Der Fastenmonat Ramadan ist für die Muslime in Dortmund und weltweit die wichtigste Zeit des Jahres. Mit dem Zuckerfest geht der Ramadan heute zu Ende. Im Keuning-Haus gab es ein großes gemeinsames Fastenbrechen (Iftar), zu dem der Rat der muslimischen Gemeinden in Dortmund und der Integrationsrat eingeladen hatten. Daran nahmen Vertreter:innen aller Religionsgemeinschaften und aus der Stadtgesellschaft teil.
Das Motto des Abends: „Dialog. Vertrauen. Vielfalt. Respekt. Toleranz.“
Das Fasten ist eine der fünf Säulen des Islam und wird von 80 Prozent der Muslime praktiziert. Zum Vergleich: Nur 40 Prozent der Muslime beten täglich, berichtete Dr. Naciye Kamcili-Yildiz (Uni Paderborn/ Islamische Akademie NRW) beim Talk vor dem Fastenbrechen. Das Motto des Abends: „Dialog. Vertrauen. Vielfalt. Respekt. Toleranz.“.
Die Fastenzeit als Zeit der inneren Einkehr und geistlichen Stärkung sei gerade in diesem Jahr mit seinen Katastrophen außerordentlichen Ausmaßes tröstlich, machte mehrere der Redner:innen deutlich. Aber der Ramadan sei auch eine Zeit der besonderen Nächstenliebe und des solidarischen Miteinanders. Diese verbinde die Glaubensgemeinschaften und die Stadtgesellschaft.
„Die soziale Dimension ist im Ramadan sehr wichtig“ betonte Dr. Naciye Kamcili-Yildiz. Das gelte für öffentliche Iftare, aber auch das Fastenbrechen in den Familien und Moschee-Gemeinden.
„Sie fördern sehr stark die soziale Identität und den Glauben. Wenn sie jemandem erzählen, dass sie fünf Mal am Tag beten, wird man komisch angeschaut. Aber wenn sie sagen, dass sie fasten, bekommen sie Respekt. Das Fasten positiv besetzt. Nur beim Nicht-Trinken von Wasser hört dann schnell der Respekt auf“, so die Islamwissenschaftlerin mit Blick auf die Reaktionen von Nicht-Muslimen.
Ein starkes Miteinander verschiedener Glaubensgemeinschaften
Der religiöse Teil zum Ramadan durfte natürlich auch nicht fehlen: Der Koranvortrag kam von Haris Kalac von der Bosnischen Sandzak-Gemeinde. Die Religionsbeauftragte der DITIB Osman Gazi Gemeinde in Huckarde, Tugba Tekin, sorgte für die Übersetzung und Erklärung. Deniz Greschner führte durch den Abend.
„Es ist für eine große Freude und Ehre, bei diesem wichtigen Bestandteil des kulturellen Miteinanders dabei zu sein“, sagte Leonid Chraga, Vorsitzender des Integrationsrates.
„Ich habe Respekt vor dem Fasten. Ich finde es herausragend, wie dieser Monat die Menschen zusammenführt und wieviel Solidarität und Wärme er spendet“, betont Chraga, der im Hauptberuf Geschäftsführer der Jüdischen Kulturgemeinde ist.
Das große gemeinsame Fastenbrechen sei etwas besonderes – insbesondere wegen des starken Miteinanders verschiedener Glaubensgemeinschaften. „Dass das so groß mit so vielen Gemeinschaften gemacht wird, kenne ich aus anderen Städten nicht“, so Chraga.
Das gemeinsame Fastenbrechen fördert den Dialog
Daran knüpfte Amir Aletic als Vertreter des Rates der Muslime in Dortmund an: „Es ist eine Ehre, gemeinsam das traditionelle Fastenbrechen zu feiern – das fördert den Dialog.“ Dieses Miteinander über die Grenzen der Religionsgemeinschaften hinweg werde seit Jahren und Jahrzehnten sehr erfolgreich in Dortmund praktiziert.
Der Umgang sei friedlich und respektvoll. Das ist nur möglich, weil so viele Gemeinschaften vertrauensvoll zusammenarbeiten und in Harmonie gemeinsam in Dortmund leben. „Die Muslime sind integraler Bestandteil der Gesellschaft und leisten wichtige Beiträge“, erinnerte Aletic mit Verweis auf die Worte des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der für seine Worte „Der Islam gehört zu Deutschland“ auch viel Kritik zu hören bekam.
„Wir wollen die Gemeinsamkeiten feiern, während wir die Unterschiede respektieren. Das ist der Schritt zu mehr Miteinander und Frieden, zu Respekt und Toleranz. Gemeinsam das Fastenbrechen zu feiern, steht für den respektvollen Dialog zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen. Wir müssen den Dialog auf Augenhöhe weiter fördern“, so der Vertreter des Rates der muslimischen Gemeinden in Dortmund.
30 Jahre Dialog und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Religionen
Das starke Miteinander zeige sich vor allem dann besonders eindrucksvoll, wenn Hilfe benötigt werde. „In Dortmund gibt es eine große Hilfsbereitschaft für Erdbebenopfer und Kriegsflüchtlinge. es wurde viel gesammelt und gemacht für die Türkei, Syrien und die Ukraine“, betonte Ratsvertreter Emre Gülec.
„Auch die Stadt hat Hilfe geleistet und mehrfach Zeichen gesetzt. Wir danken den Dortmunder:innen für die viele Unterstützung in herausfordernden Zeiten.“ Es sei wichtig, einander zu helfen und Halt zu geben. Jeder sei selbst für das gesellschaftliche Miteinander verantwortlich.
„Die Religionsgemeinschaften blicken auf mehr als 30 Jahren Dialog und vertrauensvolle Zusammenarbeit zurück – innerhalb des Dialogkreises der Abrahamsreligionen, aber auch mit der Stadt und der Polizei“, so Gülec. Das sei keineswegs selbstverständlich, sagte er in Richtung von Oberbürgermeister Thomas Westphal und Polizeipräsident Gregor Lange.
Der Umgang mit Flucht und Fremdheit als verbindendes Element
An das Verbindende appellierte auch Alexander Krimhand als Vertreter der Jüdischen Kultusgemeinde: „Es gibt verschiedene Riten und Rituale, aber die monotheistischen Religionen verbindet der Glauben an den einen Gott. Gerechtigkeit ist ein zentraler Begriff. Soziale Gerechtigkeit als Ziel zu verfolgen ist für das Judentum selbstverständlich. Das ist für uns wichtig. Auch die Hilfe für Menschen in Not – das ist im Christentum nicht viel anders.“
Diesen Ball griffen die Vertreter:innen der christlichen Kirchen gerne auf. Als Beispiel griff die katholische Seelsorgerin Thale Schmitz (Citypastoral) die Hilfe für die Menschen aus der und in der Ukraine auf. „In unseren Räumen war die Auffangstation der Caritas. Wir waren hautnah involviert. Man spürte unfassbare Anteilnahme“, so Schmitz. Und auch hier gab es eine enge Zusammenarbeit mit anderen Glaubensgemeinschaften: „Aus der jüdischen Kultusgemeinde kamen viele Menschen, die für die Übersetzung gesorgt hatten. Gemeinsam wollten sie für Gerechtigkeit sorgen und ein neues Zuhause schaffen.“
„In unserer Gemeinde gibt es viele Menschen aus der Ukraine und Fluchterfahrung ist ein ganz zentraler Begriff im Judentum“, sagte Alexander Krimhand mit Blick auf das Pessachfest, welches an den Auszug aus Ägypten erinnert. Die Erfahrung, Fremder und Flüchtling zu sein, diese Erfahrung sei seit Jahrtausenden im jüdischen Glauben verankert. Auch die Gerechtigkeit und der Umgang mit den Menschen würden damit begründet. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Denn Du warst selbst fremd in Ägypten. Das prägt“, sagte er mit Blick auf das 3. Buch Moses.
„Die Stadtgesellschaft hat geholfen – das war unglaublich wichtig“
Da viele Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion – aus der Ukraine und Russland – nach Deutschland gekommen seien, seien viele Gemeinden sofort auf persönlicher Ebene betroffen. Sie hätten schnell reagiert und auch die Menschen hätten sehr schnell sehr persönlich geholfen.
„Ich habe selbst gemerkt, dass diese Verantwortung sehr belastend sein kann. Aber es gab die Hilfe von der Gemeinde und von vielen anderen Stellen in der Stadtgesellschaft. Wir haben gespürt und erlebt, dass die Menschen geholfen haben. Die Stadtgesellschaft war da und hat geholfen – das war unglaublich wichtig“, so Krimhand.
Daran knüpfte auch der evangelische Pfarrer Friedrich Stiller an: „Der Umgang mit Flucht spielt für uns eine zentrale Rolle. Ob man ein guter oder schlechter Mensch ist, wird am Umgang mit Fremden bewertet. Flucht ist nicht die Ausnahme, sondern die Realität.“ Doch das sei in Deutschland nicht immer sichtbar.
Die Christen haben das Kirchenasyl neu für sich entdeckt
„Mit den ukrainischen Menschen haben wir Geflüchtete aus der Nachbarschaft. Ihnen gilt unsere volle Solidarität. Aber die anderen Geflüchteten dürfen wir nicht vergessen – auch sie haben gute Gründe“, so Stiller. Er erinnerte in dem Zusammenhang an das Kirchenasyl: „Das ist eine alte Tradition, die schon auf die hebräische Bibel zurückgeht. In der Neuzeit haben wir sie neu entdeckt.“
„Wir leben aber in einer Demokratie und einem Rechtsstaat, daher mussten wir das Kirchenasyl neu interpretieren – wir sind ja nicht mehr im Mittelalter. Heute schafft es ein Moratorium, wo die Not eines Menschen nicht ausreichend gewürdigt wurde“, so Stiller. Es gehe darum, „dem Rechtsstaat zu helfen, dass er zu einer guten Entscheidung kommt“.
Daher werde das Asyl nur in besonderen humanitären Härtefällen angewendet, um zu einer besseren Lösung zu kommen für Menschen, „die sonst durchs Raster fallen und untergehen“, sagte der evangelische Pfarrer mit Blick auf zwei Fälle von Kirchenasyl in Lünen.
„Wir sehen eurer Leid – euer Schmerz ist unser Schmerz“
„Das gemeinsame Fastenbrechen ist ein gutes Zeichen dafür, dass wir in Dortmund Brücken bauen wollen, statt Mauern zu ziehen“, sagte Oberbürgermeister Thomas Westphal in seinem Grußwort. „Uns verbindet, dass wir Dortmunderinnen und Dortmunder sind. Wir sind eine Großstadt der Nachbarn.“ Eine Großstadt, die zwar attraktiv sein will und ehrgeizig ist zu wachsen, aber auch eine Großstadt, die „nie vergessen hat, wo sie hergekommen ist – aus der Zeit der Solidarität“.
Für Dortmund sei es nicht wichtig zu fragen, „wo einer herkommt, sondern nur, wo er hinwill“, so Westphal. „Es ist auch ein gutes Zeichen, dass wir das auch mit einem fröhlichen Abend feiern.“ Dabei vergaß der OB nicht, dass dieser Ramadan ein besonderer Monat gewesen ist, weil viele der Anwesenden noch die Bilder des Erdbebens in Syrien und der Türkei vor Augen hätten. „Das ist gerade mal zehn Wochen her. Wir waren an diesem Tag auch im Keuning-Haus, als die Nachricht kam.“
„Manche Medien werden es schon fast vergessen haben. Wir haben es nicht vergessen. Wir wissen, was dort passiert ist. Wir wissen, welches Leid es über die Menschen gebracht hat, auch über viele Menschen hier, die dort Freunde und Familie dort haben“, so Westphal. Er wiederholte – wie schon beim gemeinsamen Trauergebet auf dem Friedensplatz, die Worte des Bundespräsidenten: „Wir sehen eurer Leid – euer Schmerz ist unser Schmerz. Ein Gefühl, das gerade auch in dieser Stadt vorhanden ist.“
Dortmund will auch beim Wiederaufbau in der Türkei helfen
„Daher bin ich froh und fröhlich, dass gemeinsam angepackt und schnelle Hilfe geleistet haben. Das ist noch nicht zu Ende – wir liefern weiter. Jetzt machen wir uns auch Gedanken zum Wiederaufbau“, berichtete er von seinem Telefonat mit dem türkischen Botschafter. „Wir sehen die Zerstörung. Der Wiederaufbau wird Milliarden kosten. 200 Milliarden Euro sind die ersten Schätzungen.“
„Das zeigt die Dimension, aber auch wie beschämend klein unsere Hilfe ist. Aber dennoch ist sie wichtig. Wir werden weiter darüber reden, wie wir unseren Beitrag leisten können. Wir werden nicht zuschauen, sondern aktiv dabei sein, wenn es um den Wiederaufbau geht“, sagte Westphal unter dem Applaus der Zuhörer:innen.
Er erinnerte an das Benefizkonzert, welches erst vor wenigen Wochen 150.000 Euro Erlös für eine Schule und eine Kindereinrichtung erbracht hatte. „Das Keuning-Haus steht immer dafür, dass es hilft und offen ist. Es ist unser schönstes Integrationshaus, das wir in dieser Stadt haben. Wir bleiben beieinander, egal was passiert“, so der OB.
Nach den vielen wertschätzenden Worten gab es Musik von einem Quartett aus Bursa. Dann kam der Moment, auf den vor allem die fastenden Muslime gewartet hatten: Nach dem Gebetsaufruf (Ezan) wurde das Buffett eröffnet. Das Essen hatte die Osman Gazi Moschee in Huckarde gekocht.
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