Das erste Missverständnis steckt schon im Namen: „Machbarschaft Borsig11“. Denn der einzigartige Verein trägt nicht etwa den Namen seiner Hausnummer (er sitzt in Nr.9) im Namen, sondern das Gründungsjahr (20)11. Mal abgesehen davon, dass es auch elf Gründer waren… Doch wer oder was ist „Borsig11“?
Labor für kulturelle, soziale und ökonomische Praktiken
„Borsig11“ ist ein Labor für kulturelle, soziale und ökonomische Praktiken, das die Gegebenheiten vor Ort aufnimmt und neue Möglichkeiten sichtbar macht. In der Nachfolge des im Rahmen des Ruhr2010-Projekts „2-3 Straßen“ des international bekannten Künstlers Jochen Gerz nehmen die Mitglieder die Herausforderung an, das Experiment mit der Wirklichkeit weiterzutreiben.
Machbarschaft Borsig11 e.V. wurde im Juni 2011 als Verein gegründet mit dem Ziel einer lokalen multikulturellen Bürgergesellschaft: „Wir praktizieren interkulturellen Austausch und kreative Stadtentwicklung, erproben partizipative Gesellschaftsformen, faire Wirtschafts- und nachhaltige Lebensformen im direkten nachbarschaftlichen Umfeld“ erklärt Volker Pohlüke. „Das Wohn- und Arbeitsprojekt bietet günstigen Wohnraum und viel Freiraum zur kreativen Gestaltung.“
„Das Leben am Borsigplatz ist eine Herausforderung.“
Pohlüke und Guido Meincke sind die beiden Motoren des Projekts. Dabei ist Pohlüke selbst kein gebürtiger Dortmunder: Der Gütersloher ist durch „2-3 Straßen“ auf die Nordstadt aufmerksam geworden und für das Projekt hergezogen. Anschließend ist er geblieben. Das Quartier hat ihn fasziniert. Doch er ist keineswegs blauäugig: „Das Leben am Borsigplatz ist eine Herausforderung.“ Zu seinen Qualitäten gehört für die Vereinsmitglieder die multikulturelle Gesellschaft mit ihren Problemen und Chancen.
Berlin, London oder New York profitieren von ihrer Internationalität. Dort sind häufig gerade die marginalisierten Stadtteile besonders nah am Puls der Zeit. Günstige Mieten und Freiraum für neue Ideen ziehen Kreative aus aller Welt an, die das Quartier kulturell bereichern und ein innovatives Milieu schaffen, das weitere Entwicklung in Gang setzt.
Dortmund ist nicht Paris, aber die Urbanität am Borsigplatz bietet für eine kreative Unternehmung besondere Bedingungen, die man spezifisch nutzen kann. Daran möchte das „Machbarschaftsprojekt“ anknüpfen.
Verein bietet Mitmach- und Entfaltungsmöglichkeiten
Für „Borsig11“ ist das Quartier „wie ein Brennglas, in dem sich gesellschaftliche Entwicklungen bündeln, die unser aller Zukunft bestimmen“. Innovation müsse nicht jedes Mal das Rad neu erfinden. Träger der Entwicklung ist für den Verein die Bevölkerung vor Ort. „Wir arbeiten an einer lokalen Öffentlichkeit, die in der Lage ist, Krisen als Chancen zu nutzen und selbst in Aktion zu treten. Kreativität ist die grundlegende und nachhaltigste Ressource, die uns zur Verfügung steht“, heißt es weiter.
„2-3 Straßen“ war Ausgangspunkt
Doch viele Mitmachmöglichkeiten muss der Verein erst schaffen. Nach Ende des viel beachteten „2-3 Straßen“-Projekts mussten neue Ideen und vor allem Geldmittel her. Aus dem Programm „Wir setzen Zeichen“ kamen Mittel. Doch auch diese laufen in diesem Monat aus. Aber auch die „Viva West“- Eigentümer des Hauses, in dem auch die Akteure von „2-3 Straßen“ wohnten, ist weiter Partner. Sie stellen Büros weiterhin mietfrei zur Verfügung.
„Youngsters-Akademie“ wird von BVB-Stiftung unterstützt
Doch für die eigentliche Arbeit mussten ein oder mehrere neue Partner her: Sie entwickelten die Idee einer „Nordstadt-Uni“ oder „Mini-VHS“. Doch schnell merkten die Enthusiasten, dass Kinder das A und O eines solchen Vorhabens sind. Daraus entstand die „Youngsters-Akademie“. Bei der BVB-Stiftung rannten sie damit offene Türen ein. „Sie mochten die Idee“, berichtet Pohlüke. „Und natürlich auch den Ort der Akademie.“ Das Haus ist nur einen Steinwurf vom Gründungshaus des BVB entfernt.
„Youngsters“-Reporter sind seit Januar im Einsatz
Seit Januar 2013 unterstützt die Stiftung die Akademie. Mit ihrer Reporter-Idee und dem Youngsters-Magazin hat die Arbeit Fahrt aufgenommen. Die Zusammenarbeit mit der und die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung soll fortgeführt und wahrscheinlich sogar ausgeweitet werden. Die Gespräche dazu laufen.
Das Angebot für Kinder hat nichts mit einem Jugendtreff zu tun. Dafür hätte der Verein weder den Raum noch die personellen Ressourcen. Es geht hier immer um eine Projektarbeit. Es wird gebastelt, gekocht und vor allem auch journalistisch mit verschiedenen Medien gearbeitet. Aktuell entsteht zum Beispiel ein Kochbuch: „Dortmund kocht bunt“.
Kinder bekommen verschiedene Berufsbilder vorgestellt
Im Mittelpunkt der „Youngsters-Akademie“ steht der Gedanke, verschiedene Berufsbilder vorzustellen. Diesen Berufen nähern sich die Kinder als Reporter: Sie besuchen Einrichtungen und Firmen, interviewen Verantwortliche und Azubis, schauen sich hinter den Kulissen um und machen sogar Videos.
„Ich bin Reporter hier, manchmal schreibe ich auch Texte, sagt Grace (12). „Alles macht mir hier Spaß“ Ein besonderes Highlight in seiner noch jungen Reporterkarriere war der Ausflug zu einem BVB-Spiel. „Anschließend haben wir natürlich auch darüber im Youngsters Magazin berichtet.“
Mal abgesehen davon, dass die insgesamt rund 70 Kinder viel dabei lernen, kommt der Spaß natürlich nicht zu kurz: Denn mit der Polizei auf Streife zu gehen, den Tierpflegern bei ihrer Arbeit im Zoo über die Schulter zu gucken, beim Flughafen hinter die Kulissen zu blicken oder BVB-Stars hautnah zu treffen, ist Lohn genug. Mal abgesehen davon, dass es für ihr ehrenamtliches Engagement auch kleine Geschenke gibt. Die BVB-Freikarten sind bei den Kindern natürlich besonders beliebt.
Sevhur neun Jahre kommt erst seit kurzem in die Räume von Borsig 11. „Am liebsten male ich, toll finde ich das man hier lesen kann, sogar Bücher leihen und Fahrräder reparieren kann.“ Auch Halil (8) kommt gerne: „Ich find die Ausflüge klasse. Schön fand ich als wir einmal in der Druckerei waren und zuschauen konnten, wie das Heft gemacht wurde.“
Verstärkte Zusammenarbeit mit BVB-Sponsoren
Im kommenden Jahr sollen verstärkt die BVB-Sponsoren auf die Akademie aufmerksam gemacht werden. Mit der Sparda-Bank gab es schon die erste erfolgreiche Zusammenarbeit. „Wir wollen den Kindern Selbstvertrauen geben. Sie sollen ihre Ängste überwinden, sprechen und schreiben trainieren und vor allem mal rauskommen“, erklärt Pohlüke. „Viele Kinder können über ihren Nordstadt-Tellerrand nicht hinausschauen.“
Machbarschaft Borsig11 sucht ehrenamtliche Verstärkung
Viel Arbeit für das (zu) kleine Team: „Wir brauchen noch Studierende und andere Ehrenamtliche“, macht Pohlüke deutlich. Vor allem Studierende könnten davon sogar für sich viele Vorteile ziehen. „Viva West“ bietet für Aktive vergünstigte Mietwohnungen an.
Außerdem verfügt „Borsig11“ über einen 140 Quadratmeter großen Coworking Space direkt am Borsigplatz, einen Veranstaltungsraum, eine Werkstatt, eine Gästewohnung und ein offenes Netzwerk, das unterschiedlichste Initiativen unter einem Dach vereinigt.
Kinder und Jugendliche finden in der YOUNGSTERS Akademie ein kreatives Betätigungsfeld. Es gibt eine Fahrradwerkstatt, eine Einkaufsgemeinschaft, eine mehrsprachige Quartiers-Zeitschrift, eine Weltbücherei, eine Galerie im Treppenhaus, eine Givebox, ein kreatives Adressbuch und vieles mehr.
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Vier Künstler für den Borsigplatz – Partizipatives Kunstprojekt soll nachhaltige Veränderungen im Quartier bewirken | Nordstadtblogger
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