Integration statt „nur“ angekommen: Veränderte Bedarfe der Geflüchteten – Forum in Dortmund diskutiert Perspektiven

Großes Interesse gab es am 6. Dortmunder Flüchtlingsforum. Fotos: Alex Völkel
Großes Interesse gab es am 6. Dortmunder Flüchtlingsforum. Fotos: Alex Völkel

Von Alexander Völkel

Geflüchtete sind Teil der Neuzuwanderung in Dortmund. Neben den dringlichen Fragen von sicherem Ankommen, Unterbringung/Wohnen und Erlaubnis von Aufenthalt und Arbeitsaufnahme drängen sich ihnen zunehmend Fragestellungen der zukünftigen Lebensperspektive in Dortmund auf. Fragen wie z.B. „Wie lange stehe ich außerhalb der Gesellschaft, in der ich lebe?“ oder „Wie gelingt es, als handelnder Mensch in der Gesellschaft, am Arbeitsmarkt zu agieren?“ drängen in den Vordergrund. Das sechste Dortmunder Forum für Geflüchtete stand daher unter dem Motto: „Wie lange gelte ich als Flüchtling?“

Kommunen müssen sich auf den veränderten Bedarf von Geflüchteten einstellen

Organisator Detlev Becker
Organisator Detlev Becker

Der Dortmunder AK Kimble  hatte gemeinsam mit der Stadt Dortmund und dem Integration Point der Arbeitsagentur in das Dietrich-Keuning-Haus eingeladen. Das Forum ist als regelmäßige Dialog-, Austausch- und Arbeitsplattform für zentrale Fragestellungen zum Thema Flüchtlinge angelegt, machte Organisator Detlev Becker deutlich.

„Denn die Bedarfslagen verändern sich. Integration in den Arbeitsmarkt, Qualifizierung, Deutschunterricht und Anbindung im Quartier sind Themen. Aber es gibt auch andere Bedarfe – die von Menschen, die schon länger hier sind. Darum wird es auch in Arbeitsgruppen gehen“, kündigte Becker an. 

Flüchtlinge in Betrieben, Austausch zu kommunalen Strategien der Neuzuwanderung und Quartiersarbeit, Empowerment, Ansätze und Arbeit der MigrantInnen-Organisationen gegen die individuelle Isolation waren weitere Themen.

Statt 200 wie in 2015 kommen 2018 nur noch 29 Geflüchtete pro Woche an

Ulrich Piechotta (Sozialamt)
Ulrich Piechotta (Sozialamt)

In Vertretung von Sozialdezernentin Birgit Zoerner erinnerte auch Ulrich Piechota an die Herausforderungen der vergangenen Jahre: Rund 8.000 Geflüchtete und 1.500 sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hat Dortmund aufgenommen. „Wenn wir die Familienangehörigen dazurechnen, können wir von etwa 11.000 Menschen ausgehen.“ 

In Spitzenzeiten 2015 habe die Stadt rund 200 Geflüchtete pro Woche neu aufgenommen – ungefähr so viel wie im gesamten Jahr 2011. „Die Unterbringung und Versorgung ist insgesamt gut gelungen. Das wäre ohne das Engagement vieler Akteure nicht möglich gewesen“, stellte Piechota fest. 

„Herausragend gute Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt. Dortmund kann Kooperation. Beeindruckend viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich, auch wenn sie aus dem medialen Fokus gerückt sind. Sie haben wertvolles Know-how aufgebaut, das aus der Arbeit mit den Flüchtlingen nicht mehr wegzudenken ist“, lobte die Stadt.

Das Netz der „lokal willkommen“-Anlaufstellen in Dortmund wird ausgebaut

„lokal willkommen“ befindet sich am Brackeler Hellweg 146.
Die erste Einrichtung „lokal willkommen“ für Brackel und Aplerbeck befindet sich am Brackeler Hellweg 146.

Die Rahmenbedingungen haben sich mittlerweile verändert. 29 Menschen pro Woche nimmt die Stadt Dortmund in diesem Jahr im Schnitt auf. „Das hört sich wenig an, zeigt aber, dass wir es vermutlich mit einem dauerhaften Zustand zu tun haben, was nicht wundert bei der globalen Situation. Wir sind gerüstet“, erklärte Piechota. 

„So bleibt mehr Zeit für die ganz große Aufgabe, Geflüchteten gute Teilhabemöglichkeiten zu schaffen, damit sie in der Mitte der Gesellschaft ankommen“, so Piechota. „Wir brauchen einen ganz langen Atem. Es gibt keine einfachen Lösungen, sondern viele Barrieren und Förderlücken.“

Ziel müsse es daher auch sein, entsprechende Lücken aufzudecken und wenn möglich zu schließen. Das Netz der „lokal willkommen“-Anlaufstellen wird ausgebaut. Ziel solle aber sein, diese so weiterzuentwickeln, dass alle Menschen mit vergleichbaren Bedarfen dorthin kommen können – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. 

Warnung: Die aktuelle Zuwanderung reicht nicht aus, den Arbeitskräftebedarf zu decken

Frank Neukirchen-Füsers (Jobcenter)
Frank Neukirchen-Füsers (Jobcenter)

„Es ist kein aktuelles oder temporäres Thema, sondern eines, welches uns über Jahre und Jahrzehnte begleiten wird“, machte Frank Neukirchen-Füsers, Chef des Dortmunder Jobcenters, mit Blick auf das Flüchtlingsthema deutlich. Denn Zuwanderung insgesamt werde ein Schlüsselthema zur Bewältigung des demographischen Wandels sein. Ein Viertel bis ein Drittel der derzeit Berufstätigen werden in den kommenden Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

„Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hat deutlich dargelegt, dass dringend zusätzliche Arbeitskräfte benötigt werden. Allein die aktuelle Zuwanderung reicht nicht aus, den Arbeitskräftebedarf zu decken. Da ist kein Ersatz in Sicht“, so Neukirchen-Füsers. 

Er räumte zugleich mit der Vorstellung auf, dass durch immer neue Technologien – Digitalisierung und Automatisierung – zahlreiche Jobs wegfallen werden. Es werde zu Veränderungen und auch Einbrüchen kommen. „Aber man weiß auch von anderen technischen Fortschritten, dass der Fortschritt am Ende zu mehr und nicht zu weniger Beschäftigung geführt hat.“

„Sie können ja nicht auch die nächsten zehn Jahre den Stempel Flüchtlinge tragen“

Absehbar sei bisher nur der Zuwachs an Arbeit bei Rückgang von Arbeitskraft. „Wir brauchen eine erhebliche Einwanderung. Häufig erliegt die Politik der irrigen Vorstellung, dass Fachkräfte und Ingenieure weltweit nur darauf warten, nach Deutschland zu kommen“, so der Chef des Jobcenters. 

3800 gemeldete Flüchtlinge sind es beim Jobcenter, mehr als 500 bei der Agentur für Arbeit. 
Arbeitsagentur und Jobcenter haben einen gemeinsamen Integration Point für Flüchtlinge in der Steinstraße.

Das sei aber nicht so. Deutschland sei weder sprachlich attraktiv noch von den kulturellen Netzwerken so gut aufgestellt. Und Hoffnungen auf das deutsche Zuwanderungsgesetz macht sich Neukirchen-Füsers nicht. „Es sieht eher so aus, als würde es ein Zuwanderungs-Verhinderungs-Gesetz.“

Ganz davon abgesehen, sei der „Entzug von Fachkräften aus anderen Ländern auch kein Akt der internationalen Solidarität und Entwicklungshilfe“, so der Jobcenter-Chef. Daher sollte sich Deutschland stärker darauf  konzentrieren, die Bedarfe der ZuwandererInnen und vor allem ihrer Kinder stärker zu fördern und ihnen eine Perspektive geben. „Ich möchte nicht die große Bildungsdebatte befeuern, aber sie ist dringend erforderlich zu führen – nicht nur mit Blick auf Zuwanderer.“

Bei der Agentur für Arbeit und den Jobcentern ist mittlerweile etwas mehr „Normalität“ eingekehrt. Aktuell werden beim gemeinsamen Integration Point 3.500 erwerbsfähige geflüchtete Menschen betreut – 1,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. „Wir verzeichnen noch immer einen leichten Anstieg, aber mit abnehmender Tendenz.“ Nur noch 40 neue Kunden im Monat kämen im Integration Point an: „Vor zwei Jahren hätten wir da noch eine Null dranhängen müssen.“ 

Daher gestalten die beiden Behörden mittlerweile Übergänge in die Regelstrukturen von Jobcenter und Agentur. Rund 200 Personen pro Monat seien seit Jahresbeginn aus der spezialisierten Betreuung in Regelorganisation gekommen.  „Und so muss es auch sein. Sie können ja nicht  die nächsten zehn Jahre mit dem Stempel ‚Flüchtlinge‘ durch die Stadt laufen“, so Neukirchen-Füsers. 

Familiengrößen nehmen zu – Sprachkurse mit Kinderbetreuung sind wichtig

Arbeitsagentur, Jobcenter und Sozialamt haben den Integration Point für Flüchtlinge gestartet, der beim Start in Ausbildung und Beruf helfen soll.
Arbeitsagentur und Jobcenter haben einen gemeinsamen Integration Point für Flüchtlinge in der Steinstraße.

Aber dennoch müsse eine gewisse Sensibilisierung aufrecht erhalten bleiben, gerade auch beim Spracherwerb. „Diese Phase dauert länger als erwartet. Wir brauchen einen deutlich schnelleren Zugang auch zu Wiederholerkursen und eine andere Qualität von Sprachkursen. Wir machen uns mit Partnern auf den Weg, wie das zu verbessern ist“, versprach er.

 

Eine Veränderung wird deutlich: Die Familiengrößen nehmen zu – von 1,9 auf 2,7 Personen pro Familie bzw. Bedarfsgemeinschaft; ein Plus von 38,5 Prozent. 2016 lag der Wert noch bei 1,1 Personen. „Wir sehen, was sich da verändert hat.“ Zum Vergleich: Beim Jobcenter insgesamt liegt der Wert bei 1,9 Personen pro Bedarfsgemeinschaft.

Eine Konsequenz: „Wir brauchen wieder mehr Sprachkurse mit Kinderbetreuung, sonst werden wir die Mütter und Alleinerziehenden nicht erreichen. Das erschwert nicht nur den Arbeitsmarktzugang, sondern forciert auch den Rückzug auf Familien“, warnte Neukirchen-Füsers. Sonst werden  die Kinder mit weniger Sprachkenntnissen aufwachsen. Wir dürfen nicht die Fehler der 1970er und 80er Jahre wiederholen.“ 

1.250 Geflüchtete haben 2017 sozialversicherungspflichtige Jobs gefunden

Ugwu Obodoewu Williams macht seine Ausbildung als Sachlagerist bei Holz Kummer. Fotos: Alex Völkel
Ugwu Obodoewu Williams macht seine Ausbildung als Fachlagerist bei Holz Kummer.

Diese Themen beträfen nicht nur Flüchtlinge, sondern viele Gruppen – vor allem aber alle MigrantInnen. „Wir brauchen gezielte Förderangebote.“ Dass sich das lohne, zeige auch die Statistik: 2017 hätten mehr als 1.250 Geflüchtete eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen können – ein Plus von 125 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Da tut sich richtig was. Und unter unseren ausländischen Kunden ist eine hohe Motivation vorhanden.“

 

„Zuwanderung war immer Bestandteil menschlicher Entwicklung. Häufig sind die erfolgreichen Gesellschaften durch Zuwanderung geprägt und durch die innovative Kraft der Veränderung“, warnte der Geschäftsführer des Jobcenters vor politischen Irrwegen. 

„Angst, Vereinfachung und Abschottung in komplexen Gesellschaften ist der falsche Weg. Es gilt, nicht nur radikalen Weltanschauungen entgegenzutreten, sondern auch der Verzwergung der Nationalstaaten“, resumiert Neukirchen-Füsers unter dem Applaus der zahlreichen Forums-TeilnehmerInnen. 

Deutschland suchte nicht Fachkräfte, sondern ungelernte „Gastarbeiter“

Prof. Dr. Ahmet Toprak
Prof. Dr. Ahmet Toprak

Einen rund einstündigen Impulsvortrag gab Prof. Dr. Ahmet Toprak, Dekan der Fachhochschule Dortmund, zum Themenkomplex „Gesellschaftliche Integration / Flucht / Neuzuwanderung“. Er erinnerte an die Zeit der sogenannten „Gastarbeiter“: Deutschland habe nicht hochqualifizierte Fachkräfte, sondern Arbeiter für an- und ungelernte Tätigkeiten gesucht und daher zumeist MigrantInnen aus ländlichen Gebieten bekommen. 

Gesellschaftlich sei dies kein Thema gewesen, als am 20.12.1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien geschlossen wurde – ebenso wenig im Fall von Portugal, Spanien oder dem Balkan in den Folgejahren. Wendepunkt sei der  30.08.1961 gewesen – durch das Abkommen mit der Türkei kamen erstmals „Gastarbeiter“ aus einem muslimisch geprägten Land. „Auslöser für den Vertrag war der Mauerbau“, machte Toprak deutlich. Denn es kamen keine Ostdeutschen mehr; und Italiener, Spanier oder Portugiesen wollten nicht unbedingt nach Deutschland. „Daher kam der Vertrag mit der Türkei. Aus damaliger Sicht war das Land dynamisch, jung und arbeitslos.“ 

Der Unterschied zur Zeit der Gastarbeiter und der der Flüchtlinge ab 2015 war die Stimmung: „Gastarbeiter waren gewünscht und hatten eine Tätigkeit mit klarem Arbeitsalltag. Geflüchtete sind nicht gewünscht und haben keinen Auftrag zum Arbeiten“ –  fasst er die Stimmung der Zuwanderungskritiker zusammen. Dabei seien keineswegs so viele Menschen, wie zumeist berichtet, eingewandert: „Im Sommer 2015 kamen statt der 1,3 bis 1,5 Millionen Geflüchteten insgesamt 890.000 Menschen.“

Insgesamt 17,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland

Ein Kippen der Stimmung habe es in Deutschland mehrfach gegeben, so auch 1973. Das habe zu einem Anwerbestopp geführt. Offiziell bis heute nicht aufgehoben. „Wenn man über Integration spricht, redet man nicht über Italiener oder Spanier, sondern immer über Muslime. Gebrochenes Deutsch bei Italienern ist sexy, bei einem Türken ist er dann nicht integriert“, analysiert Toprak. 

Prof. Dr. Ahmet Toprak
17,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund  leben in der Bundesrepublik – 9,3 Millionen davon sind eingebürgert.

Dabei wolle nicht jeder aus der Türkei oder Syrien den Stempel „Moslem“ verpasst bekommen: „Es gibt auch Atheisten und solche, die wegen ihres Glaubens geflüchtet und keine Muslime sind.“ Nach Angaben des Innenministeriums leben zwischen 4,3 bis 4,7 Millionen Muslime und insgesamt 17,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik – 9,3 Millionen davon sind eingebürgert. 

Der Anwerbestopp hat übrigens zu einem sprunghaften Anstieg der Zahl von Migrantinnen geführt: „80 Prozent der Gastarbeiter waren verheiratet. Sie bekamen Panik, zogen aus den Wohnheimen und haben ihre Familien nachgeholt.“ 

Auch der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) wollte die Zahl der TürkInnen reduzieren. „Es gab Rückkehrprämien – 10.500 Mark plus 1.500 Mark pro Kind. Das war an Bedingungen geknüpft. Dazu gehörte der Verzicht auf Rentenansprüche und sie durften nicht mehr zurück nach Deutschland kommen“, erinnerte Toprak. Nur rund 11.000 Menschen hätten dies in Anspruch genommen: „Der Großteil kam trotzdem zurück.“

Dekan der FH Dortmund beklagt fehlende legale Zuwanderungsmöglichkeiten

Fehlende legale Wege der Zuwanderung von außerhalb der EU bis weit in die 90er Jahre kritisierte der Geisteswissenschaftler von der FH: Neben einem Asylantrag gebe es nur die Heiratsmigration. Der sogenannte Asylkompromiss 1993 verschärfte die Lage, weitere Verschärfungen kamen hinzu, trotz: „Wir schaffen das!“.

Erst unter Rot-Grün habe es ein gewisses Umdenken in Richtung Integration gegeben. 1999 sei erstmals vom Einwanderungsland Deutschland gesprochen worden. Dazu zählte die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft zum 1. Januar 2000. „Auch heute gibt es noch Streit darüber, ob das sinnvoll ist.“ Erst im Jahr 2005 gab es erstmals Integrationskurse. „Das hätte ich mir schon 1955 gewünscht.“

Außerdem wurde im Jahr 2000 die Greencard-Regelung für Akademiker, vor allem im IT-Bereich, geschaffen. „Nicht mehr ungelernte, sondern hoch technisierte Menschen sollten kommen“, erklärt Toprak und stellt fest „Insgesamt nur 39.000 haben die Greencard-Regelung angenommen – 100.000 AkademikerInnen pro Jahr waren angepeilt.“  

Der Dekan der FH Dortmund formuliert einige Grundsätze zur Einwanderungspolitik: MigrantInnen und Aufnahmegesellschaft müssten die Integration wollen. Segregation müsse vermieden, Familienzusammenführung gefördert und zügiger über Asyl entschieden werden. Zudem müsse es einen schnellen Zugang zu Deutschkursen geben und der Besuch von Integrationskursen gefördert und ausgebaut werden. 

Toprak: „Die Integration in Deutschland ist besser als ihr Ruf“

Für eine gelungene Integration sei eine bessere und schnellere Anerkennung von formalen und informellen Berufsabschlüssen wichtig. Auch müsse es eine Anerkennung der informellen Bildung geben sowie Sprache und Kultur als Kapital anerkannt werden.

Arbeitserlaubnisse müssten schneller und früher erteilt und die interkulturelle Öffnung vorangetrieben werden. Dazu gehöre auch die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement sowie von Sport- und Freizeitangeboten.

Wie ist die Lage heute? „Die Integration in Deutschland ist besser als ihr Ruf – aber man braucht im Durchschnitt sieben Jahre“, machte Toprak deutlich. Zudem müsse  endlich Migrationspolitik auf die Agenda gesetzt und legale Zuwanderung nach einem Punktesystem ermöglicht werden, statt Integration nur vom Zufall und weltweiten Kriegen abhängig zu machen.

Deutschland solle Einbürgerungen fördern, Illegalen zügiger eine Perspektive bieten und das kommunale Wahlrecht für MigrantInnen einführen. Zudem sei die politische Bildung bei EinwandererInnen und Einheimischen zu intensivieren und eine offene Debatte über Werte und Normen zu führen. Zudem müsste die Ausbildung der Kinder im dualen System forciert, Ganztagsschulen ausgebaut und die Frühselektion von Kindern verhindert werden. Schließlich sollte die Ausbildung der religiösen Geistlichen an deutschen Hochschulen erfolgen. 

Erfahrungen eines Flüchtlings: „Ich habe Deutsch gelernt und versucht, mit den Menschen in Bayern zu sprechen. Aber die sprachen kein Deutsch“

Moderator Gunther Niermann im Gespräch mit Abdul Aziz Wakah (22) aus Syrien.
Moderator Gunther Niermann im Gespräch mit Abdul Aziz Wakah (22) aus Syrien.

Ein  Beispiel für den schwierigen Weg von Geflüchteten gab Abdul Aziz Wakah (22) aus Syrien. Er ist seit 2,5 Jahren in Deutschland. Dass er überhaupt lebend hier angekommen ist, grenzt an ein Wunder: Einen Raketenangriff auf seine Schule überlebte er nur durch einen Zufall – der Bus hatte Verspätung. Dutzend MitschülerInnen und LehrerInnen kamen dabei  um.

An Grenze zur Türkei wurde er beschossen, sein Schlauchboot wurde zerstört und er wäre fast im Mittelmeer ertrunken. Außerdem wurde er auf dem Weg durch Europa attackiert. „Sie haben meinen großen Respekt, dass sie nicht aufhören und immer weitermachen“, kommentierte Moderator Gunther Niermann den Weg des jungen Syrers.

Als er in Bayern ankam, wurde er nach einem Monat in einer Sammelunterkunft in einem 300 EinwohnerInnen zählendes Dorf umquartiert. „Ich habe zu Hause Deutsch gelernt und bin auf die Straße, um mit den Menschen dort zu sprechen. Aber die sprachen kein Deutsch“, berichtet Abdul Aziz Wakah von seinen Erfahrungen mit Bayrisch.

Mehr Glück hatte er, als er vor rund zwei Jahren nach Dortmund kam – hier konnte er sich schnell verständlich machen. In Rekordzeit absolvierte er Sprachkurse, um eine Ausbildung als medizinischer Fachangestellter oder Krankenpfleger zu machen.

Vom Krieg in Syrien in den Krieg mit der deutschen Bürokratie

Ein Jahr wartete er auf den Zugang. Doch sein Wirtschaftsabitur aus Syrien wurde nicht anerkannt, es als Hauptschulabschluss eingestuft. „Deshalb habe ich erst mal ein Freiwilliges Soziales Jahr im Krankenhaus gemacht“, berichtet er. Dann eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer. Später will er Schulabschlüsse nachholen und sich weiterqualifizieren. Wie genau es weitergehen wird, ist noch offen.

Er hat akzeptiert, dass sein Weg viel länger dauern wird, als gedacht. Beim Einstellungstest hatte er allerdings schlechte Karten. Er wusste nicht, welche Themen geprüft werden und konnte sich nicht gezielt vorbereiten. „Es kamen viele Fachbegriffe, die ich nicht auf der Straße oder in einem normalen Kurs lernen konnte.“ Für den zweiten Anlauf büffelt er nun fleißig. Seine Motivation ist ungebrochen. „Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, zitiert er eine von vielen deutschen Redewendungen, die er mittlerweile gelernt hat. 

Befremdlich ist für ihn die Heimat-Diskussion in Deutschland: „Meine Heimat ist meine Familie.“ Doch gesehen hat er sie seit 2,5 Jahren nicht. Und nachholen darf er sie auch nicht. Also muss er weiter um seine neue Zukunft in Deutschland kämpfen – ohne zu wissen, wann er seine Familie wiedersehen wird. „Ich dachte, dass es einfacher wird“. räumt der junge Syrer ein. 

„Natürlich dachte ich mir, dass es Unterschiede gibt. Ich dachte immer, in Syrien wäre es kompliziert.“ Aber dann lernte er die Bürokratie in Deutschland kennen… „Papiere überall“ seufzt er. Die Sympathie der ForumsteilnehmerInnen hatte er. Und auch ihre Unterstützung. Sie wollen ihm nun Tipps geben, dass es mit der Ausbildung schneller klappt…

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