Das 9. Forum für Flüchtlinge tagte in der Dortmunder Nordstadt:

„Gestalten statt Ausgrenzen – für eine offene Gesellschaft und die Stärkung von Geflüchteten“

120 Fachkräfte aus dem Haupt und Ehrenamt diskutierten die aktuelle Lage und Strategien in der Flüchtlingsarbeit.
120 Fachkräfte aus dem Haupt- und Ehrenamt diskutierten die aktuelle Lage und Strategien in der Flüchtlingsarbeit. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Unter dem Motto „Gestalten statt Ausgrenzen – für eine offene Gesellschaft und die Stärkung von Geflüchteten in Dortmund“ stand das 9. Dortmunder Forum Geflüchtete im Dietrich-Keuning-Haus, eine Veranstaltung der Stadt Dortmund, der Agentur für Arbeit, des Jobcenters und des Dortmunder AK Kimble. 120 Fachkräfte aus dem Haupt- und Ehrenamt diskutierten die aktuelle Lage und Strategien in der Flüchtlingsarbeit. Der Fachtag bildete auch den Startschuss für die „Dortmunder Erklärung“ – darin werden Ideen zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft formuliert.

Das Forum als wichtiger Baustein für konstruktiven Austausch

Nur eine gestaltende, soziale und solidarische Politik kann den Herausforderungen und Chancen von Flucht und Migration nachhaltig gerecht werden. Damit verbunden sind besondere Anstrengungen der Dortmunder Bürger:innen, der Verwaltung und der Politik, um mit Aktivitäten, gesetzlichen Regelungen und Verordnungen speziell für Geflüchtete das Ankommen zu erleichtern.

Maren Fröhling, Iza Mazur und Detlev Becker haben die Veranstaltung organisiert.
Maren Fröhling, Iza Mazur und Detlev Becker haben die Veranstaltung organisiert. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Vor diesem Hintergrund will das diesjährige Dortmunder Forum Geflüchtete den Teilnehmenden Impulse und Diskussionsrunden zum Austausch bieten. Das Dortmunder Forum Geflüchtete ist als regelmäßige Dialog-, Austausch- und Arbeitsplattform für zentrale Fragestellungen zum Thema Geflüchtete angelegt.

„Auch beim 9. Forum stehen aktuelle Themen auf der Agenda, die eröffnet, gemeinsam bearbeitet oder bei Interesse auch nach dem Forum weiterverfolgt werden“, macht Maren Fröhling deutlich, die mit Iza Mazur und Detlev Becker die Veranstaltung organisiert hat.

2. Bürgermeisterin Barbara Brunsing Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Es geht nicht nur um den persönlichen Austausch, sondern es gibt auch wieder Arbeitsgruppen, um kleinteiliger Themen zu bearbeiten und neue Angebote zu schaffen”, ergänzte Detlev Becker. “Das Angebot des Psychosozialen Zentrums ist aus einer solchen Arbeitsgruppe entstanden. Viele arbeiten auch unabhängig vom Forum weiter.”

Dortmunds 2. Bürgermeisterin Barbara Brunsing machte deutlich, dass diese Arbeit wichtig sei: „Für die Stadt ist wichtig, dass Geflüchtete sich willkommen fühlen. Das Forum ist da ein wichtiger Baustein für konstruktiven Austausch, gute Gespräche und Zusammenarbeit.” Die Flüchtlingshilfe leiste wichtige Beiträge für ein friedliches und freundschaftliches Miteinander in Dortmund.

Die Dortmunder Erklärung will die Migrationsgesellschaft verteidigen

Im Zentrum stand in diesem Jahr die „Dortmunder Erklärung“ – darin werden Ideen zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft formuliert. Die Unterzeichnenden machen deutlich, dass sie sich für eine offene und vielseitige Gesellschaft und Dortmund als sicheren Hafen aussprechen. Das tun sie auch und gerade vor dem Hintergrund der Diskursverschiebung nach Rechts.

Die Botschaft ist deutlich: „Nicht die Migration ist das Problem, sondern ihre Instrumentalisierung. Gesellschaftliche Herausforderungen werden nicht als Gestaltungsauftrag verstanden, sondern als Argument, die Ausgrenzung Geflüchteter voranzutreiben. Um Gesellschaft und Leben  in Dortmund erfolgreich zu gestalten, muss entsprechend in eine starke soziale Infrastruktur investiert werden, also in Sozialwohnungen, Kitas, Schulplätze sowie Beratungs- und Betreuungsangebote.“

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Daher treten die Unterzeichnenden für eine rassismuskritische Gesellschaft, für Menschenrechte und das individuelle Recht auf Asyl ein. Sie appellieren an die europäische Solidarität und die Schaffung von mehr legalen Zugangswegen. Zudem müsse der Aufenthalt humaner gestaltet und die Rechte besonders Schutzbedürftiger umgesetzt werden.

Sie appellieren zudem für die Einbeziehung aller Geflüchteter in die sozialen Regelsysteme – für sie ist die Menschenwürde unteilbar und das definierte Existenzminimum nicht zu unterschreiten. Dazu gehört auch der Verzicht auf Einschnitte im Gesundheitssystem oder die Einführung von Bezahlkarten.

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Wir brauchen eine gestaltende und vorausschauende Flucht- und Migrationspolitik als Teil einer sozialen und solidarischen Politik für alle. Um die bestehenden Herausforderungen nachhaltig, solidarisch und ohne Einschnitte in die Grund- und Menschenrechte Geflüchteter anzugehen, muss daher massiv in die soziale Infrastruktur investiert werden“, heißt es in der Erklärung. Bei der Aufnahme und Unterbringung Geflüchteter sollten die Regelungen für die Aufnahme Schutzsuchender aus der Ukraine als gutes Beispiel dienen.

„Wir erleben einen Angriff auf die Migrationsgesellschaft, der einhergeht mit intensiven Bemühungen um eine selektive Anwerbepolitik von Fachkräften, während Schutzsuchenden gleichzeitig verwehrt wird, eine Ausbildung zu absolvieren oder Arbeit aufzunehmen. Wir fordern bestehende Arbeitsverbote abzuschaffen. Das Bildungspotential Geflüchteter sollte ausgeschöpft und ihre Ausbildungs- und Bildungsabschlüsse gefördert werden. Besonders notwendig ist hierbei die Förderung der Arbeitsmarktteilhabe von geflüchteten Frauen.“ (Den gesamten Text der Erklärung und die Möglichkeit zur Unterzeichnung gibt es am Ende des Artikels)

Der „Job-Turbo” soll Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt bringen

„Letztes Mal stand alles noch im Zeichen von Corona, jetzt sind es neue Krisen. Diese Gruppen sind besonders betroffen – Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen”, sagte Heike Bettermann, Chefin der Bundesagentur für Arbeit Dortmund, mit Blick auf den Ukraine-Krieg, aber auch die Lage im Nahen Osten. „Viele Menschen sind auf ihrer Flucht in Deutschland und Dortmund gelandet. Doch die Lage im friedlichen reichen Deutschland ist nicht besser geworden. Viele Kommunen an ihrer Belastungsgrenze, was Unterbringung angeht.“

Heike Bettermann ist Chefin der Bundesagentur für Arbeit Dortmund.
Heike Bettermann ist Chefin der Bundesagentur für Arbeit Dortmund. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Zwar es wichtig, den Menschen ein Dach über dem Kopf und Essen zu geben. „Aber Menschen, die vielleicht über Jahre nicht zurückkehren können, müssen wir eine Perspektive geben. Daher das Motto so wichtig”, sagte sie mit Blick auf den Titel „Gestalten statt Ausgrenzen – für eine offene Gesellschaft und die Stärkung von Geflüchteten in Dortmund“.

„Beim Gestalten ist Teilhabe am Erwerbsleben sehr wichtig, aber auch Sprachprobleme, mangelnde Kinderbetreuung und zeitraubende Anerkennungsverfahren. Da hätten sich Bund und Arbeitsverwaltung darauf ein- und das Verfahren umgestellt. Mit dem Programm „Job-Turbo” sollen Geflüchtete schneller in Arbeitsmarkt kommen. Denn auch der einen Seite werde der Zustrom von Geflüchteten nicht abebben. Auf der anderen Seite gebe es schon jetzt akuten Arbeits- und Fachkräftemangel.

Daher sei ein viel schnellerer Arbeitsmarktzugang wichtig – nicht erst Monate des Ankommens und nach Abschluss der Sprachkurse. „Es ist enorm wichtig für Wirtschaft und Kommunen. Deutschland braucht dringend Fach- und Arbeitskräfte, viele wollen dauerhaft hier leben. Daher wollen wir sie mit dem Job-Turbo schnell in Arbeit bringen, die zudem auch auskömmlich finanziert ist und eine Perspektive gibt.“

Bettermann räumte zudem mit dem Vorurteil auf, dass zugewanderte Menschen oder Flüchtlinge nicht arbeiten wollten. „Seit 2018 ist die Beschäftigung der Menschen mit ausländischem Pass deutlich schneller gestiegen als die von Deutschen. Die Quote steht bei 32,4% statt bei 3,6 Prozent. „Daher rate ich Firmen, sich auf Arbeitnehmer mit Fluchtgeschichte einzulassen. Wir beraten über Unterstützungsmöglichkeiten und auch Finanzierung. Kommt Geflüchteten direkt zugute: Kontakte zu Kollegen, gut für den Spracherwerb.“

Schulterschluss und Konsens zwischen Land und Kommunen als Schlüssel zum Erfolg

Erstmals zu Gast war Dr. Andreas Hohlfeld von bei der Bezirksregierung Arnsberg. Seit einem Jahr ist er als Abteilungsleiter für einen bunten Strauß an Themen zuständig, wozu auch Ausländerangelegenheiten und die der Geflüchteten gehörten. „Dieses Thema hat mich in den letzten 12/13 Monaten sehr intensiv beschäftigt. Gerade deshalb freut mich, dass ich hier sein und was mitnehmen darf.“ Er wolle Kontakte und Themen und ein Gespür dafür mitnehmen, was die Basis bewegt und wo der Schuh drücke.

Dr. Andreas Hohlfeld von bei der Bezirksregierung Arnsberg
Dr. Andreas Hohlfeld von bei der Bezirksregierung Arnsberg Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Ich nähere mich dem Thema eher verwaltungsmäßig –  sachlich und fachlich” sagte Hohlfeld mit Blick auf die ihm unterstehenden Einrichtungen wie die Landeserstaufnahme (LEA) in Bochum als erster Anlaufstelle, aber auch die Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Unna und die zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) in Dortmund und auch Notunterkünfte. Wichtig sei, dass in der LEA die Registrierung, aber auch die humanitäre Erstversorgung sichergestellt werde.

„Aber wir sind auch verantwortlich für den Ablauf dahinter, den Prozess der Aufnahme der Schutzsuchenden in einem regulären Verfahren, um ihren Anliegen vorbringen zu können und Zugang zu Registrierungs- und Asylverfahren haben. Wenn nicht geordnet läuft, gibt es an anderer Stelle Verzögerungen und Probleme, die es nicht geben müsste. Daher ist die Prozesssteuerung mir so wichtig. Das gilt auch für die EAE in Unna und ZUE und Notunterkünfte.”

Ziel sei, dass die Kommunen nur Geflüchtete zugewiesen bekommen, die eine Bleibeperspektive haben. „Ich weiß, das klappt nicht immer“, sagte der Vertreter der Bezirksregierung mit Blick auf die fragenden bzw. grinsenden Gesichter im Publikum. Dennoch werde man weiter mit den Kommunen nach weiteren Unterkünften für Landeseinrichtungen schauen. Ihm sei dabei die konstruktive Abstimmung mit möglichen Kommunen wichtig, um zusätzliche Plätze in Bestandsimmobilien zu generieren, die schnell und längerfristig nutzbar seien. Doch das gelinge nur „im engem Schulterschluss und nur im Konsens mit Gelegenheitskommune. Das ist Schlüssel zum Erfolg.”

Keine Randnotiz der Geschichte: „Migration wird ein Dauerthema bleiben“

An den Bestrebungen führe kein Weg vorbei: „Wir müssen unserem rechtsstaatlichen Auftrag gerecht werden und eine humane Aufnahme sicherstellen“, so Hohlfeld. 2022 gab es wegen des Ukraine-Kriegs einen deutlichen Anstieg. 67.000 Erstanträge gab es 2023 allein in Bochum. „Wir rechnen damit, dass die Zugänge in diesem Jahr auf ähnlichem Niveau oder etwas höher liegen. Der Blick auf die weltpolitischen Geschehnisse lässt einen nicht fröhlicher werden. Auch zukünftig durch Krisen Migrationsbewegungen erleben werden.”

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Migration wird ein Dauerthema bleiben – das ist ein Dauerthema und keine Randnotiz der Geschichte. Die Zuwanderung wird uns weiter herausfordern. Daher ist es wichtig, gemeinsam in Foren wie diesen Lösungen zu erarbeiten. Migration gehört zum Leben dazu und eine ganz normale gesellschaftliche Aufgabe.”, so Hohlfeld.

Ihm gefalle am Motto des Dortmunder Forums die Betonung auf gestalten statt ausgrenzen: „Wir müssen die Migration gemeinsam gestalten. In Bürgerinformationsveranstaltungen erlebe ich ganz oft eine Atmosphäre von Sorge, Angst und Ablehnung des Unbekannten. Diese Aus- und Abgrenzung zum Unbekannten betrübt mich.“ Es sei ganz wichtig, solche Veranstaltungen auch zu nutzen, um von gesellschaftlichen Stereotypen und Vorurteilen wegzukommen, die wenig belegbar seien.

„Wir müssen uns stattdessen gemeinsam gestaltend diesen Herausforderungen stellen. Doch dazu brauche es ein Umdenken: „Not in my backyard“ sei weder bei der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften noch bei der Energiewende richtig: „Alle wollen Strom, aber kein Windrad und keine Stromtrassen vor der eigenen Haustür. So werden wir nicht weiterkommen, daher gemeinsam gestalten und Lösungen finden. Werden nicht alle zufriedenstellen, aber gemeinsam gestalten bedeutet auch, Kompromisse zu finden. Foren wie diese richtig, was man gemeinsam gestaltend tun kann, um weltoffene und pluralistische Gesellschaft zu erhalten und auch gegen antidemokratische Kräfte zu verteidigen.

Für Diskriminierungsschutz braucht es ein Verständnis von Diskriminierung und Rassismus

Einen sehr komplexen Einblick auf Zahlen, Fakten und Paragraphen rund um die aktuelle Rechtslage von Geflüchteten gab Ali Ismailovski. Er ist Referent für Migrationsrecht im Café Zuflucht. Neue gesetzliche Leistungen bzw. Einschränkungen waren dabei ebenso Thema wie die Einführung einer Bezahlkarte, die Einrichtung von Ankerzentren oder die Folgen des so genannten „Rückführungsverbesserungsgesetzes“.

Ali Ismailovski
Ali Ismailovski vom Café Zuflucht Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Einen ganz anderen Schwerpunkt setzte Lisa Rüther vom Anti-Rassismus Informationscentrum (aric NRW e.V.): Sie setzte einen Schwerpunkt auf Rassismuskritik und Diskriminierungsschutz in der Arbeit mit geflüchteten Menschen. Auch Menschen, die in diesem Feld arbeiten, müssten sich und ihre Art regelmäßig reflektieren und auch auf Strukturen in der Gesellschaft schauen, um Schieflagen und diskriminierende Strukturen zu erkennen. „Dazu braucht man dazu das Wissen. Das Erkennen ist wichtig, um ins Handeln zu kommen“, so Rüther.

Das sei ein „Riesenthema, wozu wir normal zweitägige Fortbildungen machen“. Im Forum hatte sie dafür gerade mal 45 Minuten Zeit. „Wenn wir über das Thema Diskriminierungsschutz sprechen, müssen wir ein Verständnis von Diskriminierung und Rassismus haben. Wir sind in einer Zeit, wo Diskriminierung und Rassismus super-salonfähig geworden sind”, so die Referentin. Für die praktische Arbeit stehen für sie die Sicht der Wissenschaft gleichwertig neben der Perspektive der Betroffenen.

Die Merkmale skizzierte sie: Es gebe eine Ungleichbehandlung eines Menschen oder von Gruppen, aufgrund von bestimmten Merkmalen. Diskriminierung erfolge auf verschiedenen Ebenen – individuell, institutionell, strukturell, diskursiv. Dabei spiele immer eine Rolle, was als „normal“ gelte – die Reduzierung zwei Geschlechter, aber auch Name, Sprache oder ein bestimmtes Aussehen, was „als normal verstanden” werde.

Diskriminierung und gesellschaftliche Machtverhältnisse

„Diskriminierung ist immer an Merkmal gekoppelt – an ein tatsächliches oder ein zugeschriebenes Merkmal. Dabei kann es um Herkunft und Nationalität, Sprache und Aufenthaltsstatus, Hautfarbe und äußere Erscheinung, Gender und geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, Lebensalter und Familienstand, Religionszugehörigkeit und Weltanschauung, körperliche und geistige Fähigkeiten, soziale Herkunft und Familienstand und weitere (unveränderliche) Aspekte der Identität von Menschen.

Lisa Rüther von aric NRW e.V.
Lisa Rüther von aric NRW e.V. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Rassistische Diskriminierung betrifft tatsächliche und zugeschrieben Merkmale. Dabei gibt es viele Variationen: Rassismus, Klassismus, Linguizismus (Sprache), Antisemitismus, Sexismus, Bodyism (Abwertung der körperlichen Figur des gegenübers) oder Ableism (körperliche Fähigkeiten). „Wenn ich diskriminiere, tue ich das aus einer Machtposition”, so die Referentin.

Rassismus ist mit der Entstehungsgeschichte Europa verknüpft, als Kolonialismus und Imperialismus im 15. Jahrhundert Eroberungen forcierte und die Versklavung weiter Teile der Welt. Zentral ist dabei der „Rasse-Begriff”: ES gibt eine Vielzahl von Rassen-Theorien seit dem 17. Jahrhundert: Dabei handelt es sich um ein ideologisches Denksystem, das Hautfarbe & Religion als Marker nutze, um Menschen in angebliche „Rassen“ einzuteilen. Dies bedarf einer Ideologie, einer Denkstruktur und einer geübten Handlungspraxis. „Die  Behauptung von Andersartigkeit von Menschengruppen anhand von phänotypischen Merkmalen, die Abwertung ,der Anderen’ und die  Legitimation zur Andersbehandlung“ gehöre dazu, erklärt Rüther.

Einstanden sei sie aus einer weißen europäischen Idee: „Die Weißen haben sich selbst nach oben gestellt und alles andere unter sich kategorisiert – über viele Jahrhunderte und das Konstrukt weltweit verbreitet. Es ist nach wie vor präsent.” Rassismus sei daher eine Ideologie, Denkstruktur und Handlungspraxis: „Ich kann mich dafür entscheiden, oder wurde so sozialisiert.”

Rassismus kommt heute ohne den Rassenbegriff aus

„Sprechen wir jetzt von Ethnizität oder Kultur als Platzhalter für Rasse – die Funktionsweise ist dieselbe. Ich konstruiere vemeintliche Gruppen und ihre Abwertung. Dabei kommt dem ,Wir und die anderen’ eine große Rolle zu. Erst durch das ,Othering’ mache ich jemanden zu einem anderen: Das ist ein aktiver Prozess. Ich mache jemanden zum anderen.Das bedeutet die Abwertung des anderen und die Aufwertung des Wir”, so die Referentin.

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Das Konstrukt lässt such auf Geflüchtete übertragen. Der Mehrheitsgesellschaft wird ein „wir“ zugewiesen, obwohl fast alle Menschen einen unterschiedlichen sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Status haben. Die Selbstsicht: Wir sind wohlhabend, modern, friedlich.

Auf der anderen Seite sind die Geflüchtete: Ihnen schreibe ich etwas zu, erzähle nur bestimmte Geschichten und zeige nur bestimmte Bilder. Die Botschaft: „Alle Geflüchtete sind arm, rückständig, gewalttätig” – ganz im Gegensatz zu uns selbst. Rassismus lässt sich dabei mit einem Eisberg vergleichen – nur die Spitze ist sichtbar.

Vieles passiert im Verborgenen und ist unter der Wasseroberfläche institutionell und strukturell verankert. Entscheidend sei, diese Strukturen, Gesetze und Handlungen, die das immer reproduzieren, zu erkennen und ggfs. zu korrigieren. Lisa Rüther verweist in diesem Zusammengang auf ein Zitat von Prof. Aladin El-Mafaalani:

Zitat: „Wir müssen davon ausgehen, dass Rassismus in jedem gesellschaftlichen Bereich vorhanden ist. Das liegt nicht daran, dass es so viele Rassisten (…) gibt, sondern vielmehr daran, dass nicht hinterfragte Vorurteile und rassistische Wissensbestände in der Bevölkerung, aber auch in den Strukturen der Institutionen, weit verbreitet sind, und damit systematisch ausgegrenzt wird, ohne systematisch ausgrenzen zu wollen“ (Aladin El-Mafaalani)

Das unterstreichen eine Vielzahl von Befragungen. Die Spanne reicht von der Diskriminierung bei der Wohnungssuche, der Nichtbeachtung der Schutzwürdigkeit bei der Zuweisung zu Unterkünften, beispielsweise von Schwangeren, oder Benachteiligungen in der Wirtschaft.

So ist die diskriminierende Situation von Geflüchteten:

Das hat massive Auswirkungen auf die Betroffenen. Sie müssen Gewalterfahrungen erleiden, erleben massive Grenzüberschreitungen und Verletzungen der Integrität und Würde. Die Folge sind negative emotionale, soziale, materielle Folgen sowie negative Konsequenzen für Identität und Selbstwertgefühl. Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus und reichen von Vermeidung, Trotz/Wut, Solidarisierung und Abwehrreaktionen. Zudem erleben Geflüchtete die extreme Abhängigkeit von Behördenentscheidungen, Vermietern und Arbeitgeberin fast als Ohnmacht. Denn diese Erfahrungen machen sie immer wieder und das baut sich auf.

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Das gesellschaftliche Klima ist derzeit von rassistischen Diskursen gegen Geflüchtete geprägt. Die Diskriminierung trifft eine sehr vulnerable Gruppe. Dazu gibt es eine Gesetzgebung, die staatliche Diskriminierung legitimiert.

Die Diskriminierung betrifft existentielle Lebensbereiche (Wohnen, Existenzsicherung, Aufenthalt, Arbeitsmarkt), wo die Zielgruppe sich in einem hohen Maße in Abhängigkeiten befindet (z.B. behördlich). Sich gegen Diskriminierung zu wehren bedarf Zeit, Kraft, Wissen und Geld – es droht zudem die Gefahr der sekundären Viktimisierung. Die Botschaft: Die Rassismuskritik ist als erster Schritt zu verstehen, um dann über Diskriminierungsschutz zu sprechen.

AUSBLICK: Pro-aktiver Diskriminierungsschutz

  • Bildungsformate, die Bewusstsein schaffen! Rassismus und Diskriminierung verlernen (Individuell und Institutionell)
  • Die Entwicklung und Umsetzung von Richtlinien und Verfahren, die Diskriminierung verbeugen,
  • Einführung von Anti-Diskriminierungsrichtlinien, Gleichstellungsrichtlinien und Verfahren zur Meldung von Diskriminierung.
  • Vernetzung mit Antidiskriminierungsberatungsstellen
  • Diskriminierung ansprechbar machen!

AUSBLICK: Reaktiver Diskriminierungsschutz

  • Rechtlichen Diskriminierungsschutz kennen und evtl. in Anspruch nehmen (AGG, GG, SIGB etc.)
  • Erste Schritte im Diskriminierungsfall
  • Verweisung an qualifizierte Antidiskriminierungsberatungsstellen (ADA-NRW)
  • Beschwerdemechanismen nutzen (evil, anonym)
  • Lobbyarbeit und Vernetzung
  • Empowerment

Im Anschluss tagten sechs Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen. Behandelt wurden in diesem Jahr die Themen Geflüchtete in Betrieben, Partizipation und demokratische Teilhabe, Bedarfslagen geflüchteter Frauen, Veränderungen in der Beratungslandschaft und Identifikation von Beratungslücken und Flüchtlingsarbeit im Quartier.

In der Arbeitsgruppe „Verteidigung der Migrationsgesellschaft“ wurde auch die „Dortmunder Erklärung“ final abgestimmt. Den gesamten Text und die Möglichkeit zur Unterzeichnung der „Dortmunder Erklärung“ gibt es hier.


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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