Von Alexander Völkel
Tag 2 der Evakuierung des Hannibal in Dorstfeld. Bis zur Nacht mussten alle BewohnerInnen – 753 Menschen sind in dem mit mehr als 400 Wohnungen größten Dortmunder Wohngebäude gemeldet – ihr Zuhause verlassen. Allerdings haben nur 120 BewohnerInnen die Notunterkunft in der Körnig-Halle in Anspruch genommen. Der Großteil der Menschen kam zumindest für die erste Nacht bei Familie, Freunden oder Bekannten unter.
Stadt stellt 59 Wohnungen als Soforthilfe kostenlos zur Verfügung
Die Stadt dankte den vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen HelferInnen, die bei dem zeitintensiven Einsatz geholfen haben. Darunter waren auch Mitglieder von „Train of Hope“. Der Flüchtlingshilfsverein kümmerte sich um die im Hannibal lebenden Flüchtlinge und half beim Übersetzen.
Am heutigen Freitag legt die Stadt ihre Energie darauf, vor allem diese Menschen schnellstens in neue Wohnungen zu vermitteln. Im Wohnraumvorhalteprogramm der Stafdt gibt es aktuell 59 freie Wohnungen, die ab heute kostenfrei an die Betroffenen verteilt werden. „100 bis 150 Menschen können da Platz finden – je nach Familiengröße“, sagte Sozialamtsleiter Jörg Süshardt.
Die Wohnungen sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Das gilt auch für die Angebote aus der Wohlfahrtspflege und von Wohnungsunternehmen. „So hat die AWO vier oder fünf Wohnungen angeboten, die wir jetzt belegen dürfen“, so Süshardt. „Diese Wohnungen insgesamt würden problemlos für alle Menschen reichen, die in der Körnig-Halle übernachtet haben.
Die Stadt möchte unbedingt vermeiden, dass die Betroffenen eine weitere Nacht in der Halle verbringen müssen. Spätestens jedoch bis Samstag sollen diese Menschen eine neue temporäre Bleibe bekommen. Sowohl am Hannibal in Dorstfeld als auch an der Körnig-Halle gibt es Info-Points, wo die Stadt und auch der Mieterverein die Betroffenen informieren.
Stadt und Mieterverein informieren an der Körnig-Halle und in Dorstfeld
„Was das Mietverhältnis zum heutigen Eigentümer angeht, werden wir als Stadt keine Rechtsberatung machen. Aber der Mieterverein wird an den Info-Points beraten“, betonte Dezernent Ludger Wilde als Leiter des städtischen Krisenstabs.
Der Mieterverein rät allen Betroffenen, die Mietzahlungen einzustellen und auch die September-Miete zurückzubuchen. Für Mitglieder übernimmt der Verein den Schriftverkehr. Für alle anderen Betroffenen soll auf mieterverein-dortmund.de in Kürze ein entsprechendes Musterschreiben geben. „Denn der Vermieter muss über Mietminderungen und Umbuchungen schriftlich informiert werden“, so Rainer Stücker.
Den Betroffenen sollen zumindest durch die städtischen Ersatzwohnungen keine Kosten entstehen: „Wir werden die Menschen kostenlos unterbringen. Die dadurch entstehenden Kosten werden wir dem Verursacher – dem Eigentümer – in Rechnung stellen“, kündigte Wilde an. Bei einem großen Teil der BewohnerInnen – immerhin rund 500 – gibt es auch deshalb keine Probleme, weil sie von von Jobcenter oder Sozialamt unterstützt werden. Die Unterbringung gehört dazu. Für die anderen Betroffenen werde geprüft, ob man ihnen trotzdem helfen könne.
Stadt Dortmund wird bei Bedarf weitere Gemeinschaftsunterkünfte aktivieren
Ihnen sollen auch kostenlose Angebote gemacht werden. So kann die Stadt bei Bedarf die Frenzelschule in Hörde aktivieren, die bis vor wenigen Tagen noch von Flüchtlingen gewohnt wurde.
Außerdem kann die Stadt zwei Gebäuderiegel in der Breisenbachstraße in Oestrich heranziehen. In dem Komplex wohnen zwar noch Flüchtlinge. Doch die Einrichtung ist nur zu 20 Prozent belegt. „Wenn ich das addiere, könnten wir alle 800 Menschen damit versorgen. Wir gehen aber davon aus, dass wir nicht in dem Umfang aktiv werden müssen“, so der Sozialamtsleiter.
Die beiden Übergangseinrichtungen sind natürlich möbliert. Zudem ermöglichen sie den Menschen, sich dort selbst versorgen zu können. Zudem wird die soziale Betreuung und Begleitung gesichert. Doch auch die anderen Familien will die Stadt bei Bedarf in den nächsten Wochen von Fachkräften aus dem Sozialamt begleiten lassen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Menschen aus Platzgründen dort keine eigenen Möbel mitbringen können.
BewohnerInnen können in Begleitung ihre Habe aus den versiegelten Wohnungen holen
Generell können die Betroffenen in den nächsten Tagen ihre Möbel und ihre Habe aus den Wohnungen holen. Dies erfolgt dann in Begleitung von MitarbeiterInnen des Ordnungsamtes. Die Stadt hat alle Wohnungen versiegelt. Außerdem wird der Gebäudekomplex bewacht, um das Eigentum der Betroffenen zu schützen. Außerdem wird die Stadt Fahrdienste einrichten, damit die Menschen nicht mit Sack und Pack mit Bus und Bahn durch die Stadt zu den Ersatzwohnungen fahren müssen.
Mit Unterstützung vom Eigentümer des Hannibals in Dorstfeld – der „InTown Properties“ – müssen die BewohnerInnen nicht rechnen. Auch zwischen Stadt und Eigentümer ist nach der Evakuierung offenbar das Tischtuch zerschnitten: „Wir haben um Mitwirkung gebeten. Das fand nicht statt. Stattdessen wurden wir mit einem Schreiben konfrontiert“, berichtet Ludger Wilde. „Der Eigentümer kümmert sich weniger um seine Mieter als um eine Rechtsposition.“
Die Kritik, warum die Evakuierung so „Hals über Kopf“ habe erfolgen müssen, wies der Leiter des Krisenstabs erneut zurück: „Wenn wir von einer Gefahrenlage Kenntnis haben, können wir nicht noch zwei oder drei Tage warten. Das war nicht zu tolerieren. Die Gesundheit der Mieter geht vor“, so Wilde. „Wir waren zum sofortigen Handeln gezwungen.“
Brandwachen waren keine Option – Stadt erneuert ihre Kritik an den Mängeln
Brandwachen aufzustellen, habe man als Option geprüft: „Wir hätten auch 100 Brandwachen hingestellt, aber das war nicht die Lösung. Denn wenn in einer Wohnung ein Brand ausbricht, kann sich Rauch und Feuer auch ausbreiten. Da hätten wir in jede Wohnung wen stellen müssen, das wäre ja nicht zumutbar“, so Wilde.
Er erneuerte seine Kritik am Eigentümer. Drei schwerwiegende Mängel hätten zum Handeln geführt: Es habe nachträglich eingebaute Versorgungsschächte und Anschlüsse gegeben, die nicht rauch- und feuersicher waren. Sie hätten in kürzester Zeit Rauch und Feuer im Gesamten Gebäude verteilt.
Außerdem gebe es keine Trennung mehr zwischen Tiefgarage und Wohngeschossen. Der dritte Mangel ist ebenfalls gravierend: Durch die baulichen Eingriffe in den Brandschutz gebe es keine sicheren Rettungswege mehr. In kürzester Zeit wären sowohl der erste als auch der zweite Rettungsweg verraucht. Ein Verlassen des Gebäudes – immerhin mit bis zu 16 Etagen – sei nicht mehr sicher möglich gewesen.
Der „Kleine Hannibal“ der LEG in der Nordstadt ist nicht betroffen
Die Frage, warum die Stadt nicht früher gehandelt habe – schließlich sei ein InTown-Gebäude in Wuppertal auch vor zwei Monaten geräumt worden – wies Wilde ebenfalls zurück. „Wir stellen ja nicht jeden Vermieter unter Generalverdacht, wenn es irgendwo ein Problem gibt. Wir sind jetzt hier tätig geworden auf Hinweisen aus der Mieterschaft.“
Nach dem dramatischen Hochhaus-Brand in London habe die Stadt bei allen Hochhäusern die Fassaden überprüft – auch den Hannibal. Doch der Hannibal hat eine Betonkonstruktion und keine brennbare Fassade. „Das Problem hier wäre von innen hochgetragen worden – das ist ein ganz anderes Problem“, machte Wilde mit Nachdruck deutlich.
Daher ist auch der Hannibal in der Nordstadt nicht betroffen. Die aktuellen Gefahren gehen nicht auf die Bauweise des Gebäudes zurück, sondern die rechtswidrigen Eingriffe seitens des Eigentümers. Und der Hannibal an der Nordstadt gehört der LEG – dort gab es solche Umbauten nicht.
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Grünen-Fraktion
GRÜNE: Mieter*innen und Stadt müssen Verantwortungslosigkeit von Wohnungseigentümern ausbaden
Zur Evakuierung des Hannibal II in Dorstfeld äußern sich Ingrid Reuter und Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher*in der GRÜNEN:
„Das Gefühl, von einer zur anderen Minute wohnungslos zu werden, ist unvorstellbar. Wir haben größtes Mitgefühl für die Menschen, die gestern innerhalb von wenigen Stunden ihre Wohnungen verlassen mussten. Doch die Aktion der Stadt, das Hannibal-Gebäude nach Bekanntwerden der akuten Brandschutzmängel umgehend räumen zu lassen, war nach unserem jetzigen Kenntnisstand genau richtig und gut organisiert.
Ein Skandal ist hingegen das Gebaren der Immobilien-Heuschrecken, die auch in Dorstfeld für den Hannibal die Verantwortung haben. Der Hannibal-Komplex sorgt seit dem Verkauf durch die Dogewo an wechselnde Investmentfonds und Spekulanten, die sich am allerwenigstens um die Bedürfnisse der Mieter*innen kümmern, immer wieder für Schlagzeilen. Der Gebäudekomplex in Dorstfeld ist ein bezeichnendes Beispiel für die Folgen von Immobilienspekulationen: Rendite geht vor Investition, Mieten werden kassiert, Instandhaltungen immer wieder hinausgeschoben. Mit der gestrigen Aktion wird jetzt die Tragweite solchen Gebarens klar: Die Stadt muss in Vorleistung für verantwortungslose Wohnungseigentümer treten. Dabei wird es am Ende – neben dem Schicksal der Mieter*innen – um Millionenbeträge gehen. Es kann nicht sein, dass aus kommunalen Kassen und auf dem Rücken der Mieter*innen ordnungspolitisches Versagen finanziert wird.
Wir erwarten, dass die Verwaltung in der Ratssitzung am Donnerstag einen umfassenden Sachstandsbericht vorlegen wird. Denn für uns stehen jetzt viele Fragen im Raum: zum Beispiel, was es mit den verändernden Baumaßnahmen auf sich hat und warum diese nicht brandschutzrechtlich abgenommen wurden. Dabei rückt der Berliner Eigentümer und die Frage von Verantwortlichkeiten ins Visier.
Für die betroffenen Mieter*innen muss jetzt schnellstens Klarheit über das weitere Vorgehen geschaffen werden. 800 Menschen stehen vor der Frage, wie das Leben ohne eigene Wohnung weiterlaufen soll und vor allem, wie lange. Sie brauchen schnellstmöglich Alternativen zur Unterbringung in der Körnig-Halle und Informationen über ihre langfristige Perspektive. Denn nach einer ersten Einschätzung der Verwaltung sind die Mängel wohl nicht kurzfristig zu beheben.“
SPD-Fraktion
Räumung des Hannibal 2 in Dorstfeld: SPD-Fraktion lobt Verwaltung für verantwortungsvolles Vorgehen
Wegen unabweisbaren Brandschutzgründen hat die Verwaltung gestern die Wohngebäude Vogelpothsweg 12-26 in Dortmund-Dorstfeld („Hannibal 2“) leergezogen. Rund 800 Bewohnerinnen und Bewohner mussten gestern evakuiert werden. Nach einer Zwischenunterbringung in der Helmut-Körnig-Halle werden die Mieterinnen und Mieter kurzfristig in anderen Wohnungen im Stadtgebiet untergebracht.
„Wir loben die Verwaltung für ihr verantwortungsvolles Vorgehen. Sicherheit und Gesundheit der betroffen Menschen steht an erster Stelle. Bei solchen Mängeln bleibt der Verwaltung keine andere Wahl. Wir danken allen beteiligten Stellen der Verwaltung, die sich um die Belange der Mieterinnen und Mieter umsichtig kümmern. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie ihre Wohnungen sehr kurzfristig räumen mussten“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Schilff.
Nicht erst nach dem Hochhausbrand in London begutachten Feuerwehr und Bauordnung kontinuierlich Gebäude im gesamten Stadtgebiet hinsichtlich der Brandsicherheit. Bei einer Begehung am Dienstag waren im Hannibal 2 entsprechende Mängel aufgetreten, die die Verwaltung zum Handeln veranlasst haben. Nach ungenehmigten Umbaumaßnahmen in dem Gebäude durch den Eigentümer bestand kein Brandschutz mehr.
Bereits am 27.06.17 wurde in Wuppertal ein Hochhaus des gleichen Eigentümers durch die Stadt Wuppertal geräumt. Für die aktuelle Kritik des Eigentümers an der Stadtverwaltung Dortmund, sie hätte anstelle der Räumung z.B. Brandsicherheitswachen aufstellen können, hat die SPD-Ratsfraktion kein Verständnis.
„Welche Riesenmenge an Brandsicherheitswachen hätte die Verwaltung den bitteschön aufstellen sollen? Diese Ablenkungsmanöver des Eigentümers machen die Lage nicht besser. Gute und verantwortungsvolle Vermietung von Wohnraum sieht anders aus“, so Norbert Schilff abschließend.
Kristina
Liebe Nordstadtblogger-Redaktion,
vielen Dank für die ausführlichen und schnellen Informationen. Die Situation muss für die Bewohner unerträglich sein. Ich hoffe, dass sich schnell langfristige und tragbare Lösungen finden.