Von David Peters
In der Nacht auf Mittwoch brannte das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Bis zu 20.000 Menschen lebten dort unter menschenunwürdigen Bedingungen – nun haben sie nicht einmal mehr ihr provisorisches Dach über dem Kopf. Das Camp, das eigentlich nur für rund 2.000 Menschen ausgelegt ist, steht sinnbildlich für die Fehler der europäischen Flüchtlingspolitik, so Aktivist*innen. Sie fordern schon lange eine Evakuierung des Camps. – Diese Forderung teilten auch die rund 1.000 Menschen, die sich am Donnerstag vor der Dortmunder Reinoldikirche versammelten. Sie waren einem Aufruf der „Seebrücke Dortmund“ gefolgt.
„Mit Moria verbrennt auch der Glaube an eine humanitäre europäische Politik“ – wenn es ihn noch gab
Schon vor dem Brand, der das Lager fast vollständig zerstörte, spitzten sich die Zustände in Moria zu. Die ersten Fälle von Infizierten mit dem Coronavirus waren in der letzten Woche bekannt geworden. ___STEADY_PAYWALL___
„13.000 Menschen sind nach dem Brand obdachlos und die verantwortlichen Politiker*innen zeichnen sich mal wieder durch ihr Nichtstun und hohle Phrasen aus“, bilanziert eine Rednerin auf der Seebrücken-Kundgebung. „Wir, die Seebrücke Dortmund, wollen dabei nicht weiter zuschauen. Wir werden weiterkämpfen, bis alle Menschen in den Flüchtlingslagern und auf den Straßen evakuiert werden.“
Anja Sportelli, Mitinitiatorin der Seebrücke Dortmund betonte in ihrer Rede, dass der Brand im Flüchtlingscamp Moria eine Katastrophe mit Ansage gewesen sei. „Mit Moria verbrennt auch der Glaube an eine humanitäre europäische Politik – wenn man ihn überhaupt noch hatte.“ Vielleicht sei eine Situation, wie in Moria, auch gewollt, um als Symbol der Abschreckung zu dienen, so Sportelli. Es gehe jetzt darum, die Geflüchteten aus Moria menschenwürdig unterzubringen und ihnen einen Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewährleisten. Punkte, die in den griechischen Flüchtlingslagern nicht erfüllt werden.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) blockiert „Sichere Häfen“ – die Aufnahme von Flüchtlingen
Schon vor der Coronapandemie startete die Initiative Seebrücke die Kampagne „Leave no one behind“ und „Wir haben Platz“. Auch in diesen Kampagnen wurde schon auf die Zustände in Camps wie Moria aufmerksam gemacht und dies auch mit der klaren Forderung zur Aufnahme von Geflüchteten aus solchen Lagern verbunden.
Mit Corona sei diese Situation noch schlimmer geworden, erklärt Sportelli. „Die Politik in Deutschland schachert weiterhin um Zahlen. Fest steht aber, dass ein Handeln der EU und auch Deutschlands unumgänglich ist – dringender denn je“, erklärt die Aktivistin. „In Deutschland gibt es mehr als 170 Städte und Kommunen, die bereit sind, die Menschen sofort aufzunehmen. Dortmund gehört dazu.“
Auch die Bundesländer Thüringen, Berlin und Bremen haben Landesaufnahmeprogramme gestartet, doch diese würden durch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verhindert. Die Stadt Dortmund, die sich 2019 zum „sicheren Hafen“ erklärte, hatte im Februar beschlossen, bis zu 30 Kinder und Jugendliche aus Moria aufzunehmen.
Auf der Dortmunder Demo: „Tausche 1 Horst gegen 13.000 Menschen“ – „Wir haben Platz!“
Auch William von der Afrikanischen Community Dortmund betonte in seiner Rede die menschenunwürdigen Zustände in den Flüchtlingslagern. Diese Zustände gäbe es aber nicht nur in Moria, sondern auch in Calais und anderen Camps. Die Menschen in Moria würden schlechter behandelt als Tiere, erklärt er.
William berichtet von Bekannten, die ihm die Zustände in Moria geschildert haben. Immer wieder fragt er die rund 1.000 Demonstrant*innen, ob diese Zustände menschlich seien – und immer wieder lautet die Antwort der Masse „Nein!“.
In der Kritik der Demonstrant*innen stand auch Innenminister Seehofer, der sich 2018 darüber freute, dass zu seinem 69. Geburtstag 69 Geflüchtete abgeschoben wurden. Auf den Plakaten der Demonstrierenden wurde die Person immer wieder thematisiert. So stand auf einem: „Tausche 1 Horst gegen 13.000 Menschen“.
Die Kundgebung in Dortmund war nur eine von vielen spontanen Aktionen und Demonstrationen der Seebrücke. Bereits am Mittwoch waren in ganz Deutschland mehrere zehntausend Menschen auf die Straße gegangen. Immer verbunden mit der zentralen Aussage „Wir haben Platz!“
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Reaktionen
Sicherer Hafen Dortmund – Wir haben Platz! Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge erneut bekunden (PM)
Sicherer Hafen Dortmund – Wir haben Platz! Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge erneut bekunden
Auch Dortmund hat sich im vergangenen Jahr wie inzwischen über 150 andere deutsche Städte zu einem sicheren Hafen für Flüchtlinge erklärt. Zusätzlich hat der Rat im Februar auf Antrag der GRÜNEN Fraktion beschlossen, zusätzliche Menschen aus den griechischen Flüchtlingslagern in Dortmund aufzunehmen. Die katastrophale Situation der dort lebenden Geflüchteten hat sich seit dem Brand im Camp Moria auf Lesbos noch weiter verschlechtert. Die von der Bundesregierung angekündigte Aufnahme von 1500 Menschen reicht da bei weitem nicht aus.
Die Oberbürgermeister*innen von Hannover, Potsdam, Freiburg, Oldenburg, Düsseldorf, Göttingen, Gießen, Köln, Bielefeld und Krefeld haben deshalb in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer erneut ihre Bereitschaft erklärt, Flüchtlinge aus dem abgebrannten Lager Moria aufzunehmen und beide gebeten, den Weg dafür zu ebnen.
„Dortmund steht nach unserer Kenntnis bisher nicht unter diesem erneuten Appell. Das ist schade und sollte nachgeholt werden. Die entsprechenden Beschlüsse dafür liegen ja bereits vor. Die 13.000 Menschen, die in Moria leben mussten, haben nun auch noch ihr letztes Dach über dem Kopf verloren. Dazu kommt die akute Gefährdung durch Corona. Deshalb ist eine Aufnahme in Deutschland und anderen europäischen Ländern dringend notwendig. Die Bundesregierung braucht anscheinend den Druck der vielen aufnahmebereiten Kommunen, um wirklich Flüchtlinge nach Deutschland zu holen“, kommentiert Fraktionssprecher Ulrich Langhorst die Situation.
Die Verwaltung hatte im Februar in der von den GRÜNEN initiierten Diskussion vor-geschlagen, bis zu 30 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Dortmund zu holen. Die vorhandenen Unterbringungskapazitäten reichen dafür aus. Umgesetzt wurde das bisher nicht, weil sich die Bundesregierung geweigert hat, einem solchen Verfahren zuzustimmen. Auch die Dortmunder Gruppe der SEEBRÜCKE hatte in der vergangenen Woche erneut für eine schnellstmögliche Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria und anderen Lagern demonstriert.
„Es hat genug Warnungen gegeben, dass die Situation in den griechischen Flüchtlingslagern endgültig eskaliert. Jetzt ist es soweit. Deshalb sollte auch Dortmund noch einmal die Bereitschaft signalisieren, einen Beitrag zur Aufnahme von Schutzsuchenden zu leisten“, so Ulrich Langhorst abschließend.