Im „HANS A“ widmen sich Künstler:innen einem Stück Stadtkultur:

Im Diesseits der Moral: „Studio X“ – Ausstellung erinnert an die legendäre Pornokino-Historie

Das „Studio X“ war wohl das bekannteste Dortmunder Pornokino. Seit 2017 ist es geschlossen. Archivfoto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Es war DAS Pornokino in Dortmund: Studio X. Seit 2017 steht es leer. Und davor? Eine lange Geschichte. An diese und viele anderen rund um Dortmunds legendäres Pornokino an der Münsterstraße erinnern die Dortmunder Künstler:innen Ach Kuhzunft, Silvia Liebig und Hendrik Müller ab Samstag, 14. Dezember, im Projektraum HANS A auf der Hansastraße.

Studio X – Schmuddeligkeit und ein Stück Stadtkultur

Es vergeht kein Tag seit meinem Zuzug in die Nordstadt in den späten Nullerjahren, an dem ich nicht mit neugierigem Blick in die Eingangsschlucht des Studio X-Kinos geschaut habe. Immer in der Hoffnung, etwas vom Interieur und seinen Gästen zu erhaschen. Selbst drin war ich nie und ich kenne auch niemanden, der es je war. ___STEADY_PAYWALL___

Flyer der Studio X-Ausstellung im HANS A
Der Flyer der Studio X-Ausstellung im HANS A.

Das Studio X besaß eine gewisse Schmuddeligkeit, die ich sonst nur von der Reeperbahn kannte. Damals, heißt, in den zehn Jahren vor der finalen Schließung des Kinos, empfand ich so etwas noch nicht als kultig. Jetzt steht es kurz vor dem Abriss, um Platz für Wohnraum und einen neuen Lidl-Markt zu schaffen.

Dass es sich bei dem Kino um ein Stück Stadtkultur handelte, war mir immer klar. Wie lange diese Kultur aber zurückreichen sollte, dass erfahren Besucher:innen bei der neuen Ausstellung im Projektraum HANS A auf der Hansastraße  6-10. Ab Samstag, 14. Dezember um 19 Uhr gibt es tiefe Einblicke in das lange Hinunter des Kinos. Seine Geschichte soll bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen.

Hier brummte das Nachtleben: „Tingel-Tangel“ in der Münsterstraße

Nordstadtblogger Klaus Winter schreibt über den Ort in seinen Nordstadt-Geschichten 2021: „An der Münsterstraße, zwischen Burgtor und Steinplatz, brummte seit den 1870er Jahren das Dortmunder (Nacht-)Leben.“ Gleich mehrere solcher „verrufenen Lokale“ – sogenannte „Tingel-Tangel“ – waren stadtbekannte, lebhafte Publikumsmagnete, schmunzelt der Historiker Winter.

Das Haus Münsterstr. 12 war Sitz des Apollo-Theaters von Heinrich Kappert (Slg. Klaus Winter)
Das Haus Münsterstr. 12 war Sitz des Apollo-Theaters von Heinrich Kappert. Bild: Sammlung Klaus Winter

Der lautmalerische Begriff „Tingel-Tangel“ war, laut Wictionary, eine abwertende Bezeichnung für „Tanz- oder Varietélokal ohne oder mit nur geringem Niveau“, in dem „flache, anspruchslose und oberflächliche Unterhaltungsveranstaltungen“ stattfanden. Diese fanden zum Beispiel neben „Bumslokalen“ auch in der Feuerzangenbowle von Heinrich Spoerl aus dem Jahr 1933 Erwähnung.

In Schlengermanns Konzertsaal, der dann ab 1889 und unter neuem Besitzer in das Apollo-Theater umbenannt wurde, vibrierte die Münsterstraße 12 als Raum für Musik, Kleinkunst und Freilicht-Performances. Bizarrster Moment dürfte sicher die berüchtigte „Walfisch-Ausstellung“ gewesen sein. Der Kadaver kam im April 1896 mit der Eisenbahn nach Dortmund, erregte überraschenderweise aber nur wenig Interesse bei Presse und Besucher:innen.

Kino-Attraktionen der Nachkriegszeit: Von Decla-Kino bis Studio X

Nachdem der Zweite Weltkrieg das Gebäude bis auf die Grundmauern zerstörte, entstand an seiner Stelle das Decla-Kino mit 998 Plätzen. Hier zeigte sich das Wirtschaftswunderzeitalter der 1950er von seiner modernsten Seite. Das Lichtspielhaus der Zukunft lockte das Publikum von weit her, denn hier gab es die damals größte Leinwand Dortmunds. Ab 1967 legten die Betreiber noch eine Schüppe drauf. Der „Europa-Palast“ war wegen seiner noch größeren Leinwand eine Attraktion.

Das „Studio X“war wohl das bekannteste Dortmunder Pornokino. Jetzt ist es geschlossen.
Der markante Pfeil weist seit vielen Jahren auf das geschlossene Rolltor vor dem Hintereingang. Archivfoto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

In den 1970er Jahren hatten es die Kinos im Land schwer. In fast jedem Haushalt steht inzwischen ein Fernseher. Überall – und auch in der Münsterstraße – geraten Kinos wie der Europa-Palast in finanzielle Schieflage. Aber der nächste Trend wartet schon: Porno-Film. Der neue Betreiber eröffnet das Studio X – das X stand schon damals für sexuelle Inhalte und eine graphische Darstellung von Geschlechtsverkehr.

Im Windschatten der sexuellen Befreiung entwickelte sich der Pornofilm schnell zu einem innovativen Genre, das an Tabus rüttelte. Das Pornokino integrierte sich prächtig in die von gesellschaftlichen Konventionen getriebene Nachkriegs-Gesellschaft rund um Kinder, Küche, Kirche.

Kunst als Impuls für die Erinnerungskultur

Eiche-Rustikal-"Kabine" im Studio-X
Eiche-Rustikal-Kabine in der Studio-X-Ausstellung Silvia Liebig | Achim Zerpezauer | Hendrik Müller

Die neue Ausstellung „Studio X“ (leider nicht IM Studio X) widmet sich diesem traditionsreichen, verrufenen Ort und erzählt seine zahlreichen Geschichten. Die gemeinsame Installation von Müller, Liebig & Kuhzunft richtet einen unverstellten Blick auf die Facetten zwischen Hässlichkeit und Schönheit und ergänzt sie mit dokumentarischen Perspektiven.

Das Projekt ist gefördert durch das Kulturbüro Dortmund und die Initiative Dortmund Kreativ. Jeweils Donnerstag bis Sonntag haben Besucher:innen von 15 bis 18 Uhr die Gelegenheit, die Kunst als Impuls für ein Nachdenken über einen Ort Dortmunder Stadtkultur zu verstehen; nachdenken über einen besonderen Ort, den es schon sehr bald nur noch in der Erinnerung geben wird.


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