
Großer Bahnhof für Günter Netzer: Im Beisein von über 200 geladenen Gästen aus Sport, Politik, Gesellschaft, Kultur sowie – gefühlt – noch einmal so vielen Medienvertreter:innen, hat das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund seine neue Ausstellung „Netzer. Die Siebzigerjahre“ eröffnet. Es ist die erste Ausstellung, die sich ausschließlich einem einzigen Fußballspieler widmet – aber Netzer war eben auch nicht nur irgendein Fußballspieler.
„Ich bin sehr dankbar für die Begegnung mit diesem Fußballspieler.“
Bereits auf dem Vorplatz warten zahlreiche Fans auf den Mann, dem im Deutschen Fußballmuseum noch bis zum 8. Oktober 2025 eine bildgewaltige Ausstellung gewidmet ist und der als eine Ikone des deutschen Fußballs gilt. Bei seiner Ankunft wirkt er nahbar: Netzer, der Familienmensch. Er kommt mit Frau und Tochter, nimmt sich Zeit für Autogramme und das ein oder andere Selfie.

Mitten im Mediengetümmel dann noch eine spontane Umarmung: Netzer entdeckt Valeria Witters, Sportfotografin aus Hamburg: „Bereits mein Vater hat Netzer fotografiert“, erzählt sie. Es soll nicht der letzte Moment der Rührung an diesem Tag gewesen sein. ___STEADY_PAYWALL___
Museumsdirektor Manuel Neukirchner kündigt die Sonderausstellung als „eine Hommage an eine außergewöhnliche Persönlichkeit in einer ebenso außergewöhnlichen Ära“ an.
Monate haben er und sein Team daran gearbeitet. Die Aufregung ist groß. „Ich bin sehr dankbar für die Begegnung mit diesem Fußballspieler“, erzählt Neukirchner und die damit verbundene Chance zu diesem Projekt. „Es war eine Ehre, dass er uns, dem deutschen Fußballmuseum, seine Zeit geschenkt hat.“
In den Interviews hat jeder seinen „Netzer-Moment“
Netzer selbst hat die Ausstellung vorher noch nicht gesehen, er wollte sich überraschen lassen und fand, es sei ja eigentlich alles gesagt, der letzte Doppelpass gespielt. Mag sein, aber wenn er erzählt, könnte man ihm stundenlang zuhören – gut, dass es zur Ausstellung auch noch vier Teile Podcast gibt.

Im Talk mit WDR 2-Moderator Sven Pistor hat dann auch jeder Interview-Gast so seinen „Netzer-Moment“. Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal, sein Mönchengladbacher Amtskollege Felix Heinrichs sowie natürlich die zahlreich anwesenden, teils langjährigen Weggefährten Netzers wie Rainer Bonhof, Paul Breitner, Horst Hrubesch, Toni Schumacher und Klaus Fischer.
Immer wieder geht es um Wembley 1972, die Selbsteinwechlsung im DFB-Pokalfinale 1973, die Zeit bei Gladbach und Real Madrid. Aber auch Netzers Disco „Lovers Lane“, sein Ferrari oder Peinlichkeiten beim Friseur und beim Gassi gehen mit dem Hund von Paul Breitner sind Thema.
„Bilder, die nie aus den Köpfen der Menschen verschwinden werden“
DFB-Präsident Bernd Neuendorf: „Netzer ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die über ihr herausragendes Spiel hinaus mit vielen Bildern in Verbindung steht, die nie aus den Köpfen der Menschen verschwinden werden.“

Und diese Bilder sind es, die den Mythos prägen. Zum einen Fußballszenen, zum anderen aber auch großartige (Sport)Fotos, die den Fußballer Netzer zur Ikone in einer Zeit werden lassen, als Bilder noch nicht allgegenwärtig und ständig verfügbar waren. Neukirchner spricht im begleitenden Ausstellungskatalog von „Netzer als Popstar“ und das trifft es ganz gut.
Die multimediale Ausstellung mixt Bilder des Zeitgeschehens von Willy Brandt bis Rudi Dutschke und Sounds von Beatles bis Disco mit O-Tönen aus der Sportberichterstattung und aus Interviews mit Netzer und seinen Weggefährten. Eine Collage, die Netzer als Kind seiner Zeit zeigen soll und die vielen auch widersprüchlichen Facetten, die ihn ausmachen.
„Kümmerer und King“ oder „Rebell und Realist“ lauten die Kapitelüberschriften und irgendwo im Wechselspiel von Fremdbeschreibung und Selbsteinschätzung versucht man dem Phänomen Netzer näher zu kommen. Dokumente, die man sich jenseits der projizierten Bilderflut auch noch einmal in Ruhe an den ausliegenden Tablets anschauen und anhören kann.
Ein Hauch Nostalgie – eine Hommage für alle Fans
Der laut Museums-Presse „wirkmächtige Bildraum“ verfehlt seine Wirkung auch bei Günter Netzer selbst nicht. Nach dem Rundgang zurück am Interviewpult zeigt er sich tief bewegt: „Die Ausstellung präsentiert Dinge von mir, die mich tief im Inneren berühren.“ Tatsächlich stockt ihm immer wieder die Stimme, er versucht es mit Humor: „Gut, dass es immer wieder dunkel wurde, da hat man nicht so gesehen, was ich empfunden habe.“

Die Hommage ist offenbar geglückt. Sie ist nicht kritisch, eher schwärmerisch, etwas für Fans – und warum auch nicht? Netzers (Fußball)Leben komprimiert auf 20 Minuten, ein wenig Nostalgie, und wer will, kann sich das komplette Spiel in Wembley 1972 noch mal im kleinen Kinosaal ansehen.
Dazu eine exzellente kleine Ausstellung mit bisher unveröffentlichten Fotografien des Japaners Masahide Tomikoshi, die eine ruhigere Betrachtung erfordert und auch einen anderen, eher introvertierten Netzer zeigt.
Und auch dieser nachdenkliche und kritische Netzer meldet sich noch einmal zu Wort: „Wissen Sie, ich frage mich, verklären wir nicht auch diese Zeit? Machen wir es besser als es war? Ich habe das damals alles nicht so gespürt. Da war viel Freude, aber auch viel Mist. Aber es war meine Eintrittskarte in ein ungewöhnliches Leben und hätte ich den Ball nicht getroffen, sie hätten mich rausgeschmissen.“
- Ausstellung Netzer. Die Siebzigerjahre.
vom 8. April bis 8. Oktober 2025
Tickets: 12 Euro, ermäßigt 6 Euro, Kombiticket Sonder- und Dauerausstellung 24 Euro, ermäßigt 19 Euro; Ermäßigungen für Familien
Deutsches Fußballmuseum, Platz der deutschen Einheit 1, 44137 Dortmund - Begleitbuch:
Manuel Neukirchner: Netzer. Die Siebzigerjahre. Verlag Die Werkstatt, Bielefeld, 1. Auflage 2025. 272 Seiten. Mit einer biografischen und historischen Rückschau auf Günter Netzer und die Siebzigerjahre sowie mit einem großen Zeitzeugeninterview mit Günter Netzer in vier Kapiteln. Zahlreiche, unveröffentlichte Fotografien, 39,90 Euro, ISBN 978-3-7307-0744-9 - Podcast:
Im Legenden-Podcast des Deutschen Fußballmuseums „Wie war das damals?“ blickt Manuel Neukirchner im Gespräch mit Günter Netzer in vier Episoden auf die Karriere des ersten Popstars des deutschen Fußballs zurück. Dabei kommen auch Netzers Weggefährten wie Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath, Rainer Bonhof und Paul Breitner zu Wort. Der Podcast ist auf allen gängigen Podcast-Plattformen wie Spotify, Apple Podcasts und YouTube abrufbar.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!