Es kommt nicht überraschend, ist aber dennoch ziemlich ernüchternd. Die Klage gegen den deutschen Textilkonzern KiK aufgrund eines Fabrikbrandes in einer Zulieferfirma in Pakistan 2012 wurde vom Landgericht Dortmund in erster Instanz abgewiesen. Begründet wird das Urteil mit der Verjährung des Vorfalls nach pakistanischem Recht, die zwei Jahre betrage. Diese Frist sei bei Einreichung der Klage schon abgelaufen gewesen. Ein Überlebender und drei Angehörige der Opfer des Fabrikbrandes in Karachi hatten den Konzern mit Hilfe des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) auf jeweils 30.000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Nun müssen sie die Prozesskosten tragen. Ob sie in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht in Hamm in Berufung gehen, ist noch nicht klar.
Klägerseite zeigte sich enttäuscht aber nicht überrascht über das Urteil
„Das Urteil kommt für uns nicht überraschend. Aber ob wir in Berufung gehen, müssen wir erst noch eindringlich mit unseren MandantInnen besprechen“, so Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. Sie war als einzige Vertreterin der Klägerseite bei der Urteilsverkündung am Donnerstag (10. Januar 2019) im Gerichtssaal und ließ sich das Urteil vom Vorsitzenden Richter Beckers erläutern.
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Dieser fasste sich kurz. In der Hauptsache verwies er auf ein Gutachten des britischen Rechtsgelehrten und Professors der University of Bristol, Ken Oliphant, auf welches sich das Urteil in weiten Teilen stützt.
Oliphant hatte sich mit den in Pakistan geltenden Rechtsgrundsätzen beschäftigt und war zu dem Schluss gekommen, dass allen in diesem Falle in Betracht kommenden Ersatzansprüchen eine Verjährungsfrist von zwei Jahren obliege. Das Gericht konstatierte, dass die Klage 2014 erst nach Ablauf dieser Frist eingereicht worden sei.
Bereits erfolgte Soforthilfezahlungen von KiK sind nicht als Haftungsanerkennung zu werten
Anders als beispielsweise im deutschen Recht, werde diese Frist nicht durch Verhandlungen der Parteien unterbrochen. Auch Verzichtserklärungen seien in Pakistan rechtlich nicht möglich. Es gebe Ausnahmefälle, die von Oliphant beschrieben werden, aber auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden könnten.
So könne man eine 2012 zwischen KiK und der regierungsunabhängigen Organisation PILER geschlossene Vereinbarung, durch die KiK sich zu Soforthilfeleistungen in Höhe von einer Millionen US-Dollar verpflichtete, nicht als schriftliche Haftungsanerkennung der Beklagten werten.
Vielmehr habe es sich hierbei um freiwillige Zahlungen gehandelt. Denn zum Zeitpunkt der Zahlungsvereinbarung seien weder die Brandursache noch deren konkrete Folgen absehbar gewesen.
„Wir finden das Urteil fair und gerecht. Der Brand in Pakistan war die Folge einer Brandstiftung. Wir waren moralisch dazu verpflichtet, den Angehörigen Soforthilfe zu leisten und haben dies auch auf freiwilliger Basis getan“, so die KiK-Anwälte.
Unkenntnis der pakistanischen Rechtsproblematik macht bisherige Vereinbarungen hinfällig
Die KlägerInnen sehen einen juristisch-strategisches Vorgehen in dem Verzicht des Unternehmens auf Einrede der Verjährung, wodurch es die geforderten Zahlungen verweigern könnte, um die Vergleichsverhandlungen der Parteien in die Länge zu ziehen und so eine Verjährung der Ansprüche zu provozieren.
Das Gericht sieht hierin jedoch kein arglistiges Verhalten. In der Urteilsbegründung heißt es: „Sowohl der Sachvortrag, als auch das Prozessverhalten der Parteien legten vielmehr den Schluss nahe, dass beide Parteien erst im Zuge des hiesigen Verfahrens durch die von ihnen jeweils eingeholten Privatgutachten bzw. privatgutachterlichen Stellungnahmen umfassend von der nach pakistanischem Recht bestehenden Verjährungsproblematik Kenntnis erlangt hätten.“
Verjährungsverzichtserklärung seitens KiK aus dem Jahr 2014 rechtlich unwirksam
Auch durch die vorgerichtlichen Regulierungs- und Vergleichsbemühungen der Parteien ließe sich keine konkludente Teilrechtswahl ableiten, die die Verjährungsfristen nach deutschem Recht beinhalte.
Ebenfalls mit der Begründung, dass die Prozessbevollmächtigten und die Parteien offenkundig erst durch die im hiesigen Verfahren eingeholten Rechtsgutachten umfassend Kenntnis über die Verjährungsfristen im pakistanischen Recht erlangt hätten, seien ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein und ein Rechtsbindungswille und damit eine Vereinbarung ausgeschlossen gewesen.
Durch diese Unkenntnis sei auch die 2014 im Rahmen der Verhandlungen der Parteien abgegebene und 2016 widerrufene Verjährungsverzichtserklärung des KiK-Unternehmens rechtlich nicht wirksam. Die komplette Urteilsbegründung kann im Anhang des Artikels als pdf-Datei eingesehen werden.
Hartes Urteil für die Hinterbliebenen; Hoffnungen vieler MenschenrechtsaktivistInnen enttäuscht
Viele BeobachterInnen hatten gehofft, dass der KiK-Prozess einen Präzedenzfall darstellen würde. Zum ersten Mal schien es möglich, dass ein westliches Unternehmen juristisch für die Nichteinhaltung von Sicherheits- und Arbeitsvorschriften in einem Billiglohnland zur Verantwortung gezogen würde.
Doch bereits am ersten Verhandlungsstag Ende November 2018 zeichnete sich ab, dass vor Gericht rechtliche Grundsatzfragen vor der Schmerzensgeldklage geklärt werden müssten. So wurde die extra aus Pakistan angereiste Saeeda Khatoon, die beim Fabrikbrand 2012 ihren 18-jährigen Sohn verlor, gar nicht erst angehört (wir berichteten, siehe Anhang des Artikels).
Ob die KlägerInnen gegen das Urteil Berufung einlegen ist noch offen. Doch durch die bereits geleisteten Soforthilfezahlungen seitens KiK und die in dieser Urteilsbegründung aufgeführten rechtlichen Grundlagen des Falles, sind die Aussichten auch in zweiter Instanz nicht wirklich vielversprechend.
Für die Hinterbliebenen der Opfer sicher ein schwer zu verdauendes Urteil. Ihnen ist zu wünschen, dass die Zeit den Schmerz ihres Verlustes lindern wird, auch wenn die Endgültigkeit der erlittenen Schicksalsschläge sie niemals wird vergessen lassen.
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