Atanas Georgiew kann so leicht nichts aus der Ruhe bringen. Seit 15 Jahren ist er im bulgarischen Plovdiv als Polizist im Einsatz. Der Spezialist für Straßenkriminalität ist für die Roma-Viertel zuständig. Er kennt seine „Pappenheimer“ und seine Mitbürger in Stolipinovo. Dass er allerdings in der Dortmunder Nordstadt von seinen Landsleute wiedererkannt wird und auch selbst viele Gesichter wiederkennt, hat den Beamten überrascht. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dititar Iliev aus Sofia unterstützt er die Dortmunder Polizei. Für zwei Wochen gehen sie in der Nordstadt mit den Deutschen auf Streife.
Straßenkriminalität in der Nordstadt im Visier der Ermittler
„Sie sind hier, weil uns der Schuh hier besonders drückt“, beschreibt Dortmunds Polizeichef Norbert Wesseler die Gründe für die länderübergreifende Zusammenarbeit. Übrigens nichts Neues: 2011 waren schon einmal bulgarische Polizisten zu Gast, als es um die Bekämpfung der Straßenprostitution ging. Jetzt ist die Straßenkriminalität im Fokus.
Allerdings sind die beiden Bulgaren nur Berater: Ohne Uniform, ohne Waffe und ohne Hoheitsrechte sind sie in Dortmund unterwegs. Begleitet werden sie von Dortmunder Beamten: Die Zusammenarbeit mit Bulgarien ist für sie nicht neu. Doch erfolgte die Zusammenarbeit bisher telefonisch oder online. Jetzt können sie Auge in Auge arbeiten und sich austauschen. Dabei helfen Sprachkenntnisse und Übersetzer.
Internationale Zusammenarbeit überwindet Sprachbarrieren
Der große Vorteil: Die Bulgaren haben keine Sprachprobleme, mit ihren Landsleuten in der Mallinckrodtstraße ins Gespräch zu kommen. Übrigens nicht alles Kriminelle – wie alle Beteiligten unisono betonen: „Die meisten kommen hierher um zu leben und zu arbeiten“, so Wesseler. Aber es gibt eben auch Kriminelle: „Und denen wollen wir es so schwer wie möglich machen“.
Dunkelziffer: Viele Bulgaren und Rumänen sind nicht gemeldet
Rund 1700 Bulgaren sind in Dortmund gemeldet. Doch die wirkliche Zahl wird deutlich höher sein, räumt die städtische Rechtsdezernentin Diane Jägers ein. Die Stadt sei nur mittelbar mit dem Einsatz der bulgarischen Beamten befasst. Aber dennoch erhofft man sich auch im Rathaus durch die Zusammenarbeit Erkenntnisse.
„Für uns stehen soziale Fragestellungen im Mittelpunkt“, so Jägers. Die Problemhäuser und die Gesundheitsvorsorge sind zwei der Themen. „Wir erwarten uns mehr Erkenntnisse.“
Denn die direkte Ansprache sei – nicht nur wegen der Sprachbarriere – oft schwierig: „Die Menschen haben oft Angst, weil sie eine Ausweisung fürchten.“ Doch darum gehe es nicht. „Wir wollen gemeinsam Schlepperbanden entgegentreten und die Menschen aus deren geldgierigen Fängen holen.“ Das ist auch nötig: Schlepper helfen zum Beispiel bei Behördengängen. Gegen Geld versteht sich. Dabei wären diese ja eigentlich kostenlos möglich. Doch bei diesen Fragen kann die Polizei nur am Rande helfen.
Erst kommen bulgarische Polizisten, dann bulgarische Sozialarbeiter
Daher geht die Zusammenarbeit auch weiter: In Kürze sollen bulgarische Sozialarbeiter kommen. Den Kontakt vermittelt in beiden Fällen die bulgarische Botschaft. „Wir wollen den Städten helfen, die besonders von der Zuwanderung betroffen sind. Mit Dortmund haben wir eine besonders gute Zusammenarbeit“, betont Botschaftsrat Georgi Nenov.
Das unterstreicht auch Nordstadt-Wachleiter Detlev Rath: „Damals hatten wir 700 Straßenprostituierte in der Nordstadt, überwiegend bulgarische Roma.“ Die Beamten hätten damals helfen können, Fragen zu klären und Informationen zu geben.
Bulgarische Informationskampagne: „Deutschland ist nicht Mekka“
Daran soll nun auch angeknüpft werden: Schließlich weiß niemand so genau, was sich ab 1. Januar 2014 – dann gilt die vollständige Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen – ändern könnte. Schon jetzt informiere die bulgarische Regierung mit Informationskampagnen ihre Bevölkerung, dass in Deutschland „nicht Mekka ist“, so Nenov. „Wir versuchen aufzuklären, dass sie ohne Bildung und Sprachkenntnisse in Deutschland keine Chance haben“, berichtet der Botschaftsrat. „Aber die Menschen glauben uns nicht“, räumt er kleinlaut ein.
Reichtumsgefälle lässt Menschen weiter kommen
Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist stärker: Die, die ihr Glück versucht haben, berichteten nur Gutes. „Niemand wird zugeben, dass er auf die Schnauze gefallen ist“, so Nenov. „Sie fotografieren sich gegenseitig vor teuren Autos, auch wenn es nicht ihre sind.“ Daher kommen weiter Menschen nach Dortmund und Deutschland – das Reichtumsgefälle zu Bulgarien sei eben riesig.
Die Enttäuschung der Wirtschaftsflüchtlinge in Deutschland hält sich anscheinend in Grenzen: „Zehn Prozent haben gesagt, dass sie nicht das vorgefunden haben, was sie erwartet hätten. Sie wollten zurückgehen“, berichtet Georgiev aus seinen bisherigen Gesprächen in der Nordstadt und schiebt gleich nach, dass diese Zahl nur eine persönliche Einschätzung sei.
„Ich glaube es einfach nicht, dass noch viele kommen.“
Doch im Umkehrschluss heißt das, dass 90 Prozent bleiben werden. Die andere spannende Frage: Wieviele werden denn ab Januar noch kommen? Der Botschaftsmitarbeiter winkt ab: „In der Masse wird sich nicht viel ändern. Wer es wagt, ist schon da“, sagt Nenov. „Ich glaube es einfach nicht, dass noch viele kommen.“
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Weitere Links zum Thema im Internet:
Link zum “freundeskreis für nEUbürger und roma”
Der Flyer mit Hilfsangeboten zum DOWNLOAD
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nordstadtblogger
Warum gibt es keinen Gegenbesuch?
Die Unterstützung aus Bulgarien ist sicher sehr „nett“. Aber umgekehrt wird „ein Schuh draus“. „Bei den Bürgern der Nordstadt ist durch viele Veranstaltungen im Gedächtnis geblieben, dass deutsche Hilfe nach Bulgarien gesandt wird, damit dort die Strukturen gefestigt werden können. Davon scheinen wir ja weit entfernt zu sein. Dazu kommen auch noch freundlicherweise Sozialarbeiter nach Dortmund.
Wenn also Polizei und Sozialarbeiter nach Deutschland/ Dortmund entsendet werden können, warum ist das dann nicht in Bulgarien möglich, zumal Geld dafür da ist.
Ist hier die deutsche Tugend „vorauseilender Gehorsam“ am Werk? Wie sieht es mit einem Gegenbesuch aus?“, fragt Gerda Horitzky, Vorsitzende des Stadtbezirkes Innenstadt-Nord.
Gerda Horitzky, CDU-Vorsitzende im Stadtbezirk Innenstadt-Nord