Von Angelika Steger
Themen, die die Gesellschaft wirklich bewegen und mit denen sich die Politik zu beschäftigen hat – nein, es ging nicht um das Thema Flüchtlinge. Beim Jahresempfang der Stadtratsfraktion „Die Linke & Piraten“ in Dortmund wurde deutlich, was den Menschen in ganz Deutschland unter den Nägeln brennt. Wenn Janine Wissler, eine der prominenten Vertreterinnen der Partei „Die Linke“ redet, hört das Publikum aufmerksam zu. Hier spricht jemand, die das wirklich so meint, so denkt, was sie sagt. Man hat den Eindruck: Wissler geht es nicht nur um WählerInnen-Stimmen. Es geht ihr um Gerechtigkeit und ein würdevolles Leben für alle Menschen in diesem Land.
Politische Karriere als Berufspolitikerin war nicht vorgezeichnet
Die Fraktion „Die Linke und Piraten“ im Stadtrat hatte mit Wissler bereits den dritten bundespolitischen Promi nach Dortmund geholt. Nach Prof. Dr. Christoph Butterwegge – damals Bundespräsidenten-Kandidat der Linken vor zwei Jahren und Gregor Gysi im vergangenen Jahr war nun die Stellvertretende Bundesvorsitzende und Hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler zu Gast.
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Sie hätte auch Journalistin werden können, sagte sie im Interview des Abends. Ihre Eltern waren immer politisch, aber in keinem politischen Amt. Die Mutter war Mitglied der DKP, ein Bild und Zitat von Rosa Luxemburg, die sie als eine der wichtigsten Personen des Sozialismus beschreibt, hing immer an der Küchentür.
Mit acht Jahren hätten sie und ihre Eltern ein KZ besucht, denn: man müsse aus der Geschichte lernen. Als Jugendliche ist Janine Wissler dann verschiedenen politischen Gruppen, u.a. Attac und der WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit, eine der Vorläuferinnen der Partei „Die Linke“) beigetreten, denn: weil die Welt ungerecht sei, lohne es sich zu kämpfen, sagte sie in ihrer Rede. Allerdings dachte sie zu diesem Zeitpunkt nicht daran, Berufspolitikerin zu werden.
Vor 15 oder 20 Jahren hatte es noch keine Partei gegeben, wo sie Mitglied sein hätte können. 2008 hat die heutige stellvertretende Bundesvorsitzende Janine Wissler das erste Mal kandidiert, seit 2009 ist sie Mitglied des hessischen Landtages und Fraktionsvorsitzende der Partei „Die Linke.“
Vorbilder, die die Fraktionsvorsitzende aus Hessen immer noch inspirieren
Rosa Luxemburg sei eine der beeindruckendsten Figuren der Geschichte. In dieser Zeit als Frau aktiv zu sein, Schriften zu veröffentlichen trotz Repressionen (Luxemburg saß während des gesamten 1. Weltkrieges in Haft), das sei bemerkenswert.
Sozialismus könne nur durch „Emanzipation von unten“ geschehen. Der Linken-Politikern Wissler geht es aber nicht um Geschichts-Schwärmerei. Vielmehr seien die Ideen von Luxemburg heute noch eine Inspirationsquelle. Mehr Frauen müssen in die Parlamente einziehen.
Am 19. Februar 2019 ist der Jahrestag der Rede der ersten Frau im Reichstag, Maria Juchacz. Wenn die Frauen vergangener Jahrzehnte nicht gekämpft hätten, gäbe es keine der Errungenschaften für die Frauen, die wir heute haben (z.B. das passive und aktive Wahlrecht). Der Kampf ist aber laut Janine Wissler noch lange nicht zu Ende. Lohnungleichheit, die Unterrepräsentation in Ämtern und Vorstandsetagen ist für Frauen immer noch ein Thema.
Der Paragraph 219 a Strafgesetzbuch gilt immer noch, eine Ärztin wurde kürzlich dafür verurteilt und das, obwohl bereits 1923 Käthe Kollwitz ein Plakat gemacht habe mit der Aufschrift „Nieder mit dem Paragraphen 219 a! Man merkt Wissler deutlich an, wie sie dieses Thema bewegt.
Hessische „Linke“ kann auf Unterstützung gesellschaftlicher Gruppen zählen
Seit mehr als zehn Jahren nun ist die Partei „Die Linke“ im hessischen Landtag vertreten. „Das kommt auch davon, dass wir großes Glück mit den Wahlterminen hatten“ betont Janine Wissler. 2012 wäre „Die Linke“ nur auf sechs Prozent gekommen und aus dem Landtag geflogen.
Die Besonderheit in Hessen sei die starke Verankerung in den Gewerkschaften. Man müsse zwar auch mal eine gute Rede halten, aber dadurch allein würde man die Gesellschaft nicht verändern.
Die Landtagsfraktion „Die Linke“ ist es laut Wissler, die regelmäßig „aktuelle Stunden“ zu den Themen betriebliche Streitpunkte und Tarifverhandlungen einbringen. „Das Niveau der Debatte erhöht sich, wenn z. B. Busfahrer mit auf dem Podium sind“, glaubt sie.
Guter Rat: Politik soll nicht fern und abgeschirmt von den Menschen stattfinden
Die Forderung der Busfahrer lautete nach mehr Lohn. Daraufhin habe auch der Verkehrsminister bestätigt, dass diese Lohnforderung der Busfahrer gerechtfertigt sei. Die Verdi-Vertreter auf der Zuschauertribüne wären darüber erfreut gewesen.
Der folgende Tarifabschluss sei daraufhin im Radio und allen Medien als Meldung gewesen. Das zeichnet für Wissler gute Politik aus: Bürger ins Parlament zu holen und ihre drängenden Fragen anzuhören und ihre Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit zu unterstützen.
„Parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit muss verbunden werden“, davon ist die Linken-Politikerin Janine Wissler überzeugt. Zu jeder Veranstaltung wie z. B. Diesem Jahresempfang komme sie vorbereitet an.
Sogar die bürgerlich-konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung lobt ihren Politikstil. Ein großes Lob für eine linke Politikerin in einer nicht-linken Tageszeitung.
Jedes Parlament braucht eine starke Opposition: Wissler sieht Regierungsarbeit in Hessen kritisch
Derzeit ist Janine Wissler nicht nur Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag, sondern auch die Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses.
Sie sieht das angesichts der vorherrschenden Regierungsparteien auch mit leichter Belustigung, denn klar, FDP und CDU hätten zuerst laut protestiert, dass nach dem festgelegten Turnus nun eine linke Politikerin gerade dem Wirtschaftsausschuss vorstehen soll.
Viele ,grüne‘ Themen sind in der Regierungsvereinbarung weggefallen. So hätten die hessischen Grünen ihre ureigensten Themen aufgeweicht oder gestrichen: die Asylpolitik sei hier zu nennen oder der Widerstand gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. In den letzten Tagen erst sei eine schwangere Frau mit zwei Kindern fast abgeschoben worden – verhindert nur durch die Weigerung des Piloten, das Flugzeug zu starten. Wissler wirft den Grünen eine Placebo-Politik vor. Mit nur einer Stimme Mehrheit würde alles für die CDU getan, während die Grünen selbst kein Profil mehr hätten.
2013 wäre eine andere Regierungskoalition möglich gewesen – an der Linken scheitere es nicht
An der Linken wären im 2013 die Koalitionsverhandlungen nicht gescheitert, betont sie. 20 Stunden Verhandlungen hätte nichts gebracht, um mit Bündnis 90/Die Grünen oder der SPD eine Koalition einzugehen.
Allerdings sind derzeit die Schnittmengen mit der hessischen Grünen-Politik sehr gering. „Wir müssen deutliche Opposition zu der CDU – und Grünen-Regierung sein“, sagt Wissler.
Allein sei Hessen damit nicht: auch in Baden-Württemberg hätte Bündnis 90/ Die Grünen ihr Profil verloren. Momentan sind es die sozialen Bewegungen, die die Bündnispartner für „Die Linke“ in Hessen seien.
Menschen haben Bedürfnis nach Sicherheit – das muss die Politik erfüllen
Die Große Koalition in Berlin diskutiere über drei Flüchtlinge an der bayerischen Grenze, die illegal eingereist seien und stelle das als Problem dar. Die Forderungen von rechtspopulistischen Parteien wie der AfD nach verschärfter Abschiebung würden in Gesetze gegossen.
Aber so würde man niemals Sicherheit für die Menschen schaffen. „Sicherheit schafft man dadurch, dass man den Pflegenotstand bekämpft, also mehr Pflegekräfte einstellt und den öffentlichen Wohnbau stärkt.“
Wissler wird nicht müde, all die drängenden sozialen Themen, denen sich die hessische Landespolitik wie auch die Bundespolitik zu wenig oder gar nicht zuwende. Die Wohnungsnot und die steigenden Mieten müssen bekämpft werden anstatt eine erneute Videoüberwachung zu installieren. Videoüberwachung schaffe keine Sicherheit für die BürgerInnen.
Großer Kritikpunkt: die Agenda 2010 und ihre Folgen bis heute
Speziell die SPD, die in letzter Zeit die sozialen Themen wie z. B. Den Mindestlohn wieder als ihr Thema entdeckt habe, tue Hartz IV als „Kollateralschaden“ der Agenda 2010 ab. Die gesamte Agenda sei aber ein Fehler gewesen, prangert die Linken-Politikerin laut an.
Niemand habe dauerhaft durch die Hartz-Gesetze Arbeit bekommen, die Leiharbeit hat dagegen reguläre Beschäftigung verdrängt – das war aber vorher klar gewesen. Hartz IV nimmt den Menschen die Würde, nicht nur das Geld, auch durch die sinnlosen Kontrollen in der Wohnung, die angeblich drei Quadratmeter zu groß ist.
Die Absurdität: der erzwungene Umzug von Hartz-IV-Empfängern und der gleichzeitige Leerstand, weil mit diesen Wohnungen spekuliert werde.
Die Linke will den Wohnungsleerstand nutzen – auch durch gesetzlichen Zwang
All diesen Themen, vor allem dem Thema Wohnungsnot müsse sich die Bouffier-Regierung stellen, anstatt rechtspopulistischen Slogans hinterher zu laufen. Es gäbe keinen unbegründeten Leerstand.
Gegen den Willen der Eigentümer muss eine Wohnungsnutzung durchgesetzt werden. „Die hessische Landesregierung sagt dazu nur, dass sie Eigentum stärken wolle. Aber wie soll sich jemand eine Wohnung kaufen, wenn er kein Geld dafür hat?“
In den Worten von Wissler wird die Widersprüchlichkeit der Regierungsarbeit in Hessen klar. In Frankfurt hatte es einen Mietentscheid gegeben, um gegen steigende Mieten und Leerstand zu protestieren: 50.000 Unterschriften waren dabei entstanden.
Thema Mobilität: Linke stellt aufsehenerregende Forderung auf
In Zeiten von Klimawandel und immer größerer Luftverschmutzung wird der Ruf nach anderen Mobilitätsformen neben dem motorisierten Individualverkehr laut.
„Die Linke“ will dazu einen kostenlosen ÖPNV. Finanziert werden könne dies durch die Streichung von Subventionen und Steuerprivillegien zu Gunsten des motorisierten Individualverkehrs.
Im Wahlprogramm der Partei „Die Linke“ findet sich eine aufsehenerregende Forderung: SUVs in Innenstädten zu verbieten. Diese Fahrzeuge bräuchten viel zu viel Platz und erzeugen zu viele Abgase.
Autoherstellern würden immer größere Fahrzeuge bauen – und das in einer Zeit, in der der Klimawandel längst da und spürbar ist. Diese „Stadtpanzer“ (Zitat Wissler) sind einfach nur katastrophal und eine völlige Fehlentwicklung.
Blick auf die Nordstadt – Bei Bildung ist nicht nur die Politik in Hessen gefragt
Eine Schulform für alle, das ist das große Ziel der Partei „Die Linke.“ „Bisher wird nach der vierten Klasse aussortiert, bereits im Alter von neun Jahren wird darüber entschieden, welchen Bildungsgrad das Kind haben wird und ob es arm bleibt oder nicht“, beklagt die Fraktionsvorsitzende.
Das deutsche Schulsystem sei noch wie das im Kaiserreich. Bei gleichen Leistungen haben Kinder aus Migrantenfamilien oder armen Familien immer noch geringere Chancen. Außerdem brauche es mehr LehrerInnen.
„Bildung ist ein Menschenrecht und darf nicht deshalb stattfinden, weil jemand Glück gehabt habe, in eine nicht arme Familie geboren worden zu sein“, betont Wissler.
Bundesregierung nimmt BürgerInnen ernst – aber an der falschen Stelle
„Wenn Pegisten auf die Straße gehen, spricht die Bundesregierung vom ,besorgten Bürger‘, den man ernst nehmen müsse. Aber bei Protesten für die Seebrücke oder gegen TTIP sagt sie das nicht“, ärgert sich die engagierte Politikerin.
Bei Wisslers Ausführungen wird dieser Widerspruch deutlich. Seebrücke ist eine Bewegung, die sichere Seewege und sichere Häfen für Flüchtlinge fordert, damit im Mittelmeer nicht noch mehr Menschen auf ihrer Flucht nach Europa ertrinken. Auch in Dortmund gab es entsprechende Demonstrationen.
Die Konzentration auf die Asylpolitik sei immer ein Ablenkungsmanöver der Bundesregierung, um sich nicht z. B. Mit dem Pflegenotstand befassen zu müssen. Man dürfe niemals rechtspopulistischen Parteien das Wasser abgraben, indem man ihre Forderungen in Gesetze gießt.
Linken-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler: „Nie das Stinktier überstinken“
Mit Blick auf die vergangenen Wahlen – aber auch die bevorstehenden Wahlen auch in Dortmund – warnte sie davor, auf rechtspopulistische Parolen einzugehen.
„Man soll nie versuchen, das Stinktier zu überstinken“ erinnerte Wissler ausgerechnet an eine Rede von Franz Josef Strauß. Trotzdem hätten CDU/CSU der AfD den Nährboden bereitet.
Flüchtlinge dürfen nicht gegen Hartz-IV-Empfänger ausgespielt werden – die Politik muss klar benennen, wer da wem Geld wegnimmt: nämlich die Konzerne den Hartz-IV-Empfängern, nicht die Flüchtlinge.
Mit diesem Thema endete die Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Janine Wissler ihre kämpferische Rede beim Jahresempfang der Stadtratsfraktion Die Linke/Piraten. Es gebe viel zu tun für die Politik auf Landes- und Bundesebene – und das nicht allein bei der Asylpolitik.
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