“ neben dem normalen Haushalt zusammen fassen, der parallel zur regulären Haushaltsführung läuft. Doch übernommen werden die Kosten nicht. Die Kommunen müssten die Kosten dennoch über 50 Jahre mit Zins und Tilgung abbezahlen, skizziert Stüdemann.
„Was coronabedingte Schäden sind, was genau zu erfassen ist und wie Plan-Ist-Ansätze geführt werden sollen, ist derzeit leider noch nicht annähernd klar“, macht der Kämmerer deutlich. „Wie bei den Altschulden und der Flüchtlingsfinanzierung ist das keine gute politische Heldentat, nur papierene Bewältigung zu machen, obwohl die Probleme in der Niedrigzinsphase gut zu lösen wären.“ Andere Länder haben – anders als NRW – reagiert, und ihre Städte bei den Altschulden entlastet.
Das NRW nicht reagiert habe, sei jetzt bitter: „Wir haben wieder eine neue Problemlage, die die Kommunen über die Jahre abtragen müssen. Wie bei Flüchtlingen haben wir nur Rhetorik kassiert, aber kein Geld. Das ist kein guter Stil. Das Land muss Kommunen handlungsfähig halten“, fordert Stüdemann.
Wirtschaftförderer: „Wir brauchen mehr direkte Soforthilfen“
Wenig Bewegung auch bei den wirtschaftlichen Hilfen für Freiberufler*innen und Unternehmen. „Wir müssen über weitere Soforthilfen reden“ ,machte Wirtschaftsförderer Thomas Westphal deutlich. Der Ansatz, den Mehrwertsteuersatz bei Speisen auf sieben Prozent zu reduzieren, helfe kaum weiter. Zum einen seien Getränkeanbieter ausgeschlossen, zum anderen helfe das Unternehmen nicht, wenn sie keine Umsätze machten. „Diese Maßnahme ist daher nicht so auf sehr freundlichen Boden gefallen“, sagt er sehr zurückhaltend – auch mit Blick auf die Aktion „Gastro-Stillsterben“ in Dortmund in der vergangenen Woche.
Der zweite Vorschlag sei hingegen etwas untergegangen, der den Unternehmen aber mehr Liquidität bescheren könnte: Das Stichwort lautet „Verlustrücktrag“. Unternehmen können die erwarteten Verluste aus diesem Jahr schätzen und auf die steuerliche Veranlagung für 2019 zurücktragen und so ihre Steuerschuld mindern. Sie müssten dann weniger Steuern für das Vorjahr zahlen. „Damit habe ich Liquidität gewonnen. Mal sehen, wie die Antragszahlen sind“, so der Wirtschaftsförderer.
Doch auch das helfe nicht kurzfristig: „Aus meiner Sicht wäre ein direkter Zuschuss gemessen am Umsatzausfall viel besser und schneller“, so Westphal. Auch hier sei man mit dem Land im Gespräch. Doch er könne nicht erkennen, dass das bisherige Maßnahmenpaket erweitert würde.
Gut hingegen liefen die Online-Plattformen an, die man geschaffen habe. Bei „Wir stehen hinter dir“ seien schon über 400.000 Euro an Spenden gesammelt worden, u.a. durch die Stadtgesellschaft, aber auch durch große Zusagen durch Marco Reus, die Sparkasse und den BVB. Über 100 Unternehmen seien registriert – 200 weitere hätten Interesse bekundet.
„Wir öffnen das jetzt auch für Kunst- und Kulturschaffende sowie für Spenden für gemeinnützige Zwecke, damit man dafür eine steuerfähige Bescheinigung bekommt“, kündigte Westphal an. „Das wäre dann auch für Sportvereine gut.“ Diese Plattform sei nichts Kurzfristiges, sondern solle auch langfristig die Stadtgesellschaft zusammenbringen, so der Wirtschaftsförderer.
Lage an Schulen bisher friedlich – Stadt als Schulträger weist „Schwarzen Peter“ zurück
Einziger Lichtblick: Die Lage an den Dortmunder Schulen ist friedlich. „Der Übergang in die Teilöffnung lief in den allermeisten Fällen reibungslos. Nur an einzelnen Stellen gab es Rückfragen, die inzwischen abgearbeitet wurden“ berichtet Schuldezernentoin Daniela Schneckenburger. In diesem Bereich hatte es in Sachen Kommunikation besonders geknirscht – die Kritik erneuerte die Dezernentin.
Sie weist die Kritik an den Schulträgern von Armin Laschet zurück: „Die Äußerungen des Ministerpräsidenten sind unverständlich und ich habe auch kein Verständnis bei den Schulen gehört. Wir sollen für Friktionen verantwortlich sein, die woanders entstanden sind“, macht sie deutlich.
Die Kommunikation sei desolat, auch Ablauf und Zeitpunkt von Verordnungen. So seien die Verordnungen häufig erst Freitagnacht ergangen, so auch in Sachen Kinderbetreuung. So seien die Notbetreuung für Kitas jetzt auch für Kinder von Alleinerziehenden sowie von Kindern in schwierigen Lebenslagen geöffnet worden. Die Formulare wurden am Wochenende geliefert – sie werden als Nachweis für den Anspruch als Notbetreuung benötigt. Doch bearbeiten kann diese am Wochenende bei der Stadt niemand, so dass sie den Eltern am Montagmorgen fehlten.
Die Zahlen haben sich seit Beginn der Corona-Krise verdoppelt. Allein in den städtischen Kitas (FABIDO) sind mittlerweile rund 800 der 8200 Kinder in der Notbetreuung. Von den freien Trägern liegen noch keine neuen Zahlen vor. In den Grundschulen werden derzeit mehr als 1000 Kinder betreut – ebenfalls mindestens eine Verdoppelung. Gegen die Ausweitung hat Schneckenburger nichts. Kritik gibt es auch hier nur am Verfahren: „Es war nicht verständlich und nicht abgestimmt“, so Schneckenburger.
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Sabine Poschmann (SPD-MdB) fordert Unterstützung für Schausteller*innen: Branche steht in der Corona-Krise vor großen Problemen (Pressemitteilung)
Sabine Poschmann (SPD-MdB) fordert Unterstützung für Schausteller*innen:
Die Branche steht in der Corona-Krise vor besonders großen Problemen
„Die Schausteller sind von der aktuellen Situation besonders betroffen, denn bereits Anfang des Jahres mussten auch in Dortmund Feste wie die Osterkirmes aufgrund der Corona-Krise vorsorglich abgesagt werden“, erklärt die Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann. Die Dortmunderin fordert: „Für mich steht fest, dass wir weitere Hilfen für diese Branche brauchen.“
Patrick Arens, Vorsitzender des Dortmunder Schaustellervereins Rote Erde und zugleich des Schausteller-Bundesverbandes, untermauert diese Forderung: „Bis zunächst Ende August sind Veranstaltungen nicht möglich und es ist nicht absehbar, ob in diesem Jahr überhaupt noch ein Betrieb stattfinden kann. Der Super-GAU wäre für uns die Absage des Weihnachtsmarktes. Wir sind daher dringend auf Unterstützung angewiesen und dankbar für die Rückendeckung.“
Die Abgeordnete Poschmann setzt sich auf Bundesebene für die Belange der Schausteller ein: „Ohne Unterstützung steht die Branche, die faktisch über Monate keine Einnahmen hat, vor dem Ruin. Das dürfen wir nicht zulassen!“ Bundesweit seien etwa 50.000 Arbeitsplätze betroffen, allein in Dortmund ca. 650. Dazu kämen noch Saisonarbeitskräfte.
Die Schaustellerbranche stehe mit ihren Festen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Bei ihnen trifft sich die gesamte Stadtgesellschaft, ob in der Innenstadt oder in den Vororten.“ Zudem stärke sie die Attraktivität der Stadt, denn gerade Dortmund werde touristisch aufgrund des Weihnachtsmarktes stark nachgefragt.
Resolution der Grünen-Fraktion zur Hilfe für Kommunen bei Corona-Folgekosten
Resolution der Grünen-Fraktion zur Hilfe für Kommunen bei Corona-Folgekosten
Angesichts der steigenden Belastungen für den städtischen Haushalt durch die Corona-Pandemie bringt die Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN eine Resolution zum kommunalen Rettungsschirm zur Rats-/ Hauptausschusssitzung am 14. Mai ein.
Die Corona-Krise trifft alle gesellschaftlichen Bereiche. Auch die Städte und Gemeinden haben mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen und benötigen daher finanzielle Hilfen, um die kommunale Handlungsfähigkeit weiter garantieren zu können.
Die zu erwartenden Steuereinnahmeeinbrüche, die zusätzlichen Ausgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Coronavirus sowie die immer noch nicht gelöste Altschuldenproblematik setzen die Städte und Gemeinden unter Druck und verursachen massive Belastungen in den Kommunalhaushalten.
Die Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN bittet den Rat deshalb um Beratung und Beschlussfassung der folgenden Resolution:
Der Rat der Stadt Dortmund begrüßt die Absicht der Landesregierung NRW die durch die COVID-19-Pandemie entstandenen Mehrbelastungen in den Kommunen zu isolieren.
Der Rat stellt fest, dass die im 2. Nachtragshaushalt beschlossenen Kreditbürgschaften das Problem der Kommunen nicht lösen. Der Rat fordert deshalb die Verwaltung auf, zur Abfederung der so ermittelten Zusatzbelastungen direkte Finanzhilfen bei der Landesregierung einzufordern.
Der Rat stellt fest, dass nur durch die Isolierung der pandemiebedingten Schäden und der Übernahme dieser Lasten durch Land und Bund der Haushalt der Stadt Dortmund langfristig weiter stabilisiert werden kann.
Der Rat stellt fest, dass weiterhin einige städtische Unternehmen von den auf Bundesebene zur Verfügung gestellten Mitteln zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise ausgenommen sind. Dabei sind gerade Kultureinrichtungen, Messen oder Freizeit- und Sporteinrichtungen von den Einschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen. Der Rat fordert das Land deshalb auf, diese ebenfalls in das vom Land eingerichtete Sonderprogramm aufzunehmen.
Der Rat der Stadt Dortmund erwartet die vollständige Übernahme der Kosten der Elternbeiträge bei Kindertageseinrichtungen und Ganztagsbetreuung an Schulen während der angeordneten (Teil-) Schließung durch das Land.
Aktuell laufende kommunale Investitionsprogramme (Kommunalinvestitionsfördergesetz, Gute Schule 2020) werden verlängert, da sich viele Maßnahmenumsetzungen aufgrund der Corona-Krise verzögern werden.
Die Kommunen müssen jetzt umgehend die ihnen für ihre Integrationsleistungen zustehende Erhöhung der Pro-Kopf-Pauschale für Asylsuchende nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz erhalten. Darüber hinaus ist unverzüglich eine Regelung zur vollständigen landesseitigen Finanzierung der sogenannten Geduldeten herbeizuführen, um die Kommunen zu entlasten.
Der Rat stellt fest, dass die Lösung der Altschuldenproblematik angesichts der Corona-Krise dringender denn je geworden ist. Der Rat fordert die Landesregierung deshalb auf, die Bemühungen zur Einführung eines Altschuldenfonds deutlich zu verstärken.
Begründung:
Städte und Gemeinden brauchen in Zusammenhang mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zusätzliche Leistungen des Landes, um die kommunale Handlungsfähigkeit und Daseinsvorsorge weiter garantieren zu können. Allein die Erleichterung bei der Kreditaufnahme hilft den Städten nur kurzfristig weiter. Langfristig wächst der Schuldenberg. Bei dem weiterhin ungelösten Altschuldenproblem verschärft sich damit langfristig die Haushaltslage. Alle Städte, auch Dortmund, werden in Folge der Corona-Krise hohe Einnahmeausfälle im Bereich der Gewerbesteuer und den Einnahmen aus dem kommunalen Anteil an Einkommens- und Umsatzsteuern haben, die sie nicht aufholen können. Gleichzeitig werden perspektivisch durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit die Kosten der Unterkunft für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II steigen. Hier müssen Land und Bund einschreiten und die Belastungen im Rahmen einer Soforthilfe ausgleichen, um die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu erhalten.
Zum Hintergrund der Resolution ein Zitat von Ingrid Reuter und Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher*innen von Bündnis 90/Die GRÜNEN:
„Bund und Länder müssen jetzt die Kommunen bei der kommunalen Daseinsvorsorge finanziell stärker als bisher unterstützen, um die Handlungsfähigkeit zu erhalten. Alle Städte, auch Dortmund, werden infolge der Corona-Krise hohe Einnahmeausfälle im Bereich der Gewerbesteuer und der Einnahmen aus dem kommunalen Anteil an Einkommens- und Umsatzsteuern haben, die sie nicht ausgleichen können. Gleichzeitig werden perspektivisch durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit die Kosten der Unterkunft für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II steigen.
Deshalb soll der Rat der Stadt Dortmund gemeinsam mit den Mitgliedskommunen des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ klare und konkrete Hilfen von Land und Bund fordern. Dazu gehören unverzüglich Entscheidungen zum Abbau der kommunalen Altschulden sowie die weitere Entlastung der Kommunen im Sozialbereich und – entsprechend dem Rettungsschirm für die Wirtschaft – ein kommunaler Corona-Rettungsschirm. Allein die bisher beschlossene Erleichterung bei der Kreditaufnahme hilft den Städten nur kurzfristig weiter. Langfristig wächst so der Schuldenberg und führt zusammen mit den schon erdrückenden Altschulden zu einer dauerhaft verschärften Haushaltslage in den Kommunen.“