Ein würdevolles und lebendiges Gedenken zur Pogromnacht am 9. November 2021 gab es an verschiedenen Orten. Die größten Veranstaltungen fanden auf dem Platz der Alten Synagoge in der City sowie am Mahnmal in Dorstfeld statt. Mit Rede- und Kulturbeiträgen wurde dort den Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen gedacht und ein Zeichen gegen aktuellen Antisemitismus gesetzt.
Die nationalsozialistischen ‚Novemberpogrome‘ jähren sich zum 83. Mal
In diesem Jahr jähren sich die nationalsozialistischen ‚Novemberpogrome‘ zum 83. Mal. Am 9. November 1938 kam es im ganzen Land zu organisierten antisemitischen Angriffen: Synagogen wurden in Brand gesetzt, jüdische Einrichtungen, Wohnungen und Geschäfte wurden zerstört und geplündert. Auch in Dortmund brannten Synagogen. Die Pogrome markierten einen gewalttätigen Übergang zu der systematischen Verfolgung von jüdischen Menschen in Deutschland, die in der Shoah mündete.
Wie in jedem Jahr fand daher in Dorstfeld eine Gedenkveranstaltung am jüdischen Mahnmal statt. Es war der erste größere öffentliche Auftritt des neuen Rabbiners Shlomo Zelig Avrasin, der allerdings in Dorstfeld nicht sprach. Er gestaltete „nur“ mit dem Kantor der jüdischen Gemeinde Ariel Mozes das Totengebet. Das Wort überließ er – auch wegen seiner noch schwachen Deutschkenntnisse – Adrian Ben-Shlomo. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Dortmund.
An der Gedenkfeier, zu der sich eine dreistellige Zahl von Menschen versammelt hatte, richteten zudem der 1. Bürgermeister Norbert Schilff sowie Friedrich Fuß, Bezirksbürgermeister Innenstadt-West, Worte an die Teilnehmenden. Schüler:innen der Courage-AG des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums beteiligten sich mit eigenen Texten zu Erinnerungsarbeit und Antisemitismus (Anm. d.Red.: Ihren Text veröffentlichen wir am Ende im Wortlaut.)
Musikalisch begleitet wurde das Gedenken durch die Musikschule Dortmund. Organisiert wurde die Gedenkveranstaltung durch das Projekt Quartiersdemokraten. Veranstalter ist der Verein zur Förderung von Respekt, Toleranz und Verständigung in Dortmund-Dorstfeld e.V..
Mahnung: Vielfalt, Toleranz und Demokratie sind nicht selbstverständlich
Dortmunds 1. Bürgermeister Norbert Schilff (SPD) freute sich, dass nun wieder ein Gedenken im größeren Rahmen möglich war. Er erinnerte daran, dass deutschland- und dortmundweit jüdische Einrichtungen angegriffen, Synagogen in Brand gesetzt sowie Wohnungen und Geschäfte geplündert und verwüstet wurden. Auch die Dorstfelder Synagoge, an deren ehemaligem Standort die Gedenkfeier stattfand, wurde damals massiv beschädigt und später abgerissen.
Es sei der erste systematische und organisierte Gewaltausbruch gegen Menschen jüdischen Glaubens gewesen. Diese und andere Ereignisse der Nazidiktatur hätten in Dortmund Spuren hinterlassen. „Allein in Dortmund wurden von den 4500 Menschen jüdischen Glaubens 2000 ermordet“, erinnerte Schilff an das systematische Morden der Nazis, welches letztendlich mehr als sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens das Leben kostete.
Heute feiere man 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Dabei gehe es darum, Einblicke in den Alltag jüdischer Mitmenschen und Kenntnisse zu jüdischer Geschichte zu geben. „Aufklärung ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Bestandteil, um Ängste vor dem Unbekannten abzubauen. Auf diese Weise setzt man auch ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus“, so Schilff.
„Die Geschichte und die jüngste Vergangenheit lehren uns, dass Vielfalt, Toleranz und Demokratie nicht selbstverständlich sind – sie sind immer Angriffen ausgesetzt. Wir alle sind gefordert, uns zu wehren und gemeinsam eine vielfältige Gesellschaft zu erhalten und auszubauen“, so der Dortmunder Bürgermeister. „Dortmund ist eine bunte, weltoffene Stadt und muss es auch bleiben. Lassen Sie uns gemeinsam dafür einstehen“, appellierte der SPD-Politiker in Dorstfeld.
„Wir dürfen nicht wegsehen, wenn vor unseren Augen Unrecht geschieht.“
Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß (Grüne) bezeichnete den 9. November als „eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte“: „Auch in Dortmund und auch hier in Dorstfeld mussten Bewohnerinnen und Bewohner unserer Stadt dieses schlimme Unrecht, diese unvorstellbaren Verbrechen über sich ergehen lassen. Dabei waren es keine namenlosen Gesichter, keine unbekannten Personen, die solches Leid erlitten haben.“
Es seien Nachbarn, Freunde, Arbeitskolleg:innen, Vereinskameraden und Mitschüler:innen gewesen, die das nationalsozialistische Unrechtsregime – getragen von einer mitmachenden Bevölkerung – systematisch und erbarmungslos verfolgt habe. „Ihrer wollen wir heute gedenken, deswegen stehen wir hier. Gemeinsam sind wir hierher gekommen, um ein Zeichen der Erinnerung zu setzen“, so Fuß. „Die Reichspogromnacht, die die Nazis verharmlosend Reichskristallnacht nannten, war eine Nacht des Schreckens. Die Pogrome waren der Auftakt zu einer ganz neuen Stufe der Eskalation und Verfolgung von Menschen aller Altersstufen.“
Diese systematische Verfolgung und Ermordung einer ganzen Gemeinschaft dürfe sich niemals wiederholen – weder in Deutschland noch sonstwo auf der Welt. „Niemals wieder dürfen wir zulassen, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens, ihrer Nationalität, ihrer Herkunft oder politischen Überzeugung verfolgt oder diskriminiert werden“, so der Bezirksbürgermeister. „Wir dürfen nicht wegsehen, wenn vor unseren Augen Unrecht geschieht. Die Wirklichkeit in Deutschland lehrt uns, die Gefahren zu erkennen. Das gilt besonders gegenüber unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.“
Die Bekämpfung des Antisemitismus ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft
Fuß bediente sich der Worte des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder: „Dass es Antisemitismus noch gibt, das ist nicht zu leugnen. Ihn zu bekämpfen ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft“, sagte dieser 2005 anlässlich der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Dies gelte heute immer noch: „Es liegt an uns, durch Erinnerung einerseits und mutiges Handeln andererseits dafür Sorge zu tragen, dass dem Antisemitismus in unserer Gesellschaft der Boden entzogen wird. Es liegt an uns, für die Prinzipien der Demokratie, für Toleranz und Akzeptanz, Menschenwürde und Gerechtigkeit Tag für Tag einzutreten“, appellierte der Grünen-Politiker.
„Es liegt an uns, aktiv gegen den Hass und die Gewalt vorzugehen, wir alle sind verantwortlich für die Verteidigung unserer Demokratie. Tag für Tag. Und weil wir hier alle gefordert sind – Jung und Alt – freue ich mich besonders darüber, dass sich auch in diesem Jahr wieder Schulen an dieser Gedenkstunde beteiligen.“
Der Bezirksbürgermeister dankte den vier Schüler*innen der Martin-Luther-King-Gesamtschule, die sich in den Sommerferien zusammengesetzt und ein Mahnmal für die jüdischen Frauen entwickelt haben, die in der Außenstelle des KZ Buchenwald hier in Dortmund zwangsarbeiten mussten. „Sie haben dafür in der letzten Woche den Heinrich-Schmitz-Preis erhalten. Es ist gut und wichtig, dass Sie sich einbringen. Ich danke Ihnen und den beteiligten Lehrkräften sehr herzlich für dieses Engagement.“
Die Dortmunder:innen könnten stolz darauf sein, welch respektvoller und von gegenseitiger Achtung getragener Umgang zwischen den Religionsgemeinschaften in unserer Stadt herrsche: „Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors von 1933 bis 1945 mahnen uns, unsere demokratischen Überzeugungen mit Leben zu füllen. Sie mahnen uns, Frieden und Freiheit als eine dauerhafte Aufgabe anzusehen, die uns verbindet“, so Fuß.
„Ihr müsst vorsichtig sein, dass es nicht wieder geschieht!”
Daran knüpfte Adrian Ben-Shlomo, stellvertretender Vorsitzender der Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde Dortmund an. „Antisemitismus ist kein Phänomen, das in dieser NS-Zeit entstanden ist. Es gab ihn schon immer und gibt ihn auch heute, alte Stereotype werden neu aufgelegt und ich befürchte es wird ihn auch immer geben. Mal religiös motiviert, mal getarnt als sogenannte Israelkritik und manchmal ganz offen und unverblümt“, machte er deutlich.
Margot Friedländer, eine der wenigen verbliebenen Shoa-überlebenden, hat vor wenigen Tagen ihren 100. Geburtstag gefeiert und sagt: „Ihr müsst vorsichtig sein, dass es nicht wieder geschieht!” Eine Sorge, die viele Menschen jüdischen Glaubens umtreibt.
„Waren und sind wir Juden etwas ,Fremdes’? Wann ist man angekommen in Deutschland? Wann ist man vollständig integriert? Nach zwei oder drei Generationen? Nach 1700 Jahren scheinbar noch immer nicht. Solange gibt es Juden im Gebiet des heutigen Deutschlands, damals gab es noch kaum Christen hier und auch kein Deutschland“, so Ben-Shlomo.
Heute würden Stolpersteine als Erinnerung an Nachbar:innen, die deportiert, vertrieben und ermordet wurden, beschmiert. Männer mit Kippot, als Juden also öffentlich erkennbar, würden bespuckt und geschlagen. „Ich werde gefragt, wie wir es unseren Kindern erklären, dass jüdische Einrichtungen u.a. von der Polizei geschützt werden müssen. Aber meine Antwort ist beschämend und macht mich traurig: Sie fragen gar nicht, weil Sie es anders gar nicht kennen“, verweist der Vorstand der jüdischen Gemeinde auf die traurige Realität.
Kein Patentrezept, aber viele Möglichkeiten im Kampf gegen Antisemitismus
Verbale und körperliche Angriffe auf Juden und Jüdinnen gehörten zum Alltag vieler: „Wir lassen uns jedoch nicht einschüchtern, wir werden hier bleiben und den Feinden der Demokratie die Stirn bieten“, betont Adrian Ben-Shlomo.
Gegen Antisemitismus gebe es zwar kein Patentrezept, aber dennoch gebe es viele Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden. „Ein wichtiger Punkt im Kampf gegen den Antisemitismus ist zum Beispiel Bildungsarbeit, die über Antisemitismus aufklärt und für die vielen Facetten sensibilisiert“, so Ben-Schlomo. „Auch Begegnungen mit Juden und Jüdinnen können dabei helfen, Vorurteile abzubauen“, verweist er beispielhaft auf Projekte wie ADIRA oder „Meet a Jew“.
„In jedem Umfeld, egal ob rechts, links, mitte, muslimisch, christlich oder sekulär, gibt es Antisemitismus, also auch in Ihrem und meinem erweiterten Umfeld! Und wir gemeinsam tragen die Verantwortung dafür, dem Antisemitismus und Rassismus jeder Art entgegen zu wirken und ihn zu bekämpfen. Wir müssen sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert und dass jüdisches Leben weiterhin gestärkt wird und blühen kann“, fordert Adrian Ben-Shlomo. „In Gedenken an die Vergangenheit, mit Blick in die Zukunft, werden Sie heute aktiv für unsere demokratische Gesellschaft! Am Israel Chai – Das Volk Israel lebt!“
„Antisemitismus sollte uns jeden Tag beschäftigen, nicht nur an Gedenktagen“
Am frühen Abend des 9. Novembers fand im Opernhaus bzw. auf dem Platz der Alten Synagoge die Gedenkfeier der Stadt Dortmund statt. „Wir alle wissen was am 9. November 1938 in diesem Land und auch in dieser Stadt geschah. Und es ist völlig richtig, dass der 9. November ein wichtiger Tag des Gedenkens und ein Tag der Erinnerung ist”, betonte Thomas Westphal, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund.
Er erinnerte an die Familie von Viktor Schanzer, dem Begründer des Dortmunder Tageblatts. Sie war eine von vielen jüdischen Familien, die in der Nazizeit verfolgt, bedroht, deportiert und ermordet wurden. An sie wird in der Prinzenstraße 9-11 erinnert. „Deshalb eine Bitte an Sie: Wann immer Sie durch die Prinzenstraße gehen, erinnern Sie sich, was damals geschah“, so Westphal.
„Nur wenn wir es so persönlich verstehen, wenn wir verstehen, wie das Schicksal einer ganzen Familie, die hier in der Mitte der Gesellschaft lebte und ein Teil dieser Gesellschaft war, von eben auf jetzt durch Mörderhand sozusagen ausgelöscht wurde, nur dann können wir weiter dauerhaft verstehen gegen was wir hier eigentlich einstehen und für was wir kämpfen. Und deshalb freue ich mich, dass wir jedes Jahr die Stolpersteine in dieser Stadt pflegen, sauber machen und darauf hinweisen”, so der OB.
Daher sei der 9. November „nicht nur ein Kalendertag, an dem wir uns an das erinnern wollen”. Zumal das Erinnern alleine nicht reiche: „Das mag bitter klingen aber es ist so“, macht OB Westphal deutlich. Denn Antisemitismus gebe es heute wie auch damals, wenngleich dieser sich anders zeige. Doch eins ist ihm gemein: „Antisemitismus ist Hass gegen Juden“. Und daher sei es wichtig, nicht nur an Jahres- und Gedenktagen Antisemitismus zu bedenken. Es ist jeden Tag ein Thema, zu dem wir stehen müssen und an dem wir arbeiten müssen“, so Westphal.
„Der Judenhass ist nicht allein ein jüdisches Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches“
Daran knüpfte auch Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe und Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund, an: „Wer hätte je gedacht, dass nach der Shoa der Antisemitismus in Deutschland in dieser Form wieder auftritt? Manche von uns fürchten um ihre Zukunft in diesem Land. Die ständigen antisemitischen Vorfälle beschäftigen vor allem jüngere Menschen, die eine Familie gründen oder sich eine Existenz aufbauen möchten.“
Das müsse die gesamte Gesellschaft bewegen: „Der Judenhass ist nicht allein ein jüdisches Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Judenhass bedroht unsere offene Gesellschaft und unser friedliches Zusammenleben und damit wesentliche Elemente unserer Demokratie“, so Rappoport.
„Der zeitliche Abstand zu Shoa wächst. Und es gibt Menschen, die nichts mehr hören wollen über die Shoa, die einen Schlussstrich ziehen wollen unter dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“, ergänzte die Sprecherin von #WeRemember des World Jewish Congress.
„Wir erleben heute Versuche, den Holocaust zu relativieren, sei es in den sozialen Medien oder auch durch Coronaleugner auf den Demonstrationen. Wir erkennen heute wieder Versuche die Singularität der Shoa in Frage zu stellen, und damit auch den Zivilisationsbruch, der von ihr ausging.“
„Es geht nicht nur darum, an die Geschehnisse zu erinnern und der sechs Millionen Jüdinnen und Juden zu erinnern, die während der Shoa ermordet wurden – unter ihnen meine Urgroßeltern. Es geht heute auch darum, die Lehren aus dieser Zeit zu ziehen“, mahnte sie die Anwesenden im Opernhaus.
„Antisemitismus im Wandel der Zeit“
Carolin, Meryem, Zeynep und Calvin von der Courage-AG des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums in Dorstfeld haben ihre Gedanken zum Gedenken an Pogromnacht und Holocaust – gestern, heute, morgen – entwickelt und vor dem zahlreichen Teilnehmenden der Gedenkfeier vorgestellt. Wir geben diese im Wortlaut wieder.
//////// Calvin //////// Vergangenheit ////////
Wir schreiben das Jahr 1933, eine rechtsradikale Partei, deren Namen keiner Erwähnung bedarf, ist an die Macht gekommen. Sie und ihre Sympathisanten standen früher und stehen auch heute noch für einen radikalen Nationalismus, welcher Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus sowie weitere Formen der Ausgrenzung und der Diskriminierung enthielt.
Innert ihrer Regierungsjahre werden Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, müssen ihr Hab und Gut zurücklassen und können sich glücklich schätzen, wenn sie nicht der immer stärker werdenden Gewalt der Nazis zum Opfer fallen…
Nun befinden wir uns im November des Jahres 1938: Fenster zerklirren, Geschäfte werden geraubt, Existenzen zerstört, verschleppt, Menschen werden zur Auswanderung gezwungen – und vor allem: Menschen sterben, Alte und Junge, und dies alles in Deutschland und Österreich – und in Dortmund…
Und heute gibt es einen erneuten Aufstieg der rechtsextremen und -radikalen, nazistischen Szene.
//////// Zeynep //////// Gegenwart ////////
2021. Eine moderne Welt,. Das ist sie doch, oder? Eine friedliche Welt. Das ist sie doch, oder? Eine gerechte Welt. Das ist sie doch, oder?
Fairness, was ist das? Haben wir das? Brauchen wir das? Wollen wir das? Können wir das? Eine Vergangenheit voll Schmerz und Leid. Und Mord und Trauer. Eine bessere Gegenwart? Immer wieder sagt man uns, Wir leben in einer guten Welt. In einer geheilten Welt.
Und trotzdem: Trotzdem im Oktober. Und September. Und im Juni. Und im Mai. Und auch davor / unzählige Male. Und auch danach noch / unzählige Male.
Eine bessere Gegenwart? Immer wieder sagt man uns. Wir leben in einer guten Welt. In einer geheilten Welt
Der Hass ist so tief in uns verankert. Der Hass kommt so häufig zum Vorschein. Und trotzdem reden wir uns ein. Wir hätten es geschaft. Und trotzdem reden wir uns ein. Wir seien frei von Hass.
//////// Carolin //////// Distopie ////////
9. November im Jahre 2038: Der Rabbi schließt zum letzten Mal die Tür der letzten Synagoge in Deutschland zu. Er schaut mehrmals nach links und rechts, zieht seine Kapuze tief ins Gesicht und verschwindet schnell in der Dunkelheit. Kurz danach kommen auch schon die ersten Menschen und treten gegen die Tür. Menschen, denen man so etwas nicht zutrauen würde. Menschen, die aus der Mitte der Gesellschaft stammen. Sie rufen und brüllen. Als die Tür zersplittert, stürmen sie hinein. Alles wird umgeworfen. Alles wird zerstört.
Der Rabbi tritt aus der Dunkelheit hervor und beobachtet das Geschehen. Als er den Anblick nicht mehr erträgt, nimmt er seine Tasche und flüchtet. Er läuft und läuft. Am Bahnhof nimmt er einen Zug. Aus Deutschland raus. Ein letzter Blick zurück. Die Erkenntnis, dass das hier kein Ort zum Leben mehr ist. Schon vor Wochen, als die ersten Synagogen schließen mussten, hatte er das geplant. Er hatte Widerstand geleistet bis zum Schluss.
Wochen zuvor: Briefe werden rausgeschickt. Drohbriefe. An die Rabbis. „Sie sollen verschwinden. Verschwinden, sonst werden wir sie finden. Finden und töten.“ So heißt es in den Briefen. Doch heute, heute musste auch er fliehen. Er kommt bei einer befreundeten Familie unter. Er wechselt seine Identität. Er versteckt sich.
//////// Meryem //////// Utopie ////////
Antisemitismus – ein Wort, das an die Vergangenheit gebunden ist und dessen Auswirkungen und Ausübungen in der Zukunft kein Leid und kein Menschenleben kosten. Auf die Straße gehen mit einer Kippa, ohne angestarrt oder gar beleidigt zu werden. Einen Davidstern tragen, ohne ihn und so auch sich selbst verstecken zu müssen.
In den Schulen und jeglichen Bildungseinrichtungen kennen die meisten das Judentum und seine dazugehörenden Feierlichkeiten, sodass Vorurteile, Missverständnisse und Unwissenheit keinen Hass, Befremdlichkeit und Abneigung auslösen und der Antisemitismus entfacht.
In ferner Zukunft bedarf es auf Gedenkveranstaltungen keiner dringenden Appelle mehr, sondern nur dem Gedenken und dem Nichtvergessen, da die Botschaft klar ist und der sehnliche Wunsch nach Frieden, Toleranz, Akzeptanz und Gleichberechtigung der Religionen in Erfüllung gegangen ist: dafür legen wir heute einen relevanten und unentbehrlichen Grundbaustein, um der Nachwelt eine Zukunft ohne Hassparolen, Anschläge und Anfeindungen zu ermöglichen – eine Zukunft ohne Antisemitismus.
Reader Comments
Mahnendes Gedenken an die Reichs-Pogromnacht im Westpark (PM)
Wie auch schon in den vergangenen Jahren ruft die Stadtteilgruppe West der DKP Dortmund aus Anlass des Jahrestages der Reichs-Pogromnacht am 9. November 1938 zu einer Stunde des mahnenden Gedenkens am Mahnmal für den zerstörten jüdischen Friedhof im Westpark auf.
Erwartet wird dazu auch der Initiator des Mahnmals, Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß. Im Anschluss an die Gedenkstunde wird ein Gang zu den in der näheren Umgebung befindlichen Stolpersteinen unternommen, die dann gereinigt werden sollen.
Wann und wo?
Am Samstag, den 13. November 2021 um 14 Uhr am jüdischen Mahnmal im Westpark
(nordöstlicher Eingang an der Langen Straße)