Von Marcus Arndt
Am 2. Juni 2019 um 0.30 Uhr wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von dem mutmaßlichen Rechtsextremisten Stephan E. an seinem Wohnsitz niedergeschossen. Lübcke wurde wenig später mit einer Schusswunde am Kopf auf seiner Terrasse entdeckt. Ermittler vom LKA und BKA gehen davon aus, dass Walter Lübcke aus rechtsextremen Motiven ermordet wurde. Der Täter ist geständig. Dass er alleine gehandelt haben will, ist jedoch keinesfalls sicher. Einige Verbindungen und Spuren – darunter die des Waffenhändlers – führen nach NRW. Dort wie bei den Vermittlern der Waffen in Hessen gab es in der Nacht zu Donnerstag Durchsuchungen. Weitere Spuren führen nach Dortmund.
Früherer CDU-Generalsekretär bescheinigt der AfD-nahen Steinbach eine Mitschuld
Der CDU-Politiker hatte sich 2015 auf einer Veranstaltung zur Asylpolitik für Menschlichkeit eingesetzt: „Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen“, so der Regierungspräsident.
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Lübcke sah sich daraufhin zahlreichen Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt und stand zwischenzeitlich unter Polizeischutz. Als Anfang des Jahres 2019 die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach mit einem Post auf Twitter die Hetze gegen Walter Lübcke erneut entfachte und zudem noch einen Link zu einer mittlerweile gelöschten Homepage postete, geriet der Regierungspräsident erneut in das Visier von Rechtsextremisten.
Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Teuber bescheinigt der AfD-nahen Steinbach jetzt eine Mitschuld am Tod Lübckes. Teuber schreibt auf Twitter: „Und noch schlimmer ist, dass Du ihn gekannt hast und weißt, was für ein aufrichtiger und feiner Kerl er war. Bis heute gibt es kein Wort der Trauer von Dir für ihn. Wohl nicht, weil das der Gipfel der Heuchelei wäre.“ In der Tat gibt es von Erika Steinbach bis heute keine Worte der Trauer oder des Bedauerns. Steinbach war 2017 aus der CDU ausgetreten und steht seitdem der AfD nahe.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht von Terrorismus
Auch die Spitzen des Staates positionierten sich eindeutig: Bundespräsident Frank Walter Steinmeier rief am Evangelischen Kirchentag in Dortmund zur Einigkeit gegen Hass und Gewalt auf: „Tätliche Angriffe, Bedrohungen, Beschimpfungen sind Alarmzeichen für die Demokratie, (…) Man darf die Gefahr eines Terrorismus von rechts niemals wieder unterschätzen.“
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich: „Was den Mord an Herrn Lübcke, an dem Regierungspräsidenten anbelangt, so ist das nicht nur eine furchtbare Tat, sondern für uns auch eine große Aufforderung, in allen Ebenen noch einmal zu schauen, wo es rechtsextreme Tendenzen oder Verwebungen geben könnte.“
„Und ich bin schon bedrückt, ich habe mich sehr viel mit den Verbrechen des NSU auseinandergesetzt und wir haben den Betroffenen damals ein Versprechen gegeben. Manches zeigt sich jetzt wieder, dass auch wir genau hingucken müssen. Ich sage das mit aller Vorsicht, weil ja die Ermittlungen noch laufen. Es gibt eben aus dieser Zeit auch hier Verbindungen und es muss in den Anfängen bekämpft werden und ohne jedes Tabu, sonst haben wir einen vollkommenen Verlust der Glaubwürdigkeit. Die Bundesregierung nimmt das sehr ernst“, so die Kanzlerin weiter.
Und doch sind das Sätze, die für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer klingen müssen wie Schläge ins Gesicht. Bis heute sind die Gräueltaten des NSU nicht vollständig aufgeklärt. Akten wurden vorsätzlich vernichtet, mindestens fünf V-Männer aus dem Umfeld des NSU, welche dem rechtsextremen Netzwerk „Blood & Honour“ angehören, wurden gedeckt, ermittelnde Kripo-Beamte waren Mitglieder in rechtsextremen Vereinigungen usw..
Die Liste ist lang und ein Ende noch lange nicht in Sicht. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass die NSU-Akten für 120 Jahre gesperrt und unter Verschluss gehalten werden – bis zum Jahr 2134.
Spur auch im Mordfall Lübcke führt nach Dortmund – wieder einmal
Aber auch die Stadt Dortmund kommt im Mordfall Walter Lübcke nicht zur Ruhe und muss sich abermals ihrem Neonazi-Problem stellen. Immer noch wird verkannt und teils verharmlost, dass Dortmund sich im Laufe der Jahre zu einem Dreh- und Angelpunkt der neonazistischen Szene im Westen der Republik entwickelt hat.
AntifaschistInnen, BürgerInnen und JournalistInnen warnen seit Jahren vor der Vernetzung und Gewaltbereitschaft, die aus Dortmund hervorgeht. Neonazis aus ganz Europa gehen in Dortmund ein und aus, bleiben mehrere Tage bis Wochen, um dann in ihrer Heimat das anzuwenden, was ihnen vermittelt wurde.
Dabei bleibt es nicht bei den „Werten“ nationalsozialistischen Gedankenguts und dem Leben im Sinne einer Volksgemeinschaft: Es geht auch darum, wie erst kürzlich ein Insider berichtete, Menschen auszuschalten, die nicht der Ideologie entsprechen. Ein Wegsperren komme für solche „Volksverräter“ nicht in Frage, für jeden, der sich nicht jetzt und bei der Machtübernahme (Tag X) zu der Ideologie bekenne, sei eine Kugel reserviert.
Besonders JournalistInnen sind den Neonazis ein Dorn im Auge. Sprüche wie: „Wenn wir demnächst das sagen haben, kommst Du als erstes ins KZ und wanderst durch den Schornstein“, sind da noch die harmlosesten.
„Noch habt ihr die Uniformen an. Bald haben wir die braune Uniform an und dann das Sagen“
Im aktuellen Prozess gegen drei Neonazis in Dortmund (die Nordstadtblogger berichteten) erschüttern auch Sätze wie: „Noch habt ihr die Uniformen an. Bald haben wir die braune Uniform an und dann das Sagen (…)“, so der Co-Bundesvorsitzende der ultra-rechten Partei „Die Rechte“, Sascha Krolzig, zu gestandenen Polizisten, kurz vor seiner Ingewahrsamsnahme damals. Auch Jahre nach dem Vorfall blieb dieser Satz dem Beamten in Erinnerung.
Wenn Neonazis sich europaweit vernetzen, Seminare für Straßenkämpfe gegen Polizeibeamtinnen und AntifaschistInnen geben, einzelne Mitglieder in neonazistischen Terrorgruppen und Netzwerken wie „Combat 18“ (Kampfgruppe Adolf Hitler), „Blood & Honour“ (Blut und Ehre) sind, diese sich in Dortmund immer weiter verdichten, aber man immer wieder von verschiedenen Stellen hört: „Ach die Nazis, das sind ja nur eine Handvoll Spinner, die sollte man gar nicht beachten und ihnen schon gar keine Aufmerksamkeit schenken“, dann läuft einiges schief in Dortmund.
Zwar hat der Polizeipräsident Gregor Lange den Druck auf die Neonazis maximal erhöht. Wenn jedoch der Leiter des Verfassungsschutzes NRW, Burkhardt Freier, den Dortmunder Neonazis und ihrer Partei „Die Rechte“ Welpenschutz bescheinigt („Die müssen sich erst noch finden“, so Freier vor vier Jahren auf einer SPD-Veranstaltung im Ratssaal der Stadt Dortmund), dann ist das auch im Zusammenhang mit dem Mordfall Lübcke und der rechtsterroristischen Vereinigung „Combat 18“ eine eklatante Verkennung der Gefahrenlage. Damit lässt man den Dortmunder Polizeipräsidenten größtenteils mit dem Problem allein.
Die Liste der Gewalttaten des mutmaßlichen Attentäters spricht eine deutliche Sprache
Behördenübergreifendes effektives Zusammenarbeiten findet, laut Aussage einiger Beamten unter vorgehaltener Hand, nur auf dem Papier statt. „Die Düsseldorfer (Anm. gemeint ist der Verfassungsschutz NRW) verkennen nicht nur das Problem, sie halten auch gezielt Informationen, die relevant sein könnten für Ermittlungen, zurück. Informationsaustausch? Mitnichten!“
Dass Stephan E. in der rechtsterroristischen Organisation „Combat 18“ zumindest Kontakte unterhielt, wurde von verschiedenen Medien, AntifaschistInnen und Organisationen thematisiert und tagtäglich kommt mehr ans Tageslicht über den Mörder des Regierungspräsidenten. Auch dass Stephan E. als „hochgefährlicher und gewaltbereiter Neonazi“ vom Verfassungsschutz eingestuft wurde, wurde bekannt.
Die Liste seiner Gewalttaten spricht eine deutliche Sprache: 1992 soll E. einen Migranten mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt haben. 1993 versuchte E. durch Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion eine Flüchtlingsunterkunft zu sprengen und wurde zu sechs Jahren Jugendhaft verurteilt. 2003 dann versuchter gemeinschaftlicher Totschlag. Es folgten zwischenzeitlich Verstöße gegen das Waffen- und Versammlungsgesetz.
Urteil wegen schweren Landfriedensbruchs und vers. gefährlicher Körperverletzung in Dortmund
2009 beteiligte er sich an dem Angriff von rund 400 Neonazis auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund. Stephan E. wurde am 20. April 2010 – unbemerkt von der Öffentlichkeit – vom Amtsgericht Dortmund zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt.
Er wurde von der Staatsanwaltschaft Dortmund wegen Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall, tateinheitlich mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Der konkrete Vorwurf: An der Spitze des Nazi-Mobs laufend, schleuderte der Neonazi einen Pflasterstein gegen einen Motorradpolizisten, der sich jedoch in Sicherheit bringen konnte. Stephan E. räumte die Schuld ein und sein Verteidiger verzichtete auf Rechtsmittel.
„Da Stephan E. danach nicht mehr straffällig wurde und ein unauffälliges Leben führte, wurde er von der Behörde nicht mehr schwerpunktmässig bearbeitet“, so der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang.
Verbindungen zu den Rechtsrockern von „Oidoxie“ und der „Combat 18“-Zelle in Dortmund
Als zentrale Figuren des Netzwerkes fungieren der aus Fretterode (Thüringen) kommende Thorsten H., die Dortmunder Robin S. und „Oidoxie“-Rechtsrocker Marko G. sowie der Engländer William „The Beast“ Browning.
Die Verbindung zu „Combat 18“ und Dortmund ist unverkennbar. Gerade Robin S. steht offen zu seiner Gesinnung und Mitgliedschaft bei „Combat 18“ und zeigt dies provokant auf rechten Demos in Form von T-Shirts etc..
Auf Ansprachen von JournalistInnen reagiert er allerdings sehr wortkarg, eher gar nicht und lässt sich von seinen Kameraden, die das Reden übernehmen, gerne schützend von den PressevertreterInnen wegführen. Zu Bekanntheit kam Robin S. nicht nur als Brieffreund von Beate Zschäpe. Er überfiel auch wegen einem geplatzten Drogendeal einen Supermarkt und schoss damals einen Tunesier nieder – dafür bekam er acht Jahre Haft.
Die Landesregierung NRW hat auf eine Kleine Anfrage der Grünen Landtagsabgeordneten Verena Schäffer bestätigt, dass Combat 18 – Mitglieder in NRW weiterhin aktiv sind. Die seinerzeit in Dortmund beheimatete Neonazigruppe „Oidoxie“ um Marko G. galt seit ca. 2000 als zentral für C 18; mehrere Bandmitglieder, darunter auch G. selbst, trugen Combat 18-Tätowierungen.
„BELLTOWER“ schrieb hierzu: „Ab 2003 galt G. [im Original ausgeschrieben] als ein C18-Führungskader in Deutschland. Ein Jahr darauf entstand aus dem Umkreis der Band die C18-Zelle ‚Oidoxie-Streetfighting-Crew‘, deren Umfeld Verbindungen zum rechtsterroristischen NSU hatte. Die Crew begleitet die Band zu Konzerten, übernahm den ‚Saalschutz‘ und gilt als Vernetzungs-Organ. ‚Oidoxie‘ macht in ihren Songs kein Geheimnis aus ihrer Nähe zu C18. In ihrem Song ‚Terrormachine Combat 18’ heißt es beispielsweise: ‚Fighting for our nation, fighting against the scum, if you see the hate in our face you should better run. Fighting for better nations, we want our cities clean. This is the terrormachine, this is combat 18. Terrormachine combat 18 […]. Hail to Combat 18, hail to the Terrormachine.’”
Aufklärung über „Combat 18“ in Dortmund brachte im NSU-Prozess vor allem der ehemalige V-Mann und sich mittlerweile im Zeugenschutzprogramm befindliche Sebastian S.. Er sagte damals u.a. aus, dass die „Combat 18“-Gruppe Dortmund aus sieben Köpfen bestehe und man sich auf den führerlosen Widerstand als Mittel des Kampfes berufen habe.
Die Gruppe habe auch konkrete Anschläge auf politische Gegner diskutiert: „Durch die Kontakte zu den Kameraden nach Belgien ist es problemlos möglich, auch an Waffen zu kommen“, so Seemann bei seiner Vernehmung. Die „Combat 18“-Gruppe soll sich mit Maschinenpistolen und Pumpguns aus Belgien versorgt haben, und habe gemeinsam Schießübungen organisiert bzw. daran teilgenommen. Auch das BKA bestätigte dieses in ihren damaligen Ermittlungen. Nach einer Razzia in Belgien beschlagnahmte die Polizei mehr als 200 moderne Kriegswaffen.
Offene Drohungen unter anderem von Ex-Feuerwehr-Chef Schäfer gegen den Rechtsstaat
Offene Ankündigungen von illegalen und Untergrund-Aktionen gab es in Dorstfeld. Ausgesprochen wurden sie von keinem geringeren als dem früheren Feuerwehrchef Klaus Schäfer. „Ich kann nur erneut hinweisen. Die nationale Bewegung wird sich solche Spukereien nicht mehr gefallen lassen“, sagte er mit Blick auf die aus seiner Sicht unrechtmäßigen Hausdurchsuchungen.
„Es gibt einen Rechtskampf, einen Kampf auf der Straße und darüber hinaus Untergrundaktivitäten, die wir jederzeit entfalten können“, sagte Schäfer unter dem Applaus von mehr als 100 Neonazis in Dorstfeld. „Das sollte sich dieser Staat immer vor Augen halten Wer das möchte, kann das haben“, untermauerte Schäfer seine Worte, die im Lichte solcher Taten wie im Fall Lübcke durchaus als Drohung verstanden werden können. Die Justiz ermittelt deswegen aber (noch) nicht.
Schäfer war zuletzt im Dezember 2018 vom Landgericht in Dortmund verurteilt worden. Er habe sich mit mehreren Facebook-Beiträgen der Volksverhetzung und des Verharmlosens von Straftaten schuldig gemacht. Das Urteil in der Berufsverhandlung vor dem Landgericht: Neun Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung und 5.000 Euro Geldstrafe. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Schäfer hatte sich bei Facebook nicht nur zu historischen, sondern auch zu aktuellen Sachverhalten geäußert. Insbesondere dem Thema Flüchtlinge, den dafür Verantwortlichen und der Antifa widmete Schäfer seine Aufmerksamkeit.
„Diejenigen, die uns das Lumpenpack auf den Hals gehetzt, die uns Mord, Totschlag und Vergewaltigung gebracht haben, sollten sich langsam warm anziehen. Es zieht ein gewaltiger Sturm auf. Das Volk sollte gegen das Lumpenpack vorgehen und die Verursacher nicht vergessen. Sie sollten Schleyer, Herrhausen, Buback und von Drenkmann mal googlen“, heißt es in einer seiner Veröffentlichungen.
Nach einer Online-Auseinandersetzung mit einem Antifaschisten, den er in diesem Zusammenhang auch namentlich erwähnte, veröffentlichte er folgenden Text: „Aber was würde ich (…) für eine klammheimliche ,mescalorische’ Freude empfinden, wenn bestimmte Kreaturen geschmuddelt, gedrenkmannt oder geherrhaust würden.“
Eigentlich ein klarer Hinweis auf die Tötungen und Morde an dem Punker Thomas „Schmuddel“ Schulz, dem Juristen Günther von Drenkmann und dem Bankier Alfred Herrhausen. Zudem kommt hier noch der indirekte Aufruf Schäfers zur Gewalt bzw. Tötung von Personen hinzu, befanden Kritiker. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, wie in den sozialen (und asozialen) Netzwerken zu Gewalt bis hin zum Mord aufgerufen wird.
Viele offene Fragen im Fall Stephan E. – Rolle der Behörden ist zu klären
Die Ermittlungen werden zeigen, ob Stephan E. wirklich ein Einzeltäter ist, der den Regierungspräsidenten in den Kopf schoss, oder auf Befehl oder mit mehreren anderen gehandelt hat. Es müssen Fragen geklärt werden, warum „Combat 18“ bis heute nicht verboten wurde und was die Behörden über rechte Terrorzellen wissen.
Auch hier ist die Liste lang. Rechter Terror ist längst in Deutschland angekommen, nicht erst seit dem NSU. Zahlreiche Morde, Körperverletzungen, Bedrohungen usw. gehen auf das Konto von Rechtsextremisten. Wir müssen bei jedem Menschen, der von Rechts angegriffen oder bedroht wird, genau hinschauen, nicht nur bei einem Politiker oder einer Person des öffentlichen Lebens.
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Bundesanwaltschaft (Pressemitteilung)
Zwei vorläufige Festnahmen im Ermittlungsverfahren wegen des Mordes zum Nachteil des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke
Karlsruhe. Die Bundesanwaltschaft hat den 64-jährigen deutschen Staatsangehörigen Elmar J. sowie den 43-jährigen deutschen Staatsangehörigen Markus H. vorläufig festnehmen lassen. Des Weiteren wurden ihre Wohnungen in Kassel sowie im Landkreis Höxter durchsucht.
Der Beschuldigte Elmar J. steht im Verdacht, dem dringend verdächtigen Stephan E. im Jahr 2016 die spätere Tatwaffe verkauft zu haben. Der Kontakt zwischen den beiden soll dabei durch den Beschuldigten Markus H. hergestellt worden sein. Vor diesem Hintergrund wird die Bundesanwaltschaft den Erlass von Haftbefehlen wegen des dringenden Tatverdachts der Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 StGB) beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs beantragen.
Die Bundesanwaltschaft wird heute gegen 12:30 Uhr über den aktuellen Stand der Ermittlungen informieren.
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Pressemitteilung)
Mitteilung zum Stand der Ermittlungen im Ermittlungsverfahren wegen des Mordes zum Nachteil des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke
Die Bundesanwaltschaft wird heute (27. Juni 2019) beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Antrag auf Erlass von Haftbefehlen gegen den den 64-jährigen deutschen Staatsangehörigen Elmar J. sowie den 43-jährigen deutschen Staatsangehörigen Markus H. wegen Verdachts der Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 StGB) stellen. Die beiden Beschuldigten wurden gestern (26. Juni 2019) auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft vorläufig festgenommen. Des Weiteren wurden ihre Wohnungen im Landkreis Höxter sowie in Kassel durchsucht.
Die Bundesanwaltschaft wirft den beiden Beschuldigten im Wesentlichen folgenden Sachverhalt vor:
Der Beschuldigte Elmar J. steht im Verdacht, dem dringend tatverdächtigen Stephan E. im Jahr 2016 die spätere Tatwaffe eine Faustfeuerwaffe im Kaliber .38 verkauft zu haben. Der Kontakt zwischen den beiden soll dabei durch den Beschuldigten Markus H. hergestellt worden sein. Elmar J. und Markus H. sollen dabei Kenntnis von der rechtsextremistischen Gesinnung des Stephan E. gehabt haben. Ebenfalls haben sie es für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass Stephan E. die von Elmar J. bezogenen Schusswaffen zu einem politisch motivierten Tötungsverbrechen einsetzen wird.
Es bestehen bislang keine greifbaren Hinweise dafür, dass die Beschuldigten Elmar J. und Markus H. von den konkreten Anschlagsplänen Kenntnis hatten, geschweige denn in diese eingebunden gewesen sind. Bislang fehlen auch zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die drei Beschuldigten zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen hatten.
Ausgangspunkt der Ermittlungen gegen die Beschuldigten Elmar J. und Markus H. waren die Angaben des dringend tatverdächtigen Stephan E. Dieser hatte sich am Dienstag umfangreich und detailliert zum Tatvorwurf eingelassen. Er hat auch die Lage eines Waffenverstecks und die Herkunft dieser Waffen mitgeteilt. In diesem Versteck konnten diverse Schusswaffen, darunter auch die mutmaßliche Tatwaffe, sichergestellt werden. Die diesbezüglichen kriminaltechnischen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Zusätzlich hat Stephan E. angegeben, selbst Waffen an zwei Personen verkauft zu haben. Daher hat die Staatsanwaltschaft Kassel entsprechende Ermittlungen eingeleitet. Es liegen der Bundesanwaltschaft derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese beiden Beschuldigten in strafrechtlich relevanter Weise in die Ermordung von Dr. Walter Lübcke verstrickt sind. Daher scheidet derzeit eine Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft aus.
Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft werden sich intensiv mit der Frage beschäftigen, in welchem Verhältnis Stephan E., Elmar J., Markus H. sowie die beiden anderen Beschuldigten zueinander stehen. Auch das Umfeld dieser Personen wird umfassend ausgeleuchtet werden.
Die Beschuldigten Elmar J. und Markus H. werden im Laufe des heutigen Tages dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der über die Anordnung der Untersuchungshaft entscheiden wird.
Antifaschistische Aktion 44 (Pressemitteilung)
Vortrag zum NSU-Komplex
Der Morde der Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) stehen exemplarisch für die mörderische Gewalt militanter Neonazis sowie das Versagen des Staates.
Bis heute sind die genauen Umstände an den Morden an neun Migranten und einer Polizistin ungeklärt. Offenkundig ist allerdings inzwischen die Verstrickung verschiedener „Landesämter für Verfassungsschutz“ in die Vorgänge rund um das in den Medien bekannt gewordene untergetauchte Trio, bestehend aus Beate Tschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Dabei liegt es auf der Hand, dass es weit mehr Unterstützer*innen des braunen Terrornetzwerkes geben muss, ohne die es wohl kaum möglich gewesen wäre, so viele Jahre unerkannt im Untergrund leben zu können.
Begleitet wurden die Ermittlungen von vornherein von falschen Verdächtigungen gegen Migrant*innen, Ermittlungspannen und Ungereimtheiten in den späteren Aussagen zahlreicher Beamt*innen.
Nach dem Ende des NSU-Prozesses bleiben viele Fragen offen.
Wir haben mit Bahar Aslan (Mitautorin des Buches „Die haben gedacht, wir waren das: Migrant*innen über rechten Terror und Rassismus“) eine Expertin eingeladen, die die Geschehnisse nachskizziert, Widersprüche aufzeigt und zur Diskussion einlädt.
Ziel der Veranstaltung ist es, im Gedenken an die Opfer des NSU dem Vergessen entgegenzuwirken und die Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung der rassistischen Mordserie aufrecht zu erhalten.
DATUM: 29.06.2019
UHRZEIT: 18:00 Uhr
ORT: Taranta Babu (Humboldstr. 44, Dortmund)
Eine Veranstaltung der Antifaschistischen Aktion 44
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Pressemitteilung)
Vollzug von Untersuchungshaft im Ermittlungsverfahren wegen des Mordes zum Nachteil des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke angeordnet
Die Bundesanwaltschaft hat gestern (27. Juni 2019) beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Haftbefehle gegen den 64-jährigen deutschen Staatsangehörigen Elmar J. sowie den 43-jährigen deutschen Staatsangehörigen Markus H.wegen des dringenden Tatverdachts der Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 StGB) erwirkt. Die beiden Beschuldigten waren vorgestern (26. Juni 2019) auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft vorläufig festgenommen worden. Die beiden Beschuldigten sind im Laufe des gestrigen Tages dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt worden. Dieser hat jeweils Haftbefehl erlassen und den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet.
Fraktion DIE LINKE & PIRATEN (Pressemitteilung)
Fraktion DIE LINKE & PIRATEN in Dortmund fordert Verbot der Neonnazi-Gruppe Combat 18
Anlässlich der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch Stefan E., einem mutmaßlichen Mitglied der militanten Neonazi-Gruppe Combat 18 (Kampftruppe Adolf Hitler), fordert die Ratsfraktion von DIE LINKE & PIRATEN ein aus ihrer Sicht schon lange überfälliges Verbot dieser Organisation. Die Nazi-Terrorgruppe „Combat 18“ ist seit vielen Jahren auch in Dortmund aktiv und war am Überfall auf die DGB-Demo in Dortmund vor zehn Jahren beteiligt.
Die Dortmunder Naziband Oidoxie schmückt sich immer wieder mit Combat 18-Symbolen. Auch der Neonazi Michael Berger, der im Jahr 2000 drei Polizisten in Dortmund erschossen hat, wird Combat 18 zugerechnet.
„Kanada hat aktuell die deutsche Combat 18 und deren amerikanische Mutterorganisation Blood and Honour auf die Anti-Terrorliste gesetzt. Ihr wird auch eine Beteiligung an der Mordserie des NSU nachgesagt, bei der in Dortmund ein türkischer Kioskbesitzer erschossen wurde. Combat 18 befindet sich in „guter“ Gesellschaft mit Organisationen wie Al-Kaida oder dem Islamischen Staat. Es wird Zeit, dass die Nazi-Terroristen auch in Deutschland endlich entschieden bekämpft und ihre Organisation und deren Strukturen zerschlagen werden“, so Fraktionssprecher Utz Kowalewski.
Am Donnerstag haben sich die demokratischen Fraktionen im Finanzausschuss darauf verständigt, bei den kommenden Haushaltsberatungen zum Doppelhaushalt 2020/2021 die Mittel zum Kampf gegen Dortmunder Nazigruppierungen noch einmal deutlich aufzustocken. Die einzige Gegenposition kam von der AfD. „Hier sieht man ganz deutlich die Nähe der AfD zur gewaltbereiten Nazi-Szene“, meint Utz Kowalewski.
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Pressemitteilung)
Neuer Haftbefehl gegen Stephan E. wegen des dringenden Tatverdachts des Mordes zum Nachteil des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke erwirkt
Die Bundesanwaltschaft hat heute (2. Juli 2019) beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen Haftbefehl gegen den 45-jährigen deutschen Staatsangehörigen Stephan E. wegen des dringenden Tatverdachts des Mordes (§ 211 StGB) erwirkt.
Der Beschuldigte ist im Laufe des heutigen Tages dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt worden. Dieser hat dem Beschuldigten den Haftbefehl verkündet und den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet.
Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ersetzt den Haftbefehl des Amtsgerichts Kassel, auf dessen Grundlage sich der Beschuldigte bereits seit dem 16. Juni 2019 in Untersuchungshaft befand .
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Pressemitteilung)
Übernahme eines weiteren Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Kassel gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke
Karlsruhe (ots). Die Bundesanwaltschaft hat ein weiteres Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kassel gegen den deutschen Staatsangehörigen Stephan E. übernommen. Bereits am 17. Juni 2019 hatte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Beschuldigten wegen des Mordes zum Nachteil des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke an sich gezogen (vgl. Pressemitteilung Nr. 27 vom 17. Juni 2019).
In dem nunmehr übernommenen Ermittlungsverfahren besteht gegen Stephan E. der Anfangsverdacht eines versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 211, 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, §§ 22, 23, 52 StGB).
Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen gibt es Anhaltspunkte, dass der Beschuldigte am 6. Januar 2016 in Lohfelden versucht hat, einen irakischen Asylbewerber heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten. Stephan E. soll sich dem Opfer unbemerkt von hinten genähert und ihm dann unvermittelt mit einem Messer in den oberen Rücken gestochen haben. Durch den Stich erlitt der Geschädigte erhebliche Verletzungen, die eine intensivmedizinische Behandlung notwendig gemacht haben.
Ausschlaggebend für die Tat soll die rechtsextremistische Weltanschauung des Beschuldigten gewesen sein. Vor diesem Hintergrund hat der Vorwurf eine staatsschutzspezifische Tat von besonderer Bedeutung zum Gegenstand (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a GVG).
Generalbundesanwalt hat Anklage wegen Mordes zum Nachteil des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke erhoben (Pressemitteilung)
Generalbundesanwalt: Anklage wegen Mordes zum Nachteil des
Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke erhoben
Die Bundesanwaltschaft hat am 29. April 2020 vor dem
Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Anklage gegen
den deutschen Staatsangehörigen Stephan E. und den deutschen Staatsangehörigen
Markus H. erhoben.
Der Angeschuldigte Stephan E. ist des Mordes (§ 211 StGB) sowie des versuchten
Mordes (§ 211, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) hinreichend verdächtig. Im Fall des
Mordversuchs wird ihm zudem tateinheitlich eine gefährliche Körperverletzung zur
Last gelegt (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 5 StGB). Darüber
hinaus ist Stephan E. wegen Verstößen gegen das Waffengesetz (§ 52 Abs. 1 Nr. 2
lit. b, Abs. 3 Nr. 2 lit. a und b WaffG) und das Kriegswaffenkontrollgesetz (§
22a Abs. 1 Nr. 6 lit. a KrWaffKontrG) angeklagt.
Gegen den Angeschuldigten Markus H. besteht der hinreichende Tatverdacht der
Beihilfe zum Mord (§ 211, § 27 StGB). Des Weiteren wird ihm ebenfalls ein
Verstoß gegen das Waffengesetz (§ 51 Abs. 1 WaffG) vorgeworfen.
In der Anklageschrift ist im Wesentlichen folgender Sachverhalt dargelegt:
1. Stephan E. fuhr am Abend des 1. Juni 2019 nach Wolfhagen-Istha, um den
damaligen amtierenden Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke zu töten.
Diesen Tag hatte der Angeschuldigte bewusst gewählt, weil er hoffte, wegen der
alljährlich stattfindenden „Weizenkirmes“ unerkannt zu bleiben. Gegen 23:20 Uhr
näherte er sich im Schutze der Dunkelheit dem Wohnhaus von Dr. Walter Lübcke,
der zu diesem Zeitpunkt auf der Terrasse saß. Stephan B. schlich sich an ihn
heran und schoss ihm aus kurzer Entfernung mit einem Revolver der Marke Rossi in
den Kopf. Dr. Walter Lübcke verstarb noch in derselben Nacht an den Folgen
dieses Kopfschusses.
Ausschlaggebend für die Tat war die von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung von Stephan E. Am 14. Oktober
2015 hatte er gemeinsam mit dem Angeschuldigten Markus H. eine Bürgerversammlung
in Lohfelden besucht, die die dort geplante Unterbringung von Flüchtlingen zum
Gegenstand gehabt hatte. Seit der Bürgerversammlung projizierte Stephan E.
seinen Fremdenhass zunehmend auch auf Dr. Walter Lübcke, der dort die
Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt hatte. Spätestens seit dem
Geschehen in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln und dem islamistischen
Attentat in Nizza im Juli 2016 hatte er den Entschluss gefasst, Dr. Lübcke zu
töten, um diesen für dessen – aus Sicht von Stephan E. verfehlte – Haltung in
der Flüchtlingspolitik abzustrafen. Es kam ihm zudem darauf an, durch die
Ermordung ein öffentlich beachtetes Fanal gegen die von ihm abgelehnte
gegenwärtige staatliche Ordnung zu setzen. Zur Vorbereitung seiner Tat hatte er
bereits zu diesem Zeitpunkt begonnen, die Lebensumstände seines späteren
Tatopfers auszuspähen. Hierzu war er wiederholt zum Wohnhaus von Dr. Lübcke in
Wolfhagen-Istha gefahren, wobei er bereits bei zwei Fahrten, zum Zeitpunkt der
„Weizenkirmes“ in 2017 und 2018, die spätere Tatwaffe mit sich führte.
2. Markus H. förderte den Mordanschlag des Stephan E. unter anderem durch
gemeinsame Schießübungen in Wäldern und Schützenvereinen in den Jahren 2016 bis
2018. Hierdurch konnte Stephan E. seine Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit
Schusswaffen, auch in Bezug auf die spätere Tatwaffe, unter Anleitung und
Mitwirkung des waffenerfahrenen Markus H. weiter verbessern. Daneben bestärkten
gemeinschaftliche Unternehmungen der beiden Personen den Angeschuldigten Stephan
E. in seinem Entschluss, Dr. Walter Lübcke zu töten. Durch die gemeinsame
Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen des rechten politischen Spektrums und
die Durchführung des gemeinsamen Waffentrainings vermittelte er dem
Mitangeschuldigten Stephan E. Zuspruch und Sicherheit für dessen Tat.
Zwar war Markus H. nicht in die konkreten Anschlagspläne eingeweiht, jedoch
hielt er es spätestens ab Juli 2016 für möglich, dass Stephan E. aus seiner
rechtsextremistischen Weltanschauung heraus einen politischen
Entscheidungsträger töten würde, um diesen für seine persönliche Mitwirkung an
der – aus Sicht beider Angeschuldigter verfehlten – Flüchtlingspolitik
abzustrafen und hierdurch ein öffentlichkeitswirksames Zeichen zu setzen. Markus
H. nahm dies dabei ebenso billigend in Kauf wie die Umstände, dass er durch die
gemeinsamen Unternehmungen Stephan E. zum einen in seinem Willen zur Begehung
eines solchen Anschlags bestärkte, ihm zum anderen durch die wiederholten
Schießübungen einen besseren Umgang mit Schusswaffen vermittelte und Stephan E.
diese erworbenen Fertigkeiten zur Tötung eines Menschen einsetzen würde.
3. Am Abend des 6. Januar 2016 näherte sich der Angeschuldigte Stephan E. auf
einem Gehweg in Lohfelden von hinten dem irakischen Asylbewerber Ahmad E.
langsam auf einem Fahrrad. Dieser war seit wenigen Wochen in der
Erstaufnahmeeinrichtung in Lohfelden untergebracht, die Gegenstand der
Bürgerversammlung im Oktober 2015 gewesen war. Stephan E. rief eine Parole, die
das Wort „Deutschland“ enthielt. Der Geschädigte, der diesen Zuruf nicht
verstand, wich daraufhin an den Rand des Gehwegs aus, um den Angeschuldigten
passieren zu lassen. Als Stephan E. den Geschädigten überholte, stach er ihm
unvermittelt von hinten mit einem Messer gezielt in den oberen Rücken. Den Tod
des Ahmad E. nahm er dabei zumindest billigend in Kauf. Durch den Stich erlitt
das Opfer erhebliche Verletzungen, die eine intensivmedizinische Behandlung im
Krankenhaus notwendig machten. Insbesondere kam es zu einer Verletzung eines
Brustwirbels und des Rückenmarks sowie zu einer Durchtrennung zweier
Nervenstränge.
Dem Angeschuldigten kam es bei der Tat darauf an, seinen rechtsextremistischen
Hass auf Flüchtlinge auszuleben und durch seine willkürliche Opferauswahl sowie
die heimtückische Begehungsweise Angst unter den in der Bundesrepublik
Deutschland Schutz suchenden Menschen fremder Herkunft zu verbreiten.
4. Stephan E. besaß zum Zeitpunkt seiner Festnahme im Juni 2019 darüber hinaus
an verschiedenen Orten mehrere Schusswaffen und Munition, die er sich zuvor
illegal beschafft hatte. Unter anderem handelte es sich dabei um drei Revolver,
zwei Pistolen, zwei Gewehre, rund 1.400 Stück Patronenmunition sowie eine unter
das Kriegswaffenkontrollgesetz fallende Maschinenpistole.
Ebenfalls im Juni 2019 verfügte Markus H. über eine unbrauchbar gemachte, nicht
schussfähige Maschinenpistole „Madsen“, Modell 50, bei der allerdings das
Griffstück unverändert geblieben war und als wesentlicher Teil der Schusswaffe
dem Waffengesetz unterfällt.
Der Angeschuldigte Stephan E. wurde am 15. Juni 2019 vorläufig festgenommen. Er
befindet sich seit dem 16. Juni 2019 in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des
Haftbefehls des Amtsgerichts Kassel und seit dem 2. Juli 2019 aufgrund des
Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tage (vgl.
Pressemitteilung Nr. 33 vom 2. Juli 2019). Die Bundesanwaltschaft hatte das
ursprünglich bei der Staatsanwaltschaft Kassel geführte Ermittlungsverfahren
wegen des Mordes zum Nachteil von Dr. Walter Lübcke am 17. Juni 2019 an sich
gezogen (vgl. Pressemitteilungen Nr. 26 und 27 vom 17. Juni 2019). Im weiteren
Verlauf hat die Bundesanwaltschaft zudem die Ermittlungen wegen des versuchten
Mordes an dem irakischen Asylbewerber übernommen (vgl. Pressemitteilung Nr. 44
vom 19. September 2019).
Der Angeschuldigte Markus H. sowie der gesondert Verfolgte Elmar J. wurden am
26. Juni 2019 auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft vorläufig festgenommen
(vgl. Pressemitteilung Nr. 30 vom 27. Juni 2019). Markus H. wurde am 27. Juni
2019 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs in
Untersuchungshaft genommen (vgl. Pressemitteilung Nr. 32 vom 28. Juni 2019).
Der gesondert Verfolgte Elmar J. befindet sich seit 15. Januar 2020 auf freiem
Fuß, nachdem der Bundesgerichtshof den am 27. Juni 2019 durch die
Bundesanwaltschaft erwirkten Haftbefehl aufgehoben hat (vgl. Pressemitteilung
des Bundesgerichtshofs Nr. 9/2020 vom 15. Januar 2020). Gegen ihn besteht kein
hinreichender Tatverdacht für die Beihilfe zum Mord.
Ein Mord wird zum Vermächtnis (Pressemitteilung der bundesweiten Initiative „Demokratie in Bewegung“)
Ein Mord wird zum Vermächtnis
Heute ist es ein Jahr her, dass der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf seiner Terrasse kaltblütig ermordet wurde. Der Mord reiht sich ein in die große Zahl rechtsradikaler Gewalttaten, die uns alle seit Jahren fassungslos machen.
„Die Vorgänge bis zu seiner Ermordung zeigen so klar wie kaum eine andere Tat, wie Menschen durch die rechtsradikale Szene zu Tätern gemacht werden,“ erklärt Alina Obst, Mitglied des Bundesvorstands von „Demokratie in Bewegung“.
2015 hat Walter Lübcke auf einer Bürgerversammlung zur Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft auf die Störaktionen aus den Reihen einer rechtsradikalen Gruppe sehr deutlich reagiert:
Zunächst bedankte er sich bei den vielen ehrenamtlichen Helfer*innen und lobte die örtliche Schule, die zur Wertevermittlung beitrage, um sich dann direkt an die Störer zu wenden:
„Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten“, sagte Lübcke damals weiter. Den dann folgenden und später viel zitierten Satz, mit dem Lübke die Störer der Bürgerversammlung zur Ordnung rief, hat die rechte Szene immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen und auf rechten Blogs und in Foren verbreitet.
„Er stand für Menschlichkeit und hat für Demokratie gestritten“ sagt Alina Obst anläßlich des Todestages von Walter Lübcke.
Seit 2015 zeigt sich dabei eine direkte Verbindung von verbaler Hetze durch die AfD bis zum Mord und den konkreten Tätern. Das macht deutlich, dass die AfD-Hetzer ganz bewusst das Klima bereitet haben, das den Boden für solche Gewalttaten vorbereitet und die Taten sogar rechtfertigt.
Die Tatverdächtigen waren auf der Bürgerversammlung, sie waren gemeinsam auf AfD-Demonstrationen. Sie haben im Netz gezielt nach radikalen Parolen aus AfD-Kreisen gesucht.
Letztlich ist dieser Mord ohne dieses jahrelange systematische Aufheizen, gepaart mit einer agressiven Hetze, nicht denkbar. Letztlich haben sich die Angeklagten damit selbst radikalisiert.
Hier müssen wir als Gesellschaft eingreifen. Nicht nur durch Worte und entschiedenem Entgegentreten gegen Hetze, wir müssen auch Verfahren finden, damit solche grausamen Gewalttaten bereits im Keim erstickt werden. Deshalb fordern wir von „Demokratie in Bewegung“ flächendeckend für ganz Deutschland die Einführung von Beauftragten für Hate Speech, angesiedelt bei den Polizeirevieren. Als Vorbild kann hier die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW) dienen. Das Internet muss noch mehr in den Fokus polizeilicher Ermittlung rücken.
Ein Jahr nach dem feigem Mord zeigt sich zumindest in Walter Lübckes Heimat, dass die böse Saat nicht aufgeht. Vielmehr ist sein klares Eintreten für demokratische Grundwerte und unser Grundgesetz zum Vermächtnis geworden, das jeder demokratiefeindlichen Hetze widersteht.
Walter Lübcke hat das mit einer klaren demokratischen Haltung, einer christlich geprägten Überzeugung getan und sich dabei immer für den Rechtsstaat, wie ihn unser Grundgesetz definiert, eingesetzt.
„Wenn unsere offene Gesellschaft angegriffen wird, dürfen wir uns nicht wegducken. Wir müssen sie verteidigen, mit Werten, Haltung und einem klaren Bekenntnis zur Demokratie“ fordert Alina Obst.