Von Klaus Hartmann und Alexander Völkel
„Die Polizei wird die Drogenproblematik in der Nordstadt nicht lösen können“, sagt Polizeipräsident Gregor Lange beim Zwischenstop auf dem Nordmarkt. „Hier sind Politik und Gesellschaft gefordert“, ergänzt er.
Kontrollierte Cannabisabgabe in einem Pilotprojekt könnte Thema werden
Lange spricht das aus, was auch Bezirksvertreter David Grade (Piraten) nach einer zweistündigen Diskussion über Kriminalität und Drogenhandel vehement forderte. Nämlich ein Pilotprojekt zur kontrollierten Ausgabe von Cannabis.
Denn nur so ließe sich dem illegalen Drogenhandel die Geschäftsbasis entziehen, so Grade. In Berlin läuft gerade ein solches Pilotprojekt. Die Grünen im Rat haben eine entsprechende Prüfung für Dortmund gefordert.
Lange war in Begleitung von Bezirksbürgermeister Ludwig Jörder, Ombudsmann Ubbo de Boer und dem Leiter der Nordstadt-Wache, Detlef Rath, mehrere Stunden in der Nordstadt unterwegs.
Begonnen hatte der Rundgang im Fredenbaum am Big Tipi, wo er sich die Foto-Ausstellung „Wir: Echt Nordstadt!“ angeschaut hatte. „Die Ausstellung zeigt die vielen Potentiale, die der Norden zu bieten hat“, findet Lange. Dass die Ausstellung in der Nordstadt massiv unter Vandalismus gelitten hat, ist dabei wohl nur ein Randaspekt.
Diskrepanz zwischen Erwartungen der Bürger und den Möglichkeiten der Polizei
Die Bezirksvertreter hatten bei der anschließenden BV-Sitzung jedenfalls massiv Gesprächsbedarf, als Wachleiter Rath und Ordnungsamtsvertreter Jürgen Walther ihnen Rede und Antwort standen.
„Es gibt eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Bürger und den Möglichkeiten der Polizei. Das hat nicht nur personelle Gründe, sondern auch rechtliche“, machte Rath dabei deutlich.
Ausführlich schilderte er die Bemühungen der Polizei, Druck auf die Drogenhändler auszuüben. Rechtsfreie Räume gebe es nicht in der Nordstadt. Aber auch keine einfachen Lösungen. In der Regel hätten die Dealer nur kleinste Mengen dabei. 99,9 Prozent der Verfahren würden von der Justiz eingestellt.
Daher versucht es die Polizei mit vielen Kontrollen, Platzverweisen und Bereichsbetretungsverboten. Außerdem beschlagnahmt sie Bargeldbestände. Mehr als 100.000 Euro hat sie so von den Kleindealern sichergestellt. „Aber im Vergleich sind das Peanuts“, musste Rath einräumen.
Polizei und Ordnungsamt beklagen zunehmende Aggressivität
Das Ordnungsamt flankiert die Bemühungen. So wird beispielsweise an einer Sperrzeitenverlängerung bei zwei Problembetrieben im Bereich des Borsigplatzes gearbeitet.
Allerdings verzeichnen Polizei und Ordnungsamt „eine zunehmende Aggressivität unseren Kräften gegenüber“, so Walther. „Widerstandshandlungen gegen ordnungsbehördliche Maßnahmen nehmen zu. Das geht bis hin zu Verletzungen.“
„Wenn in Hombruch ein Dieb ist und ein Zeuge auf ihn zugeht, läuft der Dieb weg. Auf der Münsterstraße muss der Zeuge weglaufen, weil er gleich von drei Leuten bedroht wird. Das ist der Unterschied“, betont Nordstadt-Bezirksbürgermeister Dr. Ludwig Jörder.
„Es passiert viel – aber das Ergebnis ist unbefriedigend“, fasst Brigitte Jülich (SPD) den Frust vieler Nordstadt-Politiker zusammen. Natürlich war es für sie nicht neu, dass man durch massiven Druck und unterschiedliche Maßnahmen den Drogenhandel nie verhindern, sondern höchstens verdrängen kann.
So war die Szene vom Platz von Leeds erst in den Westpark und später dann in die Nordstadt vertrieben worden. „Aber seit die Szene bei uns ist, hält man von Verdrängung nichts mehr“, kritisierte Jülich. Das sei nicht so, verteidigte sich Rath. Doch eine weitere Verdrängung sei nicht mehr möglich – es gebe keine anderen Orte mehr in der Innenstadt.
Umdenken gefordert: Legalisierung oder Verschärfung als Möglichkeiten
Daher müsse ein Umdenken her, forderte Grade: Drogenhandel sei nur effektiv zu bekämpfen, wenn man ihm die Geschäftsgrundlage entziehe. Dazu gehöre die kontrollierte Ausgabe von Cannabis und die Etablierung eines Diamorphinprogramms. Damit könne man auch dem Heroinhandel einen Schlag versetzen.
Diese einfache Lösung wollten viele seiner Kollegen in der Bezirksvertretung nicht sehen. Es entspannte sich eine sehr emotionale Debatte.
Wachleiter Detlef Rath gab sich bewusst zurückhaltend, was sich durch eine Legalisierung bzw. kontrollierte Abgabe von Cannabis ändere. „Ich hätte keine Sorge, dass ich nichts mehr zu tun hätte.“
Sein Chef hingegen spricht auf dem Nordmarkt Klartext: „Wer das Problem lösen will, muss dafür sorgen, dass der Markt für Drogen seine Grundlagen verliert“, betont Polizeipräsident Gregor Lange.
„Sowohl auf Anbieter- als auch auf Nachfrageseite. Entweder durch eine Legalisierung oder die Möglichkeit, auch bei kleineren Mengen härter durchgreifen zu können, gepaart mit einer größeren Hilfe für die Süchtigen“, skizziert er die Möglichkeiten des Eingreifens.
„Bislang mussten wir viele Festgenommene wegen der vorgefundenen kleinen Mengen an Drogen wieder laufen lassen.“ Er selbst spricht sich nicht für die Legalisierung von Drogen aus: „Diese Debatte müssen Politik und Gesellschaft führen“, so Lange.
Den Grund für die Kriminalität in der Nordstadt sieht er in der allseits vorhandenen Armut. „Diese strukturellen Schwächen der Nordstadt müssen sich deutlich verändern“.
Mehr zum Thema auf nordstadtblogger.de:
- Veränderte Drogenpolitik: Grüne wollen durch legale Cannabisabgabe in Dortmund Dealerstrukturen zerschlagen
- Nordstadt: Professionelle Cannabis-Plantage in unbewohnter 2½-Zimmer-Wohnung in der Münsterstraße entdeckt
- Dritter „Global Marijuana March“ in Dortmund
- Diane Jägers beim CDU-Jahresempfang: „Die Nordstadt wird nie prostitutionsfrei, nie drogenfrei werden”
- Drogenmißbrauch: Betroffene und Angehörige gedenken der Toten in Dortmund
- Ungewöhnliche Koalitionen in der BV: CDU und Linke stimmen gemeinsam für Legalisierung weicher Drogen
Reader Comments
Ulrich Langhorst (GRÜNE)
GRÜNE begrüßen Vorschlag des Polizeipräsidenten zur kontrollierten Abgabe von Drogen – Veranstaltung am 1. September zur Drogenpolitik
Die GRÜNEN im Rat begrüßen den Vorschlag von Polizeipräsident Gregor Lange zu einer grundsätzlichen Diskussion über die städtische Drogenpolitik. Die GRÜNE Fraktion hatte erst kürzlich erneut eine kontrollierte Abgabe von Drogen gefordert – so, wie es jetzt auch vom Polizeipräsidenten angeregt wird.
Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher der GRÜNEN:
„Es ist gut, dass mit den Äußerungen des Polizeipräsidenten die Diskussion um eine Weiterentwicklung der städtischen Drogenpolitik weiter an Fahrt gewinnt. Es hat sich gezeigt, dass Prävention zwar ein wichtiger Bestandteil der Drogenpolitik bleiben muss, allein aber nicht ausreicht. Herr Lange steht damit nicht alleine. Auch Bewohner*innen und Geschäftsleute aus der Nordstadt hatten vor Kurzem öffentlich eine legale Abgabe von harten Drogen unter ärztlicher Aufsicht gefordert. Diese Entwicklung zeigt, dass die bisherige Drogenpolitik in einigen Bereichen gescheitert ist und weiterentwickelt werden muss. Durch Verbote und dem damit verbundenen illegalen Handel zum Beispiel auch mit Cannabis werden Schwarzmarktstrukturen mit all den problematischen Begleiterscheinungen gestärkt, die wir im Moment in Teilen der Nordstadt erleben. Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg versucht man inzwischen andere Wege zu gehen. Das betrifft sowohl den kontrollierten Verkauf von Cannabis als auch die Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige unter ärztlicher Aufsicht. Wir werden dazu als Fraktion am 1. September eine Veranstaltung unter anderem mit dem Leiter der Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit in Friedrichshain-Kreuzberg, Dr. Horst-Dieter-Elvers, durchführen. Er wird in einer öffentlichen Veranstaltung die Situation und das Modellprojekt aus Berlin erläutern.“
In Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich in den letzten Jahren der Görlitzer Park zu einem Schwerpunkt des Drogenhandels entwickelt. Laut Berliner Polizei ist dabei der überwiegende Teil der Probleme auf den Handel mit Cannabis zurückführen. Die dortige Bezirksversammlung hatte deshalb eine kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten in lizenzierten Abgabestellen beschlossen, um den Auswirkungen des Schwarzmarktes entgegenzutreten.
Ulrich Langhorst: „Es ist zu hoffen, dass die Äußerungen des Polizeipräsidenten auf offene Ohren auch bei SPD und CDU stoßen. Diese haben nicht nur im letzten Jahr unseren Antrag zur Behandlung von schwerstabhängigen Menschen mit Diamorphin, also reinem Heroin, unter ärztlicher Aufsicht abgelehnt. Sie haben auch im Sozialausschuss in der letzten Woche gegen ein entsprechendes Konzept für drogenabhängige Prostituierte in der Nordstadt gestimmt. Und das, obwohl die Mitternachtsmission, die sich um die Situation der Prostituierten kümmert, ein solches Konzept ebenfalls für notwendig hält. Die Zeit ist reif, auch hier jetzt endlich umzudenken.“
Linke & Piraten DO
Linke & Piraten begrüßen drogenpolitische Forderungen des Polizeipräsidenten
Zustimmung von der Fraktion DIE LINKE & PIRATEN gibt es für den Dortmunder Polizeipräsidenten Gregor Lange wegen seiner Aussagen zur Drogenproblematik in der Nordstadt. Gregor Lange hatte bei einem Pressegespräch eine Diskussion über die kontrollierte Abgabe von Drogen an Süchtige angestoßen.
„Linke und Piraten fordern schon lange eine kontrollierte Ausgabe von Cannabis“, sagt David Grade, Bezirksvertreter für die Fraktion LINKE & PIRATEN in der Nordstadt.
Auch Nadja Reigl, Mitglied der Fraktion DIE LINKE & PIRATEN im Rat und Vorsitzende der Piratenpartei in Dortmund, hatte erst vor knapp einem Monat die Legalisierung von Drogen auf dem „Global Marijuana March“ gefordert. „Es geht uns dabei nicht nur um den straffreien Eigenkonsum von Cannabis & Co. Mit einer Legalisierung könnte zudem dem Drogen-Schwarzmarkt ein Bein gestellt werden. Denn mit einer Legalisierung könnte die Qualität der Ware besser kontrolliert und ein oft gefährlicher Verschnitt und damit eine Gesundheitsgefahr für die Konsumenten eingeschränkt werden“, betont Nadja Reigl.
Im Ausschuss für Bürgerdienste, öffentliche Ordnung, Anregungen und Beschwerden (Dienstag, 16. Juni) möchte die Fraktion DIE LINKE & PIRATEN erneut darauf hinweisen, dass die Legalisierung von Cannabis sogar im Bundestag ein Thema ist. „Uns geht es um die Entkriminalisierung von Konsumenten und um lizensierte Fachabgabestellen für psychotrope Substanzen“, so David Grade. Und er ergänzt: „Wir wissen, dass sich hier um eine Bundesangelegenheit handelt. Für Dortmund wünschen wir uns deshalb ein Modellprojekt, in dessen Rahmen die Abgabe von Cannabis oder/und Diamorphin straffrei möglich ist.“
Als Diskussionsgrundlage für den aktuellen Ausschuss für Bürgerdienste, öffentliche Ordnung, Anregungen und Beschwerden wurde deshalb die Frage nach der Zahl der jährlich nachgewiesenen Cannabis-Straftaten und dem Arbeitsumfang der Polizei angemeldet. „Eventuell würde eine kontrollierte Abgabe von Cannabis die Polizei ja entlasten und den Polizisten Zeit für andere Aufgaben geben“, so Nadja Reigl. Möglich wäre eine solche Ausnahmeregelung, so Nadja Reigl. Beispiele aus anderen Ländern – von Portugal bis Kanada – würden dies belegen.
Dass die Fraktion nun – zumindest indirekt – ausgerechnet vom Chef der Polizei Unterstützung erhält, sorgt nicht nur für Erstaunen, sondern auch für positive Reaktionen. Gregor Lange hatte von den Bemühungen der Polizei berichtet, Drogenhändler aufzuspüren. Doch auf den Drogenmarkt hat das nahezu keinen Einfluss: Laut Gregor Lange werden 99,9 Prozent der Verfahren eingestellt.
Doch der Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG – gestellt von der Fraktion DIE LINKE & PIRATEN im Rahmen der Haushaltsberatungen 2015 – wurde in Dortmund schon einmal abgelehnt. „Politik und Gesellschaft müssen endlich umdenken“, fordert David Grade. Ähnlich äußerte sich der Polizeipräsident, der an Politik appellierte, sich mit diesem Thema dringend auseinander zu setzen. Zitat: „Wer das Problem lösen will, muss dafür sorgen, dass der Markt für Drogen seine Grundlagen verliert.“
„Mindestens eine Milliarde Euro – Experten sprechen von mehr – werden jährlich in Deutschland für den Kampf gegen Drogen ausgegeben. 84 Prozent dieser Gelder fließen in die reine Strafverfolgung. Die Folge: Polizei und Gerichte sind überlastet. Dieses Geld könnte man doch viel besser für präventive und therapeutische Angebote ausgeben“, so Nadja Reigl.
SPD-Ortsverein Nord
SPD Ortsverein Dortmund Nord gegen Freigabe von Drogen aller Art: Der Staat darf nicht als Dealer auftreten
Der SPD-Ortsverein Dortmund Nord zeigt sich besorgt über die aktuellen Entwicklungen in der Dortmunder Nordstadt und fordert ein Umdenken in sicherheitspolitischen Fragen. Insbesondere die bewaffneten Auseinandersetzungen rivalisierender Clans, die den Drogenmarkt beherrschten, müssten aufgeklärt und verfolgt werden.
Der Vorsitzende des Ortsvereins, Andreas Cierpiol, fordert in einer Pressemitteilung eine „Null-Toleranz-Politik“ und eine engere Zusammenarbeit der Bürger mit den Behörden. „Es darf nicht sein, dass es Gegenden in der Nordstadt gibt, in denen Recht und Gesetz keine Rolle mehr spielen“, heißt es. Vor allem in der Drogenpolitik müsse sich etwas ändern. So kritisiert der Ortsverein beispielsweise die Lockerung der Strafverfolgungsgrenzen. „Mit der Erhöhung dieses sogenannten Eigenbedarfs erweist die rot-grüne Landesregierung der Ordnungs- und Sicherheitspolitik vor Ort einen Bärendienst. Die Drogendealer lachen sich ins Fäustchen und führen nur geringe Mengen an Rauschgift bei sich. Der Rest ist im Gebüsch versteckt“, beklagt Cierpiol die Situation, die vor allem entlang der Münster- und Mallinckrodtstraße zu sehen sei. Politiker, Behörden und Anwohner sollen zukünftig an einem Strang ziehen.
So freut sich der Ortsvereinsvorstand auch darüber, dass das Ordnungsamt nun näher an den Nordmarkt rücken soll. „Wir unterstützen das und hoffen, dass die Bürger sich mit konkreten Anliegen an die Mitarbeiter vor Ort wenden können“, so Cierpiol weiter. Anders als in vielen bisherigen Diskussionen möchten die Genossen nicht nur die „großen Fische“ fangen, sondern es vor allem auch den Klein- und Kleinstdealern ungemütlich machen. „Es soll sich unter den Drogenhändlern schnell herumsprechen, dass sie in der Nordstadt nicht willkommen sind“, ergänzt Gerda Bogdahn, die für die SPD in der Bezirksvertretung Innenstadt Nord sitzt.
Auch die Sozialdemokraten selbst mussten umdenken. Waren sie bisher für die geregelte Originalstoffabgabe an Heroinabhängige, sprechen sie sich nun klar dagegen aus und folgen damit der Einschätzung des Gesundheitsamtes. Eine klare Absage erteilen die Sozialdemokraten der Forderung nach einer Legalisierung von Cannabis. „Der Staat darf nicht als Dealer auftreten. Wir sollten überlegen, wie wir die Kinder von den Drogen fernhalten, anstatt Rauschgift zu glorifizieren. Diese Diskussion vermittelt den Eindruck, dass Cannabis keine Einstiegsdroge, sondern etwas Tolles und zu Unrecht verbotenes ist“, so Cierpiol abschließend.