„Schaffung einer zentralen Organisationseinheit für Integration und Vielfalt – Programme für Vielfalt und Toleranz stärken“ hieß es in einem extrem kurzfristig eingereichten Antrag von Grünen und CDU für den Rat. Eine Stunde vor Beginn der Sitzung stand er noch nicht im Gremieninformationssystem. Ein Unding: Denn der Antrag stellt weitreichende Forderungen und ignoriert dabei teils bestehende Strukturen. Entsprechend kontrovers war die Diskussion im Stadtrat – bis zum Abbruch der Beratungen nach 20 Minuten.
Kritik an Grünen und CDU: „Das geht so nicht – so kann man nicht arbeiten“
In den vergangenen zwei Jahren hat es immer wieder „Schnellschüsse“ aus verschiedenen Fraktionen gegeben: Anträge und Resolutionen kamen so kurzfristig, dass sie noch einmal im Nachversand für die Ratssitzung waren. Mitunter kamen und kommen sie erst als Tischvorlage auf die Agenda. Eine vernünftige Vorbereitung ist für die Ratsmitglieder kaum mehr möglich.
Zudem wurden und werden so die Fachausschüsse umgangen, die solche Anträge eigentlich inhaltlich diskutieren und bewerten sollen, bevor der Rat darüber entscheidet. Auch bei der letzten Ratssitzung war das erneut mehrfach so, was auch der Sitzungsleiter – Oberbürgermeister Thomas Westphal – abermals kritisierte.
Das war dann auch beim Top 10.11 der Fall, der nach fünf Stunden Sitzung aufgerufen wurde: „Es ist wirklich die Grenze überschritten, was den wechselseitigen Respekt angeht. Der Antrag war um 14 Uhr noch nicht im System (Anm. d. Red.: Sitzungsbeginn war 15 Uhr). Das geht so nicht – so kann man nicht arbeiten“, kritisierte Michael Kauch (FDP/ Bürgerliste) den Schnellschuss von Grünen und CDU. „Allein aus diesem Grund muss das in den regulären Beratungsgang gegeben werden.“
Gibt’s künftig einen Aktionsplan gegen Extremismus statt gegen Rechtsextremismus?
Der Antrag fordert eine Überarbeitung des Aktionsplans gegen Rechtsextremismus und die Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements für Vielfalt. Darin wird die Verwaltung gebeten, zu prüfen, wie der „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“ angesichts wachsender, veränderter und neuer Herausforderungen konzeptionell zu überarbeiten ist.
„Die Bedrohungen für Vielfalt, Toleranz und Demokratie haben viele Ausprägungen. Deshalb ist zu überlegen, inwieweit der ,Aktionsplan gegen Rechtsextremismus’ in seiner Ausrichtung ausgeweitet und weiterentwickelt werden kann zu einem ,Aktionsplan gegen Extremismus’, der sich auch anderen anzutreffenden Formen von Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit widmet und auf der Grundlage wissenschaftlich begleiteter Analysen Handlungsvorschläge und Strategien im Kampf gegen Extremismus entwickelt“, schreiben Grüne und CDU.
Außerdem sollte geprüft werden, „inwieweit zivilgesellschaftliche Initiativen und Akteurlnnen gegen Rechts bzw. gegen Extremismus im Allgemeinen in den Stadtteilen gestärkt und deren Vernetzung verbessert werden kann, zum Beispiel durch die Gründung weiterer Runder Tische für Vielfalt, Toleranz und Demokratie in den Stadtbezirken“. Zudem soll geklärt werden, wie die kommunalen Mittel für den Aktionsplan sowie für die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie mit einem Ratsbeschluss verstetigt werden können.
Schaffung einer zentralen Organisationseinheit für Integration und Vielfalt
Des Weiteren sollte die Verwaltung bis zur Ratssitzung am 10. November 2022 einen Vorschlag zur Schaffung einer zentralen Organisationseinheit für Integration und Vielfalt in Dortmund erarbeiten.
„Diese soll sich aus bestehenden Organisationseinheiten wie zum Beispiel der Ausländerbehörde, dem MIA-DO – Kommunales Integrationszentrum und MigraDO Dienstleistungszentrum Migration & Integration Dortmund sowie neu zu strukturierenden Abteilungen und Sachgebieten mit Integrationsaufgaben zusammensetzen“, fordern Grüne und CDU.
„Ziel ist es, die Leistungen für Ausländerlnnen, Schutzsuchende sowie Menschen mit Migrationshintergrund weitestgehend zusammenzufassen. Zu diesem Zweck wird eine dezernatsübergreifende Projektgruppe zur organisatorischen Einrichtung der zentralen Organisationseinheit eingerichtet“, heißt es weiter.
Außerdem soll geklärt werden, ob ein „Antidiskriminierungsbüro als Stabsstelle“ eingerichtet werden kann. Auch das soll bis zur Ratssitzung am 10. November 2022 geprüft und der Integrationsrat, das behindertenpolitische Netzwerk, der Runde Tisch zur Förderung der Emanzipation und Akzeptanz von LSBTIQ, der Seniorenbeirat und die Arbeitsgemeinschaft Dortmunder Frauenverbände sowie die Runde Tische für Vielfalt, Toleranz und Demokratie in den Stadtbezirken beteiligt werden.
Der Antrag der Projektpartnerschaft wirft grundsätzliche grüne Positionen über den Haufen
Eine Begründung lieferten die Grünen und CDU nicht mit. „Sie erfolgt mündlich“, hieß es lapidar. Jenny Brunner hob dann in ihrer Wortmeldung hervor, dass es „um nicht weniger als unsere Demokratie und die Zukunft unserer Stadt“ gehe. Doch für neue Herausforderungen brauche es neue Lösungen.
Dass der bisherige Aktionsplan in einem breiten Diskussionsprozess auch mit den Verbänden und Netzwerken in dieser Stadt entwickelt und diskutiert wurde – und auch schon mehrfach novelliert -, scheinen Grüne und CDU vergessen zu haben. Auch wurde mit einem Federstrich die langjährige Diskussion ausgeblendet und vom Tisch gewischt, dass sich insbesondere die Grünen über Jahre erfolgreich der CDU-Forderung verweigert hatten, einen Aktionsplan gegen jede Form von Extremismus zu machen.
Gerade die Grünen hatten seit seiner Etablierung vor mehr als 15 Jahren darauf gepocht, dass es einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus brauche. In ihrer Projektpartnerschaft mit der CDU haben die Grünen das nun offenbar aufgegeben. Thorsten Hoffmann (CDU) drückte es etwas vorsichtiger aus: Der bisherige „Aktionsplan ist ein Erfolgsmodell. Einige waren ja am Anfang sehr kritisch. Fest steht, die Bedrohungen sind vorhanden und sind variabel. Wir müssen uns alten und neuen Herausforderungen stellen“, so Hoffmann.
CDU will jeden Extremismus und terroristischen Salafismus bekämpfen
Der Aktionsplan müsse evaluiert und angepasst werden: „Nur dann können wir entsprechend handeln. Zur gezielten Anpassung soll sich die Verwaltung Gedanken machen. Wichtig ist, sich kritisch mit dem Aktionsplan auseinanderzusetzen.“ Er sehe Chancen, wenn es eine gemeinsame Projektgruppe der Verwaltung gäbe, wo die bestehenden Erfahrungen zusammengetragen würden.
„Alles aus einer Hand, das wäre professionell und zielführend. Integration ist wesentlicher Bestandteil einer vielfältigen Gesellschaft“, so Hoffmann. Es müsse darum gehen, kurze Wege zu haben und das Know-How zu bündeln. „So könnte schneller reagiert werden. Eine Stabsdienststelle hat manchmal ein Geschmäckle, unterstreicht aber Wichtigkeit“, betont der CDU-Politiker.
Er betonte, dass nicht nur Rechtsextremismus, sondern jeder Extremismus und terroristischer Salafismus bekämpft werden müsse. Dass dazu auch der Antisemitismus gehört, fand im Papier und der Begründung keinen Platz, wurde dann aber noch von Uwe Waßmann (CDU) nachgereicht: „Für uns ist ganz selbstverständlich, dass unter Begriffen wie Extremismus auch Antisemitismus ausdrücklich genauso Platz greift.“
Linke+ kritisiert „vergifteten Antrag“ – Antifaschismus unter Extremismus-Verdacht?
„Das der Antrag vergiftet ist, haben sie gerade unterstrichen. Das haben wir auch beim ersten Überfliegen gesehen und das war ja auch die Startsituation“, machte Utz Kowalewski (Linke+) deutlich und erinnerte an die schwierigen Diskussionen zum Start des Aktionsplans. „Ich kann nur davor warnen, sonst wird Antifaschismus gleich unter Extremismus-Verdacht gestellt.“
Dass der Antrag eine Vielzahl von finanzwirksamen Folgen habe, in verschiedenen Fachgremien diskutiert werden müsse und – je nach Lesart des Papiers – auch Eingriffe in die Organisationshoheit des Oberbürgermeisters bedeuten könnte – wurde von verschiedenen Fraktionen kritisiert.
Zudem machten – außer den AntragstellerInnen – alle Fraktionen deutlich, dass sie sich überrumpelt fühlen und auch (noch) nicht sprachfähig seien. Daher wurde nach 20 Minuten ein Antrag auf Schluss der Debatte und Verweisung in die Gremien beschlossen. Das Thema ist vertagt – doch die Kontroverse wird dann erst richtig losgehen.
Hintergrund:
Dortmund für Vielfalt, Toleranz und Demokratie
- Am 13. September 2007 gab der Rat der Stadt Dortmund der Verwaltung den Auftrag, einen lokalen Aktionsplan für Vielfalt, Toleranz und Demokratie zu erstellen. Grund: die zunehmenden Aufmärsche von Rechtsradikalen und Neonazis, denen sich die Stadt in den letzten Jahren ausgesetzt sieht und die sie zur Zielscheibe einer lebensfeindlichen und menschenverachtenden Ideologie machen.
- Zur Umsetzung und Koordinierung der im Aktionsplan genannten Ziele und Aufgaben wurde Superintendent a.D. Hartmut Anders-Hoepgen als ehrenamtlicher Sonderbeauftragter berufen. Ihn unterstützt die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, die im Rathaus direkt im Bereich des Oberbürgermeisters angesiedelt ist. Aktuell ist Manfred Kossack als ehrenamtlicher Sonderbeauftragter aktiv.
- Im Rahmen des Aktionsplans sollen Problemlagen des Rechtsextremismus in Dortmund analysiert, bestehende Strukturen und Aktivitäten gegen Rechts effektiv vernetzt, unterstützt und zielgerichtet ausgebaut, sowie ein umfassendes städtisches Handlungskonzept für Vielfalt, Demokratie und Toleranz erstellt werden.
- Ein Schwerpunkt liegt dabei insbesondere in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Individuelle Prävention ist ein wichtiger Baustein des Aktionsplans. Vielfalt, Toleranz und Demokratie sind nicht selbstverständlich – sie sind immer wieder Angriffen ausgesetzt. Alle Bürgerinnen und Bürger sind gefordert, sich zu wehren und gemeinsam an einer vielfältigen Gesellschaft zu bauen.
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