Dortmund hat eine weitere Fraktion im Stadtrat: Am Dienstagabend hat sich die Fraktion „Volt und Vielfalt“ gegründet. Das sorgt für ein erneutes Stühlerücken im Rat – denn zwei der drei Fraktionsmitglieder kommen aus anderen Ratsfraktionen.
Auf der Suche nach neuen politischen Heimaten und Bündnissen
Es ist kein Geheimnis, dass Antje Joest im Herbst 2024 im Streit ihre politische Heimat bei der FDP und damit auch ihre ehemalige Fraktion „FDP/Bürgerliste“ verlassen hat. Sie hat allerdings ihr Ratsmandat behalten, – sehr zum Ärger ihrer ehemaligen Parteifreunde. In der letzten Ratssitzung im Dezember war sie erstmals als Fraktionslose dabei – und hielt als frisch gebackenes Volt-Mitglied eine Haushaltsrede.
Damit stand sie nicht allein: Denn auch Emre Gülec als fraktionsloses Ratsmitglied – er sitzt für die kommunale Wählervereinigung „Bündnis für Vielfalt und Toleranz“ (BVT) im Rat – hielt seine Haushaltsrede. Er ist das zweite Fraktionsmitglied von „Volt und Vielfalt“.
Als Duo hätte es aber nur zur „Ratsgruppe“ und nicht zur Fraktion gereicht. Doch schon das hätte zu mehr Rechten und Möglichkeiten geführt. Drittes Fraktionsmitglied ist aber nicht das dritte fraktionslose Ratsmitglied – der Neonazi Matthias Deyda (ehemals „Die Rechte“, jetzt „Die Heimat“) steht dem neuen Zusammenschluss politisch maximal entfernt gegenüber.
Die eigentliche Überraschung ist Christian Gebel. Er sitzt seit 2014 im Stadtrat und ist durch konstruktive Sacharbeit aufgefallen. Nun ist er von der Fraktion „Die Linke+“ aus und in die neue Fraktion eingetreten – bzw. hat sie mit gegründet. Der Grund: Seine Partei, die Piraten, wollen nicht mehr zur Wahl in Dortmund antreten.
„Dass es bei den Piraten nicht mehr weitergehen würde, war absehbar“
Anders als Joest ist Gebel aber nicht im Streit ausgeschieden – weder aus seiner bisherigen Partei, noch aus seiner bisherigen Fraktion. Nach der faktischen Selbstauflösung der Piraten war er auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat – doch die „Die Linke“ war da keine Option. Die hat ähnlich große Probleme wie seine Piraten, nachdem bundesweit viele Aktive beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mitmachen.
„Dass es bei den Piraten nicht mehr weitergehen würde, war absehbar“, berichtet Gebel – der Kreisverband der Piraten will bei der nächsten Kommunalwahl nicht mehr antreten, „weil die Menpower“ zu gering ist. „Mir geht es nicht unbedingt um das Ratsmandat. Aber im Prinzip fällt damit das Letzte weg, was mich bei den Dortmunder Piraten gehalten hat.“
„Wenn dir deine Partei unter den Füßen wegbröselt, muss ich mich anderweitig umsehen. Ich hatte mich vorher schon umgesehen, Gespräche geführt und Optionen abgewogen. Mit Volt hatte ich die größten inhaltlichen Übereinstimmungen – und das menschliche Miteinander ist das, was am besten funktionieren könnte”, so Gebel.
„Ich war dort auf zwei Veranstaltungen und habe mich im Vergleich zu den Piraten wieder regelrecht zu Hause gefühlt. Bei Volt gibt es viele motivierte Menschen, die tatsächlich eine Menge bewegen wollen. Vielleicht kann ich meinen Teil dazu beitragen. Ich habe mich dort sehr gut aufgenommen gefühlt”, betont das Neu-Mitglied.
„Es tut mir leid, dass ich meiner bisherigen Fraktion ein Problem bereite“
Gebel ist sich bewusst, dass er seine bisherige Fraktion „Die Linke+“ vor Probleme stellt. Bisher bildet sich die Fraktion aus den Ratsmitgliedern von „Die Linke“ sowie den beiden Ratsvertretern von der Tierschutzpartei und den Piraten. Denn durch den Verlust eines Ratsmandates verliert die Fraktion auch Sitze in Ausschüssen. Zudem bekommt die Fraktion weniger Geld. „Es tut mir leid, dass ich meiner bisherigen Fraktion ein Problem bereite. Ich scheide ja nicht im Unfrieden.“
Allerdings sei es naheliegend gewesen, eine neue Fraktion anzuschreiben, weil es mit Antje Joest ja ein weiteres neues Ratsmitglied von „Volt“ gibt. Anders als bei Gebel war hier der Aufschrei und der Protest groß, dass Joest den Sitz von der FDP zu Volt mitnahm, obwohl es ja kein Direktmandat war, sondern sie über die Reserveliste der Partei eingezogen war.
Ohne die „Causa Joest“ wäre Gebel bis zum Ende der Wahlperiode im September 2025 in seiner bisherigen Fraktion geblieben.
„Mir ist auch klar, dass es für meine alte Fraktion sehr schade und problematisch ist, dass sie in einigen Gremien einen Sitz einbüßen wird. Das tut mir auch leid. Es wäre mir durchaus lieber, wenn andere da einen Sitz einbüßen würden“, so Gebel.
„Ich bin wirklich stolz, dass wir das geschafft haben”
Keinen Hehl aus ihrer Zufriedenheit macht Antje Joest. Nachdem sie sich massiver Kritik vor allem vom Kreisverband der FDP ausgesetzt sah und als fraktionsloses Ratsmitglied bei der letzten Fraktionssitzung noch belächelt wurde, ist ihr mit der Fraktionsgründung ein Coup gelungen. „Ich bin wirklich stolz, dass wir das geschafft haben”, betont Antje Joest.
Zunächst war sie auf Emre Gülec vom BVT zugegangen, ob man vielleicht nicht eine Ratsgruppe gründen wolle – dies hätte mehr rechtliche Möglichkeiten für die Ratsarbeit gebracht. Zudem wollte sie auch auf Gebel zugehen: „Ich wollte gerne Christian ansprechen – er war mein Wunschkandidat”, so Joest. Das stieß auch bei Emre Gülec auf Gegenliebe – beide hatten schon in der Vergangenheit zusammengearbeitet.
„Ich hätte nicht gedacht, dass Christian Gebel wechselt“, gesteht sie im Gespräch mit Nordstadtblogger. Doch dann ging es sehr schnell: Nach dem ersten Gespräch am 23. Dezember wurde am 7. Januar die neue Fraktion gegründet. Auch das hauptamtliche Personal für die Fraktionsgeschäftsstelle ist schon verpflichtet.
Personal für Ausschüsse: „In beiden Parteien haben wir gute Leute“
Joest konnte so sehr schnell ihr politisches Gespür unter Beweis stellen: „Ich habe vom Besten gelernt“, stichelt sie dann doch noch gegen ihren früheren Fraktionsvorsitzenden Michael Kauch. „Sie haben mich alle ein bisschen unterschätzt“, gibt sie dem neuen FDP-Führungsteam noch einen mit. Auch für die Ausschüsse gibt es schon Personalideen: „Da werden wir fündig werden – in beiden Parteien haben wir gute Leute – Juristen, Ingenieure, Menschen aus dem Sozialbereich etc..”, so die neue Frontfrau von Volt im Stadtrat.
Zudem werden ja auch die Ratsmitglieder weiter ihre Expertise einbringen: Christian Gebel insbesondere im Verkehrsbereich als bisheriges Mitglied im Ausschuss für Mobilität, Infrastruktur und Grün.
Emre Gülec im Ausschuss Soziales, Arbeit und Gesundheit sowie Joest, die bisher in den Ausschüssen für Schule sowie Kinder, Jugend und Familie aktiv war. Künftig wird sie noch im Ausschuss für Finanzen, Beteiligungen und Liegenschaften sitzen – als Fraktionsvorsitzende – aber in Doppelspitze mit Gebel.
Thematisch wird die Arbeit fortgesetzt: Integration, Schule, Verkehr und Klimafreundliche Stadt nennt sie als Schlagworte. Die genauen Schwerpunkte sowie die künftige Ratskandidaturen wird „Volt“ erst nach der Bundestagswahl sortieren.
BVT und Volt wollen bei der nächsten Wahl jeweils in Fraktionsstärke einziehen
Emre Gülec freut sich auf die Zusammenarbeit. Als Einziger bleibt er seiner bisherigen Partei treu – wobei das Bündnis für Vielfalt und Toleranz (BVT) viel mehr eine kommunale Wahlgemeinschaft ist. Er möchte auch weiter für das BVT Politik machen und bei der nächsten Kommunalwahl wieder selbstständig und unabhängig als Liste auftreten. „Unser Ziel als BVT ist, beim nächsten Mal den Fraktionsstatus zu erreichen. Dieses Ziel hat auch VOLT“, betont Gülec. „Bis dahin und auch danach werden wir weiter versuchen, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.“
Bis dahin setzt Gülec vor allem auf die verbesserten Möglichkeiten, die der Fraktionsstatus mit sich bringt: „Als Einzelmitglied habe ich viele viele Probleme gehabt. Ich bin nur in einem Ausschuss drin, aber auch da nur als beratendes Mitglied”, berichtet er. „Jetzt habe ich auch die Möglichkeit, stimmberechtigt mitzuwirken und eigene Anträge stellen. Das konnte ich auch vorher als Einzelmitglied nicht.“
Er setzt darauf, nun seine Themen im Rat sichtbarer zu machen. „Seit meiner Wahl in den Rat war es mir wichtig, die demokratische Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Als Fraktion „VOLT und Vielfalt“ haben wir mehr Möglichkeiten, unsere Ziele durchzusetzen.“
Dies kann künftig von mehr Menschen unterstützt werden – von beiden Parteien stünden mögliche Sachkundige in den Startlöchern. „Wir haben viele Schnittmengen. Als Fraktion stehen wir für eine friedliches und respektvolles Zusammenleben. Wir setzen uns für klimafreundliche Stadtentwicklung, bezahlbares Wohnen, Chancengleichheit und die Förderung der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe ein“, skizziert Gülec die thematische Bandbreite. „Wir möchten Dortmunds Vielfalt stärken durch innovative Lösungen.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
Reader Comments
Tim
Sehr schön zu sehen, dass Brücken geschlagen werden!
Gute Nachrichten für eine konstruktive Zusammenarbeit im Rat.