Werden Männer gewalttätig, hat Opferschutz höchste Priorität. Neben jenen, deren psychische und physische Unversehrtheit gefährdet ist, werden aber häufig die Täter, deren Konflikte, Lebensumstände, ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung und andere Dispositionen zur Gewalttätigkeit vergessen. Es fehlt an Beratungs- und Hilfsangeboten. Der Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) Dortmund bietet daher seit Februar dieses Jahres eine niederschwellige Gewalt- und Krisenberatung für Männer und Jungen an. Vorbild sind die Erfahrungen der Kollegen aus Hamm.
Neben dem vordringlichen Schutz von Gewaltopfern den Blick auf die Täter richten
Wenn Männer in einer Beziehung oder in der Familie sich nicht mehr allein zu helfen wissen – was dann? Besonders schwierig wird es, suchen sie keine Hilfe, um alternative Bewältigungsstrategien in den Blick zu bekommen. Dies fällt häufig mit der Internalisierung klassisch-patriarchaler Rollenbilder zusammen. Dann gärt etwas in ihnen, das wegen fehlender Kommunikationskompetenzen oder -möglichkeiten quasi gefangen bleibt.
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Manch einer mag darüber graue Haare bekommen, andere aggressiv, ja gewalttätig werden – gegen Sachen, BeziehungspartnerInnen, Kinder. Bislang galt die Aufmerksamkeit weitgehend den Opfern: In NRW und anderswo hat sich mittlerweile ein nahezu flächendeckendes und relativ engmaschiges System entwickelt, um (misshandelte) Frauen und Kinder vor (potentiellen) Gewalttätern zu schützen.
Da Opferschutz hier klar im Vordergrund stehen muss, sind für die Täter häufig, wenn überhaupt, nur Polizei und Staatsanwalt zuständig. Insofern werden sie mit ihren Problemen und Motivationen aber allein gelassen – was auch aus präventiver Sicht nicht sehr klug ist. Denn durch Strafe allein gibt es keinen systematischen Zugriff auf Rückfallquoten.
Neues Angebot des SKM-Dortmund: Konflikt- und Gewaltberatung für Männer und Jungen
An diesem Punkt betritt neuerdings der Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) Dortmund als lokaler Akteur die Szenerie. Und mit ihm Markus Brauckmann, der eine zweijährige Weiterbildung zum Konflikt- und Gewaltberater absolviert hat und seit vielen Jahren beim SKM-Hamm Gespräche für potentiell gewaltbereite Männer anbietet, einschließlich derer, die schon zu Tätern geworden sind.
Nun soll er, bis sein zukünftiger Kollege Fabian Anft – der seine Wurzeln in der Kindeswohlpflege bzw. Inobhutnahme hat – seine Ausbildung beendet haben wird, ebenfalls für Dortmund zuständig sein.
Da kämen keine Monster, so der gelernte Jurist bei Vorstellung der seit dem 1. Februar dieses Jahres angebotenen Beratung der Einrichtung im Probsteihof. Sondern Menschen, die ein Problem hätten. Die Haltung gegenüber den Ratsuchenden könne daher nicht nur die einer Abgrenzung sein, indem klar gemacht würde, dass es keinesfalls okay ist, was sie taten.
Ebenso braucht es Akzeptanz, d.h. Täter durch Offenheit in der Begegnung so zu respektieren, wie sie sind (ohne ihre Tat gutzuheißen). Um dies zu bewerkstelligen, muss Brauckmann zuhören können. – Bei ihm als „Phaemo“-Berater (von Phänomen und Emotion) gibt es relativ kurzfristig einen Termin, max. innerhalb von sieben, acht Tagen nach Anfrage. Dann findet ein Erstgespräch statt, um eine Stunde. Der hilfesuchende Mann erzählt nun – und der Klassiker sei: „Meine Frau ist das Problem!“
Erst denken, dann handeln: Täter drehen bei Konflikten diese Reihenfolge um und folgen Impulsen
Ein kluger Mensch sagte einmal etwas wie: der Sprung von der Tat zum Wort, das sei auch ein Entwicklungssprung in der Geschichte der Menschheit gewesen. Oder der einer Bewegung vom Reich der Notwendigkeit in das der Freiheit: bei einer Auseinandersetzung nicht dem primären Impuls zu gehorchen, sondern innezuhalten, zu reflektieren, kommunikative Lösungen zu suchen. Oder die Situation zu verlassen.
Diese Fähigkeit scheint im Falle gewalttätiger Männer unterentwickelt oder verlorengegangen. Auch dies mag ein Grund dafür sein, weshalb, erklärt Brauckmann, Männer länger bräuchten, bis sie eine Beratungsstelle aufsuchten. Bis dahin gilt häufig das Zur-Show-Tragen eines Lebens in klassischen Rollenmustern vermeintlich männlicher Stärke.
Ob sie aus diesem Grund vielleicht schlagen, oder weshalb auch immer Männer es tun: es ist in der Regel ein Ausdruck von Hilfslosigkeit, Ohnmacht. Wenn Ziele mit den eigenen Mitteln nicht erreicht oder das Eintreten ungewollter Ereignisse nicht verhindert werden können. – Worum es aus pragmatischer Sicht bei den Gesprächen, die Brauckmann führt, vor allem geht: Verhaltensänderungen herbeizuführen, um sie als Gewalttäter auszuschließen und potentielle Opfer zu schützen.
Wofür das traditionelle Rollenbild wenig Platz bietet, aber erwünscht ist: „Echte Männer reden“
Das tut definitiv Not. Allein 602 Fälle habe es im letzten Jahr in Dortmund und Lünen gegeben, in denen Täter der gemeinsamen Wohnung hätten verwiesen werden müssen, erklärt Alwin Buddenkotte, Geschäftsführer der KSD (Katholische Soziale Dienste) Dortmund. Und das ist freilich nur die Spitze des Eisberges.
Jörg Stenczl ist Opferschutzberater bei der Dortmunder Kriminalpolizei: polizeilich registriert worden seien 2018 insgesamt 1.596 Fälle, bei denen Beamte zum Einsatz kamen. Dies Anzahl stellt quasi ein Transparenzfeld dar – mit wenig zu deuteln. Dann ist da ein Graubereich, wo zumindest Institutionen wie das Jugendamt involviert sind, weil sie von Gewaltereignissen indirekt Kenntnis haben oder haben können.
Schließlich eröffnet sich darunter ein unübersichtliches Dunkelfeld. Dort kann lediglich geschätzt werden, weil um Gewalt nur die beteiligten Partner wissen. Die Resultate solcher Schätzungen sind erschreckend: jede vierte bis fünfte Frau würde in ihrem Leben einmal Opfer von Gewalt in einer Beziehung, so der KSD-Geschäftsführer Buddenkotte.
Menschliches, Allzumenschliches: erst mit der Krise entsteht eine Veränderungsmotivation
Bei der versteckten Gewalt jenseits staatlicher Reglementierungen sind die Hürden für Männer als Täter, sich Hilfe zu suchen, am höchsten, weiß Gewaltmanager Brauckmann. Denn sie müssen ohne äußeren Anlass über sich sprechen, vor allem über ihre Gefühle, die sie vermeintlich nicht haben, weil sie nicht wirklich was „merken“. In diesem Selbstwahrnehmungsdefizit wirkt ein traditionales Rollenverständnis – und es ist daher nicht jedermanns „Sache“, Gefühle zu verbalisieren.
Deshalb bezeichnet sich das neue Angebot des SKM-Dortmund nicht umsonst mit dem trotzigen, das Gegenbild postulierenden Teaser: „Echte Männer reden“! – Doch wo Grenzen überschritten, rohe Gewalt den differenzierenden Ausdruck ersetzt hat, da können sich Täter nicht ohne Weiteres bekennen.
Dann gibt es ohne Öffentlichkeit weniger Druck auf die Täter. Auch deshalb sagt Andreas Thiemann, Geschäftsführer des KSD in Hamm: wenn Männer in die Beratungsstunden kämen, dann zumeist „nicht so ganz freiwillig“. Da ist eine Krise, da herrscht Leidensdruck, wie auch immer geartet. Jedenfalls eine Situation, in der die Zwänge, sich zu überwinden und die Nummer des Krisen- und Gewaltmanagers zu wählen, in solchen Fällen scheinbar in den Hintergrund treten.
Es gibt Männer, die sind offenbar emanzipativ zu arg auf der Strecke geblieben
Sonst wären sie ja nicht da, die Herren der Schöpfung, und ersuchten um Rat. 45 Männer seien es im letzten Jahr in Hamm gewesen, die das Angebot wahrnahmen, erklärt Brauckmann; 2017 waren es 40. Es werden nicht weniger – und es sind immer so viel zu viel, wie es jedes Mal sind.
Anzeichen für eine Gewaltgefährdung? – ja, die gäbe es, so der Gewaltberater: da ist natürlich die individuelle Tendenz zur Aggression; ggf. gepaart mit einem Drogenproblem, wäre hinzuzufügen. Dann: Ängste: etwa, den Job zu verlieren. Oder die Wahrnehmung, die eigenen Kinder tanzten einem auf der Nase herum. Ebenso wie chronische Streitigkeiten in der Partnerschaft mit destruktiver Tendenz.
Ein bemerkenswerter Satz, der bei Vorstellung des Beratungsangebotes fällt: Männer seien emanzipativ auf der Strecke geblieben. Sie können also vor dem Hintergrund emanzipierter, selbstbewusster Frauen in der Gesellschaft ihren eigenen Ansprüchen, die sie aus antiquierten Rollenbildern ableiten, nicht mehr gerecht werden. Mit anderen Worten: das „starke Geschlecht“ erweist sich mit diesen ihren Vertretern, die handgreiflich werden, als zu schwach resp. als das schwächere und ist schlichtweg überfordert.
Kompetenzen zur Regulierung eigener Gefühle sind gerade in Stresssituationen unabdingbar
„Frauen sind stärker“, fasst Alwin Buddenkotte diesen Aspekt des Geschlechterbezugs knapp zusammen. Konkret: Frauen scheinen emotional wie kommunikativ tendenziell schlicht intelligenter zu sein.
Überspitzt ausgedrückt: je weiter sich die Menschheit aus der grauen Vorzeit mit ihrer Keulenlogik entfernt und sich zwischen Impuls und Handlung besondere Fähigkeiten schieben, sieht’s eher schlecht aus, wenn’s bei Bizeps oder PS hier, einer instrumentellen Vernunft dort bleibt, die kein Warum mehr kennt und in ihrer unflexiblen Zweckrationalität gar nicht sanft sein kann.
Solange Männer daher Stereotypen ihrer Geschlechterrolle andächtig verhaftet bleiben, können sie keine Kompetenzen emotionaler Selbstwahrnehmung ausdifferenzieren. Dadurch beschneiden sie sich aber höchst wichtiger Erfahrungsquellen zur Regulierung eigener Gefühle, mithin auch der Weisen ihres einigermaßen sozialverträglichen – gewaltfreien – Ausdrucks. Ergo knallt’s leichter, wo flexible Emotionsregulation vonnöten wäre.
Was hilft? Besagte Männer müssen lernen, sich selbst stärker zu fühlen und emotionale Übergänge in psychischen Prozessen zu identifizieren: Was passiert da jetzt mit mir? Eine glänzende Methode: Rückmeldungen von aufmerksamen GesprächspartnerInnen, den PhaemotherapeutInnen. Damit besteht die Chance, andere Sichtweisen auf sich selbst zu entwickeln – wodurch in Konfliktsituationen das Spektrum an potentiellen Handlungsoptionen erweitert wird: beispielsweise, um zur Abwechslung Mal zu reden, statt zu prügeln.
Täter müssen Verantwortung für ihr eigenes Verhalten übernehmen
Um eine stabile Veränderungsmotivation herzustellen, muss der eingangs erwähnte, klassische, nämlich externale Attributionsstil teilweise umgekehrt werden: statt die Ursachen für die Misere in ihrem, dem Verhalten der Frau zu sehen, was nur dem Selbstschutz des Täters dient, kommt es auf dessen Verantwortungsübernahme an, wie Brauckmann erklärt. Doch bis dahin ist es ein häufig dorniger, ja schmerzhafter Weg. Für alle Seiten, so oder so.
Über Rückfallquoten aus den Erfahrungen in Hamm liegen keine gesicherten Daten vor. Opferschutzberater Jörg Stenczl kennt nach eigenem Bekunden aus der Praxis Fälle, da kehrten Frauen auch nach einem Dutzend Polizeieinsätzen immer wieder zu ihm zurück. Doch solche Negativmeldungen bedeuteten nicht, dass die Beratung keinen Sinn mache.
Im Gegenteil: um vielleicht zu verhindern, dass eine weitere häusliche Spirale der Gewalt in Gang gesetzt wird, ist sie ein unerlässliches Angebot in den Kommunen. Ansonsten gilt: entweder der Typ kommt zur Besinnung (und hört auf, sie zu schlagen) oder sie wacht auf – und ist hoffentlich schnell weg.
Weitere Informationen:
- Das Angebot ist kostenlos; es besteht Schweigepflicht
- Kontakt: Markus Brauckmann, Gewalt- und Krisenberatung für Männer und Jungen: 0176 – 300 400 89
- Grundlagen der Phämotherapie, hier:
- Integrative Gewaltberatung und Gewaltpädagogik/Integrative Gewaltthearpie; hier:
- Links zu Hilfen bei Gewalt, Gewaltberatung, Tätertherapie und Männerarbeit; hier:
- Hilfen, wer keine Gewalt mehr ausüben will (euline); hier: