Von Florian Stary
Die Musikszene in Dortmund ist klein und langweilig? Stimmt nicht. Eigentlich ist sie verdammt bunt und vielfältig. Die Wirkungsstätten der Musiker:innen liegen nur nicht mehr im Herzen der Stadt. Und tatsächlich bewegt sich gerade sogar jede Menge zwischen Bühnen und Verstärkern. Nicht zuletzt dank eines Independent-Labels aus der Dortmunder Nordstadt.
Ein Kampf um Aufmerksamkeit
Es gibt Menschen, die behaupten, es wäre mal lauter gewesen in Dortmund. Nicht, weil die Presslufthämmer in den Bergwerken inzwischen verstummt sind, sondern weil musikalisch früher einfach mehr los war in der Stadt in Westfalen.
Man ist versucht, ihnen recht zu geben. Wer denkt schon noch an Musik, wenn er Ruhrgebiet hört? Die Hagener Punkszene ist grau und müde geworden, ein Herr Grönemeyer hat seinen Lebensmittelpunkt inzwischen längst in Berlin und für den großen Dortmunder Liedermacher Fred Ape fiel 2020 leider der letzte Vorhang.
Dabei ist es gar nicht leise. Die Musik klingt in Dortmund mindestens so laut wie eh und je. Es ist nur ein wenig schwerer geworden, sie zu finden. Denn wo es einstmals reichte, ein selbstgemaltes Plakat in der örtlichen Pommesbude anzupinnen, um für eine volle Hütte zu sorgen, brüllt heute das gesamte Internet um Aufmerksamkeit.
Wer am Wochenende loszog in die Dortmunder City, hatte früher die freie Auswahl zwischen verrauchten Kellerkneipen, Clubs mit bulligen Türstehern und den Szenelokalen in den Hinterhöfen mit ihren kleinen Bühnen und spontanen Konzerten.
Heute klammern sich in der Innenstadt nur noch eine Handvoll Veteranen an ihre Existenz, der Rest wurde verdrängt von scheinbar profitableren Etablissements.
Aber: Es gibt sie noch, die Musiker:innen der Großstadt am Nordufer der Ruhr und auch die Läden, in denen ihre Musik erklingt, sind noch da. Sie liegen nur ein wenig weiter draußen. Zum Beispiel im Norden der Stadt. Genauer: am Nordmarkt – zumindest, wenn man dem Namen des Independent Labels folgt, das gerade dabei ist, in der Dortmunder Singer/Songwriter-Szene jede Menge zu bewegen: Nordmarkt Records.
Ein Independent Label setzt sich/was in Bewegung
Ein kurzer Blick in den Rückspiegel: Vor über zehn Jahren gründet Singer/Songwriter Boris Gott das Label „Nordmarkt Records“. Nach anfänglicher Aufmerksamkeit wird es allerdings schnell still um das kleine Plattenlabel. Bis zu einem entscheidenden Moment 2021, als Boris gemeinsam mit dem Dortmunder Musiker Hans Blücher recht ungeplant und ziemlich spontan den Song „Abgestempelt“ veröffentlicht.
Das fiktive Gespräch danach könnte ungefähr so ausgesehen haben: „Da geht noch mehr. Wir sollten was tun!“ – „Okay.“ Also, Label reanimiert und in die Welt hinausgerufen.
2022 klopfen die Musiker von Blomqist mit ihrem neuen Album an die Tür, Boris veröffentlicht fast zeitgleich seine Comeback-Platte. Etwas später stoßen auch „Hätte Hätte“ und „Mandy Lee Rose“ zu Nordmarkt Records. Der Weg für mehr ist bereitet – und mehr soll geschehen. In Kooperation mit dem Musiksyndikat Ruhr werden erste Veranstaltungen geplant. Allen voran, das Indie/Singer/Songwriter-Festival Live im Hafen: Ein Tag, vier Acts, etliche begeisterte Menschen.
Aber es soll nicht alleine bei den Künstler:innen von Nordmarkt Records bleiben. Die erste große Chance, das Netzwerk weiter auszubauen, kommt mit der Lagerfeuerstage. Auch David von „Das große Los“, Robin Paul, Leonie Sky, Janina Beinert, und Tiffi Bluhm sind der Ansicht: Gemeinsam geht so viel mehr. Ein letztes wichtiges Puzzleteilchen findet sich im Dortmunder Kulturbüro: Der monatliche Musikstammtisch mit der großen Chance zum kleinen Auftritt und reichlich Zeit für Fachgespräche stößt weitere Türen auf.
Von Lokation und Kooperation
Es ist also alles andere als leise in Dortmund. Musiker:innen aller Stilrichtungen halten die Szene mindestens so lebendig wie bunt. Zum Beispiel zur Songwriter Stage im Langen August im Dortmunder Norden (E-Gitarren bei Höchststrafe verboten!). Oder zum „Abendblick“ im Kulturbetrieb Taranta Babu im urigen Klinikviertel.
Zu den offenen Bühnen im Süden der Stadt wie dem Wohnzimmer im Piepenstock und im Haus Rode oder auch dort, wo es manchmal ein wenig härter zugeht: Das Subrosa am Hafen gilt als eine der letzten Bastionen der Punk- und Rockszene in Dortmund und lädt Künstler:innen regelmäßig in seinen Talentschuppen. Die Musik geht weiter; man muss nur auf dem Schirm haben, wo und vor allem mit wem.
Denn ehrliche Seelen wissen: Musiker:innen haben es nicht leicht, das Publikum von sich zu überzeugen. Wenn sich auch nur 20 Menschen zu einem Auftritt einfinden, kann das bereits als Erfolg verbucht werden.
Das große Stichwort heißt deshalb: Kooperation. So wie Mandy Lee Rose und Hans Blücher, die gemeinsam gerade einen Weihnachtssong veröffentlicht haben (Video am Ende des Artikels). Oder auch genreübergreifend: Die kleine Anfrage von Blomqist, ob er mit seinem Sprechgesang nicht einen Song bereichern möchte, beantwortete der Dortmunder Rapper Schlakks mit einem freundlichen: Ja.
Tatsächlich wohnt jeder Kooperation ein Zauber inne: Fans zweier Künstler:innen addieren sich nicht, sie potenzieren sich. Irgendwer kennt immer jemanden, den er begeistern kann, zum Konzert mitzukommen. Weil da heute auch mal andere Musik läuft, was Neues geboten wird.
Wenn dann noch die Zusammenarbeit zwischen den Musiker:innen stimmt, man sich einen wenig crosspromotet und gemeinsam ins Social-Media-Horn stößt, stehen am Abend nicht 40 Gäste vor der Bühne, sondern womöglich 100.
Mitstreiter:innen gesucht
Genau dieses Prinzip lebt die Dortmunder Singer/Songwriter-Szene vor – und ist wahrscheinlich genau deshalb lebendiger, als es jemals der Fall war. Das nächste große Event zum Kennenlernen, Vernetzen und Fachsimpeln steht bereits in den Startlöchern: Am 7. Januar 2024 findet im Archiv für populäre Musik im Ruhrgebiet (Nollendorfplatz 2, Start: 16 Uhr) erstmalig das Musikalische Meet & Greet für Musiker:innen und Musikbegeisterte statt. Wer wissen möchte, wie Dortmund jenseits des Hellwegs klingt oder sogar selbst Musik macht, ist herzlich eingeladen.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Hat es Spaß gemacht oder war es Arbeit? Oder beides? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!