Ein katholischer Pater schreibt über die Liebe. Dabei geht es ihm weniger um die idealisierten Vorstellungen der allumfassenden Liebe Gottes und der christlichen Nächstenliebe, sondern vielmehr um die zwischenmenschlichen Erscheinungsformen. Es geht um Lebensnähe und Realitäten, die die Menschen tagtäglich erleben. Es ist der Versuch die Ideale der Kirche mit Lebenswirklichkeit zu verbinden. Dabei spricht er die für die Institution Kirche brisanten Themen des Zölibats, der Homosexualität und des Missbrauchs direkt an und möchte dadurch gemeinsam mit dem Bonifatius-Verlag eine offene, vertrauensvolle Debatte in Gang setzen.
Kirche steht sich beim Thema Sexualität oftmals selber im Weg
„Ich kann mich gut daran erinnern, dass auch in meiner Priesterausbildung in der Diözese das Thema der sexuellen Identität völlig ausgeblendet wurde. Es hieß einfach, von einem bestimmten Zeitpunkt an, lebt ihr zölibatär“, erinnert sich Pater Siegfried Modenbach.
Doch was dies im Einzelfall bedeuten kann und wie die Betroffenen mit ihrer unterdrückten Sexualität zurecht kommen sollten, wurde schlicht und einfach ausgeklammert. Anders sei dies in seiner weiteren Laufbahn bei den Pallotinern gewesen. Hier habe man einen offenen Umgang mit dem Thema gepflegt und dies sei dankend von den angehenden Priestern angenommen worden.
„Es ist offensichtlich, dass der katholischen Kirche die vertrauensvolle Offenheit beim Thema Sexualität fehlt. Mein Buch stellt die aktuelle Situation in der Glaubensgemeinschaft dar und versucht zu zeigen, wie sich die Kirche bei diesem Thema selber im Wege steht“, so Rodenbach.
Pater Siegfried Modenbach bringt 25 Jahre Erfahrung als Seelsorger mit sich
Es habe im Vorfeld der Veröffentlichung keine Probleme mit der zuständigen Diözese Paderborn gegeben. Vor fünf bis sechs Jahren wäre dies vielleicht noch anders gewesen, doch mit der Amtseinführung von Papst Franziskus im Jahre 2013 habe sich das Klima diesbezüglich positiv verändert.
Es geht Autor und Verlag darum, dass das „Versteck spielen“ und die Tabuisierung aufhören und die Dinge klar benannt werden. Dabei sind sich sowohl Autor als auch Verlag darüber im Klaren, dass die Publikation sowohl Anklang als auch Widerspruch auslösen wird, sowohl institutional als auch bei den Gläubigen selbst.
In „Liebe hat viele Gesichter“ fließen 25 Jahre Erfahrung Modenbachs als Seelsorger ein, in denen er sich intensiv und immer wieder mit dem Themenkomplex auseinandersetzte. Als Leiter einer Jugendbildungsstätte der Pallotiner in Olpe stellte er fest, dass dies ein dringendes Bedürfnis seiner Auszubildenden war und schlug in Eigenregie neue Wege ein.
Auch Priesterkandidaten sind sexuelle Wesen, die ihre Sexualität auch spüren
So schuf er als Ausbilder eine offene Atmosphäre, in der alles gesagt werden durfte und es keine Tabuthemen gab. „Wir haben von Beginn an ganz offen über Hetero- und Homosexualität gesprochen, mit dem Ziel, dass die Kandidaten gar nicht erst auf die Idee kommen, ein Versteckspiel beginnen zu müssen um ihre Sexualität zu verschleiern“, erklärt der Dortmunder Pater.
Sexualität dürfe nicht weiter verdrängt werden, denn sie fände immer einen Weg. Doch dass dieser dann problematisch werden könne, bewiesen die Missbrauchsskandale, die in den letzten Jahren die Medien beherrschten.
„Ich, als jemand, der die Kirche liebt, habe sie oft beim besten Willen nicht verstanden. Warum werden verschiedene Formen von Liebe und Partnerschaft einfach nicht akzeptiert?“, fragt sich Modenbach. Das Buch möchte einen anderen Umgang mit Sexualität bei der Kirche etablieren, sie neu bewerten. Kirche sollte doch gerade für Randgruppen und Minderheiten der Gesellschaft stark sein.
Auch gleichgeschlechtliche Beziehungen sind segenswürdig
Doch durch den bisherigen Umgang mit dem Themenkomplex haben sich schon viele Menschen, darunter natürlich viele Betroffene von der Kirche abgewandt. Die abwehrende Haltung der Kirche wird ihr diesbezüglich selber zum Verhängnis. Dagegen hat Rodenbach etwas und will dies verhindern, indem er innovative Alternativen vorschlägt.
Wenn es um die Frage der homosexuellen Eheschließung mit christlichem Segen geht, antwortet Rodenbach: „Wer bin ich, wer ist die Kirche, diesen Paaren den Segen zu verweigern?“ Die Kirche müsse akzeptieren lernen, denn im Grunde, würden dieselben gemeinsamen Werte, einander verbinden. Dabei spiele die sexuelle Ausrichtung keine Rolle.
Dem Angebot einer kirchlichen Segensfeier läge die Überzeugung zugrunde, dass im gemeinsamen Leben der PartnerInnen sittlich Gutes da sei: Treue, Fürsorge, Verantwortung und Verpflichtung. Dieses Gute verdiene Gutheißung und sei, wo der Glaube ins Spiel käme, segenswürdig.
Autor arbeitet seit über 25 Jahren als Seelsorger für junge Menschen
Die Kirche solle sich über Homosexuelle freuen, die Interesse an christlicher Gemeinschaft zeigen trotz der ablehnenden Haltung der Institution. Rodenbach kämpft für ein Umdenken, für Toleranz und Respekt. Es geht ihn mit seinem Buch darum die Menschen durch Erzählen seiner Erfahrungen aufzuklären.
So macht er klar, dass die Bibel zum Thema Homosexualität keinerlei Stellung bezieht. In seinem Buch heißt es: „Was sagt die Bibel also zur homosexuellen Liebe? Schlicht und einfach-nichts! Es besteht überhaupt der Verdacht, dass die ganze Diskussion „Homosexualität und Bibel“ eine aufgezwungene Diskussion ist. Der Bibel sind homosexuelle Liebesbeziehungen unbekannt. Und ein biblisches Verbot homosexueller Liebesbeziehungen ist nirgends zu sehen.“
Dass die Kirche hierfür zumindest teilweise offen und aufgeschlossen ist, beweist zum Beispiel Bischof Franz-Josef Overbeck in Essen. Nachdem er den theologischen Ballast von fehlgeleitetem Idealismus über Bord geworfen hat, besucht er nun halbjährlich die Aids-Hilfe in Essen und erkundigt sich nach dem Stand der Dinge und wie die Kirche sich helfend einbringen kann.
Missbrauchsskandal war ein Skandal der Sprachlosigkeit
Ein weiterer wichtiger Bestandteil seines Buches ist es, auch über die Pervertierung von Sexualität durch Missbrauch und Gewalt zu sprechen. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche sei für den Autor vor allem ein Skandal der Sprachlosigkeit gewesen. Mit Entsetzen habe er die rhetorische Hilflosigkeit der Kirchenverantwortlichen zur Kenntnis genommen.
„Wir sollten unterscheiden zwischen einer Kirche als Gemeinschaft von Menschen, die sich an Jesus Christus und den Werten des Evangeliums orientiert – und einer Kirche als Organisation von Berufstätigen Bischöfen, Priestern und Laien, die sozusagen das Management übernommen haben“, heißt es im Buch.
Es gebe in der Kirche zu viele Menschen, die glauben würden, sich im Besitz der gefühlten und hergeleiteten Wahrheit zu wähnen, die für sie unumstößlich gelte. Aus diesem Grund würden die Vorwürfe völlig verständnislos aufgenommen. Die Kirche müsse diesbezüglich den Wert des Dialogs als Erkenntnisgewinn für sich erkennen, ein Schritt, den Papst Franziskus der katholischen Kirche eigentlich vorlebe.
Die Grundpfeiler des Vertrauens und des Glaubens stehen kurz vorm Zusammenbruch
„Wer sich vor allem um die Unbeflecktheit des eigenen Erscheinungsbildes sorgt, kommt automatisch ins Stottern, sobald die Wirklichkeit das Ideal blamiert“, heißt es auf Seite 48 von „Liebe hat viele Gesichter“. Das Verhalten mancher Bischöfe zum Thema Missbrauch sei von großen Teilen der Öffentlichkeit als Offenbarungseid einer weltfremden, unsensiblen und in sich verpanzerten Kirche empfunden worden.
Hier will Modenbach ansetzen. Es geht ihm um ein konstruktives Miteinander von Bischöfen und Laien in Zeiten, die die Grundpfeiler des Vertauens und des Glaubens nicht nur erschüttert hätten, sondern sie kurz vor dem Zusammenbruch stünden. Es reiche nicht aus einfach die Richtlinien zu ändern, wie in Zukunft mit sexuellem Missbrauch in der Kirche umgegangen wird.
Im Falle der Missbrauchsskandale wäre es einfach gewesen Verantwortung zu übernehmen und um Verzeihung zu bitten. „Ein wenig Demut hätte dem ein oder anderen unter den Kirchenmännern gut zu Gesicht gestanden, denn Demut heißt theologisch gesehen: Erkenne, welche Position Du vor Gott und den Menschen hast.“, heißt es im Buch.
Hochgehängte Ideale treffen auf abgründige Wirklichkeit
Die katholische Kirche habe jedoch aus ihren Fehlern gelernt. „In allen deutschen Diözesen gibt es bei einem aufkommenden Verdacht sexuellen Missbrauchs klare Regeln und einen Leitfaden, wie zu verfahren ist, damit man auch allen Betroffenen wirklich gerecht werden kann.“ Auch die Missbrauchsprävention stünde inzwischen auf sehr guten Füßen; eine Schulung kirchlicher MitarbeiterInnen auf allen Ebenen sei heutzutage selbstverständlich und überall gängige Praxis.
Die Zukunft der Kirche sieht der Autor durch die engere Zusammenarbeit zwischen Laien und AmtsträgerInnen. „Denn ohne die Bischöfe wird es nicht gehen. Es wird allerdings Zeit, dass Laien endlich den Stellenwert in der Kirche bekommen, der ihnen auch gebührt. Was die Kirche in Zukunft brauche, sei Selbsterkenntnis und Selbstkritik.
Altes müsse absterben, damit Neues aus dem Grab hervorkommen könne. Mauern des Schweigens und die Gräben zwischen hochgehängtem Ideal und einer abgründigen Wirklichkeit müssten überwunden werden. Aus dem Wissen ihrer Fehlerhaftigkeit könne die katholische Kirche eine neue Offenheit und Gesprächskultur entwickeln, die sie für die Gesellschaft wieder relevanter werden ließe.
„Die Kirche muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass Lust und Erotik gefährliche wilde Tiere sind, die in den Käfig der genauen Vorschrift gehören. Die Sexualität in ihrer ganzen Vielfalt muss aus der Dunkelkammer heraus.“
Weitere Informationen:
Der Autor:
Siegfried Modenbach, Jahrgang 1962, Theologe und Sozialpädagoge, seit 1990 Pallotiner, 1995 zum Priester geweiht, von 1992 bis 2002 Leiter des Jugendhofes in Olpe, danach bis 2007 Regens in Fallender, seit 2007 Leiter des Katholischen Forums in Dortmund.
Das Buch erscheint in der Reihe 3×7 des Bonifatius-Verlages. In der Buchreihe „3×7 Zusagen des Glaubens“ betrachten die AutorInnen und Autoren die Facetten des Lebens aus christlicher Sicht.
Das Buch ist über den Bonifatius-Verlag erhältlich: ISBN 978-3-89710-799-1