Ein kommentierender Bericht von Thomas Engel
„Wir müssen uns klar machen, wie privilegiert wir sind. Wenn Menschen an diesen Obdachlosen vorbeigehen, dann denken viele von denen, wir können ja nichts machen. Nur ,die da oben‘. Da möchte ich zu bedenken geben, dass genau wir hier ,die da oben‘ sind“, erklärt Harry Jääskeläinen von Die Partei mit Nachdruck im Ausschuss für Wohnen u.a. (AKUSW). – Zwei Anträge hatte der kommunalpolitische Newcomer für seine Fraktion auf die Tagesordnung setzen lassen. Denen bescheinigten jedoch die „alten Hasen“ in dem Gremium, im Prinzip – und teils nicht ohne Eigendünkel: Thema verfehlt! Eine durchaus zwiespältige Haltung, die sich irgendwo zwischen „einflusslos“ und „nicht zuständig“ verortete. – Anlass der beiden Initiativen „von unten“ war übrigens die sich ebenfalls auf der Ausschussagenda befindende Vorstellung des Tätigkeitsberichts für das Jahr 2020 vom Dortmunder Amt für Wohnen, der für die Zukunft nicht wirklich Gutes ahnen lässt.
Dortmund nur für Besserbetuchte? – Mieten im öffentlich geförderten Wohnungsbau werden steigen
Was in dem Bericht der kommunalen Wohnbehörde aus sozial- und gesellschaftspolitischer Sicht nämlich steht, das kann in bestimmter Hinsicht angst und bange werden lassen. In Sachen öffentlich gefördertem Wohnungsbau in Dortmund, da hapert es dieser Zeit nämlich einerseits gewaltig. Bei wenig Aussicht auf Besserung, andererseits. ___STEADY_PAYWALL___
Im Gegenteil: Wo es „sozialen Wohnungsbau“ in Dortmund überhaupt noch geben wird, da haben einkommensschwache Menschen voraussichtlich bald das Nachsehen. Denn die entsprechenden „Sozialwohnungen“ werden zukünftig vermutlich deutlich teurer sein als bisher: 6,20 Euro pro Quadratmeter sind es dann – durch die (auch vom Dortmunder Wohnungsamt seit langem herbeigesehnte) Anhebung der Mietenstufe von 3 auf 4. Wer sich das ohne staatliche Grundsicherungsleistungen nicht mehr leisten kann, hat eben Pech gehabt.
Mietenstufen, das sind die zuschussfähigen Höchstbeträge, die sich an dem jeweils örtlich maßgeblichen „Mietenniveau“ (Durchschnittsmiete) orientieren. Utz Kowalewski, Fraktion Die Linke+, fragt in der Ausschusssitzung bei Amtsleiter Thomas Böhm nach, obwohl ihm die Antwort klar gewesen sein dürfte: Die höhere Mietenstufe bedeute doch erhöhte Mieten beim öffentlich geförderten Wohnungsbau. Ob das denn nicht „für die Klientel, für die dieser Wohnungsbau eigentlich gedacht ist, etwas zu teuer ist?“ Also für jene im unteren Einkommenssegment mit Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein.
Schub beim öffentlich geförderten Wohnungsbau durch stärkere Anreize für Investoren?
„Das kann man subjektiv so sehen“, erwidert der Amtsleiter. Doch die Rede wäre von Neubauwohnungen mit hohem Standard. Was in seinen Ausführungen durchklingt, das ist der Gedanke: potentielle Investoren zieht es nachvollziehbar zu jenen Standorten, wo die wirtschaftliche Darstellbarkeit günstiger ist.
Die Fördermiete habe in Dortmund bislang bei 5,85 Euro gelegen. In der nächsthöheren Mietenstufe (4) würden die Förderbedingungen attraktiver. Das Ministerium in Düsseldorf sei der Ansicht, dies sei ein Anreiz, noch mehr in den geförderten Wohnungsbau zu gehen.
Das sehen gleichwohl nicht alle so. Schon der Mieterverein Dortmund hatte in der vergangenen Woche nach Kenntnisnahme des amtlichen Tätigkeitsberichts moniert, der Neubau von öffentlich geförderten Wohnungen bliebe in Dortmund weiterhin eine „wohnungspolitische Dauerbaustelle“ – „auch wenn alle zur Verfügung stehenden Mittel der Wohnraumförderung an Vermieter und Investoren durch das Amt für Wohnen vermittelt werden konnten“
Insgesamt waren es 2020 knapp 44 Millionen Euro an Fördermitteln – „das ist nicht so rosig“, wie Böhm selbst feststellen musste. Was aber besonders in der Kritik steht: im abgelaufenen Jahr gab es in Dortmund beim Neubau von Mietwohnraum gerade einmal 80 geförderte Wohneinheiten; davon sind 69 Mietwohnungen („Sozialwohnungen“). Nach Ansicht vieler deutlich zu wenig in einer wachsenden Stadt, die bezahlbaren Wohnraum dringender benötigt denn je.
Ideen aus der Stadtgesellschaft: Wie kann ein Mehr an (bezahlbarem) Wohnraum geschaffen werden?
Robert Punge, Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes Dortmund (DMB) und beratendes Mitglied im AKUSW, kommentiert in der Ausschusssitzung: „Wir haben in Dortmund 217.000 Wohneinheiten, die vermietet sind; im Verhältnis dazu sind diese 80 gar nichts.“ Das Geld, dass in Dortmund auf den Konten läge, sollte aktiviert werden für den Wohnungsbau. Im Sinn hat er etwa Selbstständige, die investieren, um später zu vererben, dadurch aber Wohnraum schaffen.
Wohnraum, von dem er annimmt, dass er anders bewirtschaftet würde als bei finanzgesteuerten Wohnungsunternehmen wie Vonovia, LEG, VivaWwest. Wo dann etwa nicht in Mitarbeiter*innen investiert würde, „die sich darum kümmern, neue Kosten zu entwickeln“.
Andere setzen eher auf staatliches Engagement. Bereits zur Kommunalwahl hatte der Mieterverein Dortmund im Rahmen des Netzwerkes „arm in Arm / Bündnis Wir wollen Wohnen Dortmund “ ein kommunales Wohnungsbauprogramm mit 500 neuen Wohnungen pro Jahr gefordert.
Von den Fraktionen der CDU und der Grünen wiederum wurde vor einigen Tagen die gemeinsame Forderung nach einem konkreten Fahrplan für den Neubau von Wohnungen und Kitas in den nächsten 5 Jahren laut. Dazu solle die Stadtverwaltung in Kooperation mit Dogewo, der Stadtentwicklungsgesellschafft sowie der Wohnungswirtschaft ein Konzept mit klaren Zielvorgaben entwickeln. – Der Ernst der Lage, was das Wohnen in Dortmund betrifft, ist allen Beteiligten also offenbar klar.
Frage ist nicht nur: Wie viel neuer Wohnraum? – Sondern, und vor allem: Zu welchem Preis?
Aus sozialpolitischer Perspektive ist die relevante Frage aber nicht nur die, wie viel an neuem Wohnraum geschaffen wird, sondern vor allem: zu welchem Preis für potentielle Mieter*innen? So dass in den unteren Einkommenssegmenten der Mietzins bezahlbar bleibt. Vom Problem der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in der Stadt mal ganz abgesehen. – Hier könnten sich die Geister scheiden. Doch das sollte im Ausschuss später noch zur Sprache kommen.
Robert Punge vom DMB rechnet zunächst vor: Bei einer förderfähigen Miete (also der Bewilligungsmiete pro Quadratmeter Wohnfläche) von jetzt 6,20 Euro und veranschlagten drei Euro an Nebenkosten, einschließlich Heizung, ergäben sich fast 10 Euro pro oder bei 50 Quadratmetern 500 Euro an Miete. Das könne von einer Einzelperson aus dem geringen Einkommenssektor schlicht nicht mehr bezahlt werden.
Noch besorgniserregender ist der Umstand, dass dem Tätigkeitsbericht des Amtes für Wohnen zufolge die Bestände an öffentlich gefördertem Wohnraum in Dortmund in den kommenden Jahren signifikant abschmelzen werden. Weil einerseits zu wenig bezahlbarer Wohnraum neu geschaffen wird. „Im Kalenderjahr 2020 sind 249 öffentlich geförderte Wohnungen bezugsfertig geworden und stehen damit dem Dortmunder Wohnungsmarkt zur Verfügung“, heißt es in dem Bericht des Amtes.
Bestände an öffentlich gefördertem Wohnraum werden in kommenden Jahren deutlich geringer
2019 jedoch wurden nicht 80 wie 2020, sondern noch 200 Wohneinheiten gefördert. Andererseits laufen im „sozialen Wohnungsbau“ kontinuierlich die Mietpreisbindungen bei einem Teil der Bestände zum Jahresende aus. Die Folge: Wenn nicht parallel dazu hinreichend neuer Wohnraum mit Mietpreisbindung im öffentlichen Förderungssektor entsteht, dann wird’s irgendwann eng. Es wird immer weniger „Sozialwohnungen“ geben.
Ende 2020 waren es in Dortmund noch insgesamt 23.165 öffentlich geförderte Wohnungen, rund 430 Wohnungen weniger als im Vorjahr. Diese seit längerem zu beobachtende Tendenz wird sich nach dem Bericht des Wohnungsamtes fortsetzen. Dessen nüchterne Prognose lautet: „Zukünftig wird sich der Bestand jedoch weitaus stärker reduzieren. Im Jahr 2030 ist nach jetziger Datenlage von lediglich rund 13.000 öffentlich geförderten Mietwohnungen auszugehen.“
Ergo, passiert in Sachen Neubau von Sozialwohnraum nichts Wesentliches, werden sich viele Menschen in Dortmund bald keine Wohnung mehr leisten können. Zahlen, in denen sich diese Entwicklung abbildet, nennt Leander Schreyer von den Grünen mit Blick auf die jeweilige Fördersumme für den Mietgeschosswohnungsneubau: betrug sie 2016 noch 25 Millionen Euro jährlich, 2018 und 2019 jeweils um die 23 Millionen, sei sie 2020 praktisch halbiert worden, nämlich auf 11 Millionen Euro.
Das ist für ihn „eine bedenkliche Entwicklung vor dem Hintergrund, dass wir ja eigentlich mehr Wohnungen brauchen“, mahnt der Raumplanungsstudent von der TU Dortmund und AStA-Sprecher. Das hinge aber auch an den Förderbedingungen, die das Land vorgibt. Ein weites Feld, das in dem Ausschuss freilich nicht weiter thematisiert werden konnte. – Und hier hätte die Berichterstattung enden können. Wäre da nicht noch was gewesen.
Von einem, der sich zunächst belehren lassen musste, was geht, was nicht geht
Denn es folgt Tagesordnungspunkt (TO) 6.2, Antrag zur Beschlussfassung, von Die Partei: „Die Dogewo wird aufgefordert, die Mietpreise für ihre Wohnungen dauerhaft mindestens fünf Prozent unterhalb des minimalen örtlichen Mietspiegels zu halten, sofern dies noch einen kostendeckenden Betrieb erlaubt.“
Gewissermaßen symbolisch dafür, wie solche Anliegen hier im Ausschuss ankommen, stand, dass ein zweiter Antrag von Die Partei erst gar nicht auf der schriftlichen TO aufgeführt war. Er sei aber rechtzeitig eingereicht worden, konzediert eingangs die Ausschussvorsitzende von den Grünen, Ingrid Reuter; er würde später unter TO 6.4 behandelt.
Was in Sitzungen kommunaler Organe nun normalerweise passiert, wird der betreffende TO aufgerufen: die Antragssteller bekommen zunächst das Wort, um vor versammelter Mannschaft ihr Begehren zu erläutern. Zumal es in dem Papier von Die Partei ausdrücklich hieß: „Die Antragsbegründung erfolgt mündlich in der Sitzung.“
Doch diesmal läuft es etwas anders. Ausschussvorsitzende Ingrid Reuter, statt dem Vertreter von Die Partei das Wort zu erteilen: „Vielleicht macht es Sinn, wenn vonseiten der Verwaltung, vonseiten Herrn Wildes hier nochmal klargestellt wird, welche Möglichkeiten wir als Ausschuss haben, also in Bezug auf Dogewo, welche Einflussmöglichkeiten wir da haben. Vielleicht erst einmal als Erläuterung vorab.“
Klares Statement aus der Verwaltung: „Die Dogewo ist nicht weisungsgebunden dem Rat gegenüber“
Worauf die Grünen-Politikerin anspielt: Die Dortmunder Wohnungsbaugesellschaft Dogewo gehört seit 2006 zum Konzernverbund DSW21 und ist wie diese ein ausgelagerter Stadtbetrieb und formal eigenständig. Damit ist im Ausschuss klar, wohin die Reise in der Folge gehen soll: das Gremium ist einflusslos, hat nichts zu sagen. Mit der unausgesprochenen Message an die Newcomer im kommunalen Politikbetrieb: Thema verfehlt, Note 6, setzen!
Die Sachaufklärung übernehmen die Fachleute. In diesem Fall also der zuständige wie anwesende Planungsdezernent Ludger Wilde. Der macht in Bezug auf die Eingriffsmöglichkeiten des Ausschusses auf das Unternehmen klar: Was der Ausschuss beschlösse, das sei ihm natürlich freigestellt.
„Man kann aber nicht erwarten, dass die Dogewo das macht. Die Dogewo ist nicht weisungsgebunden dem Rat gegenüber, auch wenn sie indirekt natürlich zur Stadtfamilie gehört, aber sie ist ein selbstständiges Unternehmen, gehört zur DSW und wir haben keinen direkten Zugriff darauf.“
Um jovial zu ergänzen „Wenn Sie Wert drauf legen, könnten wir das natürlich noch einmal unserem Rechtsamt vorlegen.“ Rät aber sofort mit einem leichten Seufzen, dass es vielleicht sinnvoller sei, sich die Arbeit zu ersparen. Ergänzt schließlich nicht ohne Ironie: „Aber wenn es gewünscht wird, machen wir das natürlich.“
Kein Mangel an Selbstgewissheit: „Wir … kennen uns von vorn bis hinten mit den Dingen aus“
Vereinzelt Gelächter im Ausschuss: weil das Ergebnis einer solchen Prüfung eh feststeht. Ja, hier sitzen sie, die alten Hasen, die genau wissen, was geht, was nicht geht. Ingrid Reuter legt sofort nach, als wäre der Antrag von Die Partei lediglich schlichter Ignoranz erwachsen und käme fast einer Art Beleidigung jener gleich, die exklusiv wissen, wo es langgeht: „Wir sind ja alle irgendwie seit Jahr und Tag schon im Ausschuss und kennen uns von vorn bis hinten mit den Dingen aus.“
Carla Neumann-Lieven, Aufsichtsratsvorsitzende der Dogewo, schlägt für die SPD-Fraktion vor: Der Beteiligungsverwaltung solle diese Arbeit aufgegeben werden. „Ich glaube, die ist dafür der richtige Ort, die sollen doch einfach mal ein paar Sätze dazu sagen.“ Das könne ja dann mal schriftlich niederlegt werden. Und auch sie betont: „Wir alle sind schon lange dabei und kennen dieses Verfahren.“
Uwe Waßmann, planungspolitischer Sprecher der CDU, stimmt zwar zu: „Das kann man ja mal machen, dass man mal darstellt, wer hier wem verpflichtet ist, oder auch nicht“. Doch den Antrag, den lehnten sie ab. Seine Begründung: Die Dogewo sei sehr „verantwortlich unterwegs“, etwa mit den Mieten. Und in der Tat: Nach Auskunft des Unternehmens betrug die Durchschnittsmiete aller Dogewo21-Wohnungen im Dezember 2020 gerade einmal 5,67 Euro pro monatlich pro Quadratmeter.
Sie habe „nahezu keinen Leerstand, modernisiert, engagiert sich im sozialen Bereich erheblich, etc.“, so der CDU-Sprecher weiter. „Insofern halte ich es auch für politisch als völlig verkehrtes Signal, in diesem Bereich eine Art Deckelung durchzuführen“. – „Das steht uns nicht zu.“ Zumal: Es gäbe einen Aufsichtsrat, der auch dafür verantwortlich sei, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens im Auge zu behalten.
Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder bei Dogewo21 entstammt Stadtratsfraktionen
In besagtem Aufsichtsrat der Dogewo21 sitzen nun mehrheitlich Vertreter*innen von im Stadtrat vertretenen Parteien. Sieben an der Zahl von 13 Aufsichtsratsmitgliedern stammen von: SPD (3), CDU (2), Bündnis 90/Die Grünen (1) und Linke+ (1); drei von ihnen sind zugleich Mitglieder im Ausschuss für Wohnen, dem AKUSW: Carla Neumann-Lieven (SPD), Reinhard Frank (CDU) und Utz Kowalewski (Linke+).
Das aber heißt nichts anderes, als dass es diese aufgeführten Parteien bzw. deren Vertreter*innen sind, die teils sogar in dem Ausschuss selbst sitzen, die ein gewaltiges Wort bei der Ausrichtung der (letztendlich städtischen) Wohnungsbaugesellschaft mitzureden haben – denn immerhin kontrollieren sie mehrheitlich den Aufsichtsrat. Insofern ist allein von daher das im Antrag von Die Partei vorgebrachte Ansinnen nicht ganz so abwegig, wie die Ablehnungsfront im AKUSW es darstellt, obwohl der selbst formal keinen Einfluss nehmen kann.
Dogewo-Aufsichtsratsmitglied Utz Kowalewski von Linke+ findet die Idee an sich offenbar gut: „Die Intention finde ich ja richtig, die dahintersteht.“ Günstige Mieten haben zu wollen mit Dogewo als Anker, um den Mietspiegel unten zu halten. Was den Adressaten betrifft: das seien dann wohl eher die Vertreter*innen des Rates im Aufsichtsrat von Dogewo, die aufgefordert werden müssten.
Auch Stadtrat hat schon Resolutionen zu kompetenzüberschreitenden Themen verabschiedet
Harry Jääskeläinen (Die Fraktion Die Partei), der irgendwann das Wort erhält, um seinen Antrag zu erläutern, hat ein weiteres Argument parat, gleich, an wen konkret die Aufforderung gerichtet ist: „Es ist natürlich völlig klar, dass die Dogewo eigenständig ist“, weiß er. „Aber ich denke, dass wir als Ausschuss – auch Wohnen – hier ganz klar Stellung beziehen können.“
Wenn sich der Ausschuss klar positioniere „und sagt, dass wir tatsächlich auch eher günstige Mieten haben wollten, die Menschen sich leisten können, ist das auch noch mal ein Signal an die Beteiligungsverwaltung“, betont er. Es geht also auch um ein politisches Zeichen des AKUSW – und dieses soll sich nicht nur auf die Dogewo (als Stadttochter) beziehen, sondern eigentlich die Gesamtlage auf dem Dortmunder Wohnungsmarkt in den Blick nehmen.
Ein an sich nicht ungewöhnlicher Vorgang. Sonst hätte sich beispielsweise der Dortmunder Stadtrat nie zu anderen, seine formalen Kompetenzen, seine Macht überschreitenden Themen äußern dürfen. Wie etwa noch im Januar dieses Jahres, als auf dessen Beschluss hin die Stadt Dortmund mit dem OB an der Spitze nachdrücklich von der Bundesregierung forderte, endlich den UN-Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen (wir berichteten).
Dogewo-Durchschnittsmiete unter Mietspiegel für Standardwohnung der Altersklasse 1930 – 1969
Auch Leander Schreyer von den Grünen signalisiert hier Bereitschaft: Er könne nachvollziehen, worum es geht. Deutet eine persönliche Offenheit an, als Ausschuss entsprechend zu agieren, auch wenn dieser formell nicht das Recht habe, „dem Aufsichtsrat Vorgaben zu machen“. Aber dazu passe der Antrag nicht wirklich, sei nicht gut durchdacht.
Weswegen der Antrag von Die Partei mit seiner Fixierung auf die Dogewo ebenfalls in der Kritik stand, hatte Utz Kowalewski klar gemacht: das Unternehmen befände sich nämlich bereits unterhalb des Dortmunder Mietspiegels. Und in der Tat: Gegenüber den 5,67 Euro bei Dogewo beläuft sich nach dem seit Januar gültigen Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete in der Stadt für eine Standardwohnung der Baualtersklasse 1930 bis 1969 (energetisch modernisiert, mit Balkon, ohne weitere merkmalbedingte Zu- und Abschläge) auf etwa 5,98 Euro/Quadratmeter netto kalt.
Würde der Antrag daher von der Dogewo so umgesetzt, führe das nicht dazu, dass die Mieten sänken. Insofern müsse über seine Formulierung noch einmal nachgedacht werden, so Kowalewski. Und Uwe Waßmann sekundiert: Man könne die Dogewo wahrlich nicht mit diesen großen Wohnungswirtschaftsunternehmen vergleichen. Den Ansatz [des Antrages] verstünde er ja, aber da sei die Dogewo eben das falsche Beispiel.
Scharfe Kritik an börsennotierten Wohnungsbauunternehmen wie Vonovia
In seiner weiteren inhaltlichen Begründung für das vom Ausschuss geforderte symbolische Statement hatte der Nachwuchspolitiker von Die Partei nämlich eher auf die allgemeine Lage auf dem Dortmunder Wohnungsmarkt abgehoben: „Wenn man sich die Entwicklung der Mieten mal ansieht in den letzten Jahren, das ist haarsträubend. Seit Jahren schon erzählen Vermieter und Vermieterinnen, sie würden bald verhungern“, wenn die Mieten nicht noch einmal stiegen, so Jääskeläinen.
Um schlussendlich bei börsennotierten Unternehmen zu landen – wie Vonovia, das seine Zahlen veröffentlichen muss: „Wenn sie sich mal überlegen, wie viel Profit die Vonovia jeden Monat mit jeder Wohnung macht“: das seien 300 Euro. „Ich finde das schon haarsträubend, das steht in keinem Verhältnis mehr zu den tatsächlichen Kosten, die da anfallen. Und ich denke, wir als AKUSW sollten da Stellung beziehen.“
„Eine lebenswerte Stadt ist eine Stadt, wo die Mieter nach der Miete auch noch Geld haben, dass sie hier auf dem wundervollen Boulevard Kampstraße es vielleicht auch ausgeben könnten irgendwann.“ Daher ginge es um „ein Signal, das zeigt, dass der Mietspiegel nicht immer nur steigen kann, sondern sich auch mal senken kann. Und dass man da gerade als Stadt, gerade auch als soziale Stadt eine Verantwortung hat.“
„Märchen, dass nur teure Mieten dafür sorgen, dass überhaupt gebaut wird“
Natürlich sei die Dogewo mit der Vonovia nicht vergleichbar, schränkt Harry Jääskeläinen ein: trotzdem sei es wichtig, „hier zu diskutieren“. Auch um mit einem verbreiteten Paradigma aufzuräumen: „Das Märchen, dass nur teure Mieten dafür sorgen, dass überhaupt gebaut wird, das glauben wir, glaube ich, alle nicht mehr.“ Für ihn ist demgegenüber klar: Neubau führe zu Mieterhöhungen und zu mehr Profit.
Darüber mag zwar trefflich gestritten werden, aber mit seiner Fokussierung auf den städtischen Eigenbetrieb Dogewo, der offensichtlich zu den besseren in der Branche gehört, war der Antrag in der eingereichten Form nicht mehr zu retten und wurde mit großer Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion Linke+ und alleiniger Zustimmung von Die Partei – abgelehnt.
Kaum anders ergeht es Antrag Nummer 2 von Die Partei, TO 6.4. Auch der erhält, nach Auffassung der überwiegenden Mehrheit im Ausschuss, quasi den Stempel: „Thema verfehlt!“. Es geht um die Wohnungsvergabekriterien der Dogewo. „In diesem Antrag geht es uns darum, klarzustellen, dass wir der Meinung sind, dass Wohnen ein Grundrecht ist“, erläutert Jääskeläinen. Doch das Gremium erklärt sich für nicht zuständig und überweist am Ende die Angelegenheit einstimmig in den Sozialausschuss (ASAG), Stichwort: Housing-First.
Während Menschen ein Nachtquartier suchen: „Wir sitzen hier bei Kuchen und Getränken …“
Um es abzukürzen, seitens des Antragsstellers fielen Statements wie: „Wir müssen uns klar machen, wie privilegiert wir sind. Wenn Menschen an diesen Obdachlosen vorbeigehen, dann denken viele von denen, wir können ja nichts machen. Nur ,die da oben‘. Da möchte ich zu bedenken geben, dass genau wir hier ,die da oben‘ sind.“ Es ginge darum, ein Signal auszusenden und zu sagen: „Nein, wir wollen das nicht.“ Denn: „Wir sitzen hier bei Kuchen und Getränken und reden in zivilisierter Form über Dinge, während andere Menschen sich fragen, wo sie die Nacht verbringen.“
Bei den Obdachlosen, da spare Dortmund das Geld, „was wir denen eigentlich schulden. In Form von Wohngeld, in Form von Sozialhilfe“. Es sei eine Verpflichtung, „von uns allen, in welchem Ausschuss auch immer, den Menschen die Möglichkeit zu geben, das Geld abzurufen“. Um menschenwürdig zu leben.
„Ich sehe es auch nicht als Sache des Sozialausschusses, denn diese Menschen haben ohnehin ein Recht auf Wohnen.“ Doch sie bekämen keinen Wohnzuschuss. Gleiches gälte für Menschen, die von Wohnungslosigkeit oder häuslicher Gewalt bedroht seien. Hier sei es ein deutliches wie wichtiges Signal, „da Position zu beziehen“. – Doch am Ende stimmt Harry Jääskeläinen ebenfalls für eine Überweisung in den Sozialausschuss.
Epilog: Von der Unsäglichkeit der AfD-Demagogie, die keine friedliche Welt braucht
Was bleibt, ist einmal mehr – und neben dem Umstand, dass die Mühlen des kommunalen Politikbetriebs nicht nur langsam sind, sondern vor allem ihre eingeschliffenen Regeln wie Üblichkeiten haben: die unverhohlene Dreistigkeit, mit der Rechtspopulist*innen ihre Mythen in die Welt setzen.
Da verlautbart ihr Vertreter, Tino Perlick, in dem Ausschuss zum ersten Antrag von Die Partei doch glatt, den sehe er als einen, wo „sozialistische Allmachtsphantasien“ am Werke seien – Linke, die heute nicht laut genug „Wir haben Platz!“ rufen könnten – „und dadurch das Problem des Wohnungsmangels natürlich eklatant verschärfen“.
Und zu den Obdachlosen resp. dem Wohnungsproblem, u.a.: da würde der Eindruck erweckt, sie seien eine homogene Masse, die wie Flüchtlinge nur darauf warteten, „dass man ihnen einen Teller heiße Suppe bringt und eine Decke und ihnen dann die Wohnung der Dogewo aufschließt“.
Die „Anderen“, die Du nicht verstehst, die Dir Angst machen, weil sie Dich angeblich bedrohen, Dir etwas wegnehmen wollen, das sind die Bösen! – Die jüngsten Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie bei den hessischen Kommunalwahlen lassen darauf hoffen, dass es mit diesem Alptraum für jede Zivilisation bald vorbei sein wird.
Weitere Informationen:
- Netzwerk „arm in Arm / Bündnis Wir wollen Wohnen Dortmund; hier:
- Stadt Dortmund, Beteiligungsbericht 2019/2020; hier: (zur DOGEWO, Dortmunder Gesellschaft für Wohnen mbH [DOGEWO21], S. 170ff.; Mitglieder von Parteien, die Mitglieder in Aufsichtsgremien von Unternehmen und Einrichtungen der Stadt Dortmund in privater Rechtsform [Mandate auf Vorschlag/Bestellung der Stadt Dortmund]: S. 313ff.)
- Geschäftsbericht der Dogewo21 für 2019; hier:
- Von den 13 Aufsichtsratsmitgliedern bei der Dogewo entstammt einer Mehrheit von im Stadtrat vertretenen Parteien, nämlich sieben an der Zahl (3xSPD, 2xCDU, 1x Bündnis 90/Die Grünen, 1xLinke+); drei Aufsichtsratsmitglieder sind zugleich Mitglieder im Ausschuss für Wohnen: Carla Neumann-Lieven (SPD), Reinhard Frank (CDU) und Utz Kowalewski (Linke+).
- Mitglieder Aufsichtsrat Dogewo21 (nach Beteiligungsbericht 9/2020): Carla Neumann-Lieven (SPD), Vorsitzende; Hubert Jung, DSW21, stellv. Vorsitzender; Reinhard Frank (CDU), Ratsmitglied, stellv. Vorsitzender; Inge Albrecht-Winterhoff (SPD) Ratsmitglied; Ursula Hawighorst-Rüßler (Bündnis 90/Die Grünen), Ratsmitglied; Jörg Jacoby, DSW21; Edeltraut Kleinhans (SPD) Ratsmitglied; Utz Kowalewski (Linke+), Ratsmitglied; Sascha Mader (CDU), Ratsmitglied; Birgit Pohlmann, Sachkundige Bürgerin; Uwe Samulewicz, Sparkasse Dortmund; Katja Sievert, Arbeitnehmervertreterin; Ludger Wilde, Stadtrat.
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
https://www.nordstadtblogger.de/trotz-anstrengungen-fuer-sozialen-wohnungsbau-droht-die-zahl-der-sozialwohnungen-von-23-000-auf-13-000-zu-sinken/
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Viele Berufspendler trotz Pandemie: „Teurer Wohnraum mitverantwortlich“ – 111.000 Menschen pendeln zum Arbeiten von außerhalb nach Dortmund (PM)
Viele Berufspendler trotz Pandemie: „Teurer Wohnraum mitverantwortlich“ –
111.000 Menschen pendeln zum Arbeiten von außerhalb nach Dortmund
Wenn Lebenszeit im Stau verloren geht: Auch in Zeiten von Lockdown und Homeoffice bleibt die Zahl der Pendler in Dortmund auf einem hohen Level. Im vergangenen Jahr kamen rund 111.000 Menschen zum Arbeiten regelmäßig von außerhalb in die Stadt. Darauf macht die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) aufmerksam. Die Gewerkschaft beruft sich dabei auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Demnach sank die Zahl der sogenannten Einpendler nach Dortmund geringfügig um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Zu den Hauptursachen für die anhaltend großen Pendelströme zählt nach Einschätzung der IG BAU Bochum-Dortmund der teure Wohnraum in den Städten. „Nach jahrelangen Mietsteigerungen können sich viele Beschäftigte das Leben am Arbeitsort nicht mehr leisten. Ihnen bleibt als Alternative oft nur stundenlange Fahrerei mit dem Auto oder der Bahn“, so Bezirksvorsitzende Gabriele Henter. In der Baubranche seien weite Anfahrtswege besonders verbreitet. Es dürfe aber nicht sein, dass Bauarbeiter, die in den Ballungsräumen Wohnungen bauten, sich diese selbst nicht mehr leisten könnten.
Die IG BAU fordert deshalb mehr Anstrengungen bei der Schaffung bezahlbaren Wohnraums. „Deutlich mehr Wohnungen, die sich in den Städten auch Gering- und Normalverdiener leisten können, sind ein entscheidender Beitrag, um die Pendler-Zahlen zu verringern“, sagt Henter. Dafür müsse die Politik klare Vorgaben machen, etwa indem kommunale Grundstücke nicht an den Meistbietenden verkauft würden, sondern an Bauherren, die sich zu bezahlbaren Mieten verpflichteten. Beim sozialen Wohnungsbau müssten die staatlichen Fördermittel massiv aufgestockt werden und einmal gebaute Sozialwohnungen dauerhaft preisgebunden bleiben.
Dass Menschen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes wohnen können, sei nicht nur eine soziale, sondern auch eine ökologische Frage: „Weniger Pendelei bedeutet für die Betroffenen mehr Zeit für die Familie, Freunde und Hobbys. Gleichzeitig kann ein erheblicher Teil der CO2-Emissionen im Verkehrssektor eingespart werden“, so Henter weiter.
Nach Angaben der Arbeitsagentur verließen im vergangenen Jahr bundesweit vier von zehn sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf dem Weg zur Arbeit die Grenzen ihrer Stadt oder ihres Landkreises. Damit erreichte die Zahl der Fern-Pendler trotz Pandemie einen Höchststand von 13 Millionen.
„Wohnen für Menschen statt für Profite – Sicheres Zuhause für alle!“: Gemeinsame Pressemitteilung des Planerladen e.V. und des Mietervereins Dortmund
Gemeinsame Pressemitteilung des Planerladen e.V. und des Mietervereins Dortmund und Umgebung e.V. zum Aktionstag „Wohnen für Menschen statt für Profite – Sicheres Zuhause für alle!“
Der deutsche Wohnungsmarkt ist zunehmend von Kapitalisierung und Gewinnmaximierung geprägt. In Dortmund sind die Wohnanlage Hannibal II in Dorstfeld und das „Horrorhaus“ in der Kielstraße 26 Negativ-beispiele für Spekulation am Wohnungsmarkt. Der Hannibal wurde jüngst weiterverkauft, statt saniert. Das Hochhaus Kielstraße 26 lässt die Stadt Dortmund mit Fördermitteln des Landes Nordrhein-Westfalen ab-reißen.
Gleichzeitig steigen in den bewohnten Wohnungen die Mieten. Im Zuge des neuen Dortmunder Mietspiegels erhöhen viele Vermieter*innen erneut die Miete, oft auch unrechtmäßig hoch. So verlangte der Vermieter der Wohnungen in der Westhoffstr. 11 von den Mieter*innen einen Aufschlag für „Dortmund Mitte“. Diese knapp 50 € mehr pro Monat sind unzulässig, da für die Nordstadt kein solcher Aufschlag anzurechnen ist. Verwaltetet werden die Wohnungen durch die Firma Strabag Property and Facility Services GmbH im Auf-trag der Eigentümerin Swiss Life-Gruppe.
Noch immer stecken Dortmunder Immobilien im Karussell der Wohnungsverkäufe fest, mit negativen Folgen für die Mieter*innen. Denn die neuen Eigentümer*innen scheinen die Wohnungen häufig nicht ausreichend genug zu kennen bevor sie diese kaufen. So übernahm die Dusapro aus dem Raum Darmstadt im Jungferntal und in Hombruch Wohnungen der Vonovia und forderte Fotos und sensible Daten der Mieter*innen. Die Peach Immobilien GmbH begrüßte ihre neuen Mieter*innen mit Mahnungen, ohne zu erläutern, woraus sich die Rückstände denn zusammensetzen.
Verschärfung der Situation durch Corona
Die sozialen und finanziellen Folgen der Corona-Pandemie verschärfen die bereits angespannte Mieten- und Wohnungskrise zusätzlich. Wie befürchtet verlängerte die Bundesregierung den Mieter*innenschutz zu Beginn der Pandemie nicht über den 30.06.2020 hinaus. Dadurch wurden Mieter*innen, die aufgrund von Kurzarbeit oder durch den Verlust des Arbeitsplatzes finanzielle Einbußen hinzunehmen hatten, der konkreten Gefahr einer Räumung oder Schuldenanhäufung ausgesetzt. Während die Immobilienwirtschaft weiterhin Gewinne in Millionenhöhe durch Mieteinnahmen und Spekulationen erwirtschaftet, tragen die Mieter*innen alleine das Risiko, die Mietzahlungen nicht aufbringen zu können. Insbesondere trifft dies auf diejenigen in besonderem Maße zu, die in prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind. Die Gefahr, sich am Arbeitsplatz mit Covid-19 zu infizieren, ist in den schlecht bezahlten und unsicheren Jobs meist ungleich höher, wie bspw. bei Erntehelfer*innen, Beschäftigte der Fleischindustrie etc. Letzten Sommer wurde nicht nur in Rheda-Wiedenbrück sichtbar, wie die vorhandene soziale Ungleichheit und prekäre Beschäftigungs-verhältnisse das Risiko sich zu infizieren erhöhen. Gleichzeitig führt uns die Pandemie vor Augen, dass eben nicht alle Menschen gleich von Covid-19 betroffen sind. Auch in den nördlichen Dortmunder Stadtteilen, insbesondere der Nordstadt, lassen sich die sozialen Ungleichheiten unter Corona wie unter einem Brennglas betrachten. Beengte Wohnverhältnisse, wenige freie Flächen im öffentlichen Raum und oft prekäre Arbeitsverhältnisse sorgen mit für die höchsten Infektionszahlen in Dortmund. Die Mechanismen des Wohnungsmarktes tragen zu dieser Segregation und zur Ungleichheit der Wohn- und Lebensverhältnisse erheblich bei. Besonders herausfordernd ist gerade für Familien in prekären und beengten Wohnverhält-nissen, in dieser Situation Bedingungen für gelingendes Homeschooling zu schaffen und damit zu vermeiden, dass sich die Schere noch weiter öffnet.
Diskriminierung und Verdrängung als Folgen
Geflüchteten wird der Schutz in engen Sammelunterkünften erschwert oder in Lagern an den EU-Außengrenzen gänzlich verwehrt. Wohnungslose haben keine Möglichkeit, sich zum Schutz vor dem Virus in eine Wohnung zurückzuziehen. Besonders problematisch sind die heruntergekommenen Häuser, die für EU-Neuzugewanderte und v.a. Rom*nja oftmals die einzige Alternative als Wohnraum darstellen und in denen aufgrund von jahrelangem Investitionsstau der Eigentümer*innen bereits vor der Pandemie ungesunde Wohnverhältnisse herrschten. Noch prekärer wird die Situation im Quarantänefall, wenn die dafür nötigen Voraussetzungen durch die beengten Wohnverhältnisse nicht erfüllt werden können.
Zudem wird bei berechtigten Mietminderungen in solchen Häusern nicht selten seitens der Eigentümer*innen als Abschreckung die Strom- und Wasserzufuhr abgestellt. Die in diesen Zeiten der Pandemie so wichtige Hygienevorsichtsmaßnahmen werden unter solchen Umständen faktisch unmöglich. Aufgrund der Marginalisierung und bestehenden Verdrängungsmechanismen ist die Teilhabe am und der Zugang zum gesellschaftlichen und städtischen Leben seit Beginn der Pandemie für diese Personengruppen erheblich erschwert. Dazu tragen ebenso diskriminierende Vermietungspraxen bei: Zahlreiche Testings und Studien (u.a. auch des Planerladen e.V.) belegen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte bei der Wohnungsvergabe diskriminiert werden. Allein ein nicht-deutsch klingender Name kann eine Benachteiligung zur Folge haben.
Die Stadt gehört Allen!
Daher fordern der Planerladen e.V. und der Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V. die Bundesregierung auf, einen Fonds zum Mietschuldenerlass aufzulegen und eine humane, bezahlbare Mietenpolitik zu verfolgen! Die Stadt Dortmund wird aufgefordert, über eigenen, kommunalen, geförderten Wohnungsbau und eine sozialgerechte Bodenpolitik den Wohnungsmarkt zu entlasten.
Zudem stehen wir für ein Ende der diskriminierenden Vermietungspraxen auf dem Wohnungsmarkt ein und fordern eine Verbesserung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), um Betroffenen eine wirkliche Handhabe gegen Diskriminierung zu ermöglichen. Es gilt, diese Erkenntnisse zu nutzen die strukturellen Ungleichheiten zu bekämpfen! Die Stadt gehört Allen!
Wir rufen dazu auf, am Samstag, den 27.03.2021 an den deutschlandweit stattfindenden Aktionen/Kundgebungen teilzunehmen und für das Recht auf sicheren Wohnraum für alle Menschen ein-zustehen! Veranstaltet wird der Aktionstag vom Aktionsbündnis gegen Verdrängung und Mieten-wahnsinn.
Die nächstgelegene Kundgebung findet In Witten um 11:00 Uhr in der Berliner Straße statt.
Aktion: Wohnung ist ein Menschenrecht – Offener Brief von „Face2Face Dortmund“ (PM)
Aktion: Wohnung ist ein Menschenrecht – Offener Brief von „Face2Face Dortmund“
Liebe Dortmunder*innen,
eine würdevolle Wohnung zählt in dieser Gesellschaft als Grundbedürfnis. Sie schützt vor Gewalt und Kälte, schützt die Privatsphäre, das Leben und die Würde eines Menschen. Diesen Winter mussten wieder Obdachlose erfrieren. Warum? Wenn wir Birgit Zorner richtig verstanden haben, sind sie selbst schuld daran.
Solidarische Kollektive und bereits etablierte Organisationen sprangen täglich in die Versorgungslücken. Die Stadt reagierte erst auf Proteste und nachdrückliche Forderungen der Zivilgesellschaft, eher widerwillig, da sie die um ihr Prestige bangen musste. Dabei scheint es nach wie vor die vorherrschende Strategie der Entscheidungsträger*innen zu sein, die prekäre Situation der Obdachlosen damit zu relativieren, man mache ja schon „sehr viel“.
Möglich, dass Dortmund in diesem Bereich nicht viel schlechter da steht als andere Städte. Das genügt uns aber nicht. Eine Blick auf die bloße Tatsache, dass sehr viele Häuser, auch im städtischen Besitz, leer stehen und direkt daneben Menschen unter elendsten Bedingungen leben und erfrieren müssen, lässt uns resümieren: Zu wenig! Zu spät! Zu halbherzig!
Und, ja, liebe Frau Zoerner, es gibt „viele“ Einrichtungen wie zum Beispiel die Männerübernachtungsstelle in der Unionsstraße. Aber viele (!) Menschen begeben sich ganz offensichtlich lieber in höchste Lebensgefahr, als dort zu übernachten. Warum das so ist, ist aus unserer Sicht klar: Solche Einrichtungen gleichen eher einem Gefängnis, als einem Ort, an dem man sich aufhalten möchte. Warum? Weil es der Stadt scheinbar wichtiger ist, an dieser Stelle Geld zu sparen, als ihrem Auftrag der Daseinsfürsorge angemessen nachzukommen. Die Bodo hat darüber berichtet. Und erst dann eine Notübernachtungsmöglichkeit im Rombergpark (!) zu eröffnen, wenn es – nicht überraschend – schon sehr weit unter 0 Grad ist, von der wir den Menschen erst noch erzählen mussten, sonst hätte es überhaupt niemand mitbekommen, muss hier garnicht erst kommentiert werden.
Warum muss es immer wieder so weit kommen? Warum nicht präventiv handeln? Es dürfte auch den Entscheidungsträger*innen klar sein, dass sich Menschen nur mit einer soliden Lebensgrundlage (Wohnung) weiterentwickeln können, anstatt sich den ganzen Tag mit der reinen Lebenserhaltung zu beschäftigen. Von angemessenen Angeboten, die den Menschen helfen, anstatt ihr Elend zu verwalten, gibt es indes viel (!) zu wenige!
Dieses zugegebenermaßen große, jedoch aus unserer Sicht nicht unlösbare gesellschaftliche Problem auf unbürokratische und solidarische Weise endlich zu beseitigen, müsste der Anspruch jedes Menschen in dieser Stadt sein. Klarerweise haben hoch bezahlte, privilegierte Menschen und Verantwortliche aus Politik und Verwaltung eine größere Wirkmacht und damit Verantwortung, als Menschen, die selbst zusehen müssen, dass sie ihren Alltag bewältigen. Seltsamerweise scheint uns das Verhältnis eher umgekehrt, wenn es um praktische und handfeste Unterstützung geht.
Die Corona Pandemie hat deutlich gezeigt: die Kluft zwischen Privilegierten und Nicht-Privilegierten Menschen wird tiefer und breiter. Finanziell Schwache verlieren Arbeit und Wohnung und werden nach unten gedrängt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Der Wohnungsmarkt dient allzu oft Kapitalinteressen und nicht den Bedürfnissen der Menschen. Jede*r von uns könnte davon betroffen sein oder werden. Ist es dann nicht erstrebenswert, anstelle der systematischen Diskriminierung systematische und handfeste Solidarität zu etablieren?
Es gibt viel mehr leerstehende Wohnungen als Obdachlose! Am heutigen Housing Action Day fordern wir deshalb, solidarisch mit den auf der Straße lebenden Menschen zu sein:
1. Wohnungslose und Geflüchtete in Wohnungen oder Hotels unterbringen!
2. Leerstand beenden! Besetzungen entkriminalisieren!
3. Wohnraum darf keine Ware sein!
4. Der Bund aber auch die Stadt muss wieder Verantwortung für die Wohnungspolitik übernehmen! Sie müssen diesen Bereich wieder den Bereich der Daseinsfürsorge betrachten, da es einer der Wichtigsten hebel wäre um ihren gesetzlichen und ethischen begründeten Auftrag gerecht zu werden.
5. Lasst uns handeln und uns gemeinsam einsetzen für eine solidarische Stadt!
Liebe, solidarische Grüße, bleiben Sie gesund! Face2Face Dortmund