HINTERGRUND: Aufenthaltsrechtliche Fragen zum Thema Duldung

In Dortmund leben 1300 Geduldete – aber nur 30 Personen kommen für Abschiebungen in Frage

Von den 137.000 Menschen ohne deutschen Pass in Dortmund haben 1300 vom ausländerrechtlichen Status nur eine „Duldung“. Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Insbesondere nach Anschlägen überschlagen sich die Forderungen nach schnelleren Abschiebungen. Auch in den Haushaltsanträgen der ein oder anderen Partei findet sich diese Forderung wieder. Zudem kursiert die Zahl, dass es in Dortmund 1300 Ausreisepflichtige gibt, die aber nicht abgeschoben würden. Nordstadtblogger erklärt, was es mit den Zahlen und deren Hintergründen auf sich hat – und warum nur mehr Personal oder populistischer Aktionismus das Problem nicht löst.

In Dortmund leben 137.000 Menschen mit einem ausländischen Pass

Dortmund ist eine vielfältige Stadt: Hier leben insgesamt 137.000 sogenannte „Pass-Ausländer” – also Menschen, die nur einen ausländischen Pass und keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Darunter sind auch 45.000 Bürger:innen der Europäischen Union. In der Zahl finden sich auch rund 6000 Studierende mit einem ausländischen Pass – diese Zahl ist steigend. ___STEADY_PAYWALL___

Von den insgesamt 137.000 Menschen ohne deutschen Pass in Dortmund haben rund 1300 vom ausländerrechtlichen Status nur eine „Duldung“ – sie sind also prinzipiell ausreisepflichtig. Allerdings handelt es sich bei den wenigsten um verurteilte Straftäter.

Die Dortmunder Ausländerbehörde befindet sich im Altbau des Stadthauses. Archivbild: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Dazu gehören ebenso Studierende oder Azubis, die sich wegen ihrer Ausbildung bzw. des Studiums in Deutschland aufhalten dürfen, formal aber nur „geduldet“ sind. Der überwiegende Teil sind allerdings Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde.

Doch eine prinzipielle Ausreisepflicht bedeutet allerdings nicht zwangsläufig eine sofortige Pflicht zur Ausreise oder Abschiebung.

Unter die Kategorie, wo die Ausländerbehörde eine Abschiebung in die Wege leiten kann und will, fallen aktuell gerade mal 30 (!) Personen – fünf von ihnen befinden sich aktuell in Abschiebehaft. In den ersten elf Monaten des Jahres 2024 hat die Ausländerbehörde 67 Abschiebungen vorgenommen. Insgesamt gab es aber rund 200 geplante Maßnahmen, von denen zwei Drittel aus den verschiedensten Gründen gescheitert sind. 

Für eine Abschiebung braucht es zwischen 12 Monaten und fünf Jahren

Dafür gibt es verschiedene Gründe – sie sind zumeist dieselben Gründe, warum der überwiegende Teil der 1300 Ausreisepflichtigen sich in Deutschland aufhalten darf oder sogar muss. Bis eine Ausländerbehörde alle Voraussetzungen für eine freiwillige oder erzwungene Ausreise erreicht hat, dauert es in NRW im Schnitt zwischen 12 Monaten und fünf Jahren. Das zeitaufwändigste Hemmnis sind laufende Gerichtsverfahren zur Überprüfung einer Asylentscheidung: Asylklagen dauern in NRW im Schnitt 20 Monate. 

Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Um Menschen aber zurückführen zu können, bedarf es aber noch der „tatsächlichen Voraussetzungen“ – dazu gehören beispielsweise eine geklärte Identität – zum Beispiel einen gültigen Nationalpass oder eine Geburtsurkunde.

Zudem darf die abzuschiebende Person nicht erkrankt und muss reisefähig sein oder darf keine familiären Bindungen mehr haben. 

Das ist zum Beispiel der Fall, wenn minderjährige Kinder einer ausreisepflichtigen Familie eine Aufenthaltserlaubnis haben. Das kommt beispielsweise vor, wenn ein Kind hier geboren und integriert ist (Schule etc.) und deshalb eine Aufenthaltserlaubnis hat. Dann hat ein minderjähriges Kind ein Recht, seine Familie bei sich zu haben – Abschiebungen finden dann nicht statt. 

Fehlende Mitwirkung der jeweiligen Herkunftsländer als Herausforderung

Eine großes Hemmnis ist allerdings die Mitwirkung der jeweiligen Herkunftsländer. Die sogenannten „sicheren Herkunftsländer” haben prinzipiell ihre Mitwirkung erklärt – dazu gehört die Bereitschaft zur Rücknahme der Menschen sowie die Ausstellung von Ersatzdokumenten, falls nötig. 

Bei der Ausländerbehörde gilt: Freiwillige Ausreise vor erzwungener Abschiebung. Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Bei den West-Balkan-Staaten (z.B. Albanien, Serbien) dauert es durchschnittlich sechs Monate, bis das bei einer Person oder eine Familie geklärt ist. Bei Guinea – einem wichtigen Herkunftsland – ist das Ganze kaum planbar. Es dauert mal sechs Monate, bis ein fall geklärt ist. Und dann geht mal ein Jahr gar nichts.

Auch Ghana erweist sich als wenig kooperativ. Dann gelingt die Herstellung von tatsächlichen Voraussetzungen faktisch nicht. Zudem ist die Bereitschaft zur Rücknahme von Straftätern ein schwieriges Thema – dann ziehen sie die Verfahren noch länger.

In NRW müssen die Kommunen die Abschiebungen selbst organisieren

Organisieren müssen das alles die kommunalen Ausländerbehörden. Denn anders als in allen anderen Bundesländern sind in NRW die Kommunen selbst für die Abschiebung zuständig. Eine Ausnahme sind die Geflüchteten, die in Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) des Landes NRW untergebracht sind – dies ist in Dortmund in der ZUE in Oespel sowie ab dem kommenden Jahr in der neuen ZUE in Aplerbeck der Fall. Die ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Aufgaben laufen bei diesen Geflüchteten über die Zentrale Ausländerbehörde des Landes NRW in Unna.

Bei den in Landeseinrichtungen lebenden Geflüchteten ist die Zentrale Ausländerbehörde und nicht die Stadt zuständig. Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Bei den kommunal zugewiesenen Geflüchteten sind die Kommunen in der Pflicht. Neben der Unterbringung und Versorgung müssen sie im Fall der Fälle auch die Ausreise bzw. Abschiebung organisieren.

Die kommunalen Ausländerbehörden müssen daher eine Vielzahl von Dingen selber klären und organisieren. Dazu gehört die Buchung von Flugtickets. Dies kann mit Sammelcharter-Maschinen passieren oder auch mit Linienflügen. Doch das ist alles andere als trivial:

Dabei gibt es viele Hindernisse – denn auch die Fluglinien und auch die Pilot:innen müssen mitspielen. Wenn ein Pilot sich grundsätzlich an einer Mitwirkung einer Abschiebung verweigert, ist die Abschiebung geplatzt.

Anders ist das bei speziellen Charterflügen, die das Land dann für die Rückführung in ein bestimmtes Land bucht. Diese finden aber nur ein bis zwei mal im Jahr statt – dann ist die Frage, ob die jeweiligen Personen dann auch verfügbar und reisefähig sind. 

Zudem bedarf es mitunter der Amtshilfe der Polizei bzw. der Bundespolizei sowie der Justiz, wenn Rückführungen aus einer Gemeinschaftsunterkunft oder einer Strafhaft erfolgen sollen. Letzteres ist formal einfacher – hier werden zumindest die Abzuschiebenden angetroffen. Wenn am „Tag der Tage“ der Abschiebung nicht alle abzuschiebenden Familienangehörigen angetroffen werden, können auch daran die Abschiebungen scheitern.

Freiwillige Ausreise vor erzwungener Abschiebung

Allerdings gilt bei der Ausländerbehörde: Freiwillige Ausreise vor erzwungener Abschiebung. Denn insbesondere Familien, wo „Aufenthaltsbeendigung fortschreitet”, wird eine Ausreiseberatung angeboten. Die Behörde hilft dann bei der Organisation der Ausreise – organisatorisch und finanziell. Dies ist erfolgsversprechender als organisierte „Zugriffe“ – also die erzwungene Abschiebung. 

Jede:r soll das Recht haben, selbstbestimmt nachzudenken, ob er/sie ausreisen will oder nicht. Erst wenn eine selbstbestimmte Ausreise nicht angenommen wurde, kommt es zum Vollzug und einer Zwangsmaßnahme. Das kann auch das Verbringen in die Abschiebehaft sein. Doch das ist nur der Fall, wenn sich die Person vorher schon einer Abschiebung entzogen hatte. Anders ist das bei Straftäter:innen – sie werden im Fall der Fälle direkt von der Zelle in einen Flieger gebracht. 


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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