Er ist kein Mann der vielen Worte und großen Reden. Ihm lag mehr das Anpacken und Handeln. Jahrzehntelang hat er das getan: Für den jüdisch-christlichen Dialog und damit für das jüdische Leben in Deutschland und in seiner Heimatstadt Dortmund. Dafür hat Wolfgang Polak (88) jetzt das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten. Oberbürgermeister Thomas Westphal händigte ihm die Auszeichnung in Anerkennung seines jahrzentelangen Engagements aus. Polak arbeitet seit mehr als 60 (!) Jahren haupt- und ehrenamtlich in der jüdischen Gemeinde Dortmund.
Ein hoch angesehener Vermittler zwischen den Religionen
OB Westphal freute sich, „eine Dortmunder Institution zu ehren. Sie haben es sich reichlich verdient“. Polak habe in Dortmund viele Spuren hinterlassen: „Was sie in dieser Stadt und für diese Stadt und in weiten Teilen mit der Stadt und der Stadtgesellschaft geschaffen haben, das hat diese Stadt geprägt und verändert.“
Dass war allerdings lange nicht absehbar. Denn nach dem Novemberpogrom 1938 flohen Wolfgang Polaks Eltern, mit ihm und seinem jüngeren Bruder, in die Niederlande. Das Pogrom ist seine frühste Kindheitserinnerung. Kindheit und Jugend waren von Flucht und Exil geprägt. Doch die Familie überlebte.
Ende der 1950er-Jahre kehrte sie aus den Niederlanden nach Dortmund zurück. Wolfgang Polaks Vater gehörte zu den Mitbegründern der jüdischen Gemeinde in Dortmund nach der Shoah. „Damals waren wir in der Jüdischen Gemeinde gerade eine Hand voll Mitglieder und hatten scheinbar keine Zukunft“, lässt Polak den Blick zurück schweifen.
Jahrzehntelanger Einsatz gegen jede Form von Antisemitismus
„Um so stolzer bin ich heute, dass die Mitgliederzahlen dank der Zuwanderer aus den GUS-Staaten stetig gestiegen ist, was mir wie ein Wunder vorkam“, sagt der 88-Jährige mit bewegter und leiser Stimme. Von 350 Mitgliedern vor dem Fall des Eisernen Vorhangs auf heute rund 3000 Mitglieder ist die Gemeinde gewachsen – und dadurch ein sehr aktives Gemeindeleben entstanden.
„Ich hatte nicht geglaubt, dass es in Dortmund passieren könnte, dass es wieder ein aktives jüdisches Leben geben wird“, gesteht Polak. Dass es so gekommen und die Integration von tausenden Kontigentflüchtlingen gelungen ist, daran hatte Polak maßgeblichen mitgewirkt.
Doch er wäre nicht Polak, wenn er das Lob nicht mit anderen Weggefährt:innen teilen würden. So dankte er posthum Edna Friedmann und seinem jahrzehntelangen Weggefährten Zwi Rappoport. Polak kämpft gegen jede Form von Antisemitismus und setzt sich für eine starke und sichere jüdische Gemeinschaft – nicht nur in Westfalen – sondern in ganz Deutschland ein.
Mehr als 60 Jahre Engagement für die Jüdische Kultusgemeinde
Die Jüdische Gemeinde wäre ohne Wolfgang Polak kaum vorstellbar: Seit 1960 engagierte er sich ehrenamtlich in der Gemeinde. Ein großes Anliegen war ihm bereits in den 1960er-Jahren die Öffnung der jüdischen Kultusgemeinde, das Kennenlernen und die Verständigung der Menschen aller Religionen und Kulturen.
In den 25 Jahren als hauptamtlicher Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Dortmund gelang es ihm, ein Netzwerk zu knüpfen und als hoch angesehener Vermittler zwischen Jüdischer Gemeinde und den Menschen der Stadt zu agieren.
Auch für das kulturelle Leben in und um Dortmund setzt er sich seit vielen Jahren ein. Es gelingt ihm immer wieder, Künstler:innen aller Genres in die Gemeinde zu holen und Menschen auch über die Stadtgrenze hinaus zu begeistern.
Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ stand die Integration ins Gemeindeleben im Mittelpunkt
Eine große Herausforderung für die Jüdischen Gemeinden war der Zuzug aus der damaligen Sowjetunion zwischen 1989 und 2006. In dieser Phase hat Polak die notwendigen strukturellen und organisatorischen Veränderungen der Gemeinde entscheidend geprägt. Er schuf die Voraussetzungen dafür, den Zugewanderten eine religiöse, kulturelle und soziale Heimat zu geben und sie in die Jüdische Gemeinde zu integrieren.
„Die Gestaltung des Wandels von einer 350 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinschaft zu einer Großgemeinde mit über 3.000 Mitgliedern war eine außerordentliche Leistung. Gerade in dieser Zeit hat Polak über seine beruflichen Pflichten hinaus großen persönlichen Einsatz unter Zurückstellung eigener Interessen bewiesen“, würdigte Westphal.
Im wohlverdienten Ruhestand engagierte er sich ehrenamtlich weiter als Mitglied im Vorstand der Jüdischen Gemeinde; aus Altersgründen stellte er sich im Herbst 2021 nicht mehr zur Wahl. Für sein jahrzehntelanges Engagement wurde er zum Ehrenvorsitzenden der Gemeinde ernannt – der große Festsaal wurde in „Wolfang Polak Saal“ umbenannt.
Zahlreiche Bauprojekte angestoßen – Spendenaktion für die Ukraine
ln seiner Zeit als Vorstandsmitglied stieß Wolfgang Polak viele Bauprojekte an, z.B. den Bau des jüdischen Kindergartens. Im Ruhestand begleitet er auch die Gründung einer jüdischen Grundschule.
Mit seiner Erfahrung steht Wolfgang Polak aktuell den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zur Seite. So rief er unter anderem eine Spendenaktion der Jüdischen Gemeinde ins Leben, mit der Sachspenden an die ukrainische Grenze transportiert wurden. Darüber hinaus leistete er Hilfe bei Behördengängen und bei der Vermittlung von Unterkünften.
Vize-Präsident des BVB: Engagement auch im Fußball
Auch seinem Heimatverein Borussia Dortmund 09 e.V. ist Wolfgang Polak tief verbunden. Nachdem Borussia Dortmund 1972 aus der Bundesliga in die Regionalliga West abgestiegen war, musste ein neuer Vorstand gegründet werden – mit Wolfgang Polak als Vizepräsident.
„In schwierigen Zeiten haben sie sich in die Pflicht nehmen lassen“, würdigte Thomas Westphal. Der neue Vorstand konnte den Verein in einem einmaligen Kraftakt sanieren und auf ein solides Fundament stellen. Polak blieb bis 1981 ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Gesamtvorstand und den BVB- Abteilungen.
Trotz aller Schwierigkeiten wurde das Westfalenstadion gebaut und 1974 eröffnet – auch durch Polaks Einsatz. 1976 folgte der Wiederaufstieg. Ohne Polak und seine Vorstandskollegen würde es den BVB in seiner heute bekannten Form als achtmaligen Deutschen Meister, fünffachen DFB-Pokalsieger, zweifachen Europapokalsieger und Weltpokalsieger nicht geben.
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Reaktionen
Klaus Winter
Ehre, wem Ehre gebührt! Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung dieses Lebenswerkes!
Jüdische Postkarten – Dr. Uri Kaufmann beleuchtet im Stadtarchiv Dortmund die Kulturgeschichte von 1890-1939 (PM)
Grußpostkarten, seit 1869 in vielen Ländern zugelassen, erlebten ab 1900 eine rasche Verbreitung, mit allein 955 Millionen Versandstücken im Deutschen Reich. Die Westwanderung von vier Millionen osteuropäischer Juden zwischen 1880 und 1924 führte zur Trennung zahlreicher Familien. Dieser Exodus bis in die USA, nach Südamerika oder Australien weckte das Bedürfnis nach Kommunikation über weite Distanzen.
Welche Motive für die Kommunikation über Kontinente hinweg verwendet wurden und wie ein jüdisches Publikum für Postkarten gewonnen wurde, darüber spricht Dr. Uri Kaufmann, ehemaliger Leiter der Alten Synagoge Essen, am Mittwoch, 17. Januar, 19 Uhr, im Stadtarchiv Dortmund (Märkische Str. 14). Für die Veranstaltung kooperiert das Stadtarchiv mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V..