Jüdische Geschichte in Dortmund: Viel Handarbeit auf den Friedhöfen für die digitale Spurensuche im Internet

Nathanja Hüttenmeister und Dan Bondy dokumentieren die Steine auch fotografisch.
Nathanja Hüttenmeister und Dan Bondy dokumentieren die Steine fotografisch. Fotos: Alex Völkel

Von Alexander Völkel

Aus den unterschiedlichsten Gründen erforschen Menschen die Biografien von lange verstorbenen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Zum Beispiel, weil Verwandte wissen wollen, wer einst ihre Ahnen waren und was aus ihnen wurde. Oder weil sie mehr über das Leben der Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland vor dem millionenfachen Massenmord in der Nazi-Zeit wissen wollen.

Viele Informationen lassen sich bisher nicht digital recherchieren

Heimatforscher Klaus Winter gab den Anstoß für die Inventarisierung der jüdischen Friedhöfe in Dortmund.
Heimatforscher Klaus Winter gab den Anstoß für die Inventarisierung der jüdischen Friedhöfe in Dortmund.

Klaus Winter gehört zu letzterer Gruppe. Der Heimatforscher beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte seines Heimatortes Aplerbeck.

Aber auch der Dortmunder Geschichte – darunter auch die der Juden – widmet sich der 58-Jährige. Immer wieder bekommt er Anfragen von Angehörigen aus der ganzen Welt, die mehr über ihre Ahnen erfahren wollen.

Keine leichte Aufgabe für alle interessierten Menschen: Denn viele der Daten sind nicht online recherchierbar, nicht oder nicht mehr erfasst. So ist es auch bei den vielen jüdischen Friedhöfen.

Daran soll sich zumindest in Dortmund etwas ändern: Das Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen hat damit begonnen, die ersten Friedhöfe systematisch zu erfassen.

Spenden und Projektmittel machen die Erfassung in NRW erst möglich

Teilweise sind die fast 200 Jahre alten Inschriften nur schwer zu entziffern.
Teilweise sind die fast 200 Jahre alten Inschriften nur schwer zu entziffern.

Möglich ist dies aber nur, wenn Spenden oder Projektmittel zur Verfügung stehen. Auf 160 Friedhöfen ist das bereits durch das Essener Institut passiert. 30.000 Steine sind bei ihnen online in der Datenbank abruf- und recherchierbar. Doch rund 2000 Friedhöfe gibt es in Deutschland.

In Baden-Württemberg und Hessen gibt es Landesprojekte für Datenbanken – dort wurden alle Friedhöfe bereits in den 1980er Jahren inventarisiert. Das Saarland ist mittlerweile vollständig erfasst.

In Brandenburg hat sich die Uni Potsdam ein solches Vorhaben auf die Fahnen geschrieben und auch in Bayern tut sich etwas. Die Bedeutung solcher Datenbanken wird nach und nach erkannt.

In NRW ist das Steinheim-Institut zu Gange. Allerdings gibt es dafür keine Landesmittel. Sie müssen sich für jeden Friedhof neu um Projektmittel oder Sponsoren bemühen und sind daher auch in anderen Bundesländern aktiv.

„Die größten Projekte waren in Frankfurt am Main und in Hamburg. Dortmund war bisher für uns ein weißer Fleck“, räumt Nathanja Hüttenmeister vom Steinheim-Institut ein. Doch das ändert sich gerade.

Aplerbecker Heimatforscher gab den Anstoß zur Erfassung der Dortmunder Friedhöfe

In Aplerbeck gibt es zwei kleine jüdische Friedhöfe bzw. Grabfelder.
In Aplerbeck gibt es zwei kleine jüdische Friedhöfe.

Den Anstoß in Dortmund hat Klaus Winter gegeben. Er wollte aus eigener Tasche die aufwändige Inventarisierung der beiden kleinen jüdischen Friedhöfe in Aplerbeck finanzieren. Pro erfasstem Stein schlagen 40 Euro zu Buche – für seinen Heimatort waren das 2000 Euro.

Die Bezirksvertretung Aplerbeck hat die Bitte um eine Unterstützung in Höhe der 2000 Euro aufgegriffen.  Neben den Friedhöfen in Aplerbeck ist mittlerweile auch der Friedhof in Dorstfeld in der Datenbank erfasst und online abrufbar. Die Kosten von 2300 Euro dafür hat die dortige Bezirksvertretung übernommen.

In den Sommerferien hat sich nun das Steinheim-Institut den Friedhof im Hörder Kampweg vorgenommen. Die 3400 Euro für die Inventarisierung hat das Stadtbezirksmarketing finanziert. Idyllisch liegt der Friedhof am Kampweg. Er ist eher unscheinbar und mehr wie ein Park als ein Friedhof.

Die Grabsteine auf den Dortmunder Friedhöfen sind bis zu 200 Jahre alt

Teilweise sind die fast 200 Jahre alten Inschriften nur schwer zu entziffern.
Gut erhalten und leserlich ist dieser Stein.

Doch zugänglich ist er nur, wenn man sich bei der Stadt den Schlüssel holt. Denn eine Mauer umgibt ihn. Für die Größe des Geländes sind es vergleichsweise wenig Gräber. Viele liegen über das Areal verteilt auf der Wiese oder unter den großen alten Bäumen.

Doch auch die Bäume stellenweise Schatten spenden: Die Arbeit ist anspruchsvoll, anstrengend und schweißtreibend. Denn die Grabsteine müssen händisch von Moos, Gras und Dreck befreit werden, um die Inschriften wieder lesbar zu machen. Selbst wenn dies passiert ist, sind die teils 200 Jahre alten Grabsteine nur schwer zu entziffern.

Deutsche und hebräische Inschriften finden sich dort. Häufig müssen sie regelrecht freigelegt werden: Auf den im Boden eingelassenen Platten hat sich eine dicke Moosschicht gebildet, die nun mit Bürsten und teils sogar kleinen Schaufeln freigelegt werden.

Die jüdischen Grabsteine werden ganz vorsichtig freigelegt und gereinigt

Nathanja Hüttenmeister befreit einen Stein vom Moos, um die Inschrift wieder sichtbar zu machen.
Nathanja Hüttenmeister befreit einen Stein vom Moos, um die Inschrift wieder sichtbar zu machen.

Ganz vorsichtig und mit viel Respekt gehen die Beteiligten vor. Gräser, Unkräuter und teils sogar Büsche und Ranken bedenken Teile der stehenden Steine. Sie müssen weg – denn Inschriften sind so nicht erkennbar und wichtige Details könnten verloren gehen.

Sie werden ganz vorsichtig „freigelegt“, bevor die eigentliche Arbeit beginnen kann. Nur Ausgraben würden sie die Steine nicht – das wäre eine Störung der Totenruhe, macht Nathanja Hüttenmeister deutlich. Sie sind ja Historiker und keine Archäologen – Ausgrabungen gibt es hier nicht.

Unproblematischer ist es da, die stehenden Grabsteine abzuwaschen und und so vom Staub und Dreck zu befreien. Auch das passiert ganz vorsichtig – denn gerade die alten Sandstein-Platten sollen keineswegs beschädigt werden.

Akribisch werden sie dann von Nathanja Hüttenmeister, Dan Bondy und Anna Martin erfasst, übersetzt und natürlich auch fotografiert. Jeweils vor und nachdem der jeweilige Stein gereinigt wurde, werden Bilder gemacht.

Das ist eine eigene Kunst. Denn auf die Beleuchtung kommt es an, um die die Entzifferung der Schriften zu erleichtern. Es wird ein Lageplan gemacht, alle Texte erfasst. Anschließend werden sie übersetzt und in der Datenbank mit weiteren Informationen ergänzt.

Schweißtreibende Arbeit an einem heißen Sommertag im Juli

Auch Klaus Winter – ansonsten eher am Schreibtisch und in Archiven zu Hause – packt hier tatkräftig mit an – an diesem heißen Sommertag eine schweißtreibende Arbeit. Schließlich sind in Hörde rund 85 Grabsteine erhalten geblieben, die es zu reinigen gilt.

Mit von der Partie ist Willi Garth. Der Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Heimatpflege hat die Idee von Klaus Winter unterstützt. „Für uns war das eine einmalige Gelegenheit. Wer weiß, wann sich die Möglichkeit wieder geboten hätte.“ Daher hilft auch Garth im Hörder Kampweg und reinigt Steine.

Die Reinigungs- und Erfassungsaktion wäre ein gutes Projekt für Jugendgruppen

Willi Garth reinigt einen der Steine auf dem Friedhof im Hörer Kampweg.
Willi Garth reinigt einen der Steine.

Hätten die beiden Heimatforscher gewusst, wieviel Handarbeit damit verbunden ist, hätten sie sich wahrscheinlich weitere Mitstreiter gesucht und vielleicht auch Schulen und Vereine angesprochen. Denn schon bei den Stolpersteinen gab es große Resonanz von jungen Leuten.

Dies wäre auch für weitere Projekte ein wichtiger Ansatzpunkt. Nicht zuletzt, weil ja noch weitere Friedhöfe auf Sponsoren und helfende Hände warten. In Mengede und Wickede sind es sehr kleine Friedhöfe.

Der Jüdische Friedhof in Mengede liegt an der Siegenstraße/Ecke Groppenbrucher Straße. Er wurde ab dem 19. Jahrhundert genutzt und im Jahr 1952 geschlossen. Dort stehen 20 Grabsteine.

In Wickede ist das jüdische Gräberfeld noch kleiner. Der Friedhof liegt an der Straße „Fränkischer Friedhof“ südlich vom evangelischen Friedhof – es gibt dort noch acht Steine. 1940 fanden Umbettungen statt. 1946 wurde die heutige Anlage geschaffen und ein Gedenkstein gesetzt.

Die Inschrift des Gedenksteins lautet: „An dieser Stelle hat der israelitische Friedhof der Gemeinde Wickede seit ungefähr 150 Jahren bestanden und ist 1938 dem Rassenhaß und der Unduldsamkeit zum Opfer gefallen. Die jetzt geschaffene Grün- und Ruheanlage ist in den Besitz der Stadt Dortmund übergegangen und wird der Obhut und Pflege aller Bürger anvertraut.“

Hauptaufgabe wäre die Erfassung von Osten- und Hauptfriedhof

Nicht alle Grabsteine stehen noch - dieser ist in sich zusammengestürzt.
Nicht alle Grabsteine stehen noch – dieser ist in sich zusammengestürzt.

Die eigentliche Aufgabe wartet allerdings noch auf dem Ostenfriedhof (auch Ostfriedhof oder Ostpark genannt) sowie auf dem Hauptfriedhof. Aufwand und Kosten sind hier ungleich höher.

Rund 300 jüdische Gräber blieben auf dem im Jahr 1921 geschlossenen Ostenfriedhof erhalten. Auf dem alten jüdischen Teil des Hauptfriedhofs sind es sogar 665 erhaltene Gräber.

Wie die Finanzierung dafür aufgebracht werden soll, darüber scheiden sich die Geister. Ein erster Anlauf des Instituts beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe ist gescheitert. Sie wollen es nun mit einem anderen Fördertopf versuchen. Wenn dies nicht gelingt, wäre ein groß angelegtes Spendenprojekt oder Crowdfunding denkbar.

Bei den Stolpersteinen hat die Finanzierung mit Patenschaften geklappt. Die Arbeit auf den beiden großen Friedhöfen hätte zudem das Potenzial, mit Schulklassen, Jugendgruppen, den Botschaftern der Erinnerung oder mit internationalen Jugendgruppen daran zu arbeiten. Viele Möglichkeiten – doch alles noch Zukunftsmusik.

Bei der Erfassung werden bisher unbekannte Steine wieder sichtbar

Dan Bondy legt einen weiteren Stein frei, der überwuchert war.
Dan Bondy legt einen überwucherten Stein frei.

Derweil konzentrieren sich die Aktiven auf die direkt vor ihnen stehenden und liegenden Grabsteine am Hörder Kampweg.

Dabei gibt es immer wieder Erfolgserlebnisse: Unter Büschen und an der Hecke haben sie zwei Grabsteine gefunden, die sie bisher noch nicht auf dem Schirm hatten. So legt Garth mit einer kleinen Schaufel die Grasnarbe frei, die sich über einen liegenden Stein geschoben hat.

Die Geschichte der Hörder Juden reicht bis in die Anfänge des 14. Jahrhunderts zurück. Höhepunkt war der Bau der neuen Synagoge im Jahr 1900.

„In Hörde waren die Juden gut integriert und gleichberechtigt. Hier gab es sehr viele jüdische Geschäfte“, berichtet Willi Garth und zeigt eine Zeitungsanzeige, mit der einige der jüdischen Geschäftsleute auf die geplante Geschäftsschließung wegen eines hohen Feiertags hinweisen.

1927, ein Jahr bevor das 34.600 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Hörde nach Dortmund eingemeindet wurde, lebten in Hörde rund 400 Menschen jüdischen Glaubens. Ihre „letzte“ Ruhestätte musste allerdings mehrfach umziehen: Anfang des 18. Jahrhunderts hatte die jüdische Gemeinde Hörde vor dem Mühlentor an der Emscher (damalige, nicht heutige Seekante) einen eigenen Friedhof.

Von wegen „letzte Ruhestätte“:  Der Hörder Friedhof ist vier Mal umgezogen

Heimatforscher Klaus Winter reinigt einen der Steine in Hörde.
Heimatforscher Klaus Winter packt mit an.

1854 wurde der ev. Friedhof im Bickefeld (späteres Werksgelände, heute Seegelände) eingeweiht. An der östlichen Friedhofsecke wurde der neue jüdische Friedhof angelegt und der am Mühlentor aufgegeben.

Nach der Ausdehnung des Hüttenwerks nach Osten wurde auch dieser Friedhof 1937 endgültig abgeräumt. Katholiken und Protestanten wurden auf die neuen Friedhöfe Am Oelpfad umgebettet.

Die jüdischen Toten hatte man bereits 1911 nach Benninghofen in den Hörder Kampweg umgebettet. „Insgesamt 59 Erwachsene und 11 Kinder“, weiß Garth. Der Friedhof wurde 1967 geschlossen. Doch bereits nach den 1930er Jahren gab es kaum noch Bestattungen.

Statt neuen finden sich hier stattdessen auch sehr alte Grabsteine: Die ältesten sind fast 200 Jahre alt. Für die Aktiven ein besonderer Schatz – aufgereiht an der Friedhofsmauer. Sie sind die „attraktivsten“ Steine aus Dortmund – zumindest so lange, bis die nächsten Finanzierungen stehen und die aufwändig gestalteten Gräber vom Ostenfriedhof ebenfalls in die Datenbank aufgenommen werden können…

Hier die Links zu den bisher veröffentlichten Dortmunder Friedhöfen beim Steinheim-Institut:

Datenbank-Link zum Friedhof Dorstfeld

Datenbank-Link zum Friedhof Aplerbeck (Kommunalfriedhof)

Datenbank-Link zum Friedhof Aplerbeck (an der Schweizer Allee)

HINTERGRUND 

Das Steinheim-Institut

Teilweise sind die fast 200 Jahre alten Inschriften nur schwer zu entziffern.
In der Datenbank sind Texte und Bilder der Steine abruf- und recherchierbar.
  • Das Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen (kurz: Steinheim-Institut) mit Sitz in Essen erforscht Geschichte und Kultur der Juden im deutschen Sprachraum als deutsch-jüdische Geschichte von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart.
  • Das dichte Netz der Beziehungen zwischen jüdischer und allgemeiner Gesellschaft und ihrer Geschichte(n) wird unter religions- und sozialgeschichtlichen, literatur- und kulturwissenschaftlichen Perspektiven untersucht.
  • Innerjüdische Zusammenhänge, Quellen und Traditionen rücken zunehmend in den Mittelpunkt der Arbeit in Forschung und Vermittlung. Sie eröffnen neue Einsichten in die Art und Weise, wie Juden im deutschen Sprachraum und darüber hinaus in Europa ihre Welt selbstbewusst und vielseitig interaktiv gestalteten.

Wer war Salomon Ludwig Steinheim?

  • Salomon Ludwig Steinheim (1789-1866), nach dem das Institut benannt ist, war Mediziner, Religionsphilosoph und Gelehrter. Geboren im östlichen Westfalen, wirkte er 1811-45 als Arzt in Altona; von 1854 an lebte er in Italien.
  • Als Publizist setzte sich Steinheim für die Emanzipation der Juden in Schleswig-Holstein ein. Sein theologisches Hauptwerk, „Die Offenbarung nach dem Lehrbegriff der Synagoge“ (1835-65), erweist ihn als originellen Denker, der sich nicht einfach in die zeitgenössischen Kategorien von Orthodoxie oder Reformbewegung einordnen lässt.
  • Mit der Namensgebung des Instituts 1986 sollte eine der bedeutendsten, zu Unrecht vernachlässigten Persönlichkeiten der deutsch-jüdischen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts geehrt werden.

 

Ein Video des Dortmunder Filmemacher sUlrich Baringhorst über Klaus Winter und das jüdische Grabfeld 14 auf dem Ostenfriedhof gibt es hier:  (Falls sich das Video nicht darstellt, bitte Browserfenster neu laden)

Feld 14 | Geschichten, die fehlen from Ulrich Baringhorst on Vimeo.

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