Die journalistische Ehrenamtsinitiative aus der Nordstadt hat den Fritz-Henßler-Preis verliehen bekommen. Mit der alle zwei Jahre von der SPD-Fraktion im Stadtrat vergebenen Auszeichnung soll bürgerschaftliches Engagement für das Gemeinwesen, insbesondere der Einsatz für Demokratie und Freiheit nach Vorbild ihres Namensgebers, dem Dortmunder Sozialdemokraten und Nachkriegs-OB Fritz Henßler gewürdigt werden. Die Verleihung fand in einem feierlichen Rahmen im Bürgersaal des Dortmunder Rathauses statt.
Ohne freie Berichterstattung eines kritischen Journalismus kann Demokratie nicht bestehen
Anerkennung für die Nordstadtblogger: ihre Arbeit als ehrenamtliche JournalistInnen wurde mit dem Fritz-Henßler-Preis geehrt.
Gestiftet 1986 zum 100. Geburtstag des vom NS-Regime verfolgten Sozialdemokraten, der als junger Mann in Dortmund heimisch wurde, wird er an Personen und Institutionen „für die beispielhafte Mitwirkung bei der Gestaltung des bürgerschaftlichen Zusammenlebens“ vergeben, das jene Freiheit und Demokratie fördert, für die sich Fritz Henßler sein Leben lang eingesetzt hat.
Verliehen wird die Auszeichnung nur alle zwei Jahre von der Dortmunder SPD-Stadtratsfraktion; allein dies mache sie zu etwas besonderem, betont deren Vorsitzender, Norbert Schilff, im Bürgersaal des Rathauses. An Ort und Stelle fand gestern Abend, 1. Oktober, die offizielle Preisverleihung im feierlichen Rahmen statt.
Mit dabei vor zahlreichen Gästen: ein Streichquartett der Dortmunder Philharmonie. Warum ging der Preis an die Nordstadtblogger? Da verbrächten Menschen einen großen Teil ihrer Freizeit mit kritischem Journalismus, dazu vielseitige Berichterstattung.
Auch sie würden manchmal nicht verschont, nimmt Norbert Schilff die eigene Partei von den Spielregeln einer Demokratie nicht aus, in denen sich eins der Motive für den hier verliehenen Preis spiegelt: ungehinderte Meinungsbildung als Ermöglichungsbedingung für Wahlentscheidungen und Partizipation setzt Berichterstattungs- wie Kommentarkompetenzen einer freien Presse in Wort und Bild voraus.
Offenheit in freiheitlich-demokratischer Gesellschaft erstreckt sich mitnichten auf Ewiggestrige
Sich an die Nordstadtblogger wendend, spricht er natürlich besonders und stellvertretend für alle Alexander Völkel an, auf dessen Initiative hin, nur drei Monate nach Auflösung der Dortmunder Lokalredaktion der Westfälischen Rundschau (WR), der Blog im April 2013 als Ehrenamtsinitiative gegründet wurde.
Besonders ihm gilt die Auszeichnung. Und sie passt in einem weiteren Sinne: Gelernter Schriftsetzer, wurde Fritz Henßler mit knapp 30 Jahren Chefredakteur der Dortmunder Arbeiter-Zeitung.
Befunden über die Preisvergabe habe eine Jury, gebildet durch den Geschäftsführenden Vorstand der Ratsfraktion; der habe gleichwohl vor einer schwierigen Entscheidung gestanden, erklärt Schillf.
Der Grund dafür wiederum ermutigt: weitere Organisationen hätten in diesem Jahr den Preis mit gleicher Berechtigung erhalten können. Das mache nur deutlich: zahlreiche Menschen in dieser Stadt engagierten sich im Sinne Fritz Henßlers. Das ehre auch ihn.
Gerade nach den Ereignissen in der vergangenen Woche sei dies enorm wichtig. – Und dann gab es zwischendurch mächtig Applaus, als der SPD-Fraktionsvorsitzende klar macht: „Die Ewiggestrigen, die aus der Vergangenheit aber nun gar nichts gelernt haben, die haben keinen Platz in einer Gesellschaft, die sich gemeinsam für ein freiheitliches, demokratisches und vielfältiges Zusammenleben einsetzt.“
Ullrich Sierau: ausdrückliche Anrede von DemokratInnen – wem’s nicht gefiele, könne gehen
Das Grußwort der Stadt wird von Ullrich Sierau vorgetragen. Das mit der einleitenden Begrüßung der Gäste hätte der „Nobbi“ ja eigentlich schon gemacht.
Um Wiederholungen zu vermeiden, beschränkt sich der OB „aus gegebenem Anlass“ beim obligatorischen Adressieren auf: „Liebe Demokraten und Demokratinnen, liebe Freunde der Pressefreiheit und der Meinungsvielfalt“ – und „sollte sich jetzt jemand von mir nicht ausreichend richtig angesprochen fühlen, der kann auch gerne gehen.“
Demokratie lebt davon, dass sich BürgerInnen einbringen, vom freiwilligen Engagement, das eine Gemeinschaft bereichert. Das sei eine der Stärken dieser Stadt, mache sie leistungs- und zukunftsfähig, so Ullrich Sierau stolz – und weiß: „Ohne das Ehrenamt wäre Dortmund ärmer“. Ein Teil dessen seien die Nordstadtblogger. Deren Gründung möge zwar für das Internet nur ein kleiner Schritt gewesen sein, jedoch ein großer für die Medienlandschaft, aus der sie nicht mehr wegzudenken wären.
Aufbereitete, einordnende Berichte, deutlich werdende Trennung zum Kommentar, keine Fake-News, sondern ehrlich, klare Kante, vielfältig, gern auch „nicht immer eine Soße“, also kritisch – gibt Sierau einige Male Stichworte zur Beschreibung der journalistischen Arbeit des Blogs, aber auch gern ein paar Hinweise, wie nach seinen Vorstellungen in dem Metier überhaupt zu arbeiten sei. – Natürlich, es gefällt nicht immer alles. Muss und soll es auch nicht.
Grußwort im Namen des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) von Kay Bandermann
Kay Bandermann, Vorsitzender des Presseverein Ruhr (im DJV), sieht durch die Nordstadtblogger guten, kritischen und vor allem professionellen Journalismus in Dortmund verwirklicht, dessen Bedeutung, auch als Zulieferer für überregionale Medien über die Stadt hinausreiche.
Gemeint sind damit gleichermaßen die positiven Wirkungen auf den Arbeitsethos professionell ausgerichteter journalistischer Tätigkeit. Insofern bedankt sich Kay Bandermann auch als Vertreter des DJV herzlich für die Auszeichnung.
Vielleicht seien Nicht-Journalisten als LeserInnen nicht immer glücklich mit den Nordstadtbloggern. Aber, appelliert Kay Bandermann: „Unsere Aufgabe ist es nicht, die Politik glücklich zu machen.“ Es müsse eine Akzeptanz geben, dass die Ergebnisse journalistischer Arbeit nicht immer angenehm seien.
Schließlich gäbe es ein gemeinsames Ziel: ein weltoffenes Dortmund. „Freuen Sie sich einfach, dass es die Nordstadtblogger gibt“, will er in diesem Sinne kritische Berichterstattung offenbar eher als Einladung verstanden wissen, am gesellschaftlichen Diskurs mitzuwirken. Auch Fritz Henßler wäre hier wohl d’accord gewesen. – Es darf im demokratischen Prozess ums ein oder andere Mal mithin durchaus etwas kantiger zugehen.
Fritz Henßler: „Wir wollen nicht die Verstaatlichung des Menschen, sondern die Vermenschlichung des Staates.“
Das setzt sich fort bei der anschließenden Ehrung für den journalistischen Einsatz zur Stärkung von Demokratie: „Vorsicht, die Medaille ist schwer“, warnt Norbert Schilff bei der Übergabe.
Sieht darin aber nicht nur Nachteile: „Nach bösen Menschen darf man damit auch werfen“, witzelt er. Fritz Henßler hätte bestimmt nichts dagegen gehabt.
Und zitiert das Paradigma, unter dem die Verleihung des Preises steht, mit den Worten Fritz-Henßlers, der während der Nazi-Diktatur neun Jahre lang eingesperrt war, acht davon im KZ Sachsenhausen verbrachte: „Wir wollen nicht die Verstaatlichung des Menschen, sondern die Vermenschlichung des Staates.“
Drei Monate nach Schließung der WR: Nordstadtblogger beginnen mit der Berichterstattung
Es muss – damals im Januar 2013, als die Lokalredaktion der Westfälischen Rundschau geschlossen wurde, plötzlich 120 MitarbeiterInnen die Kündigung in der Hand hielten – schlimm gewesen sein.
Kay Bandermann erwähnt seinerzeit unter den KollegInnen kursierende Begriffe wie „Konstrukt“ / „Zombie-Zeitung“. Die besorgniserregende Konsequenz der Schließung: mit der Medienvielfalt in der Stadt – jenseits der Blau- und Rotlichtberichterstattung – wäre es endgültig vorbei gewesen. So schien es.
Alexander Völkel, bis heute ehrenamtlicher Betreiber der Nachrichtenseite, streift in seiner Dankesrede diese Zeit nur beiläufig. Es musste etwas geschehen, um eindimensionale Berichterstattung in Dortmund zu vermeiden.
Nordstadtblogger haben Zukunftspläne – Jugendredaktion in Planung
Als er kurz darauf mit mehreren KollegInnen das Ehrenamtsprojekt „Nordstadtblogger“ gründete, war bezeichnenderweise das Thema der ersten Veröffentlichung in dem Blog: die Errichtung des NSU-Denkmals neben der Auslandsgesellschaft in der Nordstadt.
Zweitens, ebenfalls bezeichnend für ihn: der Blick nach vorn. Wie geht es nach nunmehr fünfeinhalb Jahren weiter mit dem Projekt? Da sind Pläne, da sind Sorgen. Eine Jugendredaktion solle etwa an den Start gebracht werden, Gespräche mit dem Jugendring liefen. Das Problem: die Ehrenamtsinitiative stößt an ihre Grenzen wegen zunehmender Kosten, die privat getragen werden müssen.
Seit anderthalb Jahren gäbe es ein Redaktionsbüro, damit u.a. Studierende der Journalistik Praktika absolvieren könnten und drei ehemals Langzeitarbeitslose, die über das Programm „Soziale Teilhabe“ bis Ende 2018 finanziert werden, einen Arbeitsplatz hätten.
Nordstadtblogger bieten über ein Unterstützungsmodell weiterhin kostenfreie Berichterstattung
Dann ginge es mit dem Programm nicht weiter, weil sich das ab Januar 2019 seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geplante Nachfolgeprojekt nicht mehr primär an gemeinnützige Organisationen, sondern mit einem „verkappten Kombilohnmodell“ stattdessen vor allem an klassische Unternehmen richtete.
An die 300 Stellen in der Gemeinwesenarbeit seien im Programm „Soziale Teilhabe“ davon allein in Dortmund betroffen. Die Beschäftigten stünden erneut vor der Arbeitslosigkeit, machte Alexander Völkel deutlich. Außerdem stellt sich die Frage, wie auf Gemeinnützigkeit gerichtete Projekte diesen Verlust an Arbeitskraft kompensieren sollten.
Daher stellen sich die Nordstadtblogger die Frage, wie zukünftig Einnahmen generiert werden können, um die regelmäßigen Kosten zu decken. Denn auch Ehrenamt braucht und kostet Geld.
Kostenpflichtige Angebote widersprechen den sozialen Ansprüchen der BloggerInnen aus der Nordstadt. Sie möchten ihre redaktionellen Beiträge allen, insbesondere auch einkommensschwachen Menschen, kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Daher, so der Gründer des ehrenamtlichen Medienprojekts, solle nun im Rahmen eines solidarischen Unterstützungsmodells versucht werden, Kosten einzuspielen, um weiterhin ein unabhängiges, ehrenamtliches Nachrichtenangebot in Dortmund sicherzustellen.
Denn die Stadt habe Medienvielfalt verdient. – Und immerhin: mit Auszeichnung und Preisverleihung an dem Abend hat zumindest ein Teil der Stadtgesellschaft dokumentiert, dass sie das durchaus ähnlich sieht.
Die bisherigen PreisträgerInnen waren:
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- 1986 Stadtsportbund
- 1988 Autorengruppe „Bioökologischer Bewertungs- und Grundlagenkatalog für die Stadt Dortmund“ unter der Leitung von Dr. Heinrich Blana
- 1990 Stadtverband Dortmund der Kleingärtner
- 1992 Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege
- 1994 Kinderschutzbund Dortmund und die Pflegeeltern im städtischen Pflegekinderdienst
- 1996 Mitternachtsmission
- 2000 Horst Zeidler; Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion von 1984 bis 1994
- 2002 Verein der Zoofreunde e.V.
- 2004 Betriebsräte und Personalräte in Dortmund
- 2007 ZWAR e.V.
- 2009 Verband der Freiwilligen Feuerwehr Dortmund e.V
- 2012 Gemeinschaft Hospiz Dortmund
- 2014 Tierschutzverein Groß-Dortmund e.V.
- 2016 Mehrgenerationenhaus Mütterzentrum Dortmund e. V.
- 2018 Nordstadtblogger
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