Die Nordstadt steht – gerade in Sachen Schule – vor besonderen Herausforderungen. Nirgends in Dortmund gibt es so viele Kinder wie hier. Die Zahl wächst rasant, die Stadt kommt mit der Schaffung von Schulraum kaum hinterher. Eine Auswertung der Schulplaner über die bisherigen und zukünftigen Bedarfe brachte die BezirksvertreterInnen auf die Palme. Denn die Grafiken signalisieren, dass die Klassen in der Nordstadt schon weiter größer sind als im Rest der Stadt – und noch weiter über das gesetzliche Maximum hinaus wachsen würden.
Balkendiagramm irritiert: SchülerInnenzahlen über gesetzlich erlaubtem Maximum
Dabei müssten die Klassen hier doch eigentlich kleiner sein, weil der überwiegende Teil der SchülerInnen Deutsch nicht als Muttersprache spricht und der Förderbedarf höher ist. Die Maxime: „Ungleiches ungleich behandeln!“ – eigentlich Konsens in der Schulpolitik.
Daher hatte die Bezirksvertretung dringenden Gesprächsbedarf angemeldet – und die Schulplaner und den Fachbereich Liegenschaften zur mündlichen Berichterstattung eingeladen. Vor allem Schulplaner Gernot Willeke musste Rede und Antwort stehen. Er räumte ein, dass der Zwischenbericht zur Schulentwicklungsplanung im Primarbereich Irritationen ausgelöst habe.
Vor allem ein Balkendiagramm sorgte für den Stein des Anstoßes (siehe Grafik), weil die Schülerzahlen schon seit Jahren über dem Durchschnitt und perspektivisch selbst über den gesetzlichen Höchstgrenzen liegen würden.
Zahlreiche außerplanmäßige Schulzüge in der Nordstadt sollen regulär werden
Diese sei zwar nicht falsch, aber anders als die Realität. Denn nicht deutlich gemacht wurde darin, dass die Berechnung der Klassengrößen auf der alten Planzahl von 26 Schulzügen im Primarbereich in der Nordstadt ausgeht. Ein Zug meint jeweils eine erste bis vierte Klasse. Eine vierzügige Grundschule hat entsprechend 16 Klassen – jeweils vier Parallelklassen pro Jahrgang von der ersten bis zur vierten Klasse.
Allerdings gibt es durch die Nutzung von weiteren Klassenräumen und mobilen Bauten bereits 31 Züge. Doch diese Prämisse wird in der gesamten Vorlage nicht erwähnt; die Schülerzahlen sind – anders als in der Vorlage dargestellt – daher nicht signifikant höher als in anderen Stadtteilen.
Ziel der Schulplanungen ist es nun, die außerplanmäßigen Züge zu einem Regelangebot in der Berechnung zu machen. Dies fordert auch die Bezirksregierung, die für die Zuweisung der LehrerInnen zuständig ist. Außerdem sollen und müssen weitere Kapazitäten geschaffen werden, um dem gewaltigen Zuwachs von SchülerInnenzahlen insbesondere in der Nordstadt gerecht zu werden.
Handlungsdruck in der Nordstadt, Hörde und der Innenstadt-Ost am größten
Unterschiedlich großen Handlungsbedarf gibt es übrigens in allen Stadtbezirken außer in Aplerbeck. Selbst perspektivisch sind die Schulen dort weit davon entfernt, voll zu sein“, so Willeke. Neben der Nordstadt ist der Druck in der Innenstadt-Ost und in Hörde besonders groß – hier sind jeweils die Neubaugebiete ausschlaggebend für die steigenden SchülerInnenzahlen.
„Die Grafik ist rein optisch erschütternd gewesen. Dann war die Grafik wohl nicht gut. Jetzt durchaus erfreulich, dass es nicht ganz so dramatisch ist“, betont Dorian Marius Vornweg (CDU). „In der Prognose sind die Herausforderungen aber weiterhin deutlich größer als in anderen Stadtteilen.“
Vor allem den Dortmunder Süden nehmen die BV-VertreterInnen aus dem Norden als Referenz in den Blick. Doch Willeke versuchte, ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Hörde und Huckarde seien noch schlechter als die Nordstadt (Platz 10 von 12 der Dortmunder Stadtteile), wenn man auf die Klassengrößen blicke. Und Hörde sei schließlich auch im Süden.
„23 Kinder in einer Nordstadt-Klasse oder 23 in Lücklemberg sind nicht das Gleiche“
Allerdings der „Norden vom Süden“ hielten ihm die Nordstädter entgegen: „Hörde hat auch Problembereiche. Wenn ich von südlichen Stadtteilen rede, rede ich von Aplerbeck oder Hombruch. Das sind für mich die südlichen Stadtteile, von denen wir reden“, betont Gerda Bogdahn (SPD).
Doch die reinen Zahlen sagten nichts aus. „In der Nordstadt haben wir zwar de facto die gleichen Klassenfrequenzen wie im Rest der Stadt, obwohl 95 Prozent der Kinder Deutsch nicht als Muttersprache sprechen. Im Süden ist das Verhältnis genau anders rum“, unterstreicht Corinna Wimmer (Linke). „23 Kinder hier oder 23 in Lücklemberg sind nicht das Gleiche“, ergänzt Brigitte Jülich (SPD).
Die Nordstadt-Kinder bedürften einer ganz anderen Förderung als gut behütete in einem sozial gesicherten Elternhaus. „Es muss doch Möglichkeit geben, nicht nur durch vereinzelte Förderungen, sondern auch durch kleinere Klassen und Sonderförderungen unter die 23 Kinder pro Klasse als Richtwert zu gehen. Wir brauchen auch eine andere personelle Ausstattung. Gleichbehandlung hilft uns nicht weiter – wir müssen bessere Bedingungen schaffen“, fordert Jülich.
„Ungleiches ungleich zu behandeln“ – Forderung wird bisher nicht realisiert
Auch David Grade (Piraten) fand den Vergleich mit Hörde nicht zielführend. Ziel müsse sein, Stadtteilen, wo der Bedarf an zu fördernden Kindern höher sei, weil sie nicht muttersprachlich Deutsch sprächen oder arm seien, und daher schlechtere Möglichkeiten zur Förderung zu Hause hätten, kompensierend stärker zu fördern.
„Ungleiches ungleich zu behandeln, bestreitet keine der Parteien, die für eine Regierungsbeteiligung infrage kommen. Das wollen alle, aber gemacht hat es noch keiner. Das ist das entscheidende Problem“, zieht Bezirksbürgermeister Dr. Ludwig Jörder eine ernüchternde Zwischenbilanz.
Ziel müsse es sein, den Sozialindex zu schärfen. Bislang ignoriere die Regelung die innerstädtischen Ungleichheiten. Er machte zudem deutlich, dass das Thema nicht nur interessant für die Familien sei, deren Kinder besonders gefördert werden müssten. „Die Förderung ist auch für den Rest interessant, der Deutsch als Muttersprache habe. Sie müssen wir hier im Stadtteil halten“, machte Jörder deutlich.
Zusage: Schulverwaltung will im Herbst „realistischere“ Zahlen liefern
Zudem forderten die BezirksvertreterInnen ehrliche Zahlen ein. Nicht die Anmeldezahlen im Frühjahr seien ausschlaggebend für eine ehrliche Betrachtung, sondern der Ist-Zustand drei Monate nach Schulbeginn. Denn die SchülerInnenzahlen würden bis zum Beginn des Schuljahres und auch unterjährig in der Nordstadt weiter steigen.
Um eine realistischere Betrachtung zu bekommen, sagte Gernot Willeke der Bezirksvertretung Innenstadt-Nord zu, im Herbst die Ist-Zahlen zum Stand 15. Oktober zu liefern. Dann könnte man realistischer vergleichen.
Zudem sollen auch die Klassen 2 und 3 berücksichtigt werden. Denn rund ein Drittel der Kinder in der Nordstadt verbleiben in der zweiten Klasse, wenn sie noch nicht so mit dem Stoff mitkommen. Durch das jahrgangsübergreifende Lernen werden die Klassen aber wohl erneut größer. Auch hier wollen die Schulplaner noch genauer hinschauen.
Kritik an Beschulung von NordstädterInnen in anderen Stadtteilen – Kinder bleiben unter sich
Ein anderes Thema kam hingegen in dieser Sitzung – unter anderem, weil Schulexperte Nikolai Schäfer vom Integrationsrat bei diesem Termin fehlte – nicht zu Sprache: Die Beschulung von Nordstadt-Kindern in anderen Stadtteilen. So können Kinder (wenn die Eltern dies wollen), auch in Schulen außerhalb des Stadtteils unterrichtet werden. So ist die Petri-Grundschule als mögliche Ausweichlösung vorgesehen.
Allerdings werden dort dann reine Nordstadt-Klassen gebildet. Eine Mischung mit den Kindern aus der Innenstadt-West ist nicht vorgesehen, was Schäfer massiv kritisiert: „Die vielleicht ein Drittel Kinder aus der Nordstadt könnten gut gemeinsam mit den anderen Kindern beschult werden“, findet der pensionierte Gymnasiallehrer. „Die Nordstädter können dann von den anderen Kindern besser Deutsch lernen und die Familien aus der Innenstadt-West sehen, dass die anderen Kinder aus dem Norden auch nur Menschen sind“, betont Schäfer.
Zustimmung kommt in diesem Punkt – aber aus einem anderen Grund – sogar von der AfD. „Kurze Beine, kurze Wege“ könne als maßgebendes Prinzip nur gelten, wenn es eine ethnisch und sozial homogene Struktur gebe. „Bessere Angebote nur im Norden, dass begünstigt die Segregation. Ich bin selten für Umverteilung. Aber eine stärkere soziale Durchmischung halte ich für dringend empfehlenswert“, sagte Andreas Urbanek. Die „Wohlfühlbezirke“ müssten „mal stärker an die Realitäten herangeführt werden“ – das würde der politischen Willensbildung und der Bildung der Kinder guttun, so der AfD-Politiker.
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Familienbüro Innenstadt-Nord (Pressemitteilung)
Grundschulen und Tageseinrichtungen im Stadtbezirk Innenstadt-Nord laden ein
Grundschulen im Stadtbezirk Innenstadt Nord die zugehörigen Tageseinrichtungen für Kinder, unterstützt vom Familienbüro Innenstadt-Nord, laden zu gemeinsamen Informationsveranstaltungen für Eltern ein, deren Kinder 2021 in die Schule kommen. Die nächste Veranstaltung findet am Montag, 17. Juni, 14 Uhr, in der Albrecht-Brinkmann-Grundschule, Münsterstraße 138 – 140 (Eingang über den Schulhof) satt.
Themen sind der Übergang Tageseinrichtung/ Schule, Fragen zur Schulfähigkeit, spielerische Fördermöglichkeiten für Kinder im Vorschulalter, Informationen zur Sprachstandsfeststellung und Tipps für Eltern. Außerdem informiert das Gesundheitsamt über wichtige Vorsorgeuntersuchungen.