Was auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Wettkampf im Kampfsport aussah, hatte einen besonderen Hintergrund. Es war der erste inklusive Wettkampf, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung gegeneinander antraten. Ins Leben gerufen wurde das Event von Anahita Lotfi und Pourya Solizadeh vom inklusiven Kampfsportverein Sparringpartnerforyou e.V.. Ein Event, das besonders für die Kämpferin Larissa einen unvergesslichen Moment darstellte – und für sie hoffentlich nicht der letzte sein wird.
Das inklusive Event begrüßt zahlreiche Teilnehmer:innen und Gäste
Samstagmittag, die Emotionen in der Sportnordhalle 3 in Dortmund sind deutlich spürbar. 3.600 Menschen aus verschiedenen Ländern füllen die Tribünen. Teilweise lassen sich Gespräche auf Niederländisch aus dem Publikum heraushören. Drei Ringe stehen in der Sporthalle bereit, gekennzeichnet als erste, zweite und dritte Area, während die Basketballkörbe und Fußballtore zur Seite geschoben wurden.
Während die Aufschriften „Diversity“, „Against Racism“ und „Inklusion“ die Ringe der ersten und zweiten Area verzieren, fällt die dritte Area durch ihre Konzeption auf. Der Ring ist niedriger angesetzt als die anderen beiden. Lotfi und Solizadeh haben ihn speziell anfertigen lassen, denn was viele vergessen: Personen, die beispielsweise im Rollstuhl sitzen, können nicht einfach in den Ring steigen.
Genau aus diesem Grund haben Lotfi und Solizadeh ihren Verein und dieses Event ins Leben gerufen: Inklusion durch ein gemeinsames Miteinander und nicht durch eine Trennung zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen. Ein Event, das sich Friedhelm Evermann, Sonderbeauftragter für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, und Sabine Poschmann, die sportpolitische Sprecherin der SPD-Bundesfraktion, nicht entgehen lassen wollten. Sie begrüßten die Anwesenden zu Beginn.
Die Aufmerksamkeit der Zuhörer:innen hielt sich jedoch zum Teil in Grenzen. Zu groß war die Aufregung und der Trubel der Begleiter:innen. Insgesamt 332 Personen sollten in den Ring steigen. Die Altersklassen reichten von Kindern im Grundschulalter bis zu Personen höheren Alters. Unter ihnen Taekwondo-Athlet:innen, die vor einer Jury im Ring eine festgelegte Abfolge von Techniken und Bewegungen präsentierten.
Unter den 170 Kämpfen sind drei Inklusionskämpfe. Zwei der Teilnehmenden stammen direkt vom Verein Sparringpartnerforyou e.V., darunter Larissa. Die 24-Jährige soll ihren allerersten Wettkampf bestreiten.
Die Nervosität macht sich bei vielen Kämpfer:innen bemerkbar
Zwischen den Ringen und der Tribüne tummeln sich die Kämpfer:innen. In dem separaten Bereich herrscht eine Mischung aus Anspannung und Vorfreude. Einige Kämpfer:innen laufen nervös hin und her, andere sitzen auf Bänken zwischen Jacken und Sporttaschen, lenken sich mit ihren Handys ab oder unterhalten sich entspannt mit Gleichgesinnten.
Larissa weicht dabei nicht von Lotfis und Solizadehs Seite. Sie trägt überwiegend ein Lächeln im Gesicht, wirkt jedoch oft in Gedanken versunken. Die Aufregung ist ihr deutlich anzumerken. Ihre braunen Haare hat sie zu einem Zopf gebunden. Einige Tattoos verzieren ihre Arme, darunter ein Schriftzug auf Englisch am rechten Oberarm. Ihr schwarzes T-Shirt mit dem Schriftzug „Inklusion im Kampfsport“ und einer bunten Symbolgrafik am Rücken spiegelt das heutige Motto des Tages wieder.
Solizadeh, mehrfacher Weltmeister in Muay Thai und K1, zieht Larissa nun zur Seite. Es ist Zeit, sich aufzuwärmen und die Nervosität ein Stück weit abzubauen. Mit roten Boxhandschuhen schlägt sie konzentriert auf die Pratzen – erst mit der rechten, dann mit der linken Faust im Wechsel. Solizadeh unterstützt sie dabei mit gezielten Anweisungen.
Währenddessen beginnen die ersten drei Kämpfe, darunter auch der erste Inklusionskampf im dritten Ring, direkt gegenüber von Larissa und Solizadeh. Die Zurufe und der Jubel sind in der Halle nun deutlich hörbar. Besonders im ersten Ring fiebern die Zuschauer:innen lautstark mit, da dort ein direkter Kampf stattfindet.
Im zweiten Ring herrscht große Konzentration – eine junge Taekwondo-Athletin präsentiert selbstsicher ihre einstudierten Bewegungen. Im dritten Ring ist es ruhiger. Gespannt schauen die Zuschauer:innen dem ersten Inklusionskampf zu. Auch Larissa verfolgt das Geschehen genau, denn danach ist sie an der Reihe.
Zwischen Anspannung und Kampfgeist – Larissa steigt in den Ring
Es ist so weit – Larissa setzt die ersten Schritte mit ihren lilafarbenen Turnschuhen auf die schwarze Matte des dritten Rings. Mit erhobenen Fäusten vor ihrem Gesicht und dem schwarzen Kopfschutz visiert sie die Gegnerin an. Mit dem Läuten der Glocke beginnen die Kämpferinnen locker mit den Fußspitzen zu wippen, der Blick weicht dabei nicht voneinander ab. Im Hintergrund sind die Jubelrufe der anderen Kämpfe zu hören – nichts, wovon sich Larissa aus der Ruhe bringen lässt. Die ersten Schläge seitens der Gegnerin fallen. Larissa zeigt sich zunächst eher defensiv, hinterlässt jedoch einen entschlossenen Eindruck.
Solizadeh beobachtet das Geschehen von der linken Ecke des Rings mit verschränkten Armen. Lotfi verfolgt den Kampf zunächst aus einiger Entfernung neben dem zweiten Ring, bevor sie sich neben Solizadeh positioniert. Das Glockenläuten signalisiert das Ende der ersten Runde.
Larissas Gesicht ist rot angelaufen, Schweißperlen zeichnen sich auf ihrer Stirn ab – die Anstrengung ist deutlich sichtbar. Pourya nimmt ihr den blauen Mundschutz ab und spricht ruhig auf sie ein. Nach der einminütigen Pause muss sie ein weiteres und letztes Mal für 90 Sekunden ihr Können beweisen, bis der Boxkampf endgültig sein Ende nimmt.
Die Blicke der Zuschauer:innen sind weiterhin gespannt auf den Ring gerichtet. Weiterhin sind Jubel der anderen Kämpfe zu entnehmen. Die zweite Runde beginnt. Solizadehs Worte zeigen Wirkung: Larissa zeigt mehr Initiative, weicht Angriffen ihrer Gegnerin aus und setzt präzisere Schläge. Die letzten zehn Sekunden kündigt der Punktrichter mit einem lauten Klopfen an. Ein letztes Mal sammelt Larissa ihre letzten Kräfte und gibt noch einmal alles, bevor die Glocke den Kampf beendet.
Unentschieden, aber ein persönlicher Sieg für die Kämpferin
Die Kämpferinnen sind nun mit dem Körper frontal zum Publikum gerichtet. In der Mitte befindet sich der Ringrichter, der sowohl den Arm von Larissa als auch von der Gegnerin hebt: Unentschieden. Larissa und ihre Gegnerin fallen sich in die Arme, begleitet von Applaus der Zuschauerschaft. Für Larissa fühlt es sich wie ein Sieg an. Mit einem breiten Lächeln nimmt sie ihren Pokal und die Urkunde entgegen und läuft auf direktem Wege auf Lotfi und Solizadeh zu. „Lari hat gut gekämpft“, entgegnet Solizadeh.
Auf die Nachfrage, ob Solizadeh als zuständiger Trainer vor Larissas Kampf nervös war, antwortete er schmunzelnd: „Ich bin nervöser wegen der Organisation und Planung des Events.“ Lotfi entgegnete ebenfalls stolz und stets zufrieden: „Sie macht das alles so toll.“ Larissas Familie war bei dem Kampf nicht anwesend. Umso mehr teilt sie ihre Freude mit den Veranstalter:innen. „Wir sind für sie irgendwo auch Familie“, erklärt Lotfi.
„Ich war so aufgeregt, aber es hat Spaß gemacht“, erzählt Larissa mit einem Grinsen im Gesicht, während sie auf der hölzernen Bank in der Umkleide sitzt, die braune Brille mit den runden Gläsern wieder aufgesetzt. Trotz der nervenaufreibenden Woche vor dem Event – sie hatte das Training wegen ihrer Arbeit im Einzelhandel ausfallen lassen müssen – zeigt sich, dass sich ihre harte Arbeit gelohnt hat.
Eine Entwicklung, auf die Larissa stolz sein kann, denn „Pourya (Solizadeh) verfolgt Larissa schon seit vier Jahren. Von null Boxerfahrung bis hierher“, fügt Lotfi an. Larissa erzählt zudem, dass sie es kaum abwarten kann, ihren Pokal und ihre Urkunde bei sich in der Wohnung aufzuhängen.
Das Strahlen bekam man an dem Tag nicht mehr aus ihrem Gesicht – ein Sinnbild dafür, wie bedeutsam der inklusive Wettkampf war.
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