Er hatte „vor Freude getanzt“ wegen des Platzes für ihn in Dortmund

Immer wieder zum BVB: Sozialarbeiterin und Ärztin berichten, wie sie Mouhamed erlebten

Fünf der am Einsatz beteiligten Polizist:innen müssen sich vor Gericht verantworten. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Im Prozess um den Tod von Mouhamed Dramé wurden am Donnerstag (20. Juni 2024) weitere Zeugenaussagen gehört. Eine Ärztin der LWL-Klinik und eine Sozialarbeiterin des Jugendamts beschrieben den Zustand des 16-Jährigen vor dem tödlich geendeten Einsatz. Einen Suizid haben beide nicht kommen sehen. Stattdessen berichten beide Zeuginnen von der Fußballleidenschaft Dramés, die ihn auch nach Dortmund führte. Auch der Notarzt, der Dramé nach den Schüssen versorgte, sagte aus. Eine Zeugin telefonierte mit Mouhamed kurz vor seinem Tod.

Lebensmüden Gedanken aber keine suizidalen Handlungen

Am 16. Verhandlungstag im Prozess zum Tod von Mouhamed Dramé beschäftigte sich das Gericht überwiegend mit dem Leben und mentalen Zustand Mouhameds vor dem tödlichen Einsatz. Zunächst wurde dazu eine Ärztin der psychiatrischen LWL-Klinik befragt, die ihn behandelt hatte, nachdem er von der Polizei dort eingeliefert wurde. Das war am Tag vor seinem Tod. Aufgenommen habe ihn die Klinik aufgrund einer unklaren, mutmaßlich suizidalen Situation, berichtet die Ärztin.

Die Brüder von Mouhamed Lamine Dramé sind für den Prozess nach Deutschland gekommen. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Mouhamed sei in der Klinik kooperativ gewesen und habe keine suizidalen Handlungen gezeigt. Auch Hinweise auf ein paranoides Erleben konnte das Klinikteam nicht feststellen. Die Ärztin hatte die Betreuung am Morgen nach der Einlieferung übernommen.

Die Mitarbeiter:innen der Klinik hätten sich zunächst per Handyübersetzer mit ihrem Patienten ausgetauscht. Zur besseren Verständigung bestellte die Ärztin einen Dolmetscher. Während der Wartezeit auf diesen habe Mouhamed dann mit einem Mitarbeiter der Klinik Fußball gespielt.

In den Gesprächen habe Mouhamed dann von lebensmüden Gedanken berichtet, nicht aber von suizidalen Handlungen. Er habe nicht mehr leben wollen und dann Hilfe bei der Polizei gesucht, die ihn dann in die LWL-Klinik Dortmund brachte. Er habe angegeben, seine Familie verloren zu haben. Vater, Mutter und Bruder seien gestorben. Das hatte er auch dem Jugendamt erzählt.

Heute erinnert eine Gedenktafel am Zaun der Jugendwohngruppe an Mouhamed Lamine Dramé. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Seine Brüder verfolgen den Prozess aber nun selbst im Gerichtssaal. „Hat er ihnen wohl leider teilweise falsche Angaben gemacht“, kommentiert der Vorsitzende Richter Kelm. Ob Mouhamed auf seiner Flucht falsche Informationen aus der Heimat bekommen hat oder damit bewusst seine Chance auf Asyl verbessern wollte, wird sich wohl nicht mehr aufklären lassen.

In der Klinik habe er dann glaubhaft gesagt, dass er sich nicht mehr in einer Krise befinde und sich nicht umbringen wolle. Auch nannte er Pläne, perspektivisch wieder in seine Heimat zurückkehren zu wollen. Er habe dann den Wunsch geäußert, zunächst in die Jugendeinrichtung zurückzukehren.

Da er „kooperativ und einwilligungsfähig“ wirkte, kam die Ärztin diesem Wunsch nach und ließ ihn mit einem Taxi zur Einrichtung fahren. „Haben Sie sich da mal Gedanken gemacht, ob Sie da eventuell etwas Falsches gemacht haben?“, fragte der Verteidiger eines angeklagten Polizisten. Die Zeugin entgegnete: „Dazu will ich keine Angaben machen.“

„Fußball war seine große Leidenschaft“

Als Nächster wurde der am Tatort eingesetzte Notarzt in den Zeugenstand gerufen. Seine Aussage blieb kurz. Er sei zunächst von einem Einsatz mit Suizidversuch ausgegangen. Im weiteren Verlauf sei ihm klar geworden, dass Schüsse gefallen waren. Zusammen mit den Sanitäter:innen habe er den angeschossenen Mouhamed Dramé untersucht.

Mehrere Zeugen sagten am Donnertag aus. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Ihn beschreibt er zu diesem Zeitpunkt als „wirklich stark und aggressiv“. Blutungen nach außen habe er keine festgestellt. Die Vitalwerte des Patienten seien gut gewesen. Im Rettungswagen hätten mehrere Polizeibeamte mitgeholfen, um ihn ruhig zu halten.

Eine Behandlung sei dennoch schwierig gewesen, weshalb der Arzt entschied, ihn möglichst schnell ins Krankenhaus zu bringen. In der Notaufnahme habe sich der Zustand von Mouhamed dann massiv verschlechtert. Kurze Zeit später starb er in der Notaufnahme.

Als letzte Zeugin des Tages war eine Sozialarbeiterin des Jugendamts Rhein-Pfalz-Kreis angereist. Sie hatte Mouhamed nach seiner Ankunft in Deutschland begleitet. Wegen der Corona-Maßnahmen habe sie hauptsächlich per Telefon und Videotelefon Kontakt mit ihm gehabt. Untergebracht sei er dort im Clearinghaus Zornheim gewesen, berichtet die Sozialarbeiterin. In einer solchen Clearingstelle werden zunächst einige Informationen wie Herkunft, Alter und Zustand von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten geklärt.

Mehrfach sei Mouhamed von dort abgängig gewesen. Sein Ziel war offenbar jedes Mal ein BVB-Heimspieltag in Dortmund. „Fußball war seine große Leidenschaft, der BVB sowieso“, berichtet die Sozialarbeiterin. Das sei auch der Grund gewesen, warum sie für ihn eine Unterbringung in Dortmund gesucht habe. Er habe getanzt, als er von dem freien Platz in Dortmund hörte, berichtet die Mitarbeiterin. Allgemein beschreibt sie Mouhamed als einen sehr lebensfrohen Menschen. Einen depressiven Eindruck habe er nicht gemacht.

Letztes Telefonat vor dem Tod mit Messer in der Hand

Nicht immer hatte Mouhamed es bei seinen unangekündigten Ausflügen bis nach Dortmund geschafft. Die Polizei habe ihn auf dem Weg gefunden und ihn dann zurückgebracht. Der Verteidiger eines angeklagten Polizisten fragt nach, ob die Polizisten dabei Uniform trugen. Mit der Frage zielt er wohl darauf ab, ob Dramé die Polizei an der Uniform erkenne.

Angeklagt sind fünf beteiligte Polizist*innen. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Die Angeklagten hatten laut eigener Aussage nicht gesagt, dass sie von der Polizei seien und gaben an, dass Mouhamed das an der Uniform gesehen haben müsse. Die Rückkehr von Mouhamed hatte die Sozialarbeiterin selbst nicht gesehen. Bei der „Rückbringung“ von anderen Jugendlichen sei die Polizei in Uniform gewesen.

„Alle haben Loblieder über Mouhamed gesungen. Das Ganze ist gekippt, als er in Dortmund war“, blickt die Sozialarbeiterin zurück. Knapp eine Stunde vor seinem Tod führte sie ein letztes Gespräch mit ihm. Die Jugendeinrichtung hatte das aufgrund des Klinikaufenthalts organisiert.

Er sei verunsichert gewesen, berichtet die Sozialarbeiterin. Bei dem Gespräch sei er aber freundlich gewesen. „Wie immer“, sagt die Mitarbeiterin des Jugendamtes. Er habe ihr nie gesagt, dass es ihm schlecht gehe. Zum Ende des Telefonats sei eine Mitarbeiterin der Jugendeinrichtung zu hören gewesen. „Mouhamed, das legst du aber bitte weg“, habe diese gesagt. Zu dem Zeitpunkt habe er wohl ein Messer in die Hand genommen. Es folgte der tödliche Polizeieinsatz, der jetzt vor dem Landgericht aufgearbeitet wird. Am nächsten Prozesstag will sich das Gericht mit Gutachten in dem Fall beschäftigen.


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