Das „Zusammenspiel“ zwischen Zivilgesellschaft und Polizei im Umgang mit rechtsextremistischen Umtrieben in Dortmund bleibt ein schwieriges Thema. Denn die Kritik und auch die gegenseitigen Schuldzuweisungen reißen nicht ab. Neuster Anlass sind die am Mittwoch bekannt gewordenen Anzeigen gegen zwei Landtagsabgeordnete der Piraten, denen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen werden.
Polizeipräsident wirbt für Vertrauen
Dennoch warb Polizeipräsident Gregor Lange am Dienstagabend beim Arbeitskreis Christen gegen Rechtsextremismus dafür, den Schulterschluss zu proben. „Wir stehen auf der gleichen Seite des Zauns“, warb er um Zusammenarbeit.
Demokraten kritisieren Innenminister-Bericht als „tendenziös und lückenhaft“
Im Reinoldinum musste sich Lange aber auch viel Kritik anhören. Vor allem der auf Polizeidarstellungen basierende Bericht des Innenministers über den Einsatz am Wahlabend nannte Friedrich Stiller „rätselhaft“. Er sei „weit von der Wahrnehmung der Demokraten entfernt“.
Die Polizei habe sich damit sehr weit von der Zivilgesellschaft entfernt – der Riss sei tiefer geworden: „Wir sind zurückgefallen in die schwierigen Zeiten von 2002 bis 2012“ erinnert Stiller an die kontroversen Debatten und scharf kritisierten Polizeieinsätze unter Langes Vor-Vorgänger Hans Schulze.
Der Bericht erwecke den Anschein einer Kriminalisierung – er sei „tendenziös und lückenhaft“. Sabine Fleiter kritisierte zudem, dass die Einsatzwirklichkeit häufig nicht den zuvor bei der Anmeldung besprochenen Rahmenbedingungen der Demonstrationen entspräche.
Lob für neue Polizeitaktik – Abkehr vom starren Konzept
Lob gab es allerdings für neue Polizeitaktik, Neonazis und Gegendemonstranten sehr nah aneinander heran kommen zu lassen.
Stiller begrüßte die Abkehr des starren Konzepts: Früher lagen teilweise ganze Stadtteile zwischen Protest und Gegenprotest. Der neue Polizeipräsident zeige ein neues Verständnis von Bürgerinteressen. „Ich habe den Eindruck, dass wir die Kommunikation fortsetzen können, trotz aller Konflikte“, so Stiller.
Der Jurist Lange warb um Vertrauen und zollte den Ratshaus-Blockierern sogar seinen Respekt. Von Kriminalisierung könne keine Rede sein, es gelte die Unschuldsvermutung. Doch die grüne Landtagsabgeordnete Daniela Schneckenburger tat sich schwer damit: „Wir haben der Polizei über Jahre Vertrauen entgegen gebracht. Aber das Vertrauen ins uns war nicht da“, erinnerte sie an Restriktionen gegen Demokraten, die nicht verhältnismäßig gewesen seien.
Schneckenburger: „Die Demokraten werden diskreditiert“
„Sie sagen, dass wir auf derselben Seite des Zauns stehen“, nahm Schneckenburger Bezug auf die Äußerung des Polizeipräsidenten über das Verhältnis von Demokraten und Polizei. „Doch wir haben die Wahrnehmung, dass Rechtsextreme und Demokraten gleich behandelt werden.“
Auch die Kritik an den Ermittlungen gegen die Demokraten erneuerte sie: „Sie haben uns zwar nicht kriminalisiert, aber diskreditiert. Sie haben das Vertrauen zerstört.“
Daher habe der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus ein Rechtshilfekomitee für alle Demokraten ins Leben gerufen, gegen die wegen Nötigung der Rechtsextremisten ermittelt werde. Stiller mahnte daher an, künftig auch die Justiz stärker in den Dialog einzubinden. Mehrere Besucher der gut besuchten Veranstaltung forderten zudem, dass die verschiedenen Bündnisse wieder enger zusammenarbeiten sollten.
Lange: „Streit unter Demokraten nutzt letztendlich nur den Rechten“
Auch Lange versuchte, den Blick nach vorne zu richten, um den Rechtsextremismus zielführend zu bekämpfen: „Streit unter Demokraten nutzt letztendlich nur einer Gruppe – und das ist ,Die Rechte’!“
Ermittlungen gegen zwei Landtagsabgeordnete
Allerdings ist dieser „Streit unter Demokraten“ noch nicht beendet: Die neuen Ermittlungen gegen die beiden Landtagsabgeordneten gießen Öl ins Feuer.
Polizeisprecher Kim-Ben Freigang bestätigte den Vorwurf eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetzes, wollte dies aber nicht überbewerten: Wenn die Polizei einen Anfangsverdacht habe, müsse sie ermitteln, den Sachverhalt objektiv niederschreiben und an die Staatsanwaltschaft zur Prüfung weiterleiten.
Die beiden Landtagsabgeordneten der Piraten, Daniel Düngel und Birgit Rydlewski, wundern sich über die Vorwürfe. Sie hätten die in Rede stehenden Spontankundgebungen am vergangenen Samstag in der City – Düngel auf der Katharinentreppe und Rydlewski an der Schmiedingstraße – ordentlich bei der Polizei angemeldet und später offiziell beendet. Zu Problemen sei es nicht gekommen.
Daher kritisiert auch das BlockaDO-Bündnis die Anzeigen: Denn nicht nur gegen die beiden Anmelder, sondern auch gegen 23 Teilnehmer der Blockade liefen Ermittlungen. „Unsere Blockade ist friedlich und in Kooperation mit der Polizei abgelaufen“ erklärt BlockaDO-Sprecherin Iris Bernert-Leushacke.
„Während der Blockade der Kampstraße kam es weder zu Auseinandersetzungen mit Neonazis noch mit der Polizei. Es handelte sich um eine friedliche, zivilgesellschaftliche Aktion, um das menschenverachtende Treiben der Dortmunder Neonazis einzuschränken.“
BlockaDO hegt Zweifel an Verletzungen von Polizisten
Doch es gibt noch mehr Kritik: Vom Blockade-Bündnis in Abrede gestellt wird zudem der Vorwurf, dass 13 Beamte durch „Linksautonome“ mittels einer „gelben Flüssigkeit“ Hautverätzungen erlitten hätten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. „Zu diesem Vorfall gibt es bislang weder Bildmaterial noch konnten wir Augenzeugen ausfindig machen“, so die BlockaDO-Sprecherin.
„Wir fordern von der Polizei Aufklärung über die genauen Umstände dieses Vorgangs und bitten Zeugen, sich bei uns zu melden. BlockaDO-Sprecherin Iris Bernert-Leushacke ergänzt: „Wir haben nichts von so einem Vorfall mitbekommen, und müssen derzeit davon ausgehen, dass es sich um eine Behauptung der Polizei handelt, die keinen realen Hintergrund hat.“
Diese Unterstellung weist die Polizei als „pure Propaganda“ zurück. Diese Attacke habe es gegeben: Beamte seien leicht verletzt worden und hätten Reizungen an Augen, Hand und Gesicht erlitten, so Polizeisprecher Kim-Ben Freigang.
Fotobeweise belegen Aggressivität der Neonazis und Pfefferspray-Besitz
Ein anderer Vorwurf gegen die Polizei wurde von Seiten der Demokraten entkräftet: Ein Medium hatte den Vorwurf erhoben, die Polizei sei während der Neonazi-Kundgebung völlig überfordert gewesen: Dabei gab es von vielen Seiten Lob für den Polizeieinsatz, weil dieser Protestaktionen in „Ruf- und Hörweite“ ermöglicht hatte.
Der Vorwurf, die Polizei habe zudem Journalisten bei der Arbeit behindert und sogar bewusst weggesehen, als ein mit Pfefferspray bewaffneter Neonazi Medienvertreter bedrängte, wurde ebenfalls in einem wichtigen Punkt widerlegt: Augenzeugen des Vorfalls hatten bereits am Sonntag unter anderem nordstadtblogger.de Bilder zur Verfügung gestellt, der diese Vorwürfe in ein anderes Licht rückt.
Auf den Bildern ist zu sehen, wie ein Polizist den Neonazi abdrängt, der einen Fotografen bedroht hat. Die Bilder machen insgesamt das aggressive Verhalten der Neonazis und das Mitführen des Pfeffersprays deutlich.
Es ist übrigens nicht der erste Vorfall dieser Art: Seit Jahren bedroht der vorbestrafte Neonazi aus der Dortmunder Nordstadt Journalisten – zuletzt am 1. Mai in Westerfilde und am 25. Mai vor dem Dortmunder Rathaus.
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Christen gegen Rechts
Vortrag „Die Rechten und das Recht“
„Die Rechten und das Recht“ – darum geht es bei der nächsten Veranstaltung der Christen gegen Rechtsextremismus. Rechtsanwalt Manuel Kabis referiert dann über „Nazis vor Gericht und auf der Straße“, deckt die Strategien der Rechtsextremen auf und zeigt die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft dagegen. Kabis ist Fachanwalt für Strafrecht in Dortmund. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 18. Februar, ab 19 Uhr im Reinoldinum, Schwanenwall 34, statt.
Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, sind von der Veranstaltung ausgeschlossen.