„Das ist kein Hobby – das ist Leidenschaft“ sagt Tugce. Die 16-Jährige ist stellvertretende Mannschaftsführern der Kickerinnen von Asteria. Ihre Eltern stehen am Spielfeldrand des Hoeschparks und feuern sie und ihre Mitspielerinnen an. Keine Selbstverständlichkeit: Denn ihre eigene Mutter wollte jahrelang nicht, dass ihre Tochter Fußball spielt.
Muslimische Eltern haben häufig Vorbehalte gegen Mädchenfußball
Kein Einzelfall: Viele Eltern – gerade von muslimischen Mädchen – haben Vorbehalte. Der von der Stadtteilschule ins Leben gerufene Sportclub (SC) STS Asteria Dortmund hat es geschafft, zumindest viele Vorbehalte abzubauen.
Aus Deutschland, Marokko, Gambia, Tunesien, Ghana, Spanien, Albanien, Nigeria, Sri Lanka, Bangladesh und natürlich der Türkei stammen die Spielerinnen. 20 Mädchen gibt es in der B- und C-Jugend. Doch nicht immer schaffen sie es, genügend Mädchen auf den Platz zu bringen. Denn familiäre Verpflichtungen gehen vor. Daher musste das Team beispielsweise gegen Alemannia Scharnhorst sogar in Unterzahl antreten. Die Mädchen haben sich durchgebissen und 1:0 gewonnen. Teamgeist und Kampfeswille zeichnen sie aus.
Fußball ist bei den Karas Familiensache
„Wir wollen zeigen, dass Mädchen auch Fußball spielen können und nicht nur zu Hause bleiben müssen“, betont Asma (14). Tugce musste das. Ihre beiden Brüder durften im Verein spielen – sie nicht. „Ich habe es nicht akzeptiert, dass sie spielen wollte“,erklärt ihre Mutter Hüliya Asir. „Sie wollte schon als Kind, aber es gab keinen vernünftigen Verein.“ Erst ein Flyer der Stadtteilschule ließ die Mutter umdenken. „Sie wollte ja unbedingt und sie spielen ja nicht weit weg.“
Großer Bruder als Co-Trainer – kleiner Bruder als Kritiker
Ihr Vater Kara freut sich, dass nun alle Kinder Fußball spielen. „Tugce hat die meisten Tore geschossen. Jetzt bin ich froh, dass sie spielt“, sagt selbst ihre Mama. Sie feuert ihre Tochter an. Tugces älterer Bruder Kemal (20) ist mittlerweile sogar Co-Trainer bei Asteria, weil er es durch seine Ausbildung zeitlich nicht mehr schafft, selbst für Merkur zu spielen.
Dort kickt noch der jüngste Sohn Mehmet (11). Doch anfeuern tut er seine Schwester nicht. Er mäkelt am Passspiel und der Abstimmung. Dann wendet er seinen Blick ab, kickt lustlos Steine durch den Hoeschpark und würde lieber selbst spielen. „Er sagt, dass Mädchen nicht Fußball spielen können“, stöhnt Tugce und winkt ab. „Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass ich besser als meine Schwester spiele“, rechtfertigt sich der Elfjährige. „Wir sind Tabellenzweiter, sie sind siebter.“
Stadtteilschule ist Trägerin des Fußballsvereins
Der Tabellenstand ist für Mama Asir nicht so entscheidend. Sie freut sich, dass ihre Tochter glücklich ist. „Ich verstehe nicht, warum die anderen Eltern Angst haben. Da passiert doch nichts.“ Ein Sinneswandel, der Gabi Frohnert freut. Denn die Fachbereichsleiterin der Stadtteilschule hat sich für die Mädchenmannschaft eingesetzt. Dieses Engagement ist mit Integrationspreisen belohnt worden. Angefangen hatte alles mit einem Mädchencup, wo sie Mannschaften auf anderen Städten in die Nordstadt eingeladen haben – Teams aus Münster, Recklinghausen und dem Sauerland kamen in den Hoeschpark. „Wir wollten die Vielfalt der Nordstadt zeigen.“
Trainer musste viel Überzeugungsarbeit leisten
Nun gibt es selbst einen Verein. Trainer Andreas Haase hatte die Idee dazu und wurde von der Stadtteilschule unterstützt. „Ich dachte, dass schafft der nie“, gibt Gabi Frohnert zu. Zum Glück hat sie sich geirrt: Seit August 2010 gibt es nun den Verein. Haase musste viel Überzeugungsarbeit leisten – vor allem bei den Eltern. Dadurch, dass der Verein am Mädchentreff der Stadtteilschule an der Oesterholzsstraße angedockt und Haase dort selbst Nachhilfelehrer für Deutsch und Mathematik ist, ließ die Vorbehalte schwinden. „Viele Eltern kennen selbst die Stadtteilschule aus ihrer Kindheit, dass war wichtig“, erklärt Haase.
„Es ist doch gut für die Mädchen. Es hilft, den schulischen Stress abzubauen“, sagt Tugces Papa Kara Asir. So ist die Idee mit der Mannschaft überhaupt entstanden: „In der Pause haben die Mädchen gekickt. Ich dachte, dass man da mehr draus machen kann“, betont Initiator Haase. Da er selbst früher Fußball gespielt hat, hat er für die Stadtteilschule die Trainerausbildung gemacht.
Nordstadt-Verein mit Potenzial, aber schwacher Finanzdecke
Der Verein hat Potenzial, aber keine gute finanzielle Ausstattung. „Wir haben noch immer keine Regelförderung“, bedauert Gabi Frohnert. „Wir arbeiten hier integrativ und emanzipatorisch. Das ist wichtig für den Stadtteil. Es kann doch nicht sein, dass wir das nur ehrenamtlich machen.“ Sponsoren und Unterstützer sind daher gerne willkommen – bislang wird der Verein zumindest von ZONTA unterstützt.
Bislang keine Frauen-Mannschaft bei Asteria
Die Mädels spielen gerne Fußball – Religion ist auf dem Platz für sie kein Thema. Kopftuch trägt aktuell keine der Asteria-Spielerinnen. Bei den Gegnerinnen ist das mitunter anders. Allerdings – das ist die Kehrseite der Medaille – hat der Nordstadt-Verein manch gute Spielerin verloren. Als Kinder durften sie mitspielen. Aber ab einem bestimmten Alter muss eine gute Muslima die Fußballschuhe an den Nagel hängen – zumindest sehen das einige Familien so. Im Erwachsenenbereich ist das noch gravierender.
Tugce muss auch bei Asteria aufhören – aber nicht aus religiösen Gründen. Sie ist 16 und in der kommenden Saison zu alt für ihre Mannschaft. Ihr Verein hat – wie die meisten – nur F- bis B-Juniorinnen-Teams. Viele Mädchen beenden daher ihre Karriere, bevor sie richtig begonnen hat. Die wenigsten Kickerinnen spielen in einer der wenigen Frauenmannschaften weiter. Tugce muss sich jetzt einen neuen Verein suchen oder auch aufhören. Denn eine Frauenmannschaft hat der SC STS Asteria nicht. Noch nicht…