Für die einen ist es ein willkommenes Fotomotiv, für die anderen einfach nur Sachbeschädigung oder Ärgernis. Wie kaum eine andere Kunstform spalten Graffiti und Street-Art die Gemüter. Während sich die Kunstform zumindest partiell kommerzialisiert, lebt die Untergrund-Szene weiter. Dortmund ist seit Jahrzehnten ein Hotspot. Grund genug für „UZWEI“ im Dortmunder U, der Street- und Urban Art eine Ausstellung zu widmen, die auch interessante Schlaglichter auf die Geschichte dieser Kunstform wirft.
Verewigung, Selbstinszenierung oder als Provokation – „Ich war hier“ stand am Anfang
„I was here“ oder „Ich war hier“ ist ein weithin bekannter Slogan – vor allem auf öffentlichen Toiletten oder an Hauswänden zu lesen. Ob zur Verewigung, Selbstinszenierung oder als Provokation gedacht: Oft steht er für einen ersten Versuch, sich der Welt und dem urbanen Raum mitzuteilen. Und manchmal bildet er sogar den Beginn einer künstlerischen Laufbahn. ___STEADY_PAYWALL___
In der gleichnamigen Ausstellung auf der UZWEI im Dortmunder U zeigen rund ein Dutzend Dortmunder Künstler*innen der Street- und Urban Art-Szene Graffiti, Malerei, Rap, Fotografie und Installationen. Sie gewähren einen Einblick in ihren ganz persönlichen „I was here“-Moment und erzählen von den Anfängen ihres Schaffens.
Die Ausstellung blickt aber auch zurück auf die Anfänge der Dortmunder Graffiti-Szene, die eine besondere Strahlkraft für ganz Deutschland entwickelt hat und deren Künstler*innen bis heute wichtige Impulsgeber sind – auch für die auf der „UZWEI“ ausstellende Generation.
„Wir wollen die Szene und deren illustre Geschichte und Geschichten zeigen“
Eigentlich sollte die Ausstellung Mitte November eröffnet werden. Und auch jetzt ist eine Öffnung (noch) nicht absehbar. Aber die Macher*innen wollten dennoch auf die fertige Ausstellung aufmerksam machen, die auf der zweiten Etage im Dortmunder U auf interessierte Besucher*innen wartet.
„Sie ist noch nicht eröffnet, aber wurde schon bis zum 6. Juni 2021 verlängert. Aber wir wollten jetzt schon zeigen, was hoffentlich ganz bald für alle Interessierten zu sehen ist“, berichtet Judith Brinkmann, die mit Mirjam Gaffran die Leitung der „UZWEI“ übernommen hat.
„Wir wollen die Szene und deren illustre Geschichte zeigen. Es ist die erste Ausstellung, die dieses Thema hat. Da stecken ganz viele Geschichten drin“, macht Brinkmann auf die Ausstellung neugierig.
Einblicke in mediale Vielfalt – Audio-Walk lädt zum individuellen Erkunden ein
Sie macht deutlich, wie facettenreich Street- und Urban Art ist. Zu sehen sind bei „I was here“ sehr unterschiedliche Werke und Arbeiten aus Malerei, Grafik und Fotografie. Auch Skulpturales ist zu sehen. Zudem gibt es „auch ‘was auf die Ohren“: An vielen Stationen gibt es Geschichten und Musik, die das visuelle Erleben bereichern und ergänzen.
„Diese mediale Vielfalt zeigt, wie bunt und divers die Szene ist. Wir freuen uns, dass wir diese Szene von draußen in den Innenraum einer Ausstellung holen können“, so Brinkmann.
Die Arbeiten und Geschichten geben Einblicke in das Schaffen. Der Audio-Walk lädt zum individuellen Erkunden ein. Er wurde von den teilnehmenden Künstler*innen geschaffen und vertieft die Einblicke in deren Hintergründe, Leidenschaften und Motivationen.
Dafür hatten sich die Macher*innen bewusst entschieden: „Wir wollten nicht, dass Kurator*innen durch die Ausstellung führen. Bei Street- und UrbanArt kommt ja auch kein Dritter der erklärt, was das Werk bedeuten soll. Das machen hier die Künstler*innen selbst“, so Mirjam Gaffran. „Das passt so viel besser und ist ein elementarer Bestandteil der Ausstellung.“
Die Schultoilette als Ort des ersten künstlerischen Ausdrucks
Die „UZWEI“ bietet wie gewohnt die Möglichkeit, mitzumachen und Teil der Ausstellung zu werden. Wer sich schon immer einmal auf einer Schultoilette verewigen wollte (und sich bisher nicht getraut hat), bekommt in der Ausstellung dazu eine ganz legale Gelegenheit.
Dass die meisten Schultoiletten heute nicht mehr so aussehen, stört Oliver Mark, einer der teilnehmenden Künstler nicht. Aber für die Entwicklung seiner Kunstform waren diese „beschmierten Wände“ offenbar von zentraler Bedeutung.
Die meisten Street-Art-Künstler*innen hätten in ganz jungen Jahren auch hier ihren „I was here“-Moment gehabt: „Dafür steht die Schultoilette. Sie wollten sich der Welt mitteilen“, macht Oliver Mark die Bedeutung der mehr oder weniger künstlerisch gestalteten Schultoiletten deutlich.
Facettenreiche Szene: Zwischen Illegalität und Kommerzialisierung
Dass es diese vielerorts nicht mehr gibt, sei daher auch ein Problem. „Je offener man das Thema behandelt und legale Möglichkeiten schafft desto besser lässt sich dann die Energie kanalisieren“, sagt der Künstler mit Blick auf die mittlerweile zahlreichen legalen und kreativen Angebote, die es beispielsweise an Jugendtreffs oder Ferienangeboten gibt.
Allerdings ist Graffiti nur ein Teil der Ausstellung und sei auch nicht dazu gedacht, Leute anzuspornen, illegale Graffiti zu machen. Doch – und das wird ebenfalls deutlich – ist der Reiz des Verbotenen eine der Antriebsfedern.
Doch die Motivationen sind so unterschiedlich wie die Charaktere in der Szene: „Es gibt Leute, die das nur illegal machen wollen und andere die das gut finden“, sagt Schlakkz – ebenfalls beteiligter Künstler – mit Blick auf die legalen und kommerziellen Möglichkeiten der Wandgestaltung. „Aber wenn sie gut gemacht sind, wird das respektiert“, ergänzt Oliver Mark.
Szenetreff Dortmund: „Die Deutsche Bahn ist nicht mit dem Putzen hinterher gekommen“
„Es gibt sehr unterschiedliche Charaktere und Auffassungen. Das Thema Illegalität wird kontrovers diskutiert und ist ein Streitpunkt“, macht Judith Brinkmann deutlich. Dabei unterschieden sich die Arbeiten teils sehr deutlich, weil legale Arbeiten oft konzeptioneller und ausführlicher seien, weil den illegalen Akteur*innen die Zeit dafür fehle.
„Anderen fehlt der illegale Moment und der Kitzel. Mancher beschreibt das als Sucht, wenn man einen Zug besprüht.“ Apropos Zug: Der Verkehrsknotenpunkt Dortmund war ein wesentlicher Faktor, dass sich die Graffiti-Szene in den 1980er und 1990er Jahren so rasant entwickelte. Das wird im historischen Teil der Ausstellung deutlich.
Dortmund war für einen reisenden Graffiti-Maler ein Anzugspunkt, weil das Zugsystem komplett bemalt war. „Die Deutsche Bahn ist nicht mit dem Putzen hinterher gekommen. Daher hatte es einen Mehrwert, aus Sydney oder Mailand zu kommen“, machen die Austellungsmacher*innen deutlich. Denn hier fuhren die „Kunstwerke“ teils sehr lange und das hat beflügelt, dass Dortmund eine Graffiti-Metropole wurde.
Wiederauflage des Heftes ‚DA KUKSE WA‘ aus dem Jahr 1987 zur heutigen Ausstellung
Das Heft „DA KUKSE WA“ aus dem Jahr 1987 hat in der Graffiti-Szene einen Kultstatus erlangt. Die Broschüre hält die Anfänge der Dortmunder Graffiti-Szene fest und gibt gleichzeitig einen exklusiven und tiefen Einblick in die Mentalität und die Leidenschaft der Künstlerinnen und Künstler jener Zeit.
„DA KUKSE WA“ ist ein einmaliges Zeitdokument, mit dem die frühe Dortmunder Graffiti-Bewegung in Form von Interviews oder eben über die Fotografien gewürdigt wird. Im Rahmen der Ausstellung „I was here“ auf der „UZWEI“ des Dortmunder U wird diese Broschüre nun erstmals seit Herausgabe im Jahr 1987 wieder neu aufgelegt. Es war von Marianne Brentzel und Hubert Moormann gestaltet worden.
Fotograf Hubert Moormann war den Spuren der Writer gefolgt. Viele der „Pieces“, wie die Jugendlichen ihre Werke nennen, sind längst übermalt. Doch das Heft gibt Einblicke in die Vielfalt und die Motive. Und die begleitenden Texte ermöglichen einen damals noch unbekannten Einblick in das Denken der viel gescholtenen „Schmierer“.
Das Künstler*innenkollektiv ‚Man kennt sich‘ steuert Arbeiten bei
In den Herbstferien fanden in Vorbereitung auf die Ausstellung praktische Workshops statt. In dem Workshop „Rap meets Fotografie“ entwickelten Jugendliche ihren eigenen Rapsong und das dazugehörige Fotocover.
Im Rahmen von „I was here – Create your tag“ wurden die bunten Tags in Dortmunds Straßen entdeckt und im Anschluss eigene Tags entworfen und als Schablone oder Sticker umgesetzt. Die Ergebnisse beider Workshops sind in der Ausstellung zu sehen.
Ebenso wie die Ausstellung ist auch eine Außenwand-Gestaltung zur Ausstellung derzeit nicht zu sehen: An der Rheinischen Straße wurde eine Wand gestaltet. Davor steht derzeit aber das Wärmezelt für Obdachlose. Das Künstler*innenkollektiv ‚Man kennt sich‘ hat sie geschaffen. Dieses Graffiti wird in einem zweiten Projektteil durch Augmented Reality-Elemente erweitert und zum Leben erweckt.
Eine Dokumentation zum Entstehungsprozess der Wandgestaltung wird ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sein. Die Mitglieder des Kollektivs – Herr Choko, A.Elementar, Kasino 44, Call Me Marc und Dr.Aco – geben über unterschiedliche Medien Einblick in ihr Schaffen als Urban-Art-Künstler*innen. Gezeigt werden Malereien, Installationen, Graffiti und Fotografien. Sie offenbaren die Diversität und Vielseitigkeit der Graffiti- und Urban Art-Szene.
Nachhaltigkeit und der Umgang mit Ressourcen sind Ausstellungsthemen
Fragestellungen zu Nachhaltigkeit und dem Umgang mit Ressourcen liegen dieser Arbeit zugrunde: David Janzen und Simon Mellnich zeigen u.a. eine kinetische Wandinstallation, die ursprünglich für den öffentlichen Raum konzipiert ist, und „parasitär“ die mechanische Kraft der Rolltreppe im Dortmunder U an deren Handlauf abgreift.
Eine Anpressrolle überträgt ihre Rotationsenergie in eine Kette, welche die verschiedenen Elemente der Installation antreibt. Auf diese Weise wird der*die Dortmunder U-Besucher*in beim Benutzen der Rolltreppe zum auslösenden Faktor der als Intervention zu verstehenden Arbeit, welche ausschließlich aus lokalen Fundstücken der historischen Ruhrindustrie besteht.
Marco Saaber und Christian Hesterkamp haben die begehbare Rauminstallation, eine eigens für die Ausstellung in den Ausstellungsraum integrierte Schultoilette, geschaffen. Sie bietet den Besucher*innen die Möglichkeit, selber Teil der Ausstellung zu werden. Bunte Tags, Verewigungen, Selbstdarstellungen – Jede*r darf hier seinen „Ich war hier“-Moment ausleben.
Audiovisuelle Umsetzung: Zerrissenheit des urbanen Lebens in der Nähe und der Ferne
In Songs setzt sich der Rapper Schlakks mit der Zerrissenheit des urbanen Lebens in der Nähe und der Ferne auseinander – mit dem Unterwegs-Sein an sich, mit der Groteske westlicher Verhältnisse, mit den leisen Momenten und mit den verführerischen Bodenlosigkeiten der Großstadt.
Die Stadt Marseille war dabei nicht das Thema, sondern der Austragungsort dieser Gedanken. Die Fotos von Marco Saaber, die auf der gemeinsamen Reise in Marseille entstanden sind, zeigen neue Welten, die sich losgelöst von den Songs bewegen und doch mit ihnen gemeinsam wirken.
Herausgekommen ist die Kooperation von zwei Freunden, die vermutlich gar nicht anders können als zusammen etwas zu erschaffen, während sie beieinander sind. Natürlich sind auch Arbeiten von Oliver Mark zu sehen. In der Ausstellung zeigt er abstrakte Acrylmalereien auf Leinwänden. Mehrmaliges Hinschauen lohnt! Die Ausstellung „I was here“ läuft ab Wiedereröffnung des Dortmunder U bis zum 6. Juni. Der Eintritt ist frei. Die Ausstellung findet in Kooperation mit der „44309 STREET//ART GALLERY“ statt.
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360-Grad-Rundgang durch Street-Art-Ausstellung nun online: „I WAS HERE“ auf der UZWEI lebt virtuell weiter (PM)
„I WAS HERE“, hieß es im vergangenen Jahr auf der UZWEI im Dortmunder U: Die beliebte gleichnamige Ausstellung zur Dortmunder Street- und Urban Art setzte sich mit Graffiti, Malerei, Rap, Fotografie und Installationen aus dem und für den öffentlichen Raum auseinander. Im Zentrum stand eine von oben bis unten mit Schrift und Zeichnungen versehene öffentliche Toilette, wie man sie aus Schulen und Clubs kennt – eine Aufforderung an die Besucher:innen, sich ebenfalls zu verewigen und das Bild der Toiletteninstallation dadurch zu verändern. Ein anderer Teil der Ausstellung erinnerte an die Anfänge der Dortmunder Graffiti-Szene, die Strahlkraft für ganz Deutschland entwickelt hat und Wegbereiter für die Generation von heute war.
Die Laufzeit der Ausstellung wurde zweimal verlängert. Coronabedingt hatten allerdings nur wenige Besucher:innen Gelegenheit, die Ausstellung zu besuchen. Ein interaktiver 360-Grad-Rundgang ermöglicht es, noch einmal durch die Ausstellung zu schlendern und sogar Neues zu entdecken. So kann man in Künstlerportraits mehr über einige Akteur:innen erfahren oder online in der Broschüre „DA KUKSE WA“ blättern, ein Zeitdokument über die Anfänge der Dortmunder Graffiti-Szene. Der Link zum Rundgang: digitales.dortmunder-u.de/storypost/i-was-here-360/