Der Advent ist auch kulinarisch eine Zeit der Bräuche und Traditionen. In einer vierteiligen Serie geht Corinna Schirmer vom Deutschen Kochbuchmuseum kulturgeschichtlichen und kulinarischen Aspekten der Weihnachtszeit auf den Grund. Zum vierten Advent geht es um das weihnachtliche Festessen.
Was an Heiligabend, also am 24. Dezember auf den Tisch kommt, ist ja sehr unterschiedlich: Die einen essen einen Festtagsbraten, in anderen Familien gibt es Fisch oder auch die Variante „Kartoffelsalat und Würstchen“. Wie kommt das?
Wir feiern die Geburt Jesu Christi, und das ist bei den Christen der zweithöchste Feiertag. Papst Julius I. legte diesen Termin im vierten Jahrhundert auf den 25. Dezember – das genaue Geburtsdatum ist historisch nicht verbrieft. Solche Festtage gehen mit Ritualen und Zeremonien einher, und da haben sich im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Linien entwickelt. Tatsächlich kommt der aufwändige Festtagsbraten mittlerweile bei den einen erst am 25. Dezember auf den Tisch, bei anderen schon am Heiligabend.
Wir feiern also eine Geburtstagsparty – aber wieso schon am Vorabend des Geburtstags?
Das liegt daran, dass an Heiligabend mit der Christmette, also dem Gottesdienst am späten Abend, die 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten endete. Heute ist diese aus dem kollektiven Gedächtnis so gut wie verschwunden. Aber das vorherige Fasten und eben die Heraushebung des Geburtstags als Festtag aus dem Alltag der Menschen ist der Grund dafür, dass wir uns noch heute mit der Familie zusammenfinden und aufwändige Gerichte zu uns nehmen – eigentlich aber erst nach der Christmette.
In vielen Familien hat sich jedoch die Tradition erhalten, erst am 25. den Braten zu essen und am 24. Dezember einfache, unaufwändige Mahlzeiten oder auch als ein besonderes Fastengericht Fisch, vor allem Karpfen. Viele ältere Menschen erinnern sich noch daran, wie dieser vorher tagelang in der Badewanne schwamm, um zu „entschlammen“, wenn er aus dem Teich geholt wurde. An den Karpfen wiederum knüpft sich die Symbolik der Karpfenschuppen: Es soll im nächsten Jahr Glück und Reichtum bringen, wenn man sie sich ins Portemonnaie legt.
Und warum besteht das einfache Essen vielerorts ausgerechnet aus Kartoffelsalat mit Würstchen?
Das hat sich tin einigen Regionen wie Westfalen oder dem Rheinland erhalten, dabei sind Würstchen in der Fastenzeit eigentlich tabu. Ursprung ist vermutlich, dass in ländlichen Regionen in der Adventszeit eigens eine Sau gemästet und meist am Thomastag, dem 21. Dezember, für Weihnachten geschlachtet wurde – die „Mettensau“ oder auch „Weihnachter“. Man darbte also und fütterte dafür die Sau. In wohlhabenderen Familien kam dann nach der Christmette beziehungsweise am 25.12. der Schweinebraten auf den Tisch. Da das Schwein im Ganzen verwertet wurde, gab der Weihnachter auch Würstchen her, die gerne auch an ärmeren Familien verschenkt wurden.
Heute ist der Schweinebraten nicht mehr unbedingt das klassische Festtagsgericht.
Nein, das hat sich verlagert, als mit der Zeit das Schwein als minderwertiger oder weniger repräsentativ galt. Die Rolle übernahm die Gans: Die Fastenzeit begann ja nach St. Martin, auch da wird traditionell Gans gegessen – so passte es, sie auch nach der Fastenzeit auf den Speiseplan zu nehmen. Zudem gibt es die historische Anekdote, dass die englische Königin Elisabeth I. 1588 Gans gegessen haben soll, als sie hörte, dass ihre Truppen die spanische Armada besiegt haben. So galt die Gans als Symbol für Sieg und Macht. In den Kochbüchern des 19. Jahrhunderts findet man keinen speziellen „Weihnachtsbraten“, also kein klassisches Traditionsrezept. Aber ich finde zum Beispiel bei Henriette Davidis, „Boef à la mode“ mit Rotkohl und Klößen – hier gab es Rindfleisch statt Schwein.
Als Beilagen haben sich Klöße und Rotkohl durchgesetzt.
Ja, das ist der Klassiker, und zwar unabhängig davon, ob nun Gänse-, Rinder-, Schweine oder vegetarischer Nuss- oder Seitanbraten auf den Tisch kommen. Rotkohl ist natürlich ein klassisches Wintergemüse.
Dass es mancherorts auch „Blaukraut“ heißt, hat mit der Zubereitung und mit chemischen Prozessen zu tun: In südlichen Gegenden wird Natron dazugegeben, das durch seinen hohen pH-Wert den Kohl blau färbt. Im Norden kocht man ihn mit Äpfeln oder Essig, das ergibt einen niedrigen pH-Wert und sorgt für die eher rötliche Farbe.
Der Kloß wiederum hat eine Jahrtausende alte Tradition; Archäologen haben am Mondsee in Österreich Knödelfunde aus der Zeit um 2500 bis 1800 vor Christus gemacht. Sie beschrieben Knödel daher als „erste Konserve der Menschheit“. Mit Knödeln hat man Nahrungsmittel haltbar und transportfähig gemacht; ein Kloß lässt sich besser transportieren als Mehl. Es ist auch eine Art Resteessen, um Brotreste zu verwenden.
Ist das Weihnachtsessen heute eher Moden als Traditionen unterworfen?
In der heutigen säkularen Gesellschaft haben sich die unterschiedlichen Traditionen von ihrer einst religiösen Bedeutung gelöst und mischen sich mit individuellen Vorlieben und Moden. In den 1980er und 90er-Jahren kam es darauf an, besonders teure, exklusive Gerichte und Zutaten zu verwenden, da wurden Kaviar oder Hummer auf dem Weihnachtstisch kulinarische Mode. Heutzutage kann ich eigentlich alles ohne viel Aufwand und verhältnismäßig günstig im Supermarkt bekommen.
In vielen Familien gibt es dagegen eher den Wunsch, zu Weihnachten abzuschalten, zur Ruhe zu kommen und das Zusammensein zu zelebrieren. Daher haben sich vielerorts auch Racelette und Fondue durchgesetzt. Dafür braucht man keine sehr hochwertigen Zutaten – der Gemeinschaftscharakter steht im Vordergrund. Alles in allem sind die kulinarischen Gewohnheiten heute eher Familientraditionen, als dass sie sich durchweg regional oder religiös begründen lassen. Unabhängig vom Glauben stärkt das weihnachtliche Festessen den Zusammenhalt, erdet und stiftet Identität.