„meine Güte.Hört dieser Scheiss denn nie auf .Ich kann die nicht mehr sehen Entweder sind es Frauen oder Männer .Diese ganze Genderei geht mir auch auf den Sack .Sollen ihr Leben leben aber nicht in der Öffentlichkeit.“ (Fehler im Original)
Kommentare wie diesen (und auch noch viel krassere) bekommen wir regelmäßig – dieser von uns nicht veröffentlichte Kommentar kam anlässlich der Berichterstattung über den 25. CSD in Dortmund. Trotzdem oder gerade deswegen halten wir aber an unserer Linie fest. Wieso, weshalb, warum – darüber wollen wir nun sehr ausführlich Auskunft geben und Stellung nehmen. Unsere „Dr. Sandy“ (Sandra Danneil) hat auf unserer Startseite oben rechts unser „Manifest“ unter dem Motto „Gender-GAGA“ formuliert – es findet sich auch unter dem Artikel.
Wir wollen gendern und werden nicht dazu gezwungen
Kurz gesagt: Ja. Wir gendern. Nicht weil wir von irgendeiner höheren Macht, einer Regierung oder Echsenmenschen gezwungen werden. Und nein, wir sind auch nicht gekauft, sondern arbeiten seit mehr als zehn Jahren ehrenamtlich. Dieser Kommentator sieht das anders und hat auch ein „etwas anderes“ Geschichtsverständnis:
„Weil unsere Presse gekaufte Journaille ist… Vor allem der Nordstadt Blogger… Faschistoides Hetzblatt…“
Warum wir auf Nordstadtblogger.de also gendern? Weil wir es wollen und weil wir davon überzeugt sind. Auch wenn uns die Dortmunder AfD mal als „links-rot-grün versiffte Gutmenschen Lückenpresse“ bezeichnet hat, sind wir wesentlich unterschiedlichlicher aufgestellt und alles andere als eine homogene Redaktion. Selbst einige weibliche Redaktionsmitglieder sehen das Gendern auch nicht zwingend als notwendig an. Sie fühlen sich beim „generischen Maskulinum“ mitgemeint. Doch das muss nicht sein.
Wir finden, dass wir im 21. Jahrhundert eine andere Ansprache wählen sollten: „Sprachlich finde ich es keine schöne Lösung – weder geschrieben, noch gesprochen – aber gerade als <Störung> sind mir der Gender-Gap, Sternchen oder Doppelpunkte aktuell wichtig, weil eben noch immer längst nicht alle mitgemeint sind. Es ist ein Prozess. Vielleicht ist es ja irgendwann wieder überflüssig“, findet Daniela Berglehn. Unsere Schreibweise hat sich in den mehr als zehn Jahren auch verändert.
Angefangen haben wir mit dem „großen i“ – doch „MitarbeiterInnen“ meint eben nur Männer und Frauen. Daher kam später das Gender-Sternchen. Nachdem wir das Behindertenpolitische Netzwerk sowie den Blinden- und Sehbehindertenverein in der Redaktion zu Gast hatten und mit ihnen über technische Veränderungen auf unserer Seite sprachen, haben wir auf den Doppelpunkt umgestellt. Es war ihr Wunsch, weil dies auf den Hilfsgeräten besser auszugeben sei als ein Sternchen oder das große i.
Eine notwendige Veränderung im Sprachgebrauch ist willkommen
„Bevor ich bei den Nordstadtbloggern war, war mir die Wichtigkeit des geschlechtsneutralen Schreibens nicht wirklich bewusst. Ich persönlich habe immer akzeptiert, wie der bisherige deutsche Sprachgebrauch bei diesem Thema versagt und mich aktiv dazu entschieden, mich als Frau trotzdem angesprochen zu fühlen“, betont Stella Roga.
„Das könnte allerdings daran liegen, dass ich von klein auf ein übermäßig gesundes Selbstbewusstsein in meiner weiblichen Kraft hatte – es gibt nichts, was ein Mann kann, was ich nicht genauso gut hinbekomme. Als Kind einer alleinerziehenden Mutter hat mich die männerdominierte Sprache nie beeindruckt, ich habe nämlich meine ganze Kindheit lang mit angesehen, was für ein unterschätzter Kampfgeist in uns Frauen steckt“, so Roga.
„Dementsprechend hätte ich von alleine nie an eine notwendige Veränderung im Sprachgebrauch gedacht, beziehungsweise davon geträumt. Jetzt, wo sie da ist, heiße ich sie allerdings herzlich willkommen. Alles, was unsere Gesellschaft dazu bringt, bei dem medizinischen Berufsfeld nicht mehr automatisch an einen weißen männlichen Arzt mittleren Alters, mit zwei hübschen jüngeren weiblichen Krankenschwestern neben ihm zu denken, ist ein Schritt in die richtige Richtung – das ist nämlich nicht die Realität“, findet Stella Roga.
„Meiner Meinung nach zeigt eine geschlechtersensible Sprache Respekt gegenüber allen Menschen – unabhängig von ihrem Geschlecht“, betont Leopold Achilles. „Deshalb verwenden wir als Nordstadtblogger eine Sprache, die niemanden ausschließt oder diskriminiert. Damit tragen wir zu einem inklusiven und respektvollen Miteinander bei.“
Die Sprache unterliegt einem ständigen Wandel
Das Argument, dass das Gendern die deutsche Sprache ruiniert, lässt Alexander Völkel nicht gelten: „Nichts verändert sich so stark wie die Sprache. Schließlich macht heute fast niemand mehr Fissimatenten, geht mit dem Hackenporsche zum Einkaufen oder arbeitet bis zur Vergasung“, erinnert der Redaktionsleiter von Nordstadtblogger an Worte, die mittlerweile völlig ungebräuchlich sind und teils auch aus dem Duden gestrichen wurden.
„Auch Springinsfeld, Mumpitz, Tausendsassa, Schwerenöter, oder der Dreikäsehoch wird kaum noch verwendet. Zumindest von kaum jemand unter 60 Jahren.“ Stattdessen sind tausende neue Begriffe im Duden zu finden. Jede Auflage des Standardwerkes der deutschen Sprache wird fortgeschrieben, aktualisiert und angepasst.
Gerade in Bezug auf die Geschlechter war ein Umdenken längst überfällig: „Das Fräuleinwunder und die Wuchtbrummen, aber auch die Vetteln, Backfische und Hupfdohlen gehören zum Glück der Vergangenheit an“, führt Völkel weitere Beispiele für verschwundene Worte und eine gegenüber Frauen nicht wertschätzende Sprache an. „Schätzchen, hol mir mal ein Bier“ zu einer Bedienung zu sagen und ihr dabei auf den Hintern zu schlagen, war in den 80er Jahren noch an der Tagesordnung, aber damals schon indiskutabel. Heute ist das gesellschaftlich und juristisch geächtet – und das ist auch gut so.
Uns geht es um die Sprache – anderen um einen Kulturkampf
Nun also das Gendern. Manches wird komplizierter – aber warum sollte das bei der Sprache anders sein als bei allen anderen gesellschaftlichen Themen?! Oft sind es die, die den Untergang der deutschen Sprache beklagen, deren Kommentare vor Rechtschreibfehlern nur so strotzen. Klar, wir machen auch (mal) Fehler. Aber wir spielen uns auch nicht als Retter:innen der deutschen Sprache auf.
„Gendergerechte Sprache ist mir wichtig: Ich erachte sie als Werkzeug, mit dessen Hilfe ich mit wenig Aufwand erreichen kann, dass sich alle Menschen inkludiert fühlen. Wer denkt, dass jedes Nomen gegendert werden müsse (Stichpunkt Bürgersteiger:innen) hat die Umsetzung von Gendersprache schlichtweg nicht begriffen“, betont Paulina Bermúdez. „Und wer meint, ihm würde damit etwas genommen, hat die Idee hinter dem Gendern noch nicht verstanden. In einer vielfältigen, modernen und demokratischen Gesellschaft sollte sich Jede:r toleriert und geachtet fühlen.“
Und seien wir mal ehrlich: Wer sich beschwert, dass er „Negerkuß“ nicht mehr benutzen und „Zigeunerschnitzel“ nicht mehr sagen soll, dem geht es nicht um die Sprache. Diesen Fundamentalkritiker:innen geht es wohl eher um einen Kulturkampf. Diese Menschen möchten das Rad der Zeit zurückdrehen in die 50er Jahre, wo die Ehefrauen ihren Ehemännern zu Diensten sein mussten, die Wäsche waschen, das Essen kochen und sich ansonsten nicht beschweren durften. „Solange Du deine Füße unter meinen Tisch…“ – die typische Ansprache an Kinder in dieser Zeit.
Also zurück zur Sprache und zum Gendern: „Wer Bildung als demokratisches Gut definiert, das in Deutschland allen zu gleichen Teilen zugänglich ist, muss ebenfalls demokratisch mit seiner Sprache umgehen. Verständigung durch Sprache herzustellen bedeutet Verständnis zu signalisieren und sich nicht zu verschließen“, erklärt Sandra Danneil.
„Als Individuen verdienen es meine Studierenden so angesprochen und behandelt zu werden, wie sie es sich wünschen. Eine geschlechtersensible Sprache ist dabei nur ein Teil eines viel größeren Ganzen“, betont Dr. Danneil, die ehrenamtlich für nordstadtblogger.de schreibt, aber hauptberuflich als Sprachwissenschaftlerin an der TU Dortmund arbeitet.
„Wir wollen helfen, dass sich alle gesehen fühlen“
Also warum sollen Begriffe wie „Studierende“ oder „Beschäftigte“ die deutsche Sprache ruinieren? Sie sind Alternativen zu „Studentinnen und Studenten“ oder „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ findet Alexander Völkel. Natürlich klingt manche Fassung mit einem Doppelpunkt nicht schön oder sieht auch nicht gut aus. „Ich persönlich werde nicht ,Jüd:innen’ schreiben. Das liest sich komisch und fühlt sich falsch an. Statt Jüdinnen und Juden schreibe ich ohnehin lieber ,Menschen jüdischen Glaubens’.“ Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
„Nach der Auseinandersetzung mit dem Thema und lehrreichem Input aus meinem journalistischen Umfeld wurde mir immer klarer, was für einen großen Unterschied es macht, wenn man gendert – sowohl beim Sprechen als auch beim Schreiben“, resümiert Stella Roga.
„Die Medienwelt zu sensibilisieren ist extrem wichtig für eine gesunde Umprogrammierung des Kopfes, dass unsere bunte Gesellschaft eben nicht nur aus Cis-Männern besteht. Durch einen sehr geringen Aufwand – denn das Gendern nimmt keinerlei Zeit ein – tut man vielen Menschen einen Gefallen und sorgt dafür, dass sich alle gesehen fühlen. Wir entwickeln uns stetig weiter, das macht uns als Menschen aus. Eine Entwicklung, die marginalisierten Gruppen entgegenkommt, ist meiner Meinung nach definitiv ein Fortschritt für uns“, findet Stella Roga.
Ein weiteres Kommentar-Beispiel:
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
KEIN Gender-GAGA: Darum ist (uns) geschlechtersensible Sprache wichtig
Reaktionen
Hendrik
Es ist wunderbar zu lesen, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine bin. Daniela Berglehn spricht genau das aus, was ich denke.
Den Einfluss von Sprache auf Menschen unterstreicht dieser leider englischsprachige TED Talk von Lera Boroditsky (Professor of Cognitive Science at the University of California, San Diego): https://youtu.be/RKK7wGAYP6k
Und ich finde es „spannend“, dass Menschen sich erst des NS-Vokabulars bedienen („Journallie“), um dann den Nordstadtblogger als faschistisch zu bezeichnen. Ein weiteres Beispiel, das verdeutlicht, wie wichtig das Verständnis von Sprache doch ist 🙂
Hayek:in
Wenn die Mehrheit der Menschen „gendergerechte“ Sprache ablehnt, dann besteht der Kulturkampf eher nicht in der Ablehnung der neuen Schreibweisen, sondern in ihrer einsichtslosen Durchsetzung. Nun könnt ihr auf eurer Seite natürlich schreiben, wie ihr wollt. Für Menschen, die gerade erst Deutsch sprechen und schreiben lernen (zbsp Kinder), ist das alles ein ziemliches Ärgernis. Auch der Verfasser des ersten Kommentars scheint schon mit „normaler“ Sprache überfordert. Da kann ich den Frust schon verstehen.
Neue Gesprächsreihe: „G*tt – Bibel mit und ohne Sternchen.“ (PM Ev. Stadtkirche Dortmund)
Di 3.9. | 18.30 Uhr
G*tt ist queer“ – diese Aussage ist für die Einen ein Aufreger, für die anderen selbstverständlich. In dieser Gesprächsreihe werden biblische Texte in unterschiedlichen Bibelübersetzungen gelesen, theologische Hintergründe erläutert und diskutiert. Anhand ausgewählter Texte werden folgende Themen behandelt: Bibel und LGBTQI+; weiblich – männlich – divers; Sprachempfinden und aktuelle Bibelübersetzungen, Biblisches zu Mutterschaft und Nicht-Mutterschaft, Gleichberechtigung, interreligiöses Lesen, Bibel und G*tt/ G*tteskraft. Gern können konkrete Themen eingebracht werden.
Referentin: Dr. Meike Rieckmann-Berkenbrock, Theologin
Der Kurs ist für die Teilnehmenden kostenfrei; für Bewirtung steht eine Getränkekasse. Der Ort für die Gesprächsreihe kann sich noch ändern; bitte informieren Sie sich kurz vor dem ersten Termin.
Erster Dienstag im Monat, 18.30-20 Uhr, 3.9., 1.10., 5.11., 3.12.24
Voraussichtlich Ort: Reinoldinum, Schwanenwall 34, 44135 Dortmund
Die Referentin ist promovierte Theologin; im Rahmen eines Lehrauftrags an der Uni Giessen hat sie sich intensiv mit der Verwendung des Gendersternchens in der Theologie beschäftigt. Sie gehört zum ‚Team Feministischer Stadtkirchengottesdienst in Sankt Petri‘.
Anmeldung gern unter http://www.bwdo.de oder http://www.sankt-petri-do.de