Dortmund soll weitere Spritzenautomaten für Drogenkonsument:innen bekommen. Darauf hat sich der Sozialausschuss gegen die Stimme der AfD verständigt. In Absprache mit der Aidshilfe soll die Verwaltung neue Standorte prüfen. Drogenberatung und Aidshilfe begrüßen den Vorstoß. Denn die Automaten helfen dabei, dass sich Drogensüchtige keine Spritzen teilen, sondern sich mit hygienischen neuen Spritzen und Zubehör versorgen können. Das ist wichtig für den Gesundheits- und Infektionsschutz.
Automaten ergänzen das niederschwellige Angebot im „Kick“ und „Flash“
Die SPD hatte Informationsbedarf und im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit das Thema auf die Agenda gebracht. Die Aufstellung von Spritzenautomaten zur Senkung des Infektionsrisikos von HIV und Hepatitis bei Drogenabhängigen wird vom NRW-Gesundheitsministerium im Rahmen eines Präventionsprojektes ausdrücklich empfohlen. ___STEADY_PAYWALL___
Eine flächendeckende Versorgung wird als Ergänzung der Beratungsangebote gesehen, ist in Dortmund aber nicht vorhanden. In Dortmund sind derzeit nur zwei Spritzenautomaten am Schwanenwall 42 von der Drogenberatungsstelle des Sozialen Zentrums Dortmund e.V. (Drobs) in Betrieb. Dort ist das „Café Flash“.
Ein weiterer Automat ist bei der Aidshilfe Dortmund e.V. eingelagert. Nach dem Umzug des „Kick“ an den neuen Standort wurde der Automat nicht mehr angebracht, um die schwelenden Konflikte mit der Nachbarschaft nicht zu verschärfen. „Da spielt auch die Frage des Spritzenautomaten und des aktuellen Mediationsverfahrens eine Rolle“, berichtet Willehad Rensmann, Geschäftsführer der Aidshilfe auf Nachfrage der Nordstadtblogger.
„Wir sind weiterhin in Gesprächen mit Kommune und Ordnungsbehörden, u. a. über den „Runden Tisch Drogenkonsumraum“, um die gesamten ordnungspolitischen Fragen rund um die Drogenhilfeienrichtung Kick zu erörtern und Lösungen zu entwickeln, um die aktuell aus Sicht vieler Anwohner:innen belastende Situation zu verbessern“, so Rensmann.
Die Aufstellung von Spritzenautomaten wird vom Ministerium für Gesundheit gefördert
In den Spritzenautomaten können Spritzen-Sets für den intravenösen Konsum, bestehend aus einer Spritze, einer Kanüle und einem Filter entnommen werden. Außerdem gibt es sogenannte „Care-Sets“ für den intravenösen Konsum, bestehend aus einem kleinen Pfännchen (Alternative zum Löffel), einem Filter und einem Alkoholtupfer.
Außerdem gibt es Pflege-Sets für den intravenösen Konsum, bestehend aus Hautcreme, Alkoholtupfer, Vitamin-C-Pulver und Kochsalzlösung. Des weiteren gibt es „Smoke-It-Sets“ für den inhalativen Konsum, bestehend aus Aluminiumfolie, Alkoholtupfer, Infoflyer zum Safe-Use-Konsum, Bonbon und Strohhalm
Für die Nutzer:innen entstehen hierbei Kosten in Höhe von 50 Cent pro Set – sie werden damit zum Selbstkostenpreis weitergegeben. Außerdem verfügen die Spritzenautomaten über eine Abwurföffnung für gebrauchte Spritzen. Die fachgerechte Entsorgung erfolgt per entsprechend gesicherter Behältnisse durch die DROBS.
Die Aufstellung von Spritzenautomaten wird vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW finanziell gefördert. Die Koordination und Organisation der flächendeckenden Versorgung mit Spritzenautomaten in NRW erfolgt über die Aidshilfe NRW. Sie stellt als Eigentümerin der Automaten diese vor Ort zur Verfügung und unterstützt bei der Umsetzung.
5000 Sets werden am Automaten ausgegeben, aber 450.000 Spritzen in der Beratung
Die Betreiber vor Ort gewährleisten die Unterhaltung der Automaten. Aus Sicht der Stadtverwaltung bietet sich daher die Aidshilfe neben der DROBS des Sozialen Zentrums als Betreiberin von Spritzenautomaten in Dortmund an. „Mögliche Standorte werden im Rahmen des Prozesses durch die Betreiber vorgeschlagen. Eine enge Abstimmung mit den örtlichen Behörden, insbesondere mit der Gesundheitsverwaltung, ist dabei obligatorisch“, heißt es dazu von der Verwaltung.
Die Drogenberatungen begrüßen eine mögliche Ausweitung des Automatenangebots, auch wenn durch sie vergleichsweise wenig Spritzen und Zubehör ausgegeben werden. 5000 bis 6000 Einheiten werden an den beiden Automaten am Schwanenwall pro Jahr gezogen. Die zehnfache Menge an neuen Spritzen – 2020 waren es rund 50.000 – wurden allein nebenan im vom DROBS betriebenen „Café Flash“ ausgegeben.
Im Café bzw. im Konsumraum im „Kick“ der Aidshilfe sind es noch wesentlich mehr: 380.900 Konsumutensilien, davon 210.600 im Cafébereich zur Mitnahme, wurden es im vergangenen Jahr ausgegeben. Vor Corona waren es noch weit mehr: Im Jahr 2019 hatte die Aidshilfe noch 418.100 Konsumutensilien ausgegeben – davon 299.200 im Cafébereich zur Mitnahme, berichtet Jan Sosna, Leitung der Drogenhilfeeinrichtung „Kick“.
Der Unterschied zum Automaten: In den Beratungsstellen und Konsumräumen erfolgt die Ausgabe kostenlos – in der Regel im Tausch gegen benutzte Spritzen. „Der Anreiz ist, dass die Spritzen nicht irgendwo weggeworfen werden und dass möglichst nur sauberes Werkzeug benutzt wird“, erklärt Wolfram Schulte, Fachbereichsleitung der Drogenberatung Dortmund – kurz „DROBS“.
Bedarf für weitere Automaten sieht das DROBS vor allem in der Nordstadt
Der Automat ergänzt dabei außerhalb der Öffnungszeiten das Angebot der niederschwelligen Hilfe – und Beratungsmöglichkeiten. Zudem ermöglicht es anonym den Austausch von Spritzen sowie die Beschaffung von Werkzeug. Denn nicht alle Drogenkonsument:innen wollen sich beraten lassen oder in Kontakt mit dem Hilfesystem kommen. „Nicht jedem sieht man es an, der Spritzen am Automat zieht“, weiß Schulte.
Der überwiegende Teil der Spritzen wird allerdings in der Einrichtung ausgegeben bzw. getauscht. „Wir tauschen meistens 1:1. Aber wer keine hat, bekommt sie trotzdem geschenkt. Besser, er nutzt neue, als dass er gebrauchte Spritzen benutzt. Die meisten sammeln und tauschen“, so Schulte. Er würde begrüßen, wenn es weitere Standorte geben würde. Einen entsprechenden Prüfantrag hatten die Grünen im Nachgang zur Beantwortung der Anfrage der SPD gestellt.
Vor allem in der Nordstadt sieht die Drogenberatung entsprechenden Bedarf: „Mindestens 25 Prozent unserer Klienten kommen aus der Nordstadt. Sie haben dort ihren festen Wohnsitz“, so Schulte. Doch nicht alle Konsument:innen kämen zum Schwanenwall. Daher würde er einen weiteren Automaten in der nördlichen Innenstadt begrüßen. Vielleicht am Nordmarkt-Kiosk? Eine Rückgabe-Möglichkeit für gebrauchte Spritzen ist für die zu sanierende „Bedürfnisanstalt Nordmarkt“ schon vorgesehen….
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Spritzenautomaten retten Leben und sorgen für Sicherheit (PM Grünen-Fraktion)
Für die GRÜNEN im Rat steht fest, dass zusätzliche Spritzenautomaten für drogengebrauchende Menschen an erster Stelle Leben retten. Jede saubere Spritze dient dem sichereren Drogenkonsum und verhindert Infektionen. Dazu kommt: Jeder Spritzenautomat enthält auch die Möglichkeit, gebrauchte Spritzen sicher zu entsorgen, statt sie in der Öffentlichkeit liegen zu lassen und damit andere Menschen zu gefährden.
„Spritzenautomaten gegen ein Sicherheitsgefühl auszuspielen, ist falsch“, kommentiert Benjamin Beckmann, Mitglied der GRÜNEN sowohl im Sozialausschuss, als auch im Ausschuss für öffentliche Ordnung. „Als GRÜNE setzen wir uns dafür ein, dass die Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums verlängert werden. Für einen einjährigen Modellversuch wird auf unsere Initiative inzwischen Menschen ohne Wohnsitz in Dortmund beziehungsweise ohne entsprechende Ausweispapiere ermöglicht, den Drogenkonsumraum zu nutzen. Dies alles dient dazu, dass mehr Drogengebrauchende die sicheren und medizinisch kontrollierten Möglichkeiten des Drogenkonsumraums nutzen können und ihre Drogen nicht mehr öffentlich konsumieren müssen. Es ist aber ein Trugschluss, dass dadurch keine Drogengebrauchende mehr im öffentlichen Raum in Erscheinung treten. Sie sind Teil der gesellschaftlichen Realität der Stadt und werden sich deshalb weiterhin auch in der Innenstadt aufhalten. Ein Spritzenautomat ist dafür nicht ursächlich, sondern eine Maßnahme, um Leben zu retten.“
Das sieht auch die Aidshilfe aus fachlicher Sicht so. Im Beratungsprozess zwischen Verwaltung und Aidshilfe hatte diese ausdrücklich eine flächendeckende Versorgung mit Spritzenautomaten über das gesamte Stadtgebiet gefordert, auch im Bereich Innenstadt/-Stadtgarten.
„Ein Spritzenautomat im Stadtgarten hilft den drogengebrauchenden Menschen und verringert die Anzahl von unsachgemäß entsorgten Spritzen. Gleichzeitig unterstützen wir andere Maßnahmen, um dem Stadtgarten einen besseren Aufenthaltscharakter zu geben, wie zum Beispiel den Feierabendmarkt und die kulturelle Bespielung des Stadtgartens mit Theater-Projekten. Wir GRÜNE wollen einen Stadtgarten, in dem alle Menschen ihren Platz haben”, so Benjamin Beckmann abschließend.